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Heute, am Welttag der Pressefreiheit, ist der Weltatlas der Pressefreiheit 2022 erschienen, herausgegeben von „Reporter ohne Grenzen“. Um es mit einem Satz zu schreiben: Der Zustand der Pressefreiheit auf der Welt ist alarmierend. Nur noch in 8 von 180 untersuchten Ländern gilt der Zustand der Pressefreiheit als gut. Deutschland gehört seit diesem Jahr nicht mehr dazu. Vor allem wegen eines Sonderproblems, das wir unterhalb des Infoblocks kommentieren werden.

Diese Statista-Grafik ist unter einer Lizenz CC-BY-ND erstellt worden und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, ein paar Anmerkungen von uns im Anschluss:
Der Zustand der Pressefreiheit in Deutschland hat sich im jährlichen World Press Freedom Index von Reporter ohne Grenzen (RSF) weiter verschlechtert. Vor allem wegen der häufigen Übergriffe auf Journalist:innen während der Demonstrationen wird die Lage in der Bundesrepublik statt “gut” nur noch als “zufriedenstellend” angesehen – das bedeutet 2022 nur noch Platz 16 unter 180 bewerteten Ländern. Im aktuellen Ranking wurde mit 28 Staaten eine Rekordzahl an Ländern als „sehr schlecht“ eingestuft – ein klares Indiz dafür, wie bedroht die Pressefreiheit weltweit ist.
Als positives Beispiel für Pressefreiheit gilt seit Jahren Norwegen. Obwohl die Konditionen für Journalist:innen bereits vorbildlich waren, rief die Regierung zudem eine Kommission ins Leben, welche die Ausbreitung von Fake News und Hate Speech im Internet hemmen soll. Des Weiteren soll sie die Rolle der Presse als unabhängiges Überwachungsorgan schützen. Also im engeren Sinne beispielsweise das Aufdecken von Korruption erleichtern.
Zu den zehn Ländern, in denen die Pressefreiheit am stärksten eingeschränkt wird, gehören Myanmar (176), wo der Staatsstreich vom Februar 2021 die Pressefreiheit laut RSF um zehn Jahre zurückgeworfen hat, sowie China (175), Turkmenistan (177), Iran (178), Eritrea (179) und Nordkorea (180). Die dortigen autokratischen Regime beeinträchtigen das Arbeitsklima der Presse enorm. Viele Journalist:innen werden in diesen Ländern für kritische Berichterstattung inhaftiert, wie eine weitere Statista-Grafik veranschaulicht.
Den Expert:innen zufolge wirkt sich vor allem ein weit verbreitetes Nachrichten- und Informationschaos negativ auf die weltweite Pressefreiheit aus – der globalisierte und unregulierte Online-Informationsraums begünstigt Fake News und Propaganda. Die Invasion der Ukraine (106) durch Russland (155) Ende Februar spiegelt diesen Prozess wider, in dem ein Propagandakrieg dem physischen Konflikt vorausging. China (175) nutzt freie Hand in der Gesetzgebung um seine Bevölkerung vom Rest der Welt abzuschotten, insbesondere die Bevölkerung von Hongkong (148), die im Ranking deutlich gefallen ist. Aber auch auf europäischem Boden wird die Zunahme sozialer und politischer Spannungen durch Social Media und neue Meinungsmedien angeheizt, insbesondere in Frankreich (26), wo rechtsradikale Parteien wachsende Zustimmung erhalten. (1)
Reporter ohne Grenzen veröffentlichen jedes Jahr ein Ranking der Pressefreiheit für 180 Staaten. Dabei werden Faktoren wie Unabhängigkeit und Sicherheit der Journalisten analysiert und zu einer vergleichbaren Kennzahl zusammengefasst. Die Datensammlung für das Jahr 2022 endete bereits im Januar. Für die Länder, wo sich die Situation im ersten Quartal dramatisch geändert hat (Ukraine, Russland, Mali), wurden allerdings Daten von Januar bis März berücksichtigt. (1)
RoG hat darauf hingewiesen, dass die Erfassungsmethode jetzt verändert wurde, das hat Statista im obigen Text auch abgebildet. Wir haben hingegen die Grafik „Sicherheit“ noch einmal aufgegriffen, mit dem desaströsen Ergebnis für Deutschland:

Auch in Frankreich und Polen sieht es nicht gut aus, wie der Kartenausschnitt belegt, aber was wir hier sehen, ist ein Skandal erster Ordnung. Der Absturz Deutschlands im Bereich Sicherheit für Journalist:innen ist natürlich den vielen Verrückten zu verdanken, die auf Corona-Demonstrationen nicht nur quer denken, sondern auch heftig um sich schlagen. Zahlreiche Fälle dieser Art sind dokumentiert. Aber ist das der einzige Grund?
Nach unserer Ansicht nicht. Lange vor Corona war das Leben für Journalist:innen z. B. in Berlin schon nicht ungefährlich. Die Polizei, die auch den Querdenker:innen gerne freien Lauf ließ, hat Demos von Rechtsextremen, auf denen der Tod von Journalist:innen gefordert wurde, allenfalls freundlich begleitet, aber nicht eingegriffen, wenn Hetzparolen gegrölt wurden. Hingegen werden bei linken Demos Teilnehmende und Journalist:innen von der Staatsmacht unisono sehr rüde angegangen, wenn es sein muss, gewalttätig und häufig an ihrer Arbeit gehindert. Nur ist dieses Phänomen nicht neu und wir hoffen, dass die geänderte Auswertungstechnik mit erweiterten Kriterien endlich dazu führt, dass Deutschland nicht mehr mit „gut“ bewertet wird, obwohl der Umgang mit Journalist:innen hierzulande alles andere als sauber ist.
Was nützt ein formal guter Schutz, wenn man vor Ort nicht mehr arbeiten kann, ohne in Gefahr zu geraten, von verschiedenen Seiten angegriffen zu werden? So weit uns bekannt ist, kam es hierzulande deswegen noch nicht zu Todesfällen, aber wir müssen nur überlegen, wie auch Politiker:innen bedroht werden: Egal, welche Ansichten sie vertreten, was hier läuft, geht gar nicht und der Schutz für all diese Menschen ist lächerlich schwach. Nun kommt aber die andere Seite der Medaille ins Spiel. Wir haben gelesen, dass Weltspitzenreiter Norwegen „trotzdem“ eine Task Force gegen Hate Speech im Netz einrichtet. Trotzdem?
Bei diesem Thema muss sehr aufgepasst werden, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet und sich die Kriterien von RoG genau anschauen: Wir sind zum Beispiel dagegen, dass die oft zugegebenermaßen sehr robusten Auseinandersetzungen in den sozialen Medien allzu leichtfertig für Einschränkungen der Pressefreiheit missbraucht werden. Vielmehr sollten wir mehr darüber reden, wo dieser ganze Hass eigentlich herkommt, was die zunehmende Polarisierung verursacht, die es trotz der sozialen Medien vor einigen Jahren angeblich noch nicht gab. Jedenfalls wird so getan, als habe sich die Lage wesentlich verschlimmert. Außerdem gibt es eine krasse Wahrnehmungslücke jenseits von Facebook, Twitter & Co.: Auf dem Buchmarkt wird so viel Schräges publiziert und verkauft sich auch gut, dass man im Prinzip auch dort eingreifen müsse, wo Ideologien vertieft und verfestigt werden. Das scheint aber bei der Betrachtung vollkommen außen vor zu bleiben. Auch Youtube ist immer wieder für erstaunliche Entdeckungen gut und was man dort sieht, ist oft gefährlich professionell oder sonst überzeugend gemacht und verfehlt seine Wirkung nicht, das kann man anhand der Aufrufzahlen und der Reaktionen gut sehen.
Andererseits wollen bestimmte journalistische Cluster am liebsten, dass alles, was veröffentlicht ist, durch sie „faktengecheckt“ sein muss und sich auf diese Weise als Wahrheitsministerium etablieren. Dabei machen neue Organisationen den etablierten Medien Konkurrenz, die sich witzigerweise immer selbst checken. Wer dabei vor allem unter die Räder kommt, sind kleinere Medien, die sich auf die Recherchequalität der Großen verlassen müssen, sie sind auch am meisten von fragwürdig gehandhabten neueren Regeln wie der DSGVO, dem NetzDG usw. betroffen.
Die Gretchenfrage ist also: Wie weit geht man bei der Einschränkung der Medienfreiheit einerseits und wie gut schützt man Medienschaffende andererseits, damit sie ihrer Arbeit ohne Gefahr für Leib und Leben nachgehen können? Da ist in der Tat etwas aus der Balance geraten, das Gesamtbild wirkt in Deutschland alles andere als harmonisch und unbedenklich. Von vielen Seiten wird versucht, mit allen möglichen Narrativen und ganz unterschiedlichen Methoden die Pressefreiheit zu untergraben. Das miserable Abschneiden in Sachen Sicherheit ist ein erstes sehr wichtiges Warnzeichen dafür, dass es bald auf weiteren Ebenen zu stärkerer Behinderung journalistischer Arbeit kommen könnte. Wenn Journalist:innen erst einmal Angst haben, noch zu Reportagen auf die Straße zu gehen, dann akzeptieren sie vielleicht auch Eingriffe in die Pressefreiheit, die sie unter anderen Umständen strikt zurückgewiesen hätten, weil behauptet wird, das sei doch zum Schutz vor Fake News, Hate Speech und was es sonst noch alles gibt. Nach unserer Ansicht muss eine starke Demokratie damit fertig werden, ohne dass die Pressefreiheit leidet, sofern nicht Menschen persönlich auf eine Weise angegriffen werden, die ohnehin poenalisiert ist bzw. werden kann, unabhängig davon, ob diese Angriffe in den sozialen Netzwerken, auf der Straße oder durch Drohbriefe erfolgen.
Noch nie war in so vielen Ländern die Situation außerdem als sehr ernst eingestuft worden. Auf der Karte ergibt es natürlich einen großen Unterschied, ob ein Riesenland wie Russland nun tiefrot erscheint, aber so wird es mittlerweile von RoG eingestuft und nähert sich damit China immer mehr an, das traditionell auf den ganz hinteren Rängen liegt und wo Journalisten einfach weggesperrt werden, wenn sie nicht parieren. Das hat einen großen Impact auch auf uns, wenn solche Systeme Erfolg haben, deswegen gilt umso mehr auch ein Imperativ: Wir müssen uns dagegen wehren, dass auch in Europa immer bedenkenloser in die Meinungs- und Medienfreiheit eingegriffen wird. Sonst fällt bald ein weiteres wichtiges Bollwerk: Bisher gelten die meisten europäischen Länder noch als „vollständige Demokratien“, auch dafür gibt es einen Atlas. Stirbt die Pressefreiheit, stirbt aber auch eine wichtige Basis der Demokratie, die ohnehin schon durch unterschiedliche Infiltrationen in Gefahr ist. Es wird enger auf der Welt und wir müssen höllisch aufpassen, dass wir uns nicht in eine Situation hineinmanipulieren lassen, die nichts anderes als eine Falle für die Meinungsfreiheit darstellt: Wir lassen uns doch hoffentlich nicht freiwillig unsere Rechte abnehmen, vorgeblich für mehr Sicherheit? So darf es nicht laufen: Vielmehr müssen Übergriffe auf Journalist:innen selbst medial wirksam werden. Der Staat muss endlich seine Schutzfunktion in diesem Bereich ausüben und nicht den Feinden der Demokratie bei Angriffen auf Journalist:innen durch Passivität behilflich oder durch Gewalt sogar aktiv unterstützend im Sinne der Demokratieschädigung tätig sein.
TH
(1) Text unverändert übernommen aus dem RoG-Report 2022.