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Frontpage | Wirtschaft, Geopolitik | Der Ukraine-Krieg als Inflationstreiber

Die Inflation in Deutschland erreicht immer neue Höhen, im Mai lag sie bei 7,9 Prozent. Die Vergleiche werden sozusagen von Monat historischer: Die höchste Inflation seit 30, seit 40,, seit 50 Jahren und demnächst hilft vermutlich nur noch, die 1920er heranzuziehen. Wie 1923 wird es nicht kommen und wie die Menschen das überlebt haben, ist eines der großen Wunder der Geschichte. Aber im kollektiven Gedächtnis ist auch die damit verbundene Not noch vorhanden. Besonders in Deutschland. 

Deswegen ist die derzeit hohe Inflation hierzulande noch gefährlicher als z. B. in den USA, in denen es immer wieder solche Phasen gab, gerade in wirtschaftlich erfolgreichen Zeiten, aber niemals eine Hyperinflation, wie in Deutschland zu Beginn der 1920er. Hundert Jahre ist das her. Man sollte meinen, längst im Staub der Geschichte versunken. Ist es nicht, wenn man noch Verbindungen in diese Zeit hatte, als man selbst ein Kind war.

Unser Großvater hat uns zum Beispiel eine Geschichte erzählt. Sie geht so: Er wurde als Junge von damals ca. 10 Jahren mit seinem Bruder zusammen zum Brot kaufen geschickt. Der kleine Bruder hatte getrödelt, wollte unbedingt Schaufenster gucken (unsere Interpretation: wenigstens einen  Blick auf das alles werfen, was man sich nicht leisten konnte) und hatte dadurch den Einkauf verzögert. Als die beiden in der Bäckerei angekommen waren, reichte das mitgeführte Papiergeld in Millionenhöhe nicht mehr aus, um das vorgesehene Brot zu erwerben, weil die Preise schon wieder gestiegen waren. Das taten die Preise damals an jedem verdammten Tag. Und wir erzählen diese Geschichte weiter, denn die Zeiten werden härter.

Die politische Instabilität in Deutschland in jenen Jahren hatte mehrere Ursachen, aber die wirtschaftlich höchst unruhigen Zeiten, die jedes Jahr neue Szenarien hervorbrachte, hatten u. a. den Aufstieg der Nazis erleichtert. Die aktuelle Inflation hat nicht nur Probleme bei den Verbraucher:innen zur Folge, sie zeigt auch ein anderes Bild als in den 1970ern oder zu Beginn der 1980er, als sie schon einmal ähnliche Werte aufwies. Zudem birgt sie Effekte, über welche die Politik höchst ungerne spricht bzw. lieber gar nicht, sofern sie nicht damit offensiv konfrontiert wird.

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC-BY-ND erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Neben der humanitären Katastrophe hat der Krieg in der Ukraine auch eine Inflationskrise ausgelöst, von der Menschen in aller Welt betroffen sind. Wie die Statista-Grafik auf Basis des aktuellen OECD Economic Outlook zeigt, sind alle großen Volkswirtschaften der Welt von steigenden Verbraucherpreisen betroffen. Für Deutschland rechnen die OECD-Experten für das Jahr 2022 mit einer Inflationsrate von 7,22 Prozent – gegenüber der vorangegangenen Prognose vom Dezember 2021 ist das ein Plus von 4,4 Prozentpunkten. Ähnlich stark angestiegen ist die Prognose für das Vereinigte Königreich und für Brasilien. Weniger betroffen sind hingegen asiatische Länder wie China, Indonesien oder Japan.

Die steigende Inflation, die größtenteils durch einen starken Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise verursacht wird, bringt laut OECD Menschen mit niedrigem Einkommen in Not und erhöht die Ernährungssicherheit in den ärmsten Volkswirtschaften der Welt.

Die Experten rechnen bis 2023 mit einem allmählichen Rückgang des Drucks auf Lieferketten und Rohstoffpreise, zudem sollten sich bis dahin die Auswirkungen steigender Zinssätze bemerkbar machen. Gleichwohl werde die Kerninflation den Projektionen zufolge in vielen großen Volkswirtschaften zum Jahresende erhalten bleiben.

Bis jetzt hat die EZB die Zinsen noch nicht ein bisschen angehoben und wir werden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die Preise weniger krass steigen würden, wenn nicht die Spekulation an den Rohstoffmärkten wie ein Brandbeschleuniger wirken würde. 

