Crimetime 1114 – Titelfoto © NDR, Christine Schroeder
Nicht gleich die Flinta ins Korn werfen!
Schattenleben ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort. Der vom NDR produzierte Beitrag ist die 1204. Tatort-Episode und wurde am 12. Juni 2022 im SRF, im ORF und im Ersten ausgestrahlt. Es ist der 17. Fall von Kriminalhauptkommissar Thorsten Falke und der elfte seiner Kollegin Julia Grosz.
Liebe Leser:innen, damit Sie verstehen, was Phase ist, hier eine Mini-Einführung:
Die Polizei spricht von der FLINTA*-Szene, und meint damit Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen sowie nicht-binäre Geschlechtsidentitäten.“
In eine WG mit Frauen der Flinta-Szene quartiert sich also Julia Grosz ein. Es ergibt sich mehr oder weniger aus dem Lauf der Handlung, dass es zu dieser Undercover-Aktion kommt. Es ist keine großangelegte Polizeiaktion, sondern nur ein Ding zwischen Grosz und Falke. Demgemäß hat Grosz den größeren Anteil am 1204. Tatort. Und wie ist der Tatort geworden? Darüber mehr in der –> Rezension.
Handlung
Als Julia Grosz‘ Freundin Ela, die als verdeckte Ermittlerin des LKA die linksautonome Szene Hamburgs infiltrierte, spurlos verschwindet, macht sich Grosz auf die Suche nach ihr. Sie begibt sich unter falscher Identität in das hedonistisch-freiheitliche Milieu, in dem sich ihre Freundin allem Anschein nach verloren hatte. Falke unterstützt Grosz – und ermittelt zeitgleich im Fall eines Brandanschlages, der sich zunächst in eine Serie politisch motivierter Gewaltakte zu reihen scheint. Doch als auch für Grosz zunehmend die Grenzen verschwimmen und Falke auf fragwürdige Polizei-Interna stößt, geraten beide ins Straucheln.
Rezension
Etwas blöd, dass mein persönlicher Eindruck der Flinta gerade von einem Hausprojekt in Berlin geprägt ist, in dem die Flinta nach Darstellung der übrigen Teilnehmer das Projekt mit ihrem Radikalismus und ihrer Diskriminierung andere zu sprengen droht. Ich kenne nur die Darstellung der anderen Seite, die schon lange mit diesem Haus zu tun hat und in der Regel sind Angaben von dieser Seite nicht einfach von der Hand zu weisen.
Ich musste natürlich direkt an diese Geschichte denken, als die radikale Nana (oder war Maike die Aggro-Frau?) auftrat, jedenfalls diejenige mit den tendenziell kulturell angeeigneten Rasta-Einflechtungen im Haar. Aber kann so jemand eine Mörderin sein? Und Polizistenheimstätten anzünden? Natürlich nicht, da ist man immer noch sehr politisch korrekt.
Ein 90-Minuten-Fernsehfilm ist immer eine Verdichtung, aber trotzdem ging es etwas arg schnell, dass Julia, die altersmäßig schon nicht in diese WG passt, dort Zugang findet und sogar darin übernachten darf. Die WG-Mitbewohner:innen haben zwar ihre Verdachtsmomente, aber nachdem die eigens für Julia angelegte Website, die sie als Managerin eines Fahrradkollektivs ausweist funktioniert und sogar jemand dort ans Telefon geht (es ist natürlich Falke) und bestätigt, dass sie in Hamburg auf einer Messe ist, begibt man sich weiteren Misstrauens. Die Enttäuschung darüber, dass Julia doch ein Cop ist, die ist natürlich groß, das muss man auch verstehen.
Ebenso groß ist die Spreizung im linken Spektrum. Klar, ein Alt-Aktivist, der schon an der Schwelle zum alten weißen Hetero-Mann steht, kann mit dieser Szene nicht viel anfangen.
