Der letzte Sommer (DE 1954) – #Filmfest 773

Filmfest 773 Cinema

Vielleicht nicht der letzte Film darüber

Der letzte Sommer ist ein deutscher Spielfilm von Harald Braun aus dem Jahr 1954 nach Motiven der gleichnamigen Novelle von Ricarda Huch aus dem Jahr 1910.

Es ist lange her, dass ich die Brieferzählung von Ricarda Huch gelesen habe. Jüngst fiel sie mir beim Ordnen von Unterlagen in die Hände. Da kam es günstig, dass der Film dazu gerade auf Youtube zu haben war. So viel weiß ich allerdings noch: Die Vorlage spielt im zaristischen Russland, kurz vor dem Ersten Weltkrieg und die Handlung endet nicht so versöhnlich wie in diesem Film aus der Adenauer-Zeit. Was ansonsten gleich, ähnlich oder ganz anders ist, darüber mehr in der – Rezension.

Handlung (1)

Tolemainen, der Staatspräsident eines Landes im hohen Norden Europas, will sich in den letzten Tagen vor den Neuwahlen in seinem Landhaus im Hochwald noch etwas erholen. In unmittelbarer Nähe dieses Landhauses befinden sich mehrere gewaltige Erzgruben, deren Arbeiter in einem großen Barackenlager wohnen. Dorthin fährt Rikola, ein bekennendes Mitglied einer Gruppe von Gegnern des Präsidenten, und trifft seinen Gesinnungsfreund Gawan, der in der Grube als Arbeiter beschäftigt ist. Da sie Tolemainen für einen Feind des Volkes halten, beschließen sie, ohne ihre Gruppe einzuweihen, diesen ohne Aufschub zu beseitigen. Umgehend wird der Anschlag vorbereitet. An der über einen Wildbach führenden Brücke schneiden sie einen tragenden Balken an. Unmittelbar darauf sehen sie schon die Staubwolken der nahenden Fahrzeuge.

Bevor Rikola das verabredete Zeichen an Gawan geben kann, sieht er ein junges Mädchen mit einem Fahrrad auf die Brücke zufahren. Schnell springt er an den Brückenrand und versucht das Mädchen durch lautes Rufen aufzuhalten. Was ihm auch gelingt, denn sie hält an; gleichzeitig bleibt auf der anderen Brückenseite die Wagenkolonne stehen. Plötzlich rennt Gawan, der glaubt entdeckt zu werden, aus seinem Versteck über die schwankende Brücke, um zu fliehen. Unmittelbar danach stürzt die Brücke in sich zusammen. Dass es sich um einen Attentat handelt und der Fliehende nur der Täter sein kann, ist sofort allen klar. Gawan findet Unterkunft auf einer Vogelschutzinsel und wird von seiner Schwester Anja versorgt.

Rikola aber gilt als Retter. Als auch ein Verhör ihm keine Mitschuld nachweisen kann, wird er vom Präsidenten auf sein Landhaus eingeladen. Hier lernt er dessen Frau und die Töchter Katja und Jessika kennen. In Jessika erkennt er das Mädchen von der Brücke wieder; er verliebt sich umgehend, was sie erwidert. Unterdessen geht in Rikola eine unerwartete Wandlung vor, mit der er nicht gerechnet hat. Durch das Vertrauen, das ihm von allen Seiten entgegengebracht wird, und die Liebe zu Jessika, kann er den Präsidenten einfach nicht mehr umbringen. Er kann aber auch nicht mehr länger in dessen Haus als Gast sein. Deshalb verlässt er Jessika und Tolemainen, aber als ein anderer Mensch; nicht als Verzweifelter, als der er gekommen ist, sondern als ein Mann voller Menschlichkeit und Güte. Gawan indes wird bei einer Entenjagd auf seiner Insel von Jagdhunden entdeckt und von der Militärwache erschossen.

Rezension

Das ursprünglich russische Personal erhielt hier teils finnische, teils schwedische Namen, das Werk von Ricarda Huch spiegelt die russische Revolution von 1905, die Unruhe der Zeit, während es 1954 vor allem hieß: schön stillhalten, wenige Jahre nach der Nazi-Ära. Und so wird aus einem linken Buch, das „den Zarismus als soziale Klasse verurteilt“, wie es in der Wikipedia heißt, ein vorgeblich humanistisches Werk im Stile der Stillhaltezeit der 1950er.