Noch einmal zurück zu unserem Großvater. Er wurde einige Jahre später überzeugter SPD-Wähler, war aber nie politisch aktiv. Wäre er das gewesen, hätte er den besten Move seines Lebens nicht machen können, als die Nazis an die Macht kamen: aus der damals höchst unsicheren Privatwirtschaft zur Reichsbahn wechseln. Für uns hatte er zwei Ratschläge: Geh zum Staat und halt dich aus der Politik raus. Beides haben wir nicht berücksichtigt. Warum eigentlich nicht? Wir hätten uns zum Beispiel in den letzten Jahren eine große Enttäuschung ersparen können, wenn wir uns aus der Politik rausgehalten hätten.

Unser Großvater, der als Kind den einen und als junger Erwachsener, nur 21 Jahre später, den anderen der grausamsten Kriege der Geschichte miterlebt hatte, hätte die heutigen Spins in der deutschen Diskussion über die Ukraine so kommentiert: Die Kriegstreiber hier bei uns sollen mal selber an die Front gehen, damit sie sehen, wie es ist, nie zu wissen, ob man den nächsten Tag noch erleben und seine Familie wiedersehen wird.

Es ist nun einmal ein Unterschied, ob man die eigene Heimat verteidigt, oder ob man von Deutschland aus saublöde Einlassungen tätigt in der Richtung, was man noch alles tun könnte, um den Krieg noch mehr anzuheizen, und das an jedem verdammten Tag. Wir sind froh, dass Kanzler Scholz wenigstens insofern Sozialdemokrat ist, als er einigermaßen das Maß der Dinge im Blick hat. Sonst wäre übrigens auch die Inflation noch höher, denn einige würden ja Deutschland am liebsten sofort vom russischen Gas abklemmen und es damit hilflos der Spekulation an den Märkten ausliefern.

Nun zu einem Effekt der Inflation, der auffällig selten besprochen wird: Der Staat profitiert massiv davon. Wenn zum Beispiel heute ein „Sondervermögen“ (Sonderschuldenberg) für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro auf den Weg gebracht wird, dann sind das nächstes Jahr nur noch 93 Milliarden, wenn die Inflation so bleibt, wie sie ist. Besonders hilfreich ist das dann, wenn gleichzeitig die Zinsen für die Kreditaufnahme niedrig bleiben. Auf diese Weise haben sich schon viele Staaten gerettet, indem sie zulasten der Vermögen der Bürger:innen die Inflation haben davonschießen lassen und damit ihre Schulden reduzieren konnten. Genau so läuft es bei uns. 

Und welchen Unterschied zu den Inflationsschüben der frühen 1970er und frühen 1980er gibt es? In den 1970ern war die hohe Inflation auch durch einen Wirtschaftsboom bedingt und dann durch die erste Ölkrise (1974), in den 1980er nur noch durch die zweite Ölkrise (1980/81). Das war eine künstliche Krise, weil die OPEC-Länder höhere Preise durchsetzen wollten und die Produktion drosselten, in der zweiten Krise zu einer Zeit, als die Weltwirtschaft ohnehin nicht besonders gut lief. 

Aber in jenen Jahren hat man versucht, durch hohe Lohnabschlüsse die Inflation aufzufangen, in den frühren 1970ern waren sie manchmal zweistellig. Die berühmte Lohn-Preis-Spirale kam in Gang, beruhigte sich aber auch wieder. Die Löhne sind nicht die Hauptpreistreiber, auch wenn die Wirtschaft das gerne so erzählt, sondern steigen eher in der Folge und aufgrund von Produktivitätsfortschritten, die von den arbeitenden Menschen erzielt werden. Und wie sieht es jetzt aus? Niemand, der sich redlich ernährt, wird in diesem Jahr die Inflation durch eine entsprechende Einkommenssteigerung ausgleichen können. Jahrelange niedrige Lohnabschlüsse haben sich so festgesetzt in den Köpfen, dass auch die Gewerkschaften, die ohnehin weniger Macht haben als vor Jahrzehnten, sich erst wieder umstellen müssen, ihre Forderungen betreffend.

Am meisten profitieren die Profiteure, deren Wertanlagen in bestimmten Bereichen immer noch mit der Inflation mitwachsen und eben der Staat. Deutschlands Corona-Mehrausgaben könnten sich mit der hohen Inflation, die wir jetzt sehen, leicht innerhalb weniger Jahre vom Schuldenberg abschmelzen lassen. Auch deshalb ist die typische FDP-Forderung nach der Einhaltung der Schuldenbremse ein typischer neoliberaler Sprung mit dem Hintern ins Gesicht der Mehrheit, der die gegenwärtigen Möglichkeiten, durch Staatsinvestitionen gegen das Chaos in der Wirtschaft anzusteuern, komplett negiert und außerdem eine Nebelkerze. FDP so: Die Bürger:innen werden geschröpft, die Schuldenmacher privilegiert, sofern sie Privatleute sind, die „investieren“ (spekulieren), die Reichen müssen nicht zahlen und gleichzeitig wird so getan, als ob Deutschland am Rande der Zahlungsunfähigkeit stünde. Das ist eindeutig nicht der Fall.

