Frontpage | Geopolitik | Ukrainekrieg, Geflüchtete nach Aufnahmeländern
Vor 12 Tagen hat das UNHCR eine Darstellung darüber herausgegeben, wie viele Menschen aus der Ukraine in welche Länder geflüchtet sind, am Tag darauf hat Statista daraus eine Grafik gemacht. Neuere Zahlen gibt es noch nicht, daher bereiten wir das nächste Briefing auch mit diesm Faktenbeitrag vor:

Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine haben knapp 7,4 Millionen kriegsbedingte Grenzübertritte aus der Ukraine stattgefunden, auch wenn die Zahl der als Geflüchtete registrierten Ukrainer:innen geringer ausfällt. Wie unsere Grafik auf Basis von Daten des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) zeigt, sind in Polen die meisten Grenzüberquerungen nachweisbar.
Laut offiziellen Quellen wurden rund 3,9 Millionen Grenzübertritte zu Fuß, per Bus, Auto oder Zug in das Nachbarland registriert. Durch die Intensivierung der Kampfhandlungen im östlichen Teil der Ukraine in den vergangenen Wochen haben auch Grenzüberquerungen nach Russland deutlich zugenommen. 1,1 Millionen Fälle wurden laut offiziellen Angaben protokolliert, deutlich mehr als nach Ungarn, Rumänien und Moldawien, die bislang die Hauptlast der Geflüchtetenwelle getragen hatten.
Obwohl die kriegerischen Auseinandersetzungen im Westen der Ukraine abgeflaut sind, dürften die Angriffe in den von Separatisten kontrollierten Gebieten Luhansk und Donezk weiter andauern. Derzeit im Fokus: Die umkämpfte Stadt Sjewjerodonezk, deren letzte in von der Ukraine kontrolliertes Gebiet führende Brücke nach Angaben des zuständigen Gouverneurs offenbar vor wenigen Stunden zerstört worden war.
Die Stadt Sjewjerodonezk ist mittlerweile geräumt, in einer benachbarten Großstadt wird weiter gekämpft. Polen hat nach Grenzübertritten die meisten Geflüchteten aus der Ukraine aufgenommen. Wir haben an anderer Stelle erwähnt, dass das vermutlich nicht ganz uneigennützig geschieht, sondern dringende polnische Probleme lösen könnte, falls diese Menschen bleiben und sich eine neue Existenz im Nachbarland aufbauen. Mental scheint man sich ohnehin nahezustehen. Was aktuell gerne vergessen wird: Beide Völker tendieren zur politischen Rechtslastigkeit und daher können auch die politischen Führer:innen dieser Länder gut miteinander. Wer die Ukraine in der EU haben möchte, sollte dies bedenken und wir verstehen, dass vor allem traditionelle Demokratien im Westen der EU skeptisch bezüglich der Gewährung des Aufnahmestatus waren, bevor sich die Kommission (dieses Mal) durchgesetzt hat. Die EU nimmt aber die meisten Geflüchteten auf. Aus der obigen Grafik wird das nicht so gut ersichtlich, aber in diesem Fall muss eine Kritik sein: Die Zahl der Grenzübertritte sagt wenig darüber aus, wo Geflüchtete letztlich längerfristig unterkommen und unterstützt werden.
In Deutschland werden sich gewiss auch qualitativ hochwertiger unterstützt als in anderen Zielländern. Wir erwähnen dies hier, weil bei der Berechnung dessen, was einzelne Länder für die Ukraine tun, immer vollkommen außer Acht gelassen wird, dass Deutschland mittlerweile über 660.000 registrierte Geflüchtete aus der Ukraine versorgt, das ist die mit weitem Abstand höchste Zahl aller westeuropäischen Länder. Procedure as usual, könnte man sagen und hoffentlich zum Besten aller Beteiligten, wenn man es schon so klassifiziert. Denn es geht nicht nur um Gesinnungs- sondern auch um Verantwortungsethik. Wir werden das anhand der vielen seltsamen Windungen vor allem innerhalb der Linken, den Ukrainekrieg betreffend, demnächst etwas mehr analysieren.