Das Lexikon des internationalen Films bezeichnet das Drama als einen redlichen Film, der jedoch dramaturgische und stilistische Mängel aufweise; psychologische Banalitäten und Sentimentalität beeinträchtigten die Klarheit der Aussage.[2] Karolina Zebrowski schrieb in Filmreporter.de, dass die Bemühungen von Liselotte Pulver, auch in einer ernsten Charakterrolle aufzufallen, nur mäßig erfolgreich waren. Für ihre Rolle in „Der letzte Sommer“ erhielt sie zwar 1956 den Prix Femina, aber dieser Film wurde für sie nicht zu einem Aushängeschild.[3]

Ja, man sieht kommende Stars des deutschen Kinos, man sieht Hardy Krüger und Liselotte Pulver in einem Film, an dem mich nicht die Sentimentalität, die wohl vor allem auf das Verhältnis ihrer Figuren zueinander bezogen sein dürfte, wenn das Filmlexikon sie kritisiert. Aus einem Liebesverhältnis entsteht für den Junganarchisten ein Konflikt, den es in der Form nach meiner schwachen Erinnerung im Buch nicht gibt, dort bleibt der Revolutionär immer kühl und intellektuell überlegen. Den Eindruck macht Hardy Krüger mit der typischen vorgeschobenen Unterlippe und einem eher düsteren als eiskalten Blick nicht. Unterstützt wird dieser Eindruck dadurch, dass er mit Präsident Tovalainen kaum ernsthafte politische Gespräche führt.

Dass Tovalainen Konrad Adenauer nachgebildet wurde, ist ziemlich offensichtlich. Im Norden Europas kann er nicht den biografischen Hintergrund Adenauers haben, die Einstellung ist aber sehr ähnlich, frei aus dem Gedächtnis zitiert: „Die Menschen muss man nehmen, wie sie sind, es gibt keine anderen.“ Das lässt ein linker Revolutionär natürlich nicht gelten und es ist auch richtig sie. Denn die Welt zu verändern, ohne die Menschen politisch zu bilden und ihre Ansichten weiterzuentwickeln, kann nicht funktionieren. Ob es nun mutiger ist, den Sauhaufen, den wir überwiegend vor uns haben, realistisch zu führen, sehr sanft, im Fall von Tovalainen, oder ob endlich etwas getan werden muss, um die Zustände zu verbessern? Der Film entscheidet sich, anders als das Buch, klar für den Konservativismus, ist beinahe ein Manifest der Zeit, in welcher er entstand: Wir wissen, in Deutschland gibt es viele unglaublich verbrecherische Menschen, der Mut besteht darin, sie in eine Zeit zu führen, in der niemandem mehr so richtig wehgetan wird, auch nicht wegen dieser Verbrechen. 1954 hatte die Aufarbeitung im Grunde noch nicht begonnen, nach meiner Ansicht plädiert der Film auch dafür, es mehr oder weniger dabei zu belassen. Wenn das redlich sein soll, wie das Filmlex meint, dann frage ich mich, was ein unredlicher Film ist.

Die Revolutionäre werden hingegen nicht politisch geframed, aber sind eindeutig linksgerichtet, womit wir die zweite wichtige Aussage des Films klar vor uns sehen: Wehret den kommunistischen Fanatikern. Die waren 1954 weit davon entfernt, ein Attentat auf Konrad Adenauer zu verüben, aber man kann ja mal vorsichtshalber warnen und mahnen. Richtig ist freilich, dass es kein komplett gerechtes System gibt, wie Tovalainen sagt, das wissen wir auch. Es ist aber kein Grund, das vorhandene nicht zu verbessern oder, falls es nicht zu Verbesserungen kommt, sich etwas Neues auszudenken. Da aber unser blonder Jungattentäter eben nicht das intellektuelle Format hat wie das Vorbild in Ricard Huchs Brieferzählung, reicht es aus, dass Tovalainen genau diesen Satz äußert und der junge Mann darauf nichts zu erwidern weiß. Auf einer Kaderschule war er sicherlich nicht und wirkt wie ein Heißsporn, der nicht viel über die Hintergründe einer Ideologie nachdenkt. Damit verunglimpft der Film natürlich die Mentalität der wirklichen Anarchisten, aber auch der linken Reformer. Denn es kommt ja darauf an, zu zeigen, dass da nur ein dumpfes Wollen ist, das verblendeten jungen Menschen eignet, nicht etwa eine ausgearbeitete politische Theorie, die dazu führt, dass die besonders Ungeduldigen Gewalt unter deren Flagge anwenden. Was selbstverständlich komplett undemokratisch ist, schon gar nicht darf man das Volk „zu seinem Glück zwingen.“ Kurzer Einschub: Wo wären wir heute, wenn die Politik nicht endlich ernst damit machen würde, zugunsten einer nachhaltigen Zukunft die neoliberale Form von Freiheit ins Visier zu nehmen und Einschränkungen vorzunehmen?

