So viel Gas fließt aus Russland nach Deutschland +++ Was steckt hinter der Nordstream 1-Drosselung +++ Weniger heizen, bitte +++ Die falsche Regierung zum falschen Zeitpunkt +++ Das Ende des Wohlstands (Leitkommentar) | Frontpage | Wirtschaft | Energieversorgung #Russland #Ukraine

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Gaskrise oder nicht? Wir hatten vor einiger Zeit geschrieben, es wäre in der Tat ein Move der besonderen Art, wenn Russland die Gaszufuhr nach Deutschland drosseln oder einstellen würde, während hierzulande angestrengt über Sanktionen diskutiert wird. Über Sanktionen, die für Deutschland gefährlicher wären als für Russland.

Ergänzung: Als wir den Artikel aufsetzten, haben wir noch nicht gesehen, dass auch die Zinspolitik der EZB heute ein großes Thema in den sozialen Medien ist. Es steht trotzdem alles dazu im Artikel, was es dazu zu sagen gibt, weil es eine logische Folgeüberlegung zu dem ist, was wir auch an den Energiemärkten sehen.

Es gab Diskussionen darüber, wem die Sonderlage am meisten nützt und wir hatten uns dahingehend geäußert, dass es wohl die „neuen Abnehmer“ für russische Rohstoffe sind, die am meisten profitieren. Russland muss sein Angebot loswerden, der Westen sucht eifrig nach neuen Quellen. Das treibt die Preise, aber natürlich nur für diejenigen, die keinen Sonderdiscount für aushandeln können, also an den Märkten. Russisches Gas, das durch etablierte Pipelines geleitet werden muss, ist hingegen in langfristige Verträge eingebunden und wer am längeren Hebel sitzt, kann an den Konditionen eher etwas ändern. Derzeit ist das eindeutig Russland. Nun wird gemeldet, dass Russland die Durchleitung durch die Gaspipeline Nord Stream 1 drosselt – wegen Reparaturarbeiten.

Russland hat seine Gaslieferungen durch Nord Stream 1 bereits reduziert. Jetzt ist es sogar möglich, dass der Betrieb der Pipeline komplett heruntergefahren wird. Der Kreml macht den Westen dafür verantwortlich. Die russischen Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 sind bereits gedrosselt. Nun ist wohl auch ein komplettes Runterfahren der wichtigsten Versorgungsleitung für Deutschland nicht ausgeschlossen. Russlands EU-Botschafter meinte am Donnerstag beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg, wegen der Probleme bei der Reparatur von Turbinen in Kanada könne die Leitung komplett stillgelegt werden. „Ich denke, das wäre eine Katastrophe für Deutschland“, sagte er nach Angaben der russischen Zeitung „Kommersant“. (Q)

Wirtschaftminister Habeck mutmaßt politische Ziele hinter dieser Aktion, hält die Versorgungslage aber nicht für gefährlich. Anders hat sich heute der Chef der Bundesnetzagentur geäußert, zumindest die mittelfristige Versorgung betreffend. Und gleich wieder einen Vorschlag parat, der die Gemüter erhitzen dürfte. Vielleicht ist das auch nötig und gut, wenn es lange anhält, denn es könnte uns ein kalter Winter bevorstehen:

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, will den Druck auf private Haushalte und Firmen erhöhen, Gas zu sparen. „Der Staat könnte die Heiz-Vorgaben für Vermieter zeitweise senken. Darüber diskutieren wir mit der Politik“, sagte Müller der „Rheinischen Post“ vom Donnerstag. Im Mietrecht gäbe es Vorgaben, wonach der Vermieter die Heizungsanlage während der Heizperiode so einstellen muss, dass eine Mindesttemperatur zwischen 20 und 22 Grad Celsius erreicht werde. Es sei wichtig, so viel Gas zu sparen wie möglich, um über den nächsten Winter zu kommen.