Was wir da gezeigt bekommen, ist alles andere als vollständig oder instruktiv, ein Talking Head jedoch wäre langeweilig gewesen. Was ich leider bestätigen kann, ist die Fragmentierung der aktivistischen linken Szene. Die Abgrenzung und das Misstrauen untereinander hat teilweise neurotische Züge und ich sage klar: So wird das nichts mehr, mit dem Klassenkampf. Der liegt mir am Herzen, ich würde, wenn ich in der Position wäre, sehr für einen integrativeren Ansatz werben – der übrigens auch Bewegungen einschließen und nicht bewegungsfeindlich sein sollte. Ob diese Werbung Erfolg hätte? Nun ja. Es gelingt, einmal im Jahr bis zu 40.000 Menschen für die Wohnungsfrage auf die Straßen Berlins zu bringen, das ist immerhin ein Ansatz, dafür ist ein breites Bündnis in der Szene notwendig. Doch würde sich die Flinta für ein soziales Thema jenseits der Genderfragen aktivieren lassen? Das weiß ich nicht. Im Film wirkt die kleine Gruppe aber nicht wie ein Teil eines größeren Ganzen, sondern eher abgeschieden.
Und dadurch irgendwie auf eine schwierige Weise sympathisch. Man merkt, wie diese Frauen gegen Windmühlen kämpfen. Gerade, weil sie nicht spektakulär genug unterwegs sind. Neuerdings zeigen Teile der Klimabewegung wieder, wie man es machen kann, ohne gleich jemanden umzubringen oder massive Sachschäden zu verursachen. Aber da geht es eben auch um eine Adressierung der gesamten Gesellschaft, die Film-Flinta wird nicht mit einem Spirit und nicht mit einer Strategie bedacht.
Diese jungen Frauen sind im Grunde bedauernswert: Nicht angepasst genug, um in dieser Gesellschaft gesichtslos zu werden, teilweise im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass sie Außenstehende sind, aber nicht radikal genug, um ihrer Wut durch Aktionen Ausdruck zu verleihen, die einen Nachhall erzeugen. Man geht mittlerweile auch sehr routiniert mit den noch legalen Protestformen um. Es ist ohnehin klar, dass sie keine wesentlichen Veränderungen bewirken werden, solange es nicht Millionen sind, die sich einsetzen. Vielleicht sind es Millionen, die dahinterstehen. Man hat es in Berlin im Wege von „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ gesehen, wo reine Zustimmung der Mehrheit niemals ausreichen wird, um Verbesserungen durchzusetzen.
Ein bisschen typische Jugendwut ist natürlich auch dabei, Abgrenzungsrituale, die es immer wieder gibt, die an sich schon wieder viel Tradition haben, auch wenn sich jede Generation ihre eigenen Ausdrucksformen sucht und die Mehrheit einer jeden Generation gar nicht das Gefühl hat, sie müsste eine Ausdrucksform finden und viele einen Ausdruck von Ausbruch nur fingieren, weil sie sich ihres sicheren sozialen Hafens gewiss sind. Das ist bei den WG-Bewohner:innen nicht so.
Abgesehen von dem schnellen, ruckig-abgehakten Sprachmodus, den die beiden pflegen, weil er offensichtlich als State of the Art etabliert werden soll und den ich nicht besonders mag, machen Falke und Grosz alias Möhring und Weisz auch dieses Mal wieder einen guten Job und dass Grosz zu schnell Zugang zu der WG findet, ist nicht die Schuld ihrer Darstellerin. Sie muss es umsetzen, selbstverständlich, und ihr Gepräge, das auch etwas schroff und kantig sein kann, lässt es nicht komplett verschoben wirken. Die Mädels in der WG vertrauen so jemandem vielleicht mehr als einer sehr smooth wirkenden Person.