Die Gesamtzahlen sind dramatisch, aber nicht so dramatisch, wie die Zahl der oben ausgewiesenen Grenzübertritte es signalisiert, denn es gab auch viele Grenzübertritte zurück in Richtung Ukraine. Wir haben die für Schutzmaßnahmen registrierten Geflüchteten für Sie zusammengefasst:
- Gesamtzahl der registrierten Geflüchteten: 3,514,970 (Stand 21.06.2022),
- davon in Russland: 1.305.018 (Stand 21.06.2022, nur registrierte Übertritte, Geflüchtete, die zeitweiligen Schutz oder Aufnahme in nationale Schutzprogramme genießen, nicht ausgewiesen),
- davon in Polen: 1.180.677 (Stand 21.06.2022),
- davon in Deutschland: 662.274 (Stand 16.06.2022), insgesamt ca. 780.000 registrierte Personen.
Grenzübertritte sind in diesem Fall kein Maßstab, gerade nicht bei den Nachbarländern. Die mit dicken Kreisen in der Statista-Grafik ausgewiesenen Nachbarländer der Ukraine haben, von Russland und Polen abgesehen, jeweils nicht einmal eine fünfstellige Zahl von registrierten Geflüchteten gemeldet. In der EU folgt Tschechien auf Deutschland, mit 379.000 Geflüchteten, die Schutzstatus erhalten haben. Das ist sehr viel für dieses relativ kleine Land. Dann wird es merklich dünner, es folgen die Türkei mit 145.000 (registrierte Personen, Geflüchtete mit Schutzstatus nicht ausgewiesen) Italien und Spanien mit 127.000 bzw. 123.000 Geflüchteten mit Schutzstatus, dann wird es schon fünfstellig.
Deswegen halten wir es auch für falsch, die EU nach guter euphemistischer Tradition als einen Block mit 2,3 Millionen aufgenommenen Geflüchteten darzustellen, also ob diese möglicherweise einigermaßen gleich verteilt seien. Gegenüber den Grenzübertritten, die nicht zum Geflüchtetenstatus führen, dürfte die Zahl derer, die diesen Status bekommen, aber höher sein als in den Anrainerstaaten der Ukraine.
Doch eine halbwegs den Kapazitäten der EU-Länder entsprechende Verteilung ist nicht gegeben, und auch das ist mittlerweile Tradition. Wer über den Wert von Waffenlieferungen und Wirtschaftshilfe spricht, wer die Sanktionen und deren Schäden berechnet, der muss auch die humanitäre Hilfe einbeziehen, die Deutschland auf vergleichsweise hohen Niveau leistet. Nur so ergibt sich ein Gesamtbild, zumal die Waffenhilfe normalerweise nicht umsonst ist (im Fall der Ukraine vorerst schon, aufgrund deren miserabler wirtschaftlicher Verfassung schon vor dem Krieg).
Vor allem soll man sich nicht von Leuten wie dem zuweilen etwas durchgeknallt wirkenden Herrn Melnyk einreden lassen, all diese Menschen, die zu uns kommen, hätten sich in der Wahl des Ziellandes geirrt und würden am liebsten wieder weg. Wäre das so, hätte sich die Unfreundlichkeit im Aufnahmeland längst herumgesprochen und die Zahl der Aufgenommenen würde nicht weiter ansteigen.
Dass solche Aussagen unbeachtlich sind, können wir allen versichern, die sich tatsächlich Sorgen machen, sie tun nicht genug, das Gleiche gilt angesichts dessen, was von einigen Vertreter:innen der deutschen Parteienlandschaft kommt, was wir als Bürger:innen noch alles tun müssen und die offenbar jedes Maß verloren haben. Falls sie je ein Maß hatten. Manchmal merkt man erst in der Krise, mit wem man es wirklich zu tun hat.
Die Gesamtsolidarität mit den Menschen aus der Ukraine ist in Deutschland herausragend hoch, nach wie vor, wie schon im „Herbst der Geflüchteten“ 2015 diejenige mit Menschen, die vorwiegend aus Syrien kamen. Bei dieser Feststellung wollen wir es aber belassen und nicht unserem Unmut über die immer weitergehenden Forderungen seitens ukrainischer Politiker:innen oder deutscher Plappermäuler zu sehr Luft machen. Die Geflüchteten können für das alles nichts und das berücksichtigen wir, wenn es darum geht, freundlich und tolerant oder gar hilfsbereit zu sein.
TH