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Bei der Menge der Erdgaslieferungen Russlands an Deutschland gibt es momentan keine Anzeichen für eine kriegsbedingte Verringerung seitens Russlands. Das zeigt die Statista-Infografik auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts. Allerdings sind Schwankungen zu erkennen, die unter anderem durch den Gaspreis und die jahreszeitlich variierenden Außentemperaturen beeinflusst werden. Auffällig ist außerdem, dass die Jamal-Pipeline, die in Deutschland an der Grenze zu Polen ankommt, stark an Bedeutung verloren hat. Hier kommt inzwischen mehrheitlich kein Erdgas mehr an.

Die bedeutsamste Route ist die Pipeline Nord Stream 1. Sie wurde im November 2011 in Betrieb genommen und verläuft von Wyborg nach Lubmin bei Greifswald. Bis auf wenige Ausnahmen (zum Beispiel bedingt durch Wartungen) fließen hier konstant große Mengen an Gas direkt von Russland nach Deutschland. Zuletzt ist die Gasmenge durch Reparaturarbeiten durch die Firma Siemens gesunken. Laut Medienberichten zufolge drohen allerdings keine Versorgungsengpässe. Das gilt auch für die Transgas-Pipeline, die von Russland durch die Ukraine nach Europa führt und Deutschland an der tschechischen Grenze erreicht.

Besonders groß ist die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energielieferungen beim Erdgas. Aber auch beim Öl und bei Kohle ist der Anteil der Importe aus Russland beträchtlich, wie diese Statista-Grafik zeigt. Die EU hat nach dem Bekanntwerden der Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha ein Verbot von Kohleimporten aus Russland verhängt, das ab der zweiten Augustwoche voll wirksam wird. Beim Streit um das geplante Öl-Embargo gegen Russland haben sich die EU-Staaten auf einen Kompromiss verständigt. Mehr als zwei Drittel der russischen Öl-Lieferungen in die EU sollen von dem Einfuhrverbot betroffen sein. Ein Gas-Embargo lehnt sie bislang ab. Zu große ist dabei die Sorge vor bedeutenden wirtschaftlichen Schäden.

Der obige Text wurde offenbar verfasst, bevor die heutigen Schlagzeilen zu Nordstream 1 aufkamen. Man kann auch dies hineinlesen: Wäre Nordstream 2 ordnungsgemäß in Betrieb gegangen, wären die Reparaturarbeiten an Nordstream 1 kein schwieriges Thema.

Dass diese degoutante Soße irgendwann wieder auf den Tisch kommt, angesichts der deutschen Harakiri-Energiepolitik, war zu erwarten. Vermutlich wird Deutschland das einzige Land in Europa sein, das sich selbst alle Möglichkeiten nimmt, gegenzusteuern. Eine verpatzte Energiewende als Ausgangspunkt und dann als energieseitig am meisten von Russland abhängiges Land ein Herangehen an Sanktionen, für das „blauäugig“ ein sehr milder Ausdruck ist. Hoffentlich wird es auch einen milden Winter geben. Wie wenig Temperatur darf’s denn sein? 18 Grad? 16 Grad? Dann können wir jedenfalls hier nicht mehr schreiben, weil die Hände zuerst auskühlen, und beim Tippen mit 10 Fingern kann man keine Vollfinger-Handschuhe tragen. Es gibt größere Verluste für die Menschheit, aber das ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Natürlich dürfen die Atomkraftwerke keinen Tag länger laufen als vor 10 Jahren festgelegt, unter ganz anderen Bedingungen, die zum Beispiel eine viel konsequentere Energiewende vorsahen, auch wenn die Leute hier in der Kälte sitzen. Wer dann auf die Idee kommt, mit Strom zu heizen, weil das Gas nicht mehr kommt, der wird sich ebenfalls wundern. Immer mehr E-Autos und ebenjene Idee werden die Abnahmemengen so hochtreiben, dass die Preise weiter steigen werden und die Versorgungssicherheit leiden wird.

Das Gleiche gilt für alle anderen fossilen Brennstoffe. Im Moment kollidieren verschiedene Anforderungen wie der Klimawandel und die Sanktionswünsche im Krieg fundamental miteinander. Dies alles zulasten einer Bevölkerung, die ohnehin durch Inflation, heiße Diskussionen über Krieg und Frieden, wieder steigende Corona-Zahlen und weitere Unsicherheiten gestresst ist, die sie jahrzehntelang nicht in diesem Ausmaß und dieser Häufung kannte. Im Vergleich zu dem, was jetzt alles zu bewältigen ist, hat die Bevölkerung z. B. von der Bankenkrise 2008 mehrheitlich wenig mitbekommen, aber sie ist bis heute nicht bewältigt und das rächt sich nun. Schon zuvor wurden immer mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagert, sodass nicht einmal mit einer rigideren Geldpolitik gegengesteuert werden kann, wenn es die hiesige Wirtschaftslage erfordert, nicht aber diejenige in Griechenland, das sich immer darstellt, als wenn es beim ersten Versuch, etwas seriösere Wirtschaftspolitik zu betreiben, sofort zusammenbrechen würde, oder auch in Frankreich, das zum Beispiel eine geringere Inflation hat, weil es energietechnisch weniger von anderen abhängig ist, als Deutschland.

Wenn jetzt die US-Notenbank die Zinsen drastisch anhebt, um der ebenfalls horrenden Inflation in den Vereinigten Staaten vorzubeugen und die EZB nicht endlich nachzieht, wird der Euro immer schwächer werden und dann passiert was? Die Importpreise steigen weiter, sofern die Verträge in Dollar abgefasst sind, was immer noch der häufigste Fall ist. Da nützt es wenig, wenn die Exporte sich theoretisch verbilligen, diese Vorteile werden durch die enorm ansteigenden Energie- und Rohstoffkosten aufgefressen, außerdem landen die Erträge überall, aber nicht bei der hiesigen Mehrheitsbevölkerung, die sie erwirtschaftet. Was wir hier in wenigen Sätzen stark verkürzt angerissen haben, ist für die gegenwärtige deutsche Politik schon viel zu kompliziert. Hier wird mit einzelnen Elementen der Beeinflussung von wirtschaftlichen Vorgängen experimentiert, als wenn es sich nicht um einen komplexen Gesamtmechanismus mit unzähligen Interdependenzen, sondern um einen Kinderbaukasten mit einzelnen Klötzchen handeln würde, die man nach Belieben zusammensetzen kann. Die wirklich mächtigen Stellschrauben werden hingegen hierzulande gar nicht mehr angefasst, weil sie sozusagen outgesourct wurden.

Die Länder, die zwar in der EU sind, aber ihre eigene Währung behalten haben, fahren einmal mehr besser und langfristig solider, weil sie ein wichtiges Instrument haben, mit dem sie individuell und exakt an ihre Erfordernisse angepasst verfahren können, wenn die Rahmenbedingungen sich verändern. Das war in den letzten Jahren schon deutlich zu beobachten und setzt sich in der für hiesige Verhältnisse komplett falschen Währungspolitik verstärkt fort, die eine Aufblähung der Spekulation fördert, die Preise explodieren lässt und die Mehrheit der Menschen jeden Tag ärmer macht. Seit der Finanzkrise warnen wir vor diesem Szenario, das sich bisher nicht eingestellt hatte, weil für die Kapitalmärkte immer neue Möglichkeiten geschaffen wurden, Geld aufzusaugen und Menschen zu finanzialisieren. Aber irgendwann ist das alles ausgereizt. Und jetzt noch Schwierigkeiten mit der Energieversorung.

Wir glauben, die meisten haben noch nicht begriffen, worum es geht: Um das Verzocken eines Wohlstandes, den sich Generationen erarbeitet haben in wenigen Jahren, wenn wir nicht endlich eine Kehrtwende einleiten und unsere eigenen Interessen vertreten. Da die Börsen nun auch wackeln, gibt es auch für Spekulanten weniger Anlagemöglichkeiten und das bringt zusätzliche Unsicherheiten mit sich, weil die Situation immer volatiler wird. Schon lange ist klar, dass wir das nicht mehr beherrschen, was wir an Finanzkapitalismus in die Welt gesetzt haben. Einige Länder greifen mittlerweile zu Preisdeckeln z. B. im Energiebereich, dem schärfsten Schwert, das die positive Wirkung der Kräfte des Märkes ad absurdum führt, besonders, wenn alles so aus den Fugen gerät wie im Moment. Aber in Deutschland wird immer noch die Abzocke privilegiert, die sich Konzerne und reiche Private aus dem allgemeinen Desaster herausschnitzen. Die Ampelkoalition ist gegenwärtig toxisch für das Land. Die FDP blockiert dringend notwendige Regulierungen, die Grünen würden am liebsten selbst in den Krieg ziehen, anstatt hier ihren Aufgaben nachzukommen, Kanzler Scholz muss versuchen, den Laden dezent und konsequent zusammenzuhalten und riskiert damit, die SPD in der Wählergunst so absacken zu lassen.

Ein vorzeitiges Ende der für gegenwärtige Verhältnisse ungeeigneten Koalition würde uns eine neue CDU-Regierung unter Lobbyspezialisten wie Friedrich Merz bringen. Die Linke hingegen hat sich selbst unwählbar gemacht. Wir sind aufgeschmissen, werden verraten und verkauft wie noch nie seit dem Bestehen der BRD. Wir haben schon oft die wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen und die Unbedarftheit der Merkel-Regierung kritisiert, aber einige Schwachstellen zeigen sich erst jetzt in vollem Umfang, wie die vergeigte Energiepolitik. Nicht dafür, es mit Diplomatie Russland gegenüber versucht zu haben, müsste sich die Exkanzlerin heute entschuldigen, sondern für die vielen Scheinlösungen auf dem Feld der Wirtschaftspolitik, die sich jetzt zu dem Knoten verdichten, den wir schon für die 2010er vorausgesagt hatten, ohne z. B. mit der Ruchlosigkeit der EZB zu rechnen, die eine gigantische Staats- und Unternehmensfinanzierung betrieb, damit die EU nicht wirtschaftlich komplett zusammenbricht und dafür die Verarmung der Mehrheit riskiert hat. Das fiel in den Zeiten der Niedriginflation nicht so auf, deren ungewöhnliche Dauer bereits darauf hinwies, dass die EU-Länder nicht wirklich wirtschaftlich stärker wurden, BIP-Wachstum hin oder her. Aber jetzt kommt es umso dicker. Wir sind schon so gespannt, wer das Rennen um die Schlagzeilen des Jahres 2023 machen wird: Typen wie Habeck oder Lindner, jeder auf seine Weise ziemlich begrenzt und ständig mit ihrer Darstellung und Einzelaktionen befasst, die nicht wirklich etwas wenden, Kanzler Scholz, der es nicht schafft, seine Richtlinienkompetenz im Notfall mit Druck durchzusetzen oder diejenigen, die irgendwann zu Hungermärschen gezwungen sein werden, weil diese Politiker es nicht schaffen, die Lage in den Griff zu bekommen, während die Tafeln wegen Überlastung Menschen abweisen müssen, die nichts mehr zu beißen haben.

Die Ampelkoalition hätte funktionieren können bei schönem Wetter, dann hätte jeder ein paar nette Dinge für seine Klientel verwirklichen können, ohne dass handwerkliche Fehler groß ins Gewicht gefallen wären, denn die Sonne hätte ja doch für alle geschienen und Energie für kühle Tage wäre genug dagewesen. Aber wir stehen schon in der Zeit des heraufziehenden Sommers mitten in Regen und Hagel und die Regierung trägt die Dächer ab, unter denen die Menschen sorgenvoll das beherbergen, was vom Wohlstand der guten Jahre übrigblieb.

TH

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