Finale
Das Filming von „Schattenleben“ zeigt keine besprechenswerten Auffälligkeiten, ist so modern wie nötig und so unaufdringlich wie möglich. Kleine emotionale Berührungspunkte habe ich auch gefunden, kein einziges Mal gelacht, aber auch nie ein Schockgefühl oder eine tiefe Involvierung empfunden. Dafür, wie andere Kritiker im Vorfeld der Premiere schrieben, ist die Inszenierung vielleicht etwas zu glatt, das sehe ich auch so. Vor allem der Part, dass die Undercover-Polizistin von einem weißen Mann, ihrem Mann und Kollegen, umgebracht wurde, kommt als eine Art Spiegel der Zustände im System zu kurz. Das hätte man mit mehr Drive und mehr antithetisch gegenüber dem anderen Lebensmodell der WG-Bewohnerinnen darstellen können. Und wer gießt schon seine Frau in den Beton eines Poolbodens ein und dann guckt noch die Hand heraus? Wie sollen darauf Fliesen verlegt werden? Der Film hat auch sonst ein paar handwerkliche Schwachstellen, die mir aber zwei Tage nach dem Anschauen nicht mehr exakt geläufig sind. Also sind sie nicht so wichtig, dass sie zu Abzügen führen.
7/10
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Thorsten Falke |
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Ela Erol |
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Hartmut Keiler |
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Benni Schneider |
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Bastian Huber |
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Julia Grosz |
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Thomas Okonjo |
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Nana Leopold |
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Maike Nauener |
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Regie |
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Buch |
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Kamera |
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Musik |
Vorschau
In elf Filmen sind Falke und Grosz alias Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz schon zusammen aufgetreten, den aktuellen Tatort 1204 haben wir dabei einbezogen. Heute Abend ist es wieder so weit, die Bundespolizisten haben einen Einsatz in Hamburg. Mit einem sehr interessanten und auch für uns in Berlin sehr relevanten Thema: Linksautonome Szene einerseits, Polizeigewalt andererseits. Da wäre einiges aufzuarbeiten, aber zunächst einmal hat man sich um diese ebenfalls wichtige Angelegenheit gekümmert:
„(…) Außerdem ist „Schattenleben“ der erste Tatort, für den bei der Produktion der sogenannte „Inclusion Rider“ angewendet wurde, eine Vertragsklausel, die die Produktionsfirma Wüste Medien und den NDR als beauftragenden Sender dazu verpflichtet, zu einem gewissen Prozentsatz Menschen aus bestimmten, zumeist unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen an der Produktion zu beteiligen – etwa Frauen, People of Color, Personen des dritten Geschlechts, LGBTQ+, Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung oder solche, die wegen ihrer geschlechtlichen oder kulturellen Identität, ihres Aussehens, ihres Alters oder ihres sozioökonomischen Status benachteiligt werden. Insgesamt stammen beim Tatort „Schattenleben“ 25 % der Besetzung und des Stabs aus diesen Bevölkerungsgruppen.“ – Redaktion Tatort-Fans
Da kann man sehen, wie traditionell Hamburg doch ist. In Berlin hätte man 80 Prozent der Besetzung aus Angehörigen unterrepräsentierter Gruppen zusammensetzen müssen, damit sie repräsentativ gewesen wäre und trotzdem ganz viele weitere Gruppen enttäuschen müssen. Vielleicht kann man den Inclusion Rider aber auch filmübergreifend anwenden und am Ende der Legislaturperiode zusammenzählen, ob es gepasst hat. Doch es gibt weitere Inhalte:
„Der Tatort „Schattenleben“ greift die seit dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg vieldiskutierten Themen der Polizeigewalt und des scheinbar oder tatsächlich unverhältnismäßigen Vorgehens der Polizei gegen Akteure aus dem autonomen und linksradikalen Spektrum auf. Inhaltlich inspiriert ist er von einem heftig umstrittenen Undercover-Einsatz der Hamburger Polizei im berühmten linksautonomen Zentrum „Rote Flora“: Mehrere Jahre hatte die Polizei die Szene dort in verdeckten Ermittlungen ausspioniert, bevor 2015 die Tarnung von zwei Polizistinnen aufflog. Ähnlich wie im Film sollen auch diese Beamtinnen Liebesbeziehungen mit mehreren Aktivisten geführt haben. Prof. Dr. Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg, hat die Tatort-Produktion als Fachberater begleitet.“ – Redaktion Tatort-Fans a. a. O.
