Inflation noch stärker gestiegen und liegt jetzt bei 7,4 Prozent +++ Kommentar | Wirtschaft, Geopolitik | Atypische Geldentwertung nimmt immer größere Dimensionen an

Frontpage | Wirtschaft, Geopolitik | Schwache Wirtschaft, hohe Geldentwertung – das atypische Szenario verfestigt sich

Innerhalb eines Jahres hat sich die Teuerung im April nun auf 7,4 Prozent gesteigert, vor einem Monat lagt die Inflation bei 7,3 Prozent, allein im April wurden Waren und Dienstleistungen um 0,8 Prozent teurer. Das war vor wenigen Jahren noch die Jahresinflationsrate.

Nach Bundesländern aufgeteilt fällt die Teuerungsrate teils noch höher aus: Allein im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen stieg sie im April auf 7,7 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit 1973, in Baden-Württemberg lag sie bei 7,0 Prozent und somit auf dem höchsten Niveau seit Anfang 1974. (Q)

Damals gab es sogar die Ansicht, diese 0,8 Prozent seien zu wenig. Doch egal, ob zu wenig oder zu viel, die EZB-Geldpolitik versagt komplett beim Steuern an die EU-Zielmarke von 2 Prozent Geldentwertung pro Jahr heran. Die Europäische Zentralbank hat ihr Pulver längst verschossen, kann nicht aus der Falle der Niedrigzinspolitik und es gibt sogar reale Gründe dafür, das nicht zu tun: Die gegenwärtige hohe Inflation ist nicht etwa durch eine heißlaufende Wirtschaft bedingt, wie es in den Lehrbüchern steht, sondern durch das genaue Gegenteil: Die Rohstoffpreise legen zu, die Wirtschaft stagniert, die Produktivität steigt kaum und der Druck im Preiskessel ist enorm. Das führt dazu, dass die Bürger:innen, dass Sie, dass wir alle dieses Jahr massiv an Kaufkraft verlieren werden, sofern wir nicht zu jenen gehören, die ihr Kapital durch Spekulation sogar vermehren können.

Man kann natürlich jetzt alles auf den Ukraine-Krieg schieben, also auf Russland. Vielleicht erinnern wir uns aber mal kurz daran, dass die Geldentwertung schon vor dem Einmarsch von Putins Truppen in die Ukraine bei über 5 Prozent angelangt war. Ganz ohne die Sondereinflüsse, die wir jetzt sehen, sondern schlicht durch fehlerhafte Wirtschafts- und Geldpolitik, die zu einer beispiellosen Verteilung von unten nach beiträgt. Diese Verteilung ist schon viel länger im Gange, als die aktuelle Zins- und Geldentwertungslage es ausdrücken, aber im Kern wird hier massiv Vermögen der Mittelschicht vernichtet und werden die Armen noch ärmer, wird ihre Situation existenzbedrohend, weil bis hinauf in die mittlere Mittelschicht niemand in diesem Jahr ein steigendes Realeinkommen verzeichnen wird. Ganz im Gegenteil, und deswegen ist die Konsumstimmung zu Recht miserabel. Das ist nicht gefühlt, das ist keine Nervensache, das ist ein echtes Problem, das viele hierzulande spüren.

Wirtschaftsminister Habeck, genannt der Lässige, sagt denn auch „Deutschland wird ärmer werden“ und nickt in Richtung Ukraine und Russland. Leider ist diese Aussage wieder einmal falsch und Habecks lockerer Kommunikationsstil, der so authentisch wirkt, verschärft das Problem nicht nur, er ist auch Absicht. Damit soll verdeckt werden, dass nicht Deutschland ärmer wird, auch nicht der Herr Habeck, jedenfalls nicht wesentlich, sondern nur diejenigen, welche in der aktuellen Situation nicht als Krisengewinnler Kasse machen oder in Anlage-Okkasionen investieren können.

Die sogenannte Leistungsgesellschaft profitiert nicht von der aktuellen Situation, das ist richtig. Wohl aber tut es die Gesellschaft der leistungslosen Profitmacher. Wir wetten darauf, dass das Vermögen „der Deutschen“ auch in dieser Krise nämlich in toto nicht sinken, sondern weiter anwachsen wird, weil am oberen Ende die Steigerung sich immer mehr beschleunigt und damit die immer schnellere Verarmung der unteren 50 Prozent, wenn nicht sogar der unteren zwei Drittel nominal wohl mehr als ausgleichen wird. Wie lange werden wir also das „wir“ noch tolerieren, wenn es um die Bewältigung der Folgen einer Krise nach der anderen geht, angefangen bei der Finanzkrise 2008, hin zur Corona-Krise und jetzt zu den Folgen des Russland-Ukraine-Krieges? Wie lange werden wir die Politik noch davonkommen lassen mit diesem auffällig nonchalant geforderten Wir-Gefühl, das immer ausschließt, dass die Reichen sich auch endlich mal etwas mehr an all diesen Sonderkosten beteiligen, welche die Gesellschaft im Ganzen belasten. Die FDP tönt schon wieder: Keine Steuererhöhungen!, und damit wird sie sich wohl durchsetzen. Wie lange soll diese Ungerechtigkeit eigentlich noch anwachsen dürfen, bis endlich die Verantwortlichen von uns zur Rechenschaft gezogen werden?

41 Jahre lang hat es gedauert, bis nach dem Energiepreisschock der frühen 1980er wieder eine so hohe Inflation wie die aktuelle erreicht wurde. Damals hat man noch versucht, das durch höhere Löhne halbwegs auszugleichen, aber heute? Das sind bittere Zeiten für die Mehrheitsbevölkerung, die schon in den letzten Jahren nur dadurch noch das Gefühl hatte, mittun zu dürfen, weil die Ausbeutung der Menschen in fernen Ländern günstige Produktpreise ermöglichte. Aber auch diese Möglichkeiten, hierzulande konsumieren zu können, weil woanders Hungerlöhne gezahlt werden, sind nun langsam ausgereizt und die Unzufriedenheit wird wachsen.

