Kämpfende Herzen / Vier um die Frau (DE 1921) #Filmfest 807

Filmfest 807 Cinema

Die Krise schwingt nach und voraus

Kämpfende Herzen (auch als Vier um die Frau verliehen) ist ein Stummfilmdrama, das Fritz Lang 1920 für die Decla-Bioskop A.G. Berlin realisierte. Vorlage zu dem Drehbuch, das Lang zusammen mit seiner späteren[1] Frau, der Schriftstellerin Thea von Harbou schrieb, war ein Bühnenstück von Rolf E. Vanloo mit dem Titel “Florence oder Die Drei bei der Frau”. Der Film ist mit Darstellern wie Carola Toelle, Anton Edthofer, Ludwig Hartau, Leonhard Haskel, Rudolf Klein-Rogge, Paul Morgan und Paul Rehkopf bis in kleine Rollen hochkarätig besetzt. Von der Kritik wird er wie eine Vorstudie zu den späteren Lang-Filmen Dr.Mabuse der Spieler und Spione angesehen.

Bei mir war es so: Ich habe mir kürzlich die beiden Mabuse-Teile (1922) gegönnt und dafür viereinhalb Stunden investiert. „Vier um die Frau“ hatte ich vor einigen Monaten schon einmal angeschaut, damals aber keine Rezension hinbekommen. Vielleicht wegen der Handlung, auf die man sich wirklich konzentrieren muss, um nicht den Faden zu verlieren. Ja, auch das schafft ein so ein alter Film bei mir mittlerweile. Einsetzende Demenz oder ist dieses Stück wirklich etwas komplex und hastig geraten? Und hatte ich damit nicht gerechnet? Wie empfanden es Zuschauer im Jahr 1921, die viel einfachere Filme gewöhnt waren? Vielleicht gab es schon damals Cineast:innen, die sich nur expressionistische Highlights anschauten. Wie auch immer, in der -> Rezension werde ich darlegen, dass ich jetzt einigermaßen durchgestiegen bin und eine Meinung zu diesem oben als Mabuse-Vorläufer apostrophierten Werk entwickeln konnte.

Handlung (1)

Harry Yquem (Ludwig Hartau) ist ein wohlhabender Makler. Er verkleidet sich, um in einem Verbrecherkeller bei dem Hehler Upton (Rudolf Klein-Rogge) mit falschen Scheinen ein Schmuckstück für seine Frau Florence (Carola Toelle) zu erwerben. Dabei begegnet er einem Mann, in dem er einen ehemaligen Liebhaber von Florence aus der Zeit vor ihrer Ehe wiederzuerkennen glaubt: es ist Werner Krafft (Anton Edthofer), der nach Jahren wieder in die Stadt zurückgekommen ist und sich auf der Suche nach seiner früheren Geliebten Florence befindet. Da er mittellos ist, will er seinen Zwillingsbruder William Krafft aufsuchen, um ihn um Geld zu bitten. Der aber ist ein Lebemann und Betrüger geworden.

Yquem hält William für Werner und lässt ihn deswegen durch seinen Vertrauten Meunier (Robert Forster Larrinaga) beschatten. Schließlich spielt er ihm eine fingierte Nachricht zu, dass Florence ihn angeblich sehen möchte und ihm ein rendez-vous in Aussicht stellt, woraufhin William zum Hause der Yquems fährt. Yquem folgt ihm bewaffnet, da er hofft, ihn mit seiner Frau zu erwischen. Gleichzeitig tritt aber auch Meunier eigenmächtig und mit eindeutigen Absichten an Florence heran, die darauf sichtlich verwirrt reagiert.

Werner Krafft hat indessen vergebens versucht, seinen Bruder William zu treffen. In Uptons Keller zurückgekehrt, belauscht er diesen und seinen Gehilfen. Sie haben Yquems Betrug mit dem falschen Geld entdeckt und wollen Florence entführen, um von Yquem den geschuldeten Betrag zu erpressen.