Deutsche Staatsanleihen des Bundes mit zehnjähriger Laufzeit rentieren derzeit mit gerade 1,36 Prozent, wenn man sie am Anleihemarkt erwirbt, das haben wir eben nachgeschaut (09.06.2022, 13:45 Uhr). Wer dem Staat Geld leiht, verliert Geld und der Staat gewinnt Geld, so sieht’s aus. Die niedrigen Renditen weisen darauf hin, dass deutsche Staatsanleihen immer noch einen großen Low-Risk-Abschlag gegenüber den Papieren anderer Länder haben. Anders ausgedrückt: Die Bonität Deutschlands ist weiterhin herausragend, aller jüngeren Kreditaufnahmen zum Trotz. Das drückt sich auch darin aus, dass es die letzte der großen Volkswirtschaften ist, die von allen führenden Ratingagenturen weiterhin ein „AAA“ erhält und sich daher äußerst günstig neues Geld leihen kann. Jeder, der in den letzten Jahren ein Baudarlehen fast zum Nullsatz aufnehmen konnte weiß, was wir meinen. Er wird sich allerdings auch über die in städtischen Lagen spekulativ steigenden Grund- und Bodenpreise geärgert haben, die das Bauen und Wohnungen kaufen trotz der niedrigen Kreditzinsen für immer mehr Menschen unerschwinglich machen.

Was hätte uns unser Großvater geraten, in der Lage von heute? Zum einen hätte er sich massiv darüber geärgert, was der Staat gerade mit seinem nicht unbeträchtlichen Sparguthaben macht, das einen wichtigen Teil seiner Lebensleistung darstellte und das er an seine Tochter und seinen Schwiegersohn vererbte. Und vermutlich zum Erwerb einer selbstgenutzten Immobilien geraten, zu einem Haus, wie er eines besaß oder zugestimmt, dass das kaum noch möglich ist für Normalverdiener. Aber sicher nicht dazu, herumzuspekulieren und, wenn es tatsächlich funktioniert, sich an der Arbeitsleistung oder gar am  Leid anderer Menschen zu bereichern.

Und er hätte sich die obige Grafik angeschaut und kein Problem damit gehabt, zu verstehen, wer diesen Krieg bezahlt: Wir. Die Mehrheit in einem Land, in dem ebenjene Mehrheit in Wirklichkeit immer ärmer wird. Und in dem die Inflation aufgrund des Ukrainekrieges offenbar besonders stark anzieht, im Vergleich zu anderen Ländern.

Wenn man die Folgen zweier von politischen Hasardeuren angezettelter Kriege miterlebt hat, versteht man sofort, welches Spiel viele Akteure in der Politik Politik mal wieder mit uns treiben, wobei ihnen die aktuellen Probleme noch nicht ausreichen, und wie kriegshetzende Journalisten dieser Politik zuarbeiten, man kann auch sagen, ihr dort reinkriechen, wo es auch geistig ziemlich dunkel ist. Wir denken an damals und schlagen vor: Wie wär’s denn mal mit etwas Teilnahme am Abwehrkampf der Ukraine, anstatt hier in sicherer Entfernung die Klappe aufzureißen und zu glauben, man sei persönlich in einer Gehaltsklasse, in der man nicht von den Folgen der eigenen Vorschläge betroffen ist? Abwarten, ob das so bleibt. Der Systemcrash ist schon vor diesem Krieg kein komplett utopisches Szenario gewesen und gerade die spekulativen Übertreibungen der letzten Jahre waren keineswegs Zeichen für eine stabile Weltwirtschaft. Vielleicht kommt der Krieg wirklich zu uns, aber in anderer Form, als einige im Moment denken. 

Ganz raushalten aus der Politik geht immer noch nicht. Wir schreiben eben darüber und versuchen, mit anderen zusammen aufzupassen, dass es nicht wieder so kommt wie damals, als man nicht mehr daüber schreiben durfte. Aktiver Protest wäre das Gebot der Stunde, denn immerhin ist er noch grundsätzlich erlaubt. Aber jeder Beitrag ist ein Beitrag.

TH

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