Crimetime 1108 – Titelfoto © WDR
Bruderliebe ist ein deutscher Kriminalfilm von Ulrich Stark aus dem Jahr 2000. Der Fernsehfilm erschien als 219. Folge der Filmreihe Polizeiruf 110. Sigi Möller und Kalle Küppers ermittelten in ihrem 6. Fall.
„Bruderliebe“ ist der drittletzte Film mit dem WDR-Polizeiruf-Team Küppers und Möller (der vorletzte hieß „Fliegende Holländer“) und vielleicht ist es kein Zufall, dass der WDR nach dem allerletzten, der passenderweise „Mein letzter Wille“ betitelt ist, aus der Reihe ausgestiegen ist. Die zeitliche Abfolge ist nicht exakt, es gibt eine Überschneidung, aber zuletzt waren die Pausen zwischen den Polizeirufen aus der fiktiven Stadt Volpe doch recht lang und der Münster-Tatort bereits geboren, als der Nachzügler „Mein letzter Wille“ herauskam.
Einerseits hat der WDR gut daran getan, sich nicht mit zu vielen Schienen zu verzetteln, es sind ohnehin mittlerweile drei Tatort-Städte, andererseits hat man im Westen, frei von Vorgaben offensichtlich, sowohl in Offenbach als auch in „Volpe“ etwas Neues mit der Reihe versucht. Die Gene der Comic-Krimis aus Volpe tragen sowohl der Tatort Münster als auch der Tatort Weimar in sich, was nicht bedeuten soll, dass der Humor ist mit diesen westlichen Polizeiruf-Ablegern in die Primetime-Sonntagabendkrimis der ARD kam. Aber in Volpe ging man in diese Richtung am weitesten, als diese etabliert wurden. Und wie war der vorletzten der acht Möller-Küppers-Krimis? Wir klären es in der -> Rezension.
Handlung (1)
Gabi Bauer und ihr Freund Sigi Möller, Streifenpolizist in Volpe erwarten ein Kind. Der alte Alfons Kohler wiederum sieht nach vielen Jahren seinen Sohn Ralle – einen Stuckateur – wieder, der nach Kohlmarkt am Moos zurückgekehrt ist. Kohlmarkt am Moos, ein Ort mit zahlreichen stillgelegten Kiesgruben, wiederum wird im Zuge einer Gebietsreform nach Volpe eingemeindet, heißt nun Volpe III und macht die kleine Stadt zur Kreisstadt. Volpes Bürgermeister Huffer ist begeistert und hofft, dass in Volpe III nun Bauarbeiten beginnen. Nicht ganz legal hat nämlich der Gemeinderat, der von der bevorstehenden Eingemeindung wusste, Anteile der Colon Invest gekauft, die in Volpe III ein Moorbad erbauen wollte. Die Colon Invest gehört Ingo Ambeck, der inzwischen eine Größe im Rotlichtmilieu geworden ist. Ingo ist der Sohn von Alfons Kohler und Bruder von Ralle. Ihm gehören auch alten Kiesgrubengebäude in Volpe III, in denen er Alfons als „Hausmeister“ arbeiten lässt, und zu denen der Nachtclub Top City gehört. Im Top City arbeitet die junge Tanja als Kellnerin. Sie hat vor einigen Wochen ein Verhältnis mit Ralle begonnen, was Alfons beenden will. Es wird deutlich, dass der Vater seinen Sohn Ingo hasst und Ralle beschützen und wieder weg aus Volpe bringen will.
Als einige Gemeinderäte zur Gebietsvermessung nach Volpe III kommen, werden sie von Alfons beschossen. Gemeinderat Mühlbach erstattet Anzeige gegen Alfons. Ingo und sei Security-Berater Robert Weller bezeichnen die Schüsse von Alfons jedoch als reines Missverständnis und versprechen, die Sache ins Reine zu bringen. Weller als ehemaliger BKA-Beamter kennt sich mit Polizeiarbeit aus und holt kurz darauf auch Ralle aus der Untersuchungshaft: Der hatte vor Sigi und Kalle Tanja verprügelt, weil sie ihm gestanden hatte, in Wirklichkeit eine Prostituierte zu sein. Tanja erstattete Anzeige gegen Ralle, floh jedoch kurz danach vor Ingo. Zur Befragung auf dem Revier erscheint sie nicht. Ingo wiederum gibt Alfons den Befehl, Tanja zu finden und zu töten. Bürgermeister Huffer und die Gemeinderäte erfahren unterdessen, dass die Colon Invest nicht mehr in Volpe bauen will. Die Politiker sind so Anteilseigner einer Gesellschaft, die in Volpe ein Bordell betreibt – Ingo erpresst die Männer, dass er alles öffentlich machen wird, sollten sie ihre Anteile verkaufen wollen. (…)
Rezension
Da wir die wieder einmal sehr ausführliche Handlungsangabe aus der Wikipedia gekürzt haben, halten wir uns an den dort verorteten Kritikermeinungen schadlos und stellen sie sogar der eigenen Ansicht voran:
Für die TV Spielfilm war es ein „schräger Polizeiwestern aus der Provinz“.[4] Rainer Tittelbach befand in der Welt, dass die Polizeirufhandlung viel, aber nicht zu viel enthalte. Zudem nehme man einem Polizeiruf wie Bruderliebe, „der seine Muster zur dezenten Ironisierung freigibt, […] mehr verrückte Situationen ab als realistischeren Krimis“.[5] „Regisseur Ulrich Stark verleiht diesem sechsten Kölner ‚Polizeiruf‘ Spannung, Tiefgang und Poesie. Das überraschungsreiche Krimi-Melodram fällt aus dem Rahmen des Üblichen heraus“, befand Heiko R. Blum in den Nürnberger Nachrichten.[6]
Die Stuttgarter Zeitung bewertete den Film zwiespältig: „ …der Humor um das eigentlich überforderte Polizistenduo, das nur dank tatkräftiger Reue des Gemeinderats den Fall heil überlebt, kommt diesmal etwas zu kurz. Dafür schlägt die Handlung zuweilen muntere Kapriolen, und manches Detail der Geschichte bleibt unverständlich.“[7] Als „zur Groteske tendierenden Krimi“ bezeichnete die Süddeutsche Zeitung den Film. „Hollywoods B-Picture-Methoden werden hier im Fernsehformat zitiert. Was bleibt, ist reine Parodie. Die großen Gefühle aber, die stellen sich nicht mehr ein.“[8] Für die Passauer Neue Presse hatte der Krimi ein „ungewöhnliches Finale, aber sonst viele Längen und eine konfuse Story – da konnte auch das sonst so witzige Polizistenduo nichts retten. Dieser Sonntagabend-Krimi war zu verwirrend. Leider.“[9] Die Berliner Zeitung schrieb, dass Regisseur Ulrich Stark in Bruderliebe „dem Affen zu viel Zucker [gab]. Denn die mehr als krude Story […] interessierte ihn offenbar nur am Rande. […] Witzeleien über Schützenvereine und esoterisch angehauchte Geburtsvorbereitungskurse machen keinen guten Krimi“.[10]
Ich sehe dem 7. Küppers-Möller-Fall zwiespältig. Auf der einen Seite zeigt er gewiss eine der skurrilsten Storys, die es in den Reihen Tatort und Polizeiruf bis dahin gab und „Western“ stimmt insofern, als sowohl die Familiengeschichte der Kohlers als auch der Schlussakkord mit der wilden Schießerei an Vorbilder aus dem US-Heimatfilm erinnern. An so viele davon, dass ich kein einzelnes herausheben möchte. Andererseits ist die Sache mit dem Inzest, seine moralische Bewertung und wie die Beteiligten mit „Schwesterbester und Bruderluder“ umgehen und dem, was die Dorfgemeinschaft sich ihnen gegenüber an Ausgrenzung erlaubt, zu ernst, um sie in einer solchen Ludenpistole zu verwursten. Im Prinzip wirkt sie auch nachgeschoben und daher nicht besonders gut in die Handlung integriert. Die Bauangelegenheit und eine Rivalität von zwei Brüdern, die einander in Hassliebe verbunden sind, hätten ausgereicht, um einen spannenden Krimi zu gestalten. Wo doch des Weiteren die Schwangerschaft des dritten Polizeiteam-Mitglieds Gabi Bauer abzuhandeln ist. Sie quittierte nach Fall 7 den Dienst, weil sie als Mutter eines kleinen Babys offenbar nicht mehr einen so gefährlichen Job haben wollte oder weil Darstellerin Andrea Sawatzki sich auf ihre von „Gabi Bauer“ deutlich abweichende Rolle als Charlotte Sänger im Frankfurt-Tatort konzentrieren wollte.
Es interessiert letztlich niemanden, warum die Brüder diesen oder jenen Familiennamen tragen, weil das für sich noch nicht auf ein dunkles Geheimnis hinweist. Viele Menschen tragen heute nach der Scheidung ihrer Eltern beispielsweise den Nachnamen ihrer Mutter aus der Zeit vor ihrer Ehe, den diese wieder angenommen hat. Handlungen im Westernstyle gab es in Tatorten übrigens auch, ich erinnere mich an einen Film, in dem Schimanski sich in einem Haus verbarrikadierte oder an den Murot-Tatort „Angriff auf Wache 08“, in diesem dieses Handlungsmuster bisher am meisten ausgereizt wurde. Aber wir sind im Jahr 2000 und in Volpe, und für die Verhältnisse der Zeit ist „Bruderliebe“ sehr turbulent und pflegt somit das, was durch den preisgekrönten ersten Film der Volpe-Schiene, „1a-Landeier“, vorgegeben war.
Finale
Ich hatte einige Lacher bei mir selbst zu verzeichnen, sonst war niemand im Raum, dessen Reaktionen mir hätten eine Überprüfung der eigenen ermöglichen können, ich fand, dass Martin Lüttge nach seiner Zeit als Düsseldorf-Kommissar Flemming als Vater Kohler einen guten Spart spielt, aber auch ein wenig verschenkt wird, dass die beiden Dorfpolizisten wieder einmal ungeheuer sympathisch sind, vor allem Möller, dass Menschenhandel und Inzest Themen sind, die man mit einer solchen Krimikomödie mehr oder weniger auf Eis oder aufs Kreuz legt, immerhin geht es den zur Prostition gepressten Osteuropäerinnen im alten Industriegebäude exakt wie Menschen, die auf einer Sklavenauktion versteigert werden. Das hat man in Münster dann in den besseren Filmen der Schiene besser hinbekommen: Die Verbrechen und ihre Hintergründe und die gesamten Umstände so zu gestalten, dass sich nicht der witzige Stil an dafür nicht geeigneten Themen reibt. Sicher, langweilig war’s nicht, in Volpe und Volpe III und das Team hat immer gute Momente; aber für eine richtig gute Bewertung reicht es beim 219. Polizeiruf nicht.
6/10
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2021)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
Regie | Ulrich Stark |
Drehbuch | Dirk Salomon, Thomas Wesskamp |
Produktion | Veith von Fürstenberg |
Musik | Birger Heymann |
Kamera | Wolf Siegelmann |
Schnitt | Felicitas Lainer |
Besetzung | |
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