Ist wenigstens Besserung in Sicht?

In ihren jüngsten Prognosen geben Volkswirte mit Blick nach vorne keine Entwarnung: Sie rechnen für das Gesamtjahr 2022 mit einer durchschnittlichen Teuerungsrate von mehr als sechs Prozent in Europas größter Volkswirtschaft. Das wäre die höchste Inflation seit der deutschen Wiedervereinigung 1990. (Q)

Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, sagt: „Die Inflation bleibt noch bis in den Herbst hinein in der jetzt erreichten Größenordnung.“ Steuersenkungen und andere Maßnahmen könnten dabei Verbrauchern zwar kurzfristig entlasten, „aber am Ende muss die Europäische Zentralbank dafür sorgen, dass sich die Inflation nicht für Jahre verfestigt“. Das könnte in Form einer Leitzinserhöhung im Sommer passieren. Am Mittwoch hatte EZB-Chefin Christine Lagarde angekündigt, dass auf der nächsten Ratssitzung darüber entschieden würde. (Q)

Eigentlich gibt es überhaupt keinen Grund, die Zinsen nicht endlich anzuheben, denn die Wahl in Frankreich, die für Lagarde und ihr Pet Emmanuel Macron wichtiger war als das, was im übrigen Europa passiert und ob die Menschen allgemein ärmer werden, ist gelaufen. Aber, ach, vergessen: Die Nationalratswahlen, die kommen ja auch noch. Sie merken, es gibt immer einen sachfremden Grund, antieuropäische Politik aus den Institutionen der EU heraus zu betreiben. Ein Sachgrund ist allerdings auch vorhanden: Die Inflation hat eben nicht den Grund, dass hier eine auf überschäumende Wirtschaftstätigkeit zurückzuführende Lohn-Preis-Spirale in Gang gekommen ist. Und auf die Rohstoffpreise hat die EZB keinen Einfluss, solange sie nicht in der EU gewonnen werden.

Man hätte früher gegensteuern müssen, als die einsetzende Inflation noch mehr oder weniger hausgemacht war, jetzt wird’s hingegen schwierig werden, kurz- und mittelfristig für Entspannung zu sorgen. Besonders krass fanden wir immer schon die Argumentation deutscher Supervolkswirte, dass die Corona-Mehrwertsteuersenkung um drei Prozent aus dem Sommer 2020 und der dadurch erzeugte Basiseffekt, das Erlöschen dieser Sonderregelung am Ende des vergangenen Jahres, vor dem Ukraine-Krieg, der hauptsächliche Grund für die wachsende Teuerung seien, diese also sich bald wieder erledigt haben werde. Ein Blick über die Grenzen, wo solche Maßnahmen nicht zu Buche standen, hätte genügen können, um klarzumachen, dass das Quatsch ist. Denn die Preise ziehen überall im Westen erheblich an, in den USA hat die Inflation jüngst sogar die 8-Prozent-Marke überschritten.

Es gibt noch ein weiteres Narrativ, das der Betrachtung nicht standhält: Der Ukraine-Krieg treibt die Gaspreise und die Ölpreise enorm nach oben.

Sicher, wenn man freiwillig nicht mehr in Russland kauft, kann das preistreibende Konsequenzen haben, das wollen wir nicht verschweigen, denn die Weltmarktpreise liegen aktuell aufgrund der Spekulation auf Krieg höher als die Preise, die in langfristigen Lieferverträgen mit Russland festgelegt sind. Diese Abkommen werden bisher von Russland nicht verletzt. Zur Spekulation, dem Haupttreiber für die Inflation, die selbstverständlich das spekulierende Kapital begünstigt, nicht aber uns als Verbraucher, haben wir uns hier ausführlicher geäußert. Wir sind eben nicht autarker geworden, sondern der Einkauf von Rohstoffen wird von einem schwierigen Regime auf andere schwierige Regime verschoben. Das ist die traurige Wahrheit in den Zeiten einer bisher missglückten Energiewende.

Charles Goodhart hat früh gewarnt: Nach der Corona-Pandemie kommt die Inflation. Schon im Sommer 2020, wenige Monate nach Ausbruch der Seuche, legte er sich fest: Die Inflation wird sehr wahrscheinlich auf mehr als fünf Prozent steigen oder gar zehn Prozent erreichen. Goodhart, 85 Jahre alt, emeritierter Professor an der London School of Economics und ein Grandseigneur der Geldpolitik, hat recht behalten. (Q – Paywall)

Der Spiegel hat einen Inflationsrechner zur Verfügung gestellt, der so funktioniert: Sie geben Ihr Bruttogehalt an und können schauen, wie stark die Teuerung daran knabbert. Kürzlich ist das Inflations-Krümelmonster aufgewacht und sein Magen knurrt erheblich. (Q)

Anders als in Ländern, in denen der Klassenkampf noch eine angemessene Bedeutung im politischen Alltag besitzt, wie etwa in Frankreich, wo die schlimmsten sozialen Kahlschläge immer aufs Neue von einer wehrhaften Bevölkerung verhindert werden müssen, wird aber bei uns die immer größere Ausmaße erreichende Substanzzerstörung der Reserven der arbeitenden Mehrheit keine politischen Folgen haben.

Wahrlich, Herr Habeck hat recht. Dieses Land wird immer ärmer. Vor allem mangelt es der Mehrheit immer mehr an Abwehrkraft gegenüber einer hochgradig klassistischen Politik.

TH

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