Upton und sein Kumpan fahren zum Anwesen Yquems, Werner Krafft verfolgt sie. Bei den Yquems kommt es zum großen Showdown mit Schießerei und großem Polizeiaufgebot, bei dem alle Geheimnisse enthüllt werden.

Rezension

Dummerweise erschießt Yquem seinen eigenen Spitzel, der eigene Ambitionen in Richtung der Frau entwickelt hat. Kämpfende Herzen und vielleicht ein Requiem für Yquiem? Hoffentlich nicht, sondern mildernde Umstände wegen der großen Seelennot des schwer Eifersüchtigen. Hat man ihm aber auch einiges an Grund dafür gegeben. Denn die Welt spielt falsch. Inklusive dem Herrn Yquem. Nur Florence, die Blumenhafte, steht trotz ihrer vorherigen Liebe zu einem anderen stolz im Sturm der Leidenschaften und wird am Ende ebenfalls angeschossen. Doch solange die Liebe nicht tödlich verletzt wurde, lebt auch die Hoffnung weiter, und das ist das Ende des Films, wie ich es erzählen würde, hätte ich eine Zusammenfassung für die Wikipedia zu schreiben.

Doch wie konnte es zu all dieser Erhitzung kommen, die wir in diesem Film sehen? Durch Thea von Harbou zum Beispiel, die hier als Drehbuchautorin das bereits beachtliche filmische Können des zu ihr entflammten und alsbald mit ihr verheirateten Fritz Lang ausbeutet, indem sie ihn durch die inszenatorische Hatz einer Handlung treibt, die an Kolportagehaftigkeit kaum zu überbieten ist und es doch irgendwie, vielleicht nicht ganz unversehrt, wie einige Beteiligte, über die Logikhürden schafft. Aus dem schlichten Grund, dass diese Menschen nicht logisch handeln. Und falsch, falsch, falsch sind sie – außer Florence, Sie wissen es schon! – alle irgendwie. Wir werden schon kurz nach Beginn in einer wunderschönen Szene instruiert, wie wir den Film zu lesen haben und wie der Ton gesetzt werden soll.

Der blinde Bettler ist nicht blind. Kurz darauf sind die Geldscheine nicht echt, etwas später die Ringe nicht, Anschuldigungen werden quasi gefakt, um den Auftrieb zu verstärken, die beste Freundin von Florence flattert wie ein Schmetterling durch die Welt der Elegants, das Hinterzimmer einer billigen Kneipe mit Kokotten und niederen Luden ist eine illegale Brillantenbörse, an der honorable Menschen wie Yquem ihr Falschgeld unterbringen und sich verkleiden, obwohl doch der Wirt die Identität dieses Gastes kennt. Da soll sich einer auskennen, aber da der Film nahezu vollständig erhalten und wunderhübsch restauriert ist, inklusive der neuen Musik des Spezialisten Aljoscha Zimmermann, die jede Szene perfekt illustriert, ohne dass man gleich die Berliner Philharmoniker spielen lassen muss, denkt man: das ist echt! Echt Lang.

Tatsächlich findet sich schon bald vieles wieder in Dr. Mabuse. Besonders die Figur des Yquem, der sich an Verkleidungen delektiert. Und selbst Mabuse, viel dämonischer als jener Prototyp, ist nur ein Manipulator, der sich selbst mit Gefühlen so manipuliert, dass er am Ende an einer Frau scheitert. Yquem muss direkt ins Gefängnis, wird nicht über Los gehen (schon, weil es 1921 „Monopoly“ noch nicht gab), Mabuse wird verrückt. Sein Darsteller Ludwig Hartau erinnert mich an jemandem aus dem Realleben, der ebenfalls einen Hang zu gewagten Manipulationen hatte. Er übernahm sich jedoch geschäftlich, ohne Geldscheine zu fälschen. Rudolf Klein-Rogge, der alsbald den unsterblichen Mabuse geben wird, darf sich hier schon einmal als Brillantenhehler Upton warmlaufen.

