Crimetime 1115 – Titelfoto © BR
Angst kann ein guter Ratgeber sein
Taubers Angst ist ein Fernsehfilm aus der ARD-Krimireihe Polizeiruf 110. Der Film wurde für den BR unter der Regie von Klaus Krämer produziert und am 4. Februar 2007 erstmals in der ARD als 283. Folge der Krimireihe ausgestrahlt. Es ist der sechzehnte Fall des Münchner Polizeiruf-Ermittlers Jürgen Tauber und der dreizehnte Fall für seine Kollegin Jo „Josephine“ Obermaier.
Ängste sind etwas Natürliches. Wie Menschen damit umgehen, ist sehr unterschiedliche. Hauptkommissar Jürgen Tauber kann es sich leider nicht erlauben, eine Taktik für den Umgang mit der Würgeangst zu entwickeln, die hin im Verlauf einer Fallermittlung heimsucht, denn ebenjener Fall muss gelöst werden, daran führt nichts vorbei und auch nichts drumherum. Kann ihn seine Kollegin Jo Obermaier beruhigen und kriegt er es trotzdem hin, den Fall eines erwürgten Callgirls zu lösen? Würgereiz ist bei dem Film nicht angebracht, so viel verraten wir an dieser Stelle, und weiter geht es in der -> Rezenion.
Handlung (1)
Am Ufer der Isar wird die Leiche des Callgirls Zusana Lebedova gefunden. Während Kommissar Tauber fast sehnsüchtig auf einen neuen Einsatz wartet, ist seine Kollegin Jo Obermaier auf dem Weg zu einer Hochzeitsfeier und muss nun ihren freien Tag widerwillig dem Dienst opfern. Die Obduktion ergibt: Das Opfer ist seit ca. zehn Tagen tot, wurde erwürgt und sehr wahrscheinlich von einer nahen Brücke ins Wasser geworfen. Tauber greift den Hinweis auf und sieht sich sogleich zusammen mit Obermaier auf einer Brücke, ganz in der Nähe des Fundortes um. Seine Kollegin entdeckt auch schnell eine wertvolle Krawattennadel, die möglicherweise der Täter hier verloren hat. Nachdem die Identität des Opfers zweifelsfrei feststeht, kann Tauber den Unternehmer Hermann Denninger als regelmäßigen und auch letzten Kundes von Lebedova feststellen.
Schon bei der ersten Befragung ist Tauber davon überzeugt, dass der aalglatte und unangenehme Geschäftsmann der Täter ist. Im Hotel haben die Angestellten die Edelprostituierte zwar kommen sehen, aber keiner kann sich erinnern, sie auch beim Verlassen des Hotels gesehen zu haben. Eine erste Überprüfung der Überwachungsbänder vom Hoteleingang gibt leider auch keinen Hinweis auf den Verbleib der jungen Frau, die nach Denningers Angaben sein Hotelzimmer gegen 1:30 Uhr wohlbehalten verlassen hätte. Unerwartet findet sich auf dem Präsidium der Rezeptionist Kammermeier ein, um zu Protokoll zu geben, wie er Zusana Lebedova aus dem Hotel kommen sehen hätte. Tauber glaubt ihm natürlich nicht und greift zu einer gefährlichen List. Er präsentiert Denninger die auf den Brücke gefundene Krawattennadel als versehentlichen Fund in dessen Hotelzimmer.
Der Verdächtige fällt zunächst darauf herein, erkennt aber schnell Taubers Taktik, die dahinter steckt. Da er mit dem Kommissar allein im Vernehmungsraum ist, sucht Denninger die Flucht nach vorn und greift Tauber körperlich an. Fast bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt muss er um sein Leben fürchten. Im letzten Moment lässt Denninger von ihm ab, doch wird Tauber fortan von Angstattacken geplagt, was ihn letztendlich in seiner Handlungsfähigkeit lähmt. In seiner Not sucht er Hilfe bei seinem Therapeuten, den er schon Jahre nicht mehr aufsuchen musste. Diesem schildert er seine Ängste, dass er nicht nur um sein Leben bangt, sondern dass er in seinen Träumen auch noch seinen anderen Arm verlieren würde und seine psychischen Probleme wieder von vorn anfangen könnten.
Leider hilft ihm das Gespräch nicht weiter und er setzt sich der weiteren Konfrontation mit dem Fall aus. Er befragt zusammen mit Jo Obermaier noch einmal den Zeugen Kammermeier, dessen Aussage ihm wie „gekauft“ erscheint. So analysiert er die Möglichkeiten, wie man aus einem Hotelzimmer unbemerkt eine Leiche herausschaffen könnte. Eine Hotelangestellte ist ihm dabei behilflich und gemeinsam können sie nahezu problemlos einen Wäschecontainer aus einem Zimmer bis zur Tiefgarage bringen, wo Denningers Wagen regelmäßig parkt. Die Durchsicht der Überwachungsaufnahmen über einen längeren Zeitraum bringt dabei zutage, dass nun tatsächlich Denninger zu sehen ist, wie er gemeinsam mit Kammermeier einen solchen Container zu seinem Wagen rollt. Er hatte die Leiche einfach im Nachbarzimmer bei seinem Rechtsanwalt „geparkt“ und zwei Tage später in Ruhe abtransportiert, um sie dann ins Wasser zu werfen. Tauber und Obermaier nehmen Denninger fest, der gerade dabei ist sich abzusetzen.
Rezension
Ein Kommissar, der ohnehin durch einen Dienstunfall seinen Arm verloren hat und sich körperlich nicht wehren kann wie Menschen ohne Handicap läuft durch die Stadt, die Kapuze tief im Gesicht, erinnert dabei ein wenig an die Satirefigur „Der Tod“, aber es nicht so spaßig. Es ist nicht witzig, mit einem zusätzlichen Trauma konfrontiert zu sein, das sich gerade daraus ergeben hat, dass er körperlich so verletzlich ist. In allen Tauber-Polizeirufen spielt es mehr oder weniger eine Rolle, dass der körperlich Beeinträchtigte das in aller Unvollkommenheit seinen Job ausführende ermittelnde Organ der Exekutive ist, das sich gewalttätigen Menschen gegenübersieht, die ihm immer viel näher kommen können, als er das möchte. Es sei denn, er zieht seine Waffe. Das tut er zum Schluss auch und beinahe, beinahe hätte er den Mann, auf den er im Verlauf des Films immer wütender wird, tatsächlich umgebracht. Und es wäre keinesfalls Notwehr gewesen, sondern eventuell nicht nur Totschlag, sondern Mord aus Rachsucht.
Eine Ermittlungsgruppe, die verzweifelt versucht, den Hergang einer Tat zu rekonstruieren, die sich in einem Hotel abgespielt haben könnte, entdeckt erst, nachdem absolut nichts mehr vorwärts geht, nichts nachgewiesen werden kann, alle Würgeszenen Vergangenheit sind, dass es eine Kamera gibt, welche die Lobby überwacht, gehen zum Sicherheitschef des Hotels, lassen sich die glücklicherweise noch vorhandene Aufzeichnung aus der betreffenden Nacht vorspielen und schon ist der Fall aufgeklärt. Ein größeres Plothole habe ich in einem Polizeiruf selten entdeckt. War 2006 alles noch so viel anders als heute, dass niemand daran denkt, dass man eine Kamera installiert haben und deren Aufzeichnungen zu Ermittlungszwecken auswerten könnte? Irgendwann musste man aber mit diesem Film zum Schluss kommen, nachdem Taubers Angst und die Unsicherheit, einfach nicht an diesen offensichtlichen Täter heranzukommen, den Film immer spannender machen. Wir sind mittendrin und werden durch diese Kamerageschichte beinahe komplett herausgerissen. Das hätte man unbedingt anders lösen müssen, auch im Jahr 2006, zumal die Kamera gut sichtbar hinter der Rezeption angebracht ist. Ob es damals schon so war, dass Menschen auf überwachte Zonen im nicht öffentlichen Raum hingewiesen werden mussten, in die sie sich begeben, weiß ich nicht und werde es jetzt auch nicht nachsehen, aber dann wäre zusätzlich ein Hinweis am Eingang anzubringen gewesen, den Obermaier und Tauber gerne hätten bemerken dürfen. Demgegenüber sind es geradezu Kleinigkeiten, dass man die Krawattennadel offenbar nicht gründlich untersucht und keinen DNA-Abgleich vorgenommen hat.
Man kann auch sagen, alle störenden Simplizitäten wurden beiseite geräumt, um das Duell zwischen Tauber und Denninger richtig packend werden zu lassen, dabei fällt auch Obermaier mehr oder weniger hinten runter und kann nur noch reichlich hilflos anmerken, dass sie gleichberechtigt mit Tauber ist und sich seine arrogante Behandlung nicht gefallen lassen muss. Aber so speziell wie hier wird der einarmige Banditenjäger auch selten dargestellt und Edgar Selge kann jede Steigerung und jede Ausprägung dieses Charakters so mühelos mitgehen, dass man unwillkürlich folgt, selbst wenn man sich über die eine oder Unebenheit des Drehbuchs doch lieber ärgern würde. Es liegt aber alles in einer Hand, denn das Buch stammt vom Regisseur, was während der „alten“ Polizeiruf-Epoche, in der DDR, eher die Regel als die Ausnahme war und das Filming spiegelt sehr gut die zunehmende Paranoia des Kommissars, die ihn, und das ist das Packende und deswegen darf die Falllösung auch nicht zu einem zu erwartenden Zeitpunkt bereits „technisch“ sein, nur noch besser werden lässt. Dieser Blick hin zur Kamera wirkt trotzdem (in Maßen) unfreiwillig komisch, ich kann’s nicht ändern. Gut ist der Film nur bis zu dem Moment, danach konnte ich auch nicht mehr richtig einsteigen, als Tauber seine Angst und seine Wut im Schießen auf den – nein, nicht auf den Pianisten, aber auf den Würger entlädt. Zum Glück gibt es im Parkhaus auch eine Kamera, dadurch ist der eigentliche Fall ratzfatz erledigt, denn man kann sehen, wie genau einer jener Wäschecontainer zum Abtransport der Leiche verwendet wird, den Tauber auch als Transportmittel ins Visier nimmt, nachdem er sich mit einer Hotelangestellten als Opferersatz vergewissert hat, dass jemand in solch einen Container passt, ohne dass irgendwas oben rausschaut. Natürlich nur, wenn die Leichenstarre wieder aufgehoben ist, also nach zwei Tagen.
Eine gruselige Vorstellung, dass die Tote im Zimmer des Anwalts „deponiert“ wird, bis sich die richtige Gelegenheit ergibt, sie auf eine Brücke zu bringen und von dort in die Isar zu werfen und dass der Rezeptionist sich an der Vertuschung des Verbrechens beteiligt hat. Hotels haben manchmal etwas Unheimliches, das empfinde ich durchaus so, wie es durch Taubers psychische Probleme dramatisiert wird. Das gilt freilich eher, wenn man geschäftlich alleine unterwegs ist, nicht fürs Urlaub machen mit der Familie.
Finale
Tauber traut irgendwann niemandem mehr, glaubt sogar, seine Kollegin wolle ihn absägen und berät sich deshalb mit dem Dienststellenleiter, in Wirklichkeit war der Kantinenkoch gemeint. Die Szene fand ich nicht so überzeugend, weil der Zuschauer gar nichts anderes denken kann, als dass Tauber gemeint ist, ergo ist es nicht besonders psychotgisch von Tauber, genauso zu denken. Aber ist wirklich schwierig, solche Szenen genau richtig zu gestalten. Nicht zu vage und nicht zu eindeutig und dadurch manipulierend. Taubers Rückzug ins Innere wird immer bedrückender: Von der Unklarheit bezüglich des Wohnungsschlüssels bis hin zu den revidierten Aussagen des Beschuldigten und einer wichtige Zeugin, alles scheint immer mehr gegen Tauber zu laufen und es versteht sich, dass er niemanden mehr traut. Traut er auch sich selbst und seiner Wahrenehmung nicht? Es ist grenzwertig, aber dadurch wirkt es auch echt. Nicht so, wie wir uns meist anderen gegenüber verhalten, weil wir sicher wirken wollen, sondern so, wie wir uns manchmal tatsächlich fühlen: Im Zweifel über alles, was wir sehen, hören und damit auch bezüglich der Schlüsse, die wir daraus ziehen.
Einen guten Job macht auch Herbert Knaup als Denninger, denn der Zuschauer kann lange darüber nachdenken, ob er es nun gewesen ist oder nicht. Zusammen mit seinem Anwalt wirkt er so abgezockt, aber der Wutanfall im Vernehmungszimmer wirkt nicht wie gespielt und wird dem Beschuldigten noch zu schaffen machen. Und damit müssen wir leider zu einem zweiten Riesenklops der Handlung kommen, final sozusagen: Immer, wenn es wichtig wird, ist zufällig gerade das im Vernehmungszimmer angebrachte Tonaufzeichnungsgerät nicht eingeschaltet. Auch die Möglichkeit für Denninger, Tauber als Lügner oder paranoid dastehen zu lassen, ergibt sich ausschließlich daraus. Man hat in diesem Film ganz schön viel Technik missachten müssen, um eine bestimmte Idee von einem sehr eindringlichen Schauspieler-Solo für Edgar Selge zu verwirklichen. Wäre es auch anders möglich gewesen? Ich meine, ja. Dann hätte freilich das „Wie haben sie das gemacht“ mehr im Vordergrund gestanden und den Psychothriller hätte das möglicherweise in seiner Wirksamkeit beeinträchtigt. Oder man hätte dem 283. Polizeiruf mehr als die seit ca. 20 Jahren auch bei den Tatorten felsenfest stehenden 88 Minuten Standard-Spielzeit gönnen müssen. Trotzdem, man kann nich einfach tun, als ob diese allzu sehr auf Ziel geschriebenen Unwahrscheinlichkeiten nicht existieren würden. Daher leider für einen teilweise herausragend gespielten Film „nur“
7,5/10
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2021)
Regie | Klaus Krämer |
Drehbuch | Klaus Krämer |
Produktion | Uli Aselmann |
Musik | Torsten Sense, Mike Duwe |
Kamera | Ralph Netzer |
Schnitt | Anja von Rüxleben |
Besetzung | |
---|---|
|