Verständlich, dass nach der NS-Diktatur mit ihrer Betonung der Volksgemeinschaft und wie man damit Menschen manipuliert, eine individualistisch-freiheitliche Ordnung, die notwendigerweise Ungleichheiten beinhaltet, das Gegenmodell war und in Deutschland so, wie man es im Film sieht, weitgehend etabliert wurde. Interessanterweise nimmt dieses Werk schon die dritte Amtszeit Adenauers vorweg, und zwar in begrüßender Form. An ihr wird schon 1954 vermutlich kaum noch jemand gezweifelt haben. Hinzu kam ein Jahr später die hochgradig werbewirksame  „Rückkehr der 10.000“ aus sowjetischer Gefangenschaft, die emotional vermutlich den Höhepunkt der Adenauer-Ära darstellte und zum größten bisherigen Wahlsieg in der Geschichte der BRD beitrug.

Das wichtige Filmsprachliche wurde ebenfalls nicht vergessen: Der Genosse des Attentäters haust in einer Hütte, die Tovalainens keineswegs in einem Präsidentenpalast, sondern in einem besonders hell eingerichteten gutbürgerlich-nordischen Haus. Es handelt sich um einen Bürgerstaat, den wir sehen, mit einer vermutlich eher kleinen Armee, die aber herbeieilt, um den Präsidenten zu schützen. Wenn man will, kann man das als Beitrag zur Wiederbewaffnungsdiskussion sehen, die in der BRD in vollem Gange war und alsbald zur Bundeswehr führte. Die erste Form des Attentats hingegen erinnert an Filme wie „Wem die Stunde schlägt“: Das Wichtige ist die Brücke, mit ihr steht oder fällt der Feind. Ob man damit auch gleichzeitig diese linksromantischen Hemingway-Adaptionen aus einer Zeit vor der amerikanischen Kommunistenhetze diskreditieren wollte? Das ist vielleicht ein wenig überinterpretiert. Aber wie Ricarda Huchs Werk im Ganzen umgedeutet wird, das ist schon extrem und ganz sicher im Sinne der Autorin nicht redlich.

Finale

  1. Oktober 1954: Der letzte Sommervon Harald Braun. Bis auf den Titel hat Harald Braum wirklich alles bis zur Unkenntlichkeit umgekrempelt. Das fängt mit den Namen an. In runden Klammern stehen die Originale. Mit Hardy Krügerals Rikola Valbo (Bomben-Attentäter Lju), Mathias Wieman als Präsident Carlo Tolemainen (Gouverneur Jegor von Rasimkara) und Brigitte Horney als Tatjana Tolemainen (Lusinja von Rasimkara). Die Töchter des Hauses spielten Liselotte Pulver und Uta Hallant. Die Filmmusik schrieb Werner Eisbrenner.[10]

Lju, der Menschenkenner: „… einen Menschen ändern kann nur Gott; oder nicht einmal Gott!“[6]

So sollte ein Sozialrevolutionär nicht denken, und weil es für einen solchen etwas pessimistisch erscheint oder weil man damit eine Diktatur rechtfertigen kann, wird es im Film mehr oder weniger seinem Gegenpart untergeschoben und ist perfekt ans Jahr 1954 anschlussfähig gewesen. Vielleicht nicht soziologisch, aber politisch. Auch „Keine Experimente“ kommt fast wörtlich vor, indem Tovalainen klar der politischen Richtung zugeordnet wird, die Bewahren, nicht zerstörerisch oder wie auch immer neu schöpfen will. Ricarda Huch konnte sich zu dieser Umdeutung ihres Buches nicht mehr äußern, sie verstarb acht Jahre vor der Verfilmung.

Was soll man darüber sagen, ob ein Film gut gemacht ist, wenn seine inhaltlichen Probleme das ohnehin überlagern? Manche Szenen fand ich nett gemacht und die Handlungsidee durchaus reizvoll, aber sie spiegelt eben nicht das, was wir sehen sollten: Ein sozialkritisches Werk, in dem es nicht darum gehen sollte, ob Veränderungen notwendig sind, sondern darum, welche Mittel erlaubt sind, um sie zu erreichen. Wegen der die Vorlage (deswegen wird wohl vorsichtshalber auch von „Motiven“ gesprochen) verfälschenden Tendenz des Films, der in seiner Entstehungszeit, wie wir oben anhand der Meinung des Filmlexikons gesehen haben, wohl überwiegend als ernsthaft und politisch ambitioniert galt, nur

55/100

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Harald Braun
Drehbuch Harald Braun
Emil Burri
Georg Hurdalek
Produktion NDF, München
(Harald Braun)
Musik Werner Eisbrenner
Kamera Werner Krien
Schnitt Hilwa von Boro
Besetzung

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