Kann das gutgehen, wenn jemand aus dem inneren Zirkel der Polizei als Berater in Sachen Polizeigewalt fungiert? Vielleicht wäre es nicht schlecht gewesen, auch Anwälte der Betroffenen oder diese selbst hinzuziehen. Der Einsatz von 2017 war übrigens ein Grund, warum wir keine Fans von Olaf Scholz sein können, denn er hatte ihn damals als Erster Bürgermeister (so heißt es in Hamburg, glaube ich) zu verantworten. Der Tatort tut sich mit Themen wie diesem schwer. Sozialkritik geht zwar schon, auch Staatskritik oder Kritik am Politikbetrieb, auch an der rechten Politszene, auch Kritik z. B. an der Drogenpolizei, die selbst in Drogengeschäfte verstrickt ist, aber wenn sich nicht nur einzelne Polizisten positionieren sollen, es um die strukturellen Rechtstendenzen in der Polizei geht, wird es schwierig. Denn irgendwann greift diese Thematik ins Selbstverständnis jedes Polizeikrimis ein und die Frage kommt auf: Sind nicht nur die Plots mittlerweile etwas unrealistisch, sondern auch die Identitätsfiguren?
Was wird ermittelt und wie akribisch und wie tendenziös auf der anderen Seite wird dabei vorgegangen? Wir haben zum Beispiel seinerzeit nicht akzeptiert, dass in einem Polizeiruf aus Rostock nicht nur Beweismittel verschwinden gelassen wurden, das kam z. B. auch im Tatort Köln schon vor, sondern sogar Beweise gefälscht wurden, nicht einmal um der Gerechtigkeit willen. Wie erst, wenn die Motivation für Manipulationen anders gestrickt ist, nämlich um übergriffige Kolleg:innen zu schützen? Qualität der Arbeit und Tendenzen in der Polizei bedürften einer grundsätzlichen Aufklärung. Eines Tages wird es wieder so weit sein, dass alles in einem riesigen Skandal daherkommt und die Politik nicht mehr anders kann, als endlich etwas zu tun. Selbstverständlich ist unsere Sicht durch Unfähigkeit einerseits und politische Einseitigkeit andererseits bei Demo-Einsätzen der Polizei in Berlin geprägt, hier sieht man ja viele Entwicklungen wie unter einem Brennglas.
Wenn der Tatort sich weiterentwickeln will, dann darf das jedoch nicht nur die Visualität oder gar die darstellerische Qualität betreffen, sondern der Umgang mit der Polizei muss distanzierter werden. Sicher, ein Fernsehkrimi braucht die Guten, die, mit denen man sich identifizieren kann, aber etwas mehr Mut zur Ehrlichkeit könnte manchmal nicht schaden. Allerdings würden wir einen richtigen Kracher niemandem empfehlen, der in Regie und / oder im Drehbuchschreiben neu ist, dazu gehört eine gewisse Reputation. Anders vielleicht bei den Darsteller:innen. Junge, frische Gesichter, die noch nicht so sehr Projektionsflächen für die Zuschauer geworden sind, könnten am besten ein neues Selbstverständnis verkörpern, das auch die eigenen Strukturen hinterfragt. Außerdem gibt es immer noch keinen Tatort, der konsequent die Dienlichkeit der Polizei dem Kapital gegenüber bei der Wohnraumbewirtschaftung thematisiert, die dramatische Folgen für viele Menschen hat. Wir stellen uns auch gerne für die Filmschaffenden als Berater zur Verfügung bzw. benennen einige Menschen, an die man sich wenden könnte und die sich mit der Materie wirklich auskennen. Ein wenig ist der hiermit beendete Absatz schon im Hinblick auf das geschrieben, was als Meinung der Tatort-Fans folgt:
„Verdeckte Ermittlungen im linksautonomen Milieu, Brandanschläge auf Wohnhäuser von Polizisten, die LGBTQ+-Szene, Polizeigewalt, das alles am Schauplatz Hamburg – eigentlich könnten dies gute Zutaten für einen unterhaltsamen und spannenden Tatort sein, der (…) gesellschaftspolitisch relevant sein könnte. Doch leider ist „Schattenleben“ dies alles nicht. (…) Besonders in der ersten Hälfte des Films plätschert die Handlung merkwürdig unspektakulär dahin und lädt eher zum Eindösen als zum Mitfiebern ein. Was irritiert, ist die Nicht-Irritation, ist die eigentümliche Harmonie und Leichtgängigkeit der Inszenierung, die angesichts der schweren Themen umso mehr verstört. Allzu glatt, zu selbstverständlich bewegt sich Julia Grosz in der feministischen Alternativ-WG, wie ein Fisch im Wasser: Wo zeigt sich ihr Ringen, ihr Hadern um das Richtige? Und dann die andere Seite: „Kaffeekränzchen in der Roten Flora“ könnten so manche Unterhaltungen in der WG überschrieben sein. Von echtem Aktivismus, von Entschlossenheit, Überzeugungskraft ist wenig zu sehen. (…) Beim Thema Polizeigewalt verschenkt der Film sein Potenzial dann komplett: Wie wunderbar hätte es sich angeboten, eine der WG-Bewohnerinnen als von Polizeigewalt direkt Betroffene zu zeigen! Stattdessen spult Falke routiniert sein Programm ab, um sich am Ende als „Kollegenschwein“ beschimpfen zu lassen. Wow. Mehr Provokation war bei dieser Inszenierung mit angezogener Handbremse wohl nicht gewünscht. nswert es ist, dass Regisseurin Mia Spengler auf der Anwendung des Inclusion Riders bestanden hat, so sehr wünscht man ihr und Drehbuchautorin Lena Fakler, sie hätten mit derselben Entschlossenheit und Konsequenz das (…) Potenzial ausgeschöpft, das in dieser eigentlich großartigen Story verborgen liegt. Schade um die vertane Chance.“
Es gibt noch ein anderes Problem. Sollten tatsächlich Brandanschläge auf Wohnhäuser von Polizisten gezeigt werden, ist das komplett überzogen. Das Maximale, was es in Berlin bisher gab, waren ein paar Farbbeutelattacken auf Büros oder Häuser von Politikern, die dafür bekannt sind, dass sie z. B. der Immobilienlobby besonders dienlich sind, man kann es auch deftiger formulieren. Brandanschläge gibt es vor allem auf Autos, mit ganz unterschiedlichen, oftmals nicht aufgeklärten Motiven – teilweise aber explizit mit einem rechtsextremen Hintergrund.
Wer über solche Themen Tatorte machen will, dem ist dringend anzuraten, sich nicht zu einseitig über das Sujet zu informieren. Das Schlimmste, was passieren kann, ist nach langer Zeit mal wieder ein Rumpeln im gesellschaftlichen Echoraum zu erzeugen.
„Ermittlungen in der FLINTA*-Szene. Eine junge Frau schneidet in ihrer Küche Gemüse. Sie ahnt nichts von der vermummten Person, die direkt hinter ihr steht und sie plötzlich angreift. Allerdings ist die Person kein Einbrecher, sondern die Freundin der Frau. Ein kleiner Spass unter Radikalen, denn das sind die beiden. Sie leben in einer Art Kommune für lesbische links-militante Autonome. Die Polizei spricht von der FLINTA*-Szene, und meint damit Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen sowie nicht-binäre Geschlechtsidentitäten.“ – SWR3-Check, Michael Haas
Eine solche Kommune gab es in Berlin wirklich, auch wenn ich nicht glaube, dass der Spaß unter „Radikalen“ so aussah wie hier geschildert. Dieses „anarcho-queerfeministische Projekt“ wurde aber inzwischen für einen der am meisten berüchtigten Vermieter von Berlin geräumt (die Liebigstraße 34 in Friedrichshain). Die Vorgänge sind zu komplex gewesen, um sie hier darzustellen, im Oktober 2020 endete alles maximal unversöhnlich und was dabei kriminell war, darüber habe ich eine eigene Meinung, die vermutlich von der Meinung jener, die die Räumung veranlasst haben, auch wegen der Art ihrer Durchführung und der anschließenden journalistischen „Auswertung“, abweicht.
Was in Tatorten grundsätzlich nicht dargestellt wird, sind die teilweise bodenlosen Machenschaften von Seiten der Administration, die immer wieder Absprachen bricht und Menschen, die um ihre Bleibe kämpfen, hinter die Fichte führt, Aktivist:innengruppen zu spalten versucht, die Radikalisierung richtiggehend provoziert, wohl wissend, dass die Macht auf ihrer Seite ist. Die Polizemacht und damit die Durchsetzungsfähigkeit gegen die Zivilgesellschaft spielt dabei eine wichtige Rolle. Zuletzt hat man das in Berlin am Fall des Obdachlosencamps „Rummelsburger Bucht“ gut beobachten können.
Die Entwicklung der Hausbesetzer:innenszene in Berlin seit den späten 1960ern ist sehr wohl für die filmische Umsetzung geeignet, aber die Aufarbeitung fordert zumindest zusätzlich ein anderes Format als einen 90-Minuten-Krimi – zum Beispiel einen schonungslos ehrlichen und detaillierten Mehrteiler, der etwas tiefer in die Ursachen für das alles vordringen kann und sich dabei nicht wachsweich vor klaren Aussagen drückt oder sich überwiegend auf die Seite der Repression stellt. Langweilig wäre ein solcher Film keineswegs und würde vielleicht dem einen oder der anderen die Augen öffnen dafür, warum Berlin gar nicht zur Ruhe kommen kann, wie man an der aktuellen Enteignungsdiskussion nun wieder sieht. Wenn die von den Berliner:innen mit einem Mehrheitsmandat versehene Initiative scheitert, weil sie von der Politik an der Nase herumgeführt wird, was sich bereits abzeichnet oder wenn Gerichte sich nur noch auf den Schutz von Artikel 14 I GG zulasten aller anderen Grundrechte beschränken, werden sich wieder einige Menschen radikalisieren, das ist für mich ziemlich sicher.
Und formale Inklusion, wie etwa durch den „Inclusion Rider“ geschaffen, ist kein Ersatz für echte Teilhabe im Alltag, schon gar nicht, wenn versucht wird, sie zu benutzen, um Menschen derselben Klasse auseinanderzudividieren. Und im Tatort verdienen nur die Hauptdarsteller wirklich Geld, das darf man der Stelle ruhig auch erwähnen. Es kommt also darauf an, ob ganz an der Spitze Diviersität erreicht ist. Deswegen auch die gewisse Ironie eingangs unseres Beitrags. Nicht, dass Inklusion falsch wäre, aber sie wird zu oft missbraucht, um soziale Missstände zuzukleistern, sozialen Widerstand zu brechen, indem eine Beteiligung oder gar Gleichstellung suggeriert wird, die es sozioökonomisch für die meisten Menschen nicht gibt. Die es niemals geben wird, wenn diese Menschen sich durch das Erreichen formaler Fortschritte in Sachen Minderheitenrechte befrieden lassen, ohne dass das an ihrer sozialen Diskriminierung in der Realität viel ändert. Die Szene der Mieter:innen-Aktivist:innen z. B. ist sehr divers und es wäre ganz falsch, wenn sie sich nach Gruppen einzeln von der Politik „kaufen“ lassen würde, damit man die übrigen umso besser marginalisieren kann, die nicht durch einen besonderen Status geschützt oder privilegiert sind.
Und wie urteilt der SWR3-Check nun über den Film?
„Ich frag mich nur, ob die Story wirklich über ganze 90 Minuten trägt. Mir kam sie etwas gedehnt vor. Aber das muss jeder für sich entscheiden. Jedenfalls sind da schöne Ideen drin, und einigermaßen spannend wird es auch. Das wichtigste aber: Man guckt wirklich gerne zu. Ein guter Tatort! Drei von fünf Elchen.“ – SWR3-Check, a. a. O.
Ich kann mir nicht helfen, mein Eindruck ist, dass der Autor der Kritik sich selbst zu dem Satz mit dem bekräftigenden Ausrufezeichen am Ende überreden musste, 3/5 sind okay, aber „gut“ sind für mich mindestens 4/5. Gehen wir weiter zur Masterclass unter den Tatort-Rezensent:innen:
„Nach „Die goldene Zeit“ inszenierte Regisseurin Mia Spengler mit „Schattenleben“ ihren zweiten Falke/Grosz-„Tatort“. Erneut geht es darin um das seit dem G-20-Gipfel explosiven Verhältnis von Polizei und linken Gruppen der Hamburger Kiez-Szene. Die Produktion (Wüste Medien) entstand nach den Vorgaben des „Inclusion Rider“, garantiert einen hohen Prozentsatz an Diversität vor und hinter der Kamera. Inhaltlich in einem feministischen Wohnprojekt der linksautonomen Szene verortet, verzahnt Lena Faklers Buch einen tödlich endenden Brandanschlag mit dem Verschwinden einer Undercover-Ermittlerin und dem Spagat zweier Kommissare, die ihren Beruf lieben, dabei aber ihre Sympathie für das linke Spektrum nicht verhehlen. Polizeigewalt gegen freiheitsliebende Anarchos. Ein Klassiker mit frischen Gesichtern, die sich an ausgesuchten Orten auf den Kampf vorbereiten, einander aber nie ins Auge blicken. Falke und Grosz agieren als Mittler. Die Milieus sind sorgfältig eingerichtet, beschränken sich jedoch auf zwei, drei Straßenecken. Ein Mosaik verschiedener Lebenswelten, das Rendezvous mit einer neuen Julia Grosz. Der Fall mäßig spannend.“ – Tittelbach-TV, Martina Kallweit
Was wir zum Fall zu sagen oder zu schreiben hatten, steht bereits oben. Martina Kallweit vergibt hier 4,5/6, das ist lange Zeit der gefühlte Durchschnitt gewesen, die Tatort-Bewertungen von Tittelbach-TV betreffend. In letzter Zeit allerdings gab es viele Filme, die noch mehr Sterne bekamen. Heute zeigen wir aufgrund der umfangreichen Zitate und weil wir selbst relativ viel zur Sache geschrieben haben, nur vier Meinungen und schließen mit Christian Buß vom Spiegel ab. Buß ist ein Muss, an ihm führt nichts vorbei.
„Junge Aktivistinnen gegen alte Punks: Nach einem Brandanschlag sehen sich Grosz und Falke mit den Kämpfen in der autonomen Szene konfrontiert. Der »Tatort« als linkes Selbstzerfleischungsszenario. (…) 7 von 10 Punkten. Mal lexikalisch, mal infernalisch: Dieser »Tatort« kommt im Punk-für-Einsteiger-Gestus daher.“
Ja, auch das ist ein Thema. Das sieht man sogar in der politisch etablierten Linken, die sich vor allem durch die Partei gleichen Namens zeigt. Deswegen ist es auch so leicht, linken Widerstand zu zerstören, der sich eben nicht inklusiv und vor allem aus der Position des Klassenkampfs heraus versteht. Ich hatte zum Beispiel auch Schwierigkeiten, mich mit der „Liebig34“ zu identifizieren, weil sie für meine Begriffe zu exklusiv war, hingegen nicht mit einigen anderen Projekten, die mehr das das Ganze im Blick hatten und mit anderen stets solidarisch waren, wie z. B. die Neuköllner Kiezkneipe „Syndikat“, deren Räumung ein Event mit 2.500 Einsatzkräften der Polizei war (und bei der es friedlich blieb). Da wir beim Wahlberliner nicht über alle Projekte ausführlich schreiben konnten, haben wir uns naturgemäß diejenigen herausgesucht, die „zugänglich“ gewirkt haben, in einem wichtigen Fall kam man sogar auf uns zu und vermittelte mir einige Kenntnisse zum Thema.
TH