Frontpage | Geopolitik, Wirtschaft | Gaskrise aufgrund Minderlieferungen seitens Russlands
Liebe Leser:innen, die Zeiten sind fordernd, deswegen fordern auch wir, nämlich Sie immer wieder auf, sich an Umfragen zu beteiligen, denn damit wird das Nachdenken über die politische Situation angeregt. Es mag auch nerven, aber so ist die Lage.
Sich zu stellen, auf welche Seite auch immer, erfordert das Nachdenken über die betreffenden Themen und wir arbeiten uns jeden Tag durch diesen Dschungel oder wenigstens bis in die ersten Meter des Dickichts. Der Ukrainekrieg ist derzeit das komplexeste Problem, das alle zu bewältigen haben, aber nicht das langfristig größte. Genau an dieser Schnittstelle müssen sich auch die Geister scheiden, wenn es um Prioritäten geht.
- Sanktioniert man ungehemmt und immer stärker Russland, weil es die Ukraine angegriffen hat und riskiert damit hohe Inflation und Versorgungsengpässe oder
- gibt man den Erfordernissen der Klimakrise den Vorrang, schaltet die Atomkraftwerke wie geplant ab und reduziert die Kohleverstromung wie geplant oder noch schneller, etwa so, wie von FFF gefordert (2030 anstatt 2038).
Alles zusammen zu versuchen, wird böse Folgen haben, es gibt keine Voodoo-Wirtschaft. So gesinnungsethisch kann man gar nicht denken, dass man dieses Dilemma nicht bemerkt. Da sich die Sanktionen ohnehin nicht mehr rückgängig machen lassen und Russland den Konfrontationskurs angenommen hat, wird es wohl darauf hinauslaufen, dass zugunsten der Versorgungssicherheit bestimmte Laufzeiten verlängert werden müssen. Ansonsten müssten zu für die meisten nicht mehr bezahlbaren Preisen weitere Importquellen erschlossen werden, die ökologisch zudem alles andere als unbedenklich sind. Bedenklicher nach unserer Ansicht, zum Beispiel das Frackinggas betreffend, als die wenigen Atomkraftwerke, die in Deutschland noch in Betrieb sind, ein paar Jahre länger laufen zu lassen. Man hätte alles anders haben können, aber zu spät. Einfach zu spät und nicht kurzfristig zu ändern. Jetzt ist in der Tat Notfallmanagement angesagt. Und Civey fragt, ob Robert Habeck als Manager dabei eine gute Figur macht:
„Wir sind in einer Gaskrise. Gas ist von nun an ein knappes Gut“, sagte Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag auf einer Pressekonferenz. Nachdem Russland seine Gaslieferungen nach Deutschland drastisch verringert hat, rief er die Alarmstufe im Notfallplan Gas aus. Angesichts der hohen Energiepreise und der angespannten Versorgungssicherheit sprach er von einer ernsten Lage.
Habeck erwartet weiter steigende Preise und rief die Bevölkerung deshalb erneut zum Energiesparen auf. Zwar sei die Versorgungssicherheit derzeit noch gewährleistet, im Winter könnte es aber „wirklich eng” werden. Als Maßnahme gegen den Gasmangel kündigte er u.a. die Reaktivierung der Kohlekraft an. Zudem erwägt er Gas-Rationierungen für die Industrie, die darüber teils alarmiert ist. Eine Verlängerung der Atomkraft schließt er indes aus.
Während Klimaschutzorganisationen die Kohlekraftpläne wegen der damit verbunden klimaschädlichen CO2-Emissionen kritisieren, drängt die Union, über eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke nachzudenken. Jens Spahn (CDU) forderte in der ARD zudem alternative Einsparungsmaßnahmen, „bevor Bürger zum Frieren aufgefordert würden”. Bei Anne Will kritisierte er zudem die „Planlosigkeit” der Regierung und fordert finanzielle Anreize für die Menschen, um Energie zu sparen.
Eines vorweg: Alle Güter, die endlich, nicht beliebig reproduzierbar sind und massiv nachgefragt werden, sind prinzipiell knapp, wie beispielsweise Grund und Boden. Das ändert sich nicht dadurch, dass draußen auf dem Land die Grundstücke billig sind. Insofern war Gas auch vorher schon ein knappes Gut. Wäre es das nicht grundsätzlich, könnte man nicht so gut damit Politik machen, wie Russland es jetzt tut. Insofern bitte nochmal in den Wiwi-Grundkurs, Herr Wirtschaftsminister.
Zweitens: Zum Energiesparen aufrufen, kann jeder. Ganz ehrlich, das hat mit Management nichts zu tun. Man kann es etwas smoother oder etwas harscher rüberbringen, dass die Bevölkerung auslöffeln darf, was die Politik anrichtet, aber es ist keine Managementleistung.
Drittens: Den Notfallplan Gas hat Habeck nicht gemacht, ihn in Gang zu setzen, ist lediglich ein administrativer Vorgang, kein Ausfluss von genialem Management. Er wird dazu führen, wenn er wirklich kommt, dass verschiedene Stellen kein oder weniger Gas bekommen. Management beginnt dann damit, ihn aktiv auszulegen und in der Haut dessen, der dann die Prioritäten festsetzt, möchten wir nicht stecken. Das ist eine Art Triage auf dem Energiesektor. Management müsste hingegen darauf hinauslaufen, vorab bereits sicherzustellen, dass Ausfälle russischer Energielieferungen komplett ersetzt oder ausgeglichen werden könnten, ohne dass es zu Versorgungsengpässen kommt. Das wäre eine feine Leistung. Vielleicht hilft der Zufall, indem Russland, wer kennt schon Putins Wendungen, doch wieder mehr liefert oder der Winter so mild wird, wie der Sommer heiß zu werden verspricht. Das teure LNG als Ersatz müsste über Land nach Deutschland kommen, mangels Terminals dafür hierzulande. Das geht alles nicht so schnell.
Eine Möglichkeit wäre es natürlich, dass Habeck den Menschen die Wahrheit sagt: Wenn ihr sicher sein wollt, dass das mit dem Strom und dem Heizen klappt, auch wenn wir einen kalten Winter kriegen sollten, dann muss ich die Atomkraftwerke noch etwas laufen lassen und die Kohle müssen wir auch noch einsetzen. Es gab schon Reduktionen in den letzten Jahren, wir haben in der Zeit, seit wir Regierung sind, getan, was wir konnten. Wir hätten natürlich mehr tun könne, wenn wir uns nicht in der Ukrainekrise auch noch exponiert hätten. Außerdem gehen wir sowieso einen internationalen Sonderweg. Dass der nicht viel bringt, wenn nur ein Land ihn beschreitet, alle anderen aber weiter Atomkraftwerke bauen oder sogar erstmalig welche, wollen wir lieber hier nicht zu sehr thematisieren, das ist ein heißes Eisen und führt zu weit.
Und von wegen Klimaschutz: CO2-mäßig saugt allein China alle Anstrengungen des Westens zu dessen Reduktion auf, aber kaufen wir deshalb nichts aus China und verstrickt sich die hiesige Wirtschaft nicht immer mehr dort, ohne dass die Politik eingreift? Hat Habeck dazu schon eine Strategie? Noch nichts gehört? Wir auch nicht. Keine Steuerung voraus, denn dazu müssten auch wichtige soziale Missstände endlich beseitigt werden. Die G7 wollen jetzt der „Neuen Seidenstraße“ eigene Infrastrukturprojekte entgegensetzen. Zehn Jahre zu spät, das ist unsere Ansicht dazu. Das lässt sich nicht mehr einfach aufholen. Es ist nicht überwiegend Habecks Schuld, dass Deutschland einen regelrecht vertrottelten Eindruck macht, in diesen Krisensituationen, das ist schon klar. Wir haben Angela Merkels Wirtschafts-Nichtpolitik mehr als zehn Jahre lang kritisiert.
Es gibt also Politiker:innen der letzten Jahrzehnte, die viel mehr Verantwortung getragen haben. Aber bis auf ein paar gute Tipps an die Bürger und Notfallpläne, deren möglichen Einsatz die hiesige Politik selbst zu verantworten hat, sehen wir keine Aktivität. Schon gar nichts, was uns wirklich hätte aufhorchen lassen, weil es eine coole, innovative Idee beinhaltet hätte. Zum Beispiel dahingehend, Wirtschafts- und Energiestrukturen grundsätzlich zu überdenken, um die Aufgaben der Zukunft meistern zu können. Wir warten also weiter auf den Geniestreich oder wenigstens auf etwas Progressives.
Bis etwas in der Richtung kommt, bewerten wir Habecks geschicktes Auftreten, das kein Krisenmanagement darstellt, kritisch. Wir wollen noch nicht urteilen, H. ist ein Blender, deshalb noch „eher nein“, nicht „auf jeden Fall nein“. Das Meinungsbild ist derzeit gespalten, eine knappe Mehrheit zugunsten von Habeck zeichnet sich ab. Hat er gut kommuniziert, dass er kompetent ist, insofern ein Kompliment.
Jetzt müssen die Taten folgen. Erinnern Sie sich übrigens noch an seine Reise nach Katar m März? Dazu gibt es ein paar sehr interessante journalistische Einlassungen, Tenor: Er hat sich von den Scheichs vorführen lassen wie ein Schuljunge. Schule ist ja auch wichtig, aber Habeck trägt bereits Verantwortung wie ein Erwachsener. Mal sehen, ob die Zeit für seine Education on the Job noch ausreicht, um seit 80 Jahren nicht mehr dagewesene Probleme hierzulande zu verhindern. Unser Gefühl ist, dass eher Kanzler Scholz es richten muss und bestenfalls richten wird, wenn es zu realen Engpässen kommt.
Wir haben übrigens gerade auf Twitter gesehen, dass heute (erstmals, soweit wir es im Blick haben) #HabeckRuecktritt trendet. Wie geschrieben, die Meinungen gehen weit auseinander.
TH