Es gibt noch einen Mitspieler. Er wird im Vorspann nicht genannt, obwohl ohne ihn das alles, was wir sehen, nicht zu denken ist. Es ist der Erste Weltkrieg und es sind seine Folgen. Denn die Welt ist aus den Fugen, das bemerkt man überdeutlich am Verhalten der Personen. Gauner in Spelunken gab es immer schon, aber wie die Bürgerlichen in dieses Milieu eintauchen, Camouflage betreiben und hinter der Moral zurückbleiben, das ist in dieser massiven Form sicherlich dem Versinken der alten Welt geschuldet. Viele deutsche Filme jener Jahre thematisieren diesen Umbruch, den die meisten wohl nicht als Aufbruch, sondern als  Zusammenbruch empfanden, überdeutlich. Und doch brachte er genau die Eruption, welche die 1920er Jahre zur vielleicht zur künstlerisch dichtesten der deutschen Geschichte machte. Inklusive der stürmischen Entwicklung der Filmkunst, an Fritz Lang erheblichen Anteil hatte.

„In der Bearbeitung dieses Filmmanuskriptes ist jener Grad von Kultur erkennbar, der, so tief das Sujet auch darunter stehen mag, dessen wertvollere oder zumindest künstlerisch einwandfreie Auffassung einschließt. Das ist etwas sehr Wesentliches für das Niveau unserer Durchschnittsfilme; sie bestimmen, wenn man das hier so sagen kann, ihre Mentalität. Sie ermöglichen im allgemeinen die Fixierung einer Basis, von der aus sich erst Diskutables, eine Kunst entwickeln kann.“[9]

So textete eine der führenden Filmzeitschriften der Weimarer Republik, der Film-Kurier. Ich habe diese Kritik herausgegriffen, weil sie bemerkenswert ist. Sie reflektiert nicht nur das Jetzt, sondern prognostiziert etwas. Der Film wird nicht als Meisterwerk apostrophiert, aber der Autor sieht schon voraus, wo es hinführen kann. Zum Beispiel, wenn nicht eine Frau mit so viel Kitsch im Herzen wie Thea von Harbou das Drehbuch schreibt, sondern jemand, der als Drehbuchautor dem Inszenierungsmeister Fritz Lang ebenbürtig ist. Leider fand das vorerst nicht statt, und so haben alle Werke Langs auch diesen gewissen Hang zu Kolportage. So, wie Murnaus Filme einen Hang zum Romantizismus und zur getragen-überzeichneten  Theatralik aufweisen. Diese Antipoden im Denken und Umsetzen, die so wichtig waren für die Kunstwerdung des deutschen Films!

Beide Linien haben sich bis heute erhalten, wobei Lang sicherlich visionärer wirkt. Ein Element fehlt in „Vier um die Frau“, das den „Dr. Mabuse“ stark prägt: Die Manipulation anderer mithilfe psychischer Kräfte, die sich der Ratio entziehen. Zwar handeln die Figuren in „Vier um die Frau“ alles andere als rational, aber darunter ist niemand übersinnlich. Eher muss man sich fragen, wie viel Unsinn jemand anrichten kann, ohne sich selbst spooky zu finden. Das gilt insbesondere für Harry Yquem, der so in einer Welt des Falschen gefangen scheint, dass er ein Unheil heraufbeschwört, indem er unbedingt wissen will, ob wenigstens die Liebe seiner Frau zu ihm echt ist. Ja, was ist noch echt, in diesen Zeiten? Das werden sich damals viele Menschen gefragt haben, und fragt man Siegfried Kracauer, lag für sie die Antwort in den gleichermaßen plainen und grausamen Wertvorstellungen des Nationalsozialismