Crimetime 1105 – Titelfoto © Fernsehen der DDR (Der Film ist in Farbe)
Lohnraub ist ein deutscher Kriminalfilm von Helmut Krätzig aus dem Jahr 1974. Der Fernsehfilm erschien als 23. Folge der Filmreihe Polizeiruf 110. Oberleutnant Peter Fuchs ermittelte in seinem 16. Fall, Leutnant Vera Arndt in ihrem 19. und Meister Lutz Subras in seinem 8. Fall.
Wie die obige Information belegt, war Leutnant Vera Arndt damals der Hit unter den Polizeiruf-Ermittler*innen, zumindest die Zahl der Fälle betreffend. Dieses Mal trägt sie eine grüne Schirm-Leder-oder-Kunstledermütze und ich find’s sehr neckisch und süß. Hoffentlich haben sie es nicht deswegen bei den letzten Umläufen vermieden, „Lohnraub“ auszustrahlen. Ansonsten fand ich nichts Wesentliches, was es nicht ähnlich in anderen Filmen aus der Zeit auch gegeben hätte, die vom MDR und jetzt wieder vom RBB chronologisch ausgestrahlt werden. Aber ist Lohnraub deshalb ein früher „Standard-Polizeiruf“? Wir denken darüber nach in der -> Rezension.
Handlung (1)
In einem Werk für Schiffsausrüstungen werden die Lohngelder in Höhe von 35.000 Mark geraubt. Kurz zuvor war Buchhalter Herr Neumann von einem Anrufer vom Arbeitsplatz geholt worden, da es in seiner Wohnung angeblich brennt. Frau Dornberger ist allein mit dem Geld im Kassenraum und kann vom Räuber überwältigt werden. Auch Nachtportier Friedrich Carl Brömmer wird vom Täter zusammengeschlagen und gefesselt. Es gelingt ihm dennoch, die Arbeiter des Werks zu alarmieren, die die Polizei holen. Oberleutnant Peter Fuchs, Leutnant Vera Arndt und Meister Lutz Subras übernehmen die Ermittlungen.
Bald ist klar, dass die Brandmeldung falscher Alarm war. Frau Dornberger ist während der Vernehmung sehr nervös, während Friedrich Carl Brömmer den Verdacht unauffällig, aber bestimmt auf den jungen Arbeiter Dieter Zilinski zu lenken versucht. Dennoch stimmen die Spuren am Tatort die Ermittler nachdenklich. Ein großer Rollschrank fiel angeblich um, weil Brömmer vom Täter dagegen gestoßen wurde. Peter Fuchs führt einen ähnlichen Versuch mit Lutz Subras durch, doch bewegt sich der Schrank kaum. Auch die Kopfwunde könnte sich Brömmer selbst verursacht haben.
Das merkwürdige Verhalten von Frau Dornberger und von Herrn Neumann klärt sich, als Dornbergers Tochter hochschwanger ins Krankenhaus eingeliefert wird. Brömmer wiederum trifft sich plötzlich mit dem ehemaligen Schlagerstar Emma Schnabel. Brömmer war früher Orchesterleiter, hatte mit Tangomelodien große Erfolge und will nun wieder auf der Bühne stehen. Für Emma hat er eine neue Melodie geschrieben. Sie hatte zudem einst eingewilligt, ihn zu heiraten, wenn er sich ein bestimmtes luxuriöses Haus am See kauft. Nun will er dieses Haus erwerben.
Als möglicher Täter wird Brömmer von Lutz Subras beobachtet. Neue Lohngelder wurden von der Bank geholt und erneut werden die Gelder gestohlen. In Brömmers Wohnung brannte jedoch Licht und auch die wechselnden Lichtquellen in der Wohnung machten klar, dass jemand vor Ort ist. Erst Vera Arndt findet in einer älteren Zeitung einen Hinweis darauf, dass zu einer Besonderheit bei Brömmers früheren Orchesterauftritten auch künstlicher Lichteinsatz gehörte. Mit Peter Fuchs durchsucht sie die Wohnung und beide finden schließlich eine Zeitschaltuhr, die mit den Lichtquellen der Wohnung verbunden ist. Brömmer wird im Hotel bei Emma Schnabel verhaftet. Bei ihm findet sich das gestohlene Geld. Emma wiederum wird wenig später als Mitwisserin festgenommen. Sie hatte rund 10.000 Mark des erbeuteten Geldes an sich genommen und wollte fliehen.
Rezension
Vielleicht habe ich auch eine Ausstrahlung verpasst, jedenfalls fügt sich „Lohnraub“ gut in das Schema der Polizeirufe ein, wie sie sich nach zwei, drei Jahren entwickelt hatten. Es geht wieder einmal um Diebstahl bzw. um Raub, allerdings mit einer Besonderheit, die schon auf kommende Polizeirufe hinweist: Der Täter wird sehr in den Vordergrund gestellt, obwohl er nicht, wie wir das noch häufig sehen werden, mehrere Delikte begeht, von denen eines aus dem Ruder läuft, sondern nur einmal tätig wird. Das heißt auch, seine Person wird näher beleuchtet und wir sehen einen Menschen, der unzufrieden ist mit sich und den Verhältnissen und ein Aufschneider, ein Großhals, wie man das früher auch nannte, ein, wenn man so will, typisches Element. Als er noch den Tango spielte, wiewohl das in den 1950ern gewesen sein sollte, nicht vor der Gründung der DDR, da war er wer, aber er konnte sich nicht auf die modernen Zeiten umstellen. Es ist aber unklar, ob auch Regisseur und Drehbuchautor Helmut Krätzig die Verpoppung und damit auch die Verwestlichung der Musik kritisiert, oder ob die mangehafte Anpassungsfähigkeit des Musikers symbolisch dafür stehen soll, dass er nicht in der Lage ist, die fortschreitenden sozialistischen Verhältnisse zu adaptieren.
Man darf darüber nachdenken, was uns der Autor mit dieser Figur wirklich sagen will, und das ist gut so. Weitere Menschen lasse offenkundige Mängel bei der Eingliederung ins System erkennen, natürlich auch eine Schauspielerin, die sich für eine Diva hält, aber auch weitere Mitglieder des Arbeitskollektivs beim Werk für Schiffsausrüstungen, aus dem die Lohnkasse geraubt wird. Dies unter Mithilfe einer der Mitarbeiterinnen im Lohnbüro. Der Film wäre ein schöner Whodunit, in dem sofort zu Beginn eine starke falsche Fährte gelegt wird, wenn nicht doch alles bald auf den zwangsweise Nachtportier (nicht Nachtwächter!) des Werks hinausläuft, der einst ein kleiner Star gewesen sein mochte, jedenfalls hatte er ein Orchester dirigiert und wird darf jetzt nur noch die Schranke am Werkstor dirigieren.
Ich habe keinen Hinweis gefunden, dass der Film zur DDR-Zeit ein Problem mit der Zensur hatte, und heute? Da wird man doch Dinge, die man damals vielleicht hätte als bedenklich empfinden könnten, hätte man das Werk zu zensieren gehabt, nicht zum Anlass nehmen, den Film zurückzuhalten? Bei einigen sehr offensiven Filmen wie „Minuten zu spät“ konnte ich verstehen, dass ein konservativer Sender wie der MDR sie ausgelassen hat, sie wurden dann im RBB-Umlauf gezeigt und brachten mir in der Tat zusätzliche Erkenntnisse: darüber, wie progressiv einige frühe Filme der Reihe schon waren und auch, wie sehr gerade in den Polizeirufen, die ich beim Start ab März 2019 nicht gesehen hatte, Vera Arndt eine wichtige Rolle spielte.
Bis zu einem gewissen Grad kann man das auch für „Lohnraub“ festhalten, der außerdem den Vorzug aufweist, dass das „große Team“ eingesetzt wurde, nämlich drei von vier damals tätigen Ermittler*innen, darunter der überragende Peter Fuchs, der dieses Mal die Fäden gut in der Hand hält, aber auch im Dialog mit seinen Kolleg*innen steht. Arndt und Subras sind mehr als nur Stichwortgeber*innen und doch war es innerhalb von nur 66 Minuten Spielzeit möglich, auch eine der Verdächtigen-Figuren noch herauszuheben. Ich schrieb es in früheren Rezensionen der kurzen Dauer der ersten Polizeirufe zu (64 Minuten war anfänglich eine Art Standard-Zeitmaß), dass sie sehr traditionell und straight gefilmt waren, dramaturgisch etwas roh und ohne viele Hintergründe, die Verdächtigen betreffend. Muss ich diese Meinung nun auch anpassen? Nicht ganz. Denn hätte man „Lohnraub“ um zehn oder fünfzehn Minuten verlängert, hätte man die zu früh zu eindeutige Spur, die auf Brömmer weist, etwas dezenter halten können. Im Verlauf wird der Film fast zu einem Howcatchem, weil auch die Ergebnisse der Kriminaltechnik stark darauf hinweisen, dass das der wilde Kampf inklusive Treppenfall des B. gefakt waren.
Vom Ton ist „Lohnraub“ ein echter Krätzig. Knackig, nicht ohne Humor und Ironie, obwohl er auch anders konnte. Nachdem ich nun fast alle Filme kenne, die er für die Reihe gemacht hat, würde ich aber sagen, das war sein Ding: Keine gepflegte Langeweile aufkommen lassen oder allzu tief gründeln oder sogar Melancholie beim Zuschauer hervorrufen, wie man sie beim Sichten von Polizeirufen aud den 1980ern nicht selten empfindet, sondern lieber alles ein wenig auf die Spitze treiben. Das trifft hier natürlich auch auf die Charaktere zu, die etwas mehr hinterleuchtet werden. Außerdem ist es schon fast satirisch, wie kernig die Polizei dieses Mal auftritt. Man darf, das sieht man nicht nur in diesem Film, einfach in Wohnungen eindringen, nachdem man zuvor ordnungsgemäß an der Tür gehämmert und laut genug „Deutsche Volkspolizei! Öffnen Sie bitte!“ gerufen hat, aber man muss sich Nachbarn als Zeugen organisieren, die eh zufällig im Treppenhaus herumstehen, weil sie von dem Auftrieb angelockt wurden. Zeugen wofür eigentlich? Dass die Polizei nichts mitgehen lässt? Viele ältere Linke, interessanterweise auch welche, die das System gar nicht erlebt haben, weil sie aus dem Westen stammen, wollen partout nicht die DDR als Unrechtsstaat bezeichnen, aber der Einordnung als Rechts- oder Unrechtsstaat geht es nicht (nur) darum, ob es überhaupt eine verlässliche Rechtsordnung gibt oder ob Willkür herrscht, sondern um die Gewährung oder Nichtgewährung von Grundrechten, darunter die Unverletzlichkeit der Wohnung.
In Tatorten wird dieses Grundrecht ebenfalls immer wieder mit Füßen getreten, manchmal sogar im wörtlichen Sinne, weil die Filme sonst für heutige Verhältnisse zu umständlich wurden. Für die Realität gilt das aber nicht in der Form. Gefahr im Verzug, was in Krimis gerne mal als Grund hergenommen wird, ist nicht so einfach anzunehmen, wie es in Tatorten oft erscheint.
Finale
Abgesehen von der besprochenen Vorhersehbarkeit ist „Lohnraub“ ein recht ansehnlicher Polizeiruf mit Subtext, über den man durchaus nach dem Film nochmal ein wenig reflektieren kann; vor allem darüber, dass mal wieder so viele Menschen sich offenbar nicht klar finden in der Wirklichkeit und nicht wahrhaben wollen, dass sie nichts Besonderes sind. Dass auch Mitglieder von Arbeitskollektiven oder sogar ganze Brigaden in Vermögensdelikte verwickelt sind, wird man in der Folge noch öfters sehen und selbstverständlich liegt darin eine Form von Systemkritik begründet: Menschen, die ansonsten ganz normal wirken, wollen sich immer wieder am sozialistischen Eigentum vergreifen. Besonders deutlich wird der Spin, wenn es um Schwarzarbeit und den Klau von Baumaterialien geht, wo man also wirklich sagen kann: „Woher nehmen, wenn nicht stehlen?“ Es gibt keinen Markt, der es über die Preise regelt, was durchaus Bremswirkung erzeugen kann, wie aktuell bei den steigenden Preisen für Bauholz und andere Rohstoffe, die nicht nur für die Bauindustrie gebraucht werden. Vielleicht wird man irgendwann einen der letzten Vorzüge des Kapitalismus, die freie Verfügbarkeit von allem für diejenigen, die es sich leisten können, ebenfalls ad acta legen müssen und dann wird sich zeigen, dass auch dieser Weg als letztgültige Wirtschaftsform ein Irrweg war. Vielleicht sollte man es doch mal mit echtem Sozialismus versuchen, der ein vorsichtigeres, aber den individuellen Bedürfnissen dennoch entgegenkommendes Wirtschaften ermöglicht.
8/10
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2021)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
Regie | Helmut Krätzig |
Drehbuch | Helmut Krätzig Georg Redmann |
Produktion | Heinz Wennemers |
Musik | Hartmut Behrsing |
Kamera | Bernd Sperberg |
Schnitt | Margrit Schulz |
Besetzung | |
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