Frontpage | Wirtschaft | Sondervermögen Bundeswehr, Teuerung, Gegenmaßnahmen, Fragewiederholung, siehe Update am Ende des Beitrags
Liebe Leser.innen, selbstverständlich hat alles mit allem zu tun. Wenn Sie für 100 Milliarden extra für die Bundeswehr sind, bleibt natürlich an anderer Stelle einiges unerledigt, denn die Schuldenbremse für den Bundeshaushalt soll ja auch 2023 wieder eingehalten werden. Der Trick: Man bildet ein „Sondervermögen“, also einen nicht im Haushalt erscheinenden Sonderschuldenberg. Aber auch ein Sonderschuldenberg ist ein Schuldenberg.
Und hier der Begleittext von Civey:
Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine haben sich die Regierungsparteien mit der Unionsfraktion auf ein 100 Milliarden Euro umfassendes Sondervermögen verständigt, mit dem die Ausrüstungsmängel der Bundeswehr behoben werden sollen. Für die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag, um das schuldenfinanzierte Sondervermögen im Grundgesetz zu verankern, war die Zustimmung von CDU/CSU notwendig.
Knapp 41 Milliarden Euro sollen der Luftwaffe zukommen. Etwa ein Fünftel wird in die Marine und 16,6 Milliarden in das deutsche Heer investiert. Zusätzlich fließen 20 Milliarden in die „Modernisierung der Kommunikation”. Neben der russischen Aggression war auch die Lastenteilung innerhalb der NATO Motivation für das Sondervermögen. Dieser soll nun im „mehrjährigen Durchschnitt“ endlich nachgekommen werden, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium.
Grünen-Politiker Frank Bsirske sieht durch die Festlegung auf militärische Ausgaben andere Koalitionsprojekte in Gefahr. Seine Partei hatte versucht, die Mittel auch in der Entwicklungspolitik zu nutzen, musste dies aber im Zuge der Verhandlungen aufgeben. Auch die Linke reagierte mit Ablehnung. Angesichts der durch die hohe Inflation in Not geratenen Menschen sei das Sondervermögen eine „Unverschämtheit“ sagte Fraktionschefin Amira Mohamed Ali im Bundestag.
Über die Verteilung des Geldsegens lesen Sie auch hier.
Der Tenor unserer Einleitung hat es vermutlich erahnen lassen. Wir sind strikt gegen diese 100 Milliarden Euro extra. Wir halten schon die weitere Steigerung des Rüstungsetats anstatt der Effizienz beim Einsatz der Ausgaben für schwierig, andererseits muss die Armee, wenn man sie nicht generell ablehnt, verteidigungsfähig sein. Dafür jetzt aber noch einmal 100 Milliarden obenauf, das verleitet nicht nur zum Gießkannenprinzip und zu weiterer Verschwendung, sondern ist angesichts der wirtschaftlichen Gesamtlage absolut unangemessen.
Endlich sind wir mal wieder bei der Minderheit: Nur 22 Prozent denken genauso (Stand 04.06.2022, 12:15 Uhr). Die absolute Mehrheit findet diese Geldschleuder super. Weitere 8-9 Prozent sind überwiegend dafür. Wir hätten da einen super Vorschlag: Alle, die sehr dafür sind, sollen sich bitte beim Finanzamt melden und sich für eine Sondersteuer eintragen lassen, die sie zahlen dürfen, bis die 100 Milliarden erreicht sind. Diejenigen, die nicht überzeugt sind, werden nicht zur Kasse gebeten. Falls überhaupt jemals Staatsschulden wieder zurückzuzahlen sind, wird uns das nämlich einholen, was jetzt auf den Weg gebracht wird. Wetten, dass sich von den Befürwortern kaum jemand freiwillig melden und sich beteiligen wird?
Außerdem amortisiert sich dieses „Sondervermögen“ nicht durch eine Modernisierung der Infrastruktur des Landes, wie es zum Beispiel dann der Fall wäre, wenn die gleiche Summe für Klimaschutzmaßnahmen aufgewendet würde. Im Gegenteil: Mehr Militärgerät verursacht einen höheren CO²-Ausstoß, und der ist ohnehin bei der Rüstungsmaschinerie besonders hoch, gemessen an dem, was sie an Waffen und Ausrüstung produziert und was die Bundeswehr im Einsatz hat.
Aber schauen wir uns die andere Seite der Medaille an. Man könnte ja noch sagen, wir haben’s ja, dies ist ein reiches Land, wenn es um so viel mehr Geld für die Bundeswehr geht. Stimmt das?
Gestern sind mehrere Maßnahmen der Ampelregierung in Kraft getreten, um die Bevölkerung angesichts der steigenden Kosten für Strom, Lebensmittel oder Mobilität zu entlasten. Neben der Anhebung des Grundfreibetrags, der Energiepreispauschale und dem Heizkostenzuschuss gibt es nun auch einen Tankrabatt. Um den ÖPNV zu stärken, kostet ein bundesweit gültiges Monatsticket zudem vom 1. Juni bis 31. August nur neun Euro.
Die Union vermisst eine sinnvolle Priorisierung beim Entlastungspaket. Zum Auftakt der Haushaltswoche im Bundestag kritisierte Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg die Entlastungen als zu teuer und „ungerecht”. Zwar werden Geringverdienende unterstützt, Rentner und Rentnerinnen sowie Studierende kämen aber zu kurz. Die Jusos fordern indes eine dauerhafte Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel.
Die Linke fordert weitere Entlastungen, da der Staat durch die Preissteigerungen mehr Steuereinnahmen einnimmt. Zudem steht der Tankzuschuss in der Kritik. Für Wirtschaftsexpertin Veronika Grimm werden laut ARD so v.a. Gutverdienende gestärkt, da sie „mehr Autos besitzen und weitere Strecken fahren.“ Sie vermisst gezielte Entlastungsmaßnahmen für untere und mittlere Einkommen. Ein Energiegeld, wie es die Grünen fordern, sei ihr zufolge sinnvoller.
Wir finden das 9-Euro-Ticket auch cool, weil es uns gerade günstig gelegen kommt. Wir haben es für den Juni auch schon gekauft. Jeder erhält ein bisschen was, außer die Rentner:innen, unfairerweise. Aber bei niemandem wird es die Inflation auffangen, so viel ist sicher.
Am einfachsten lässt es sich am Beispiel der ALG-II-Empfänger:innen darstellen, weil bei ihnen die persönliche Steuerbelastung keine Rolle spielt. Sie erhielten zum Jahresbeginn trotz damals schon hoher Inflation lächerliche 3 Euro mehr pro Monat (0,7 Prozent), jetzt kommen 200 Euro hinzu. Das sind, auf den Monat umgerechnet, noch einmal 3,7 Prozent, allerdings nur für die zweite Jahreshälfte. Insgesamt also ca. 2,5 Prozent mehr in 2022. Bei einer Inflation von 7,9 Prozent, wie sie gerade für Mai festgestellt wurde (schon wieder ein neuer Rekordwert, nach 7,2 und 7,4 Prozent in den Vormonaten). Außerdem werden ärmere Haushalte durch die Inflation stärker belastet, weil ihre typischen Ausgaben (Energie, Lebensmittel) sich aktuell wesentlich stärker verteuern als alle Waren und Dienstleistungen insgesamt, die im „Korb“ enthalten sind. Die Ärmeren dürften derzeit locker Preissteigerungen von 10 Prozent gegenüber dem letzten Jahr zu verkraften haben.
Ganz eindeutig: Die Bundesregierung tut nicht genug. Die Tafeln müssen bereits selektieren, nicht mehr jeder, der dazu berechtigt wäre, darf teilnehmen. Solche Meldungen fallen kaum auf, im Kriegsgewitter. Nachrichten, die eine Entrüstungswelle hervorrufen müssten. Denn wo soll sich jemand ernähren, der nicht einmal zur Tafel darf, wenn das über Jahre konsequent kleingerechnerte Hartz-Budget nicht reicht? Die Tafeln hingegen sind, anders als manche klassistischen Politiker es suggerieren (legendär dämlich, an Ignoranz kaum zu übertreffen: Millionenimmobilienbesitzer Jens Spahns Einlassungen zu dieser Sache), ohnehin kein Ersatz für eine angemessene Grundsicherung, sondern private Charity mit entsprechend hohem Demütigungsfaktor und der Möglichkeit, Menschen jederzeit abzulehnen – wie man gerade sieht. Containern ist hingegen in Deutschland immer noch strafbar, da haben auch die Proteste auf Berliner Autobahnen nichts genützt.
Soweit zur Menschenwürde in diesem Land und zum Umgang der Politik und des BVerfG mit dem Grundgesetz in dieser Zeit. Wir sind sicher: Es wird noch heftiger kommen, denn der ausbleibende Protest ist genau die falsche Haltung, es ist die Haltung, die Politiker:innen ermutigen wird, immer so weiterzumachen, bis die Mehrheit überhaupt keine Reserven mehr hat. Die Politik hat das große Schweigen der wirklich Betroffenen und seinen Hintergrund gut begriffen, sonst würde sie nicht populär wirkenden Unsinn anstellen wie den Tankrabatt, der vor allem Vielverbrauchern zugutekommt. Sie würde stattdessen an strukturellen Änderungen arbeiten, die mehr Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Zukunftssicherheit bewirken. Gerade, wenn Kriege auch als Systemkampf verstanden werden, sollten Demokratien nicht Bürger- und Menschenrechte abbauen und ihre Bevölkerung ärmer machen, sondern sie stärker einbinden und ihr das Gefühl geben, gehört und geschätzt zu werden.
An einer Stelle tut die Bundesregierung sowieso nichts: Die Geldpolitik ist ausgelagert an die EZB und die dringend notwendigen Zinserhöhungen, mit denen man die Inflation etwas bremsen könnte, lassen auf sich warten. Warum? Das ist uns zu kompliziert zum Niederschreiben an dieser Stelle, jedenfalls hat es damit zu tun, dass die Eurozone seit der Bankenkrise sowieso sehr wackelig daherkommt und man Angst hat, Zigtausende von Zombie-Unternehmen könnten pleitegehen, wenn sie fürs Schulden machen wieder mal Zinsen zahlen müssten. Gleiches gilt für einige überschuldete Staaten in der Eurozone. Was die Spekulanten super finden, ist für die Mehrheitsbevölkerung das pure Grauen: eine immer schneller voranschreitende Entwertung ihrer kleinen Vermögen.
Und jetzt denken Sie nochmal bitte an das „Sondervermögen“ für die Bundeswehr. Stimmt da die Relation? Ist das gerecht oder wenigstens logisch? Wir finden: auf keinen Fall. Wir sehen diese beiden Umfragen nämlich im Zusammenhang, und daraus ergibt sich, dass wir ganz klar der Ansicht sein müssen, dass die meisten Menschen hier wieder einmal verarscht werden zugunsten weniger Profiteure.
Ach ja, SPD-Chef Lars Klinbeil fordert, die Krisengewinnler stärker zu belasten. Glauben Sie daran, dass das passieren wird? Seit Beginn des neoliberalen Zeitalters etwa Mitte der 1970er hat es nur noch Entlastungen für die Reichen gegeben. Ausgerechnet der Titan Klingbeil will nun mit dem scharfen Beil der Gerechtigkeit umsteuern? Dazu mit der FDP und den Grünen in einer Koalition?
Lautes Lachen (*lol*) ist auch in bürgerjournalistischen Beiträgen untersagt. Ach ja II: Wir haben mit „eindeutig nein“ gestimmt. So und mit „eher nein“ tendieren derzeit über 60 Prozent der Abstimmenden. Da müssen doch einige darunter sein, die das Bundeswehr-„Sondervermögen“ toll finden. Tja, Leute. Ihr müsst euch schon entscheiden: Noch mehr Waffen oder weiterhin auch in der letzten Monatswoche noch satt essen können. Beides geht nicht, weil die Reichen, die Spekulanten, die Kriegs- und Krisengewinnler garantiert keine höheren Beiträge werden leisten müssen, obwohl es doch auch und gerade ihr Klimbim ist, es ihre Besitzstände sind, die durch das Militär vor den bösen Russen geschützt werden sollen.
Update vom 05.06.2022:
Wir haben bei der Archivierung gerade gesehen, dass Civey die erste Umfrage schon einmal gestellt hat, kurz nach der Zeitenwende-Rede von Olaf Scholz:
Damals hatten wir nicht teilgenommen. Bemerkenswert: Der Anteil derer, die, wie wir, eindeutig dagegen sind, hat sich in der neueren Umfrage, die wir unseren Leser:innen empfohlen haben, fast verdoppelt. Nach mehr als drei Monaten Krieg dämmert doch schon etwas mehr Menschen, was diese Überrüstung für sie persönlich bedeuten könnte, außerdem hat sich die Inflation als ökonomisches Großproblem mittlerweile in die Köpfe der Menschen eingebrannt und allen ist klar, dass der Krieg in der Ukraine länger dauern und, sollten die Sanktionen gegen Russland fortgeführt werden, von uns allen Opfer verlangen wird.
In dieser Lage auch noch die Bundeswehr derart zu pampern, wie es sich nun abzeichnet, nachdem der Bundestag einer Grundgesetzänderung zugestimmt hat, ist doch einigen, die etwas nachdenklicher sind, nicht ganz geheuer, wo doch für so viele andere wichtige Aufgaben und die Beseitigung sich schon ewig hinziehender Missstände nie Geld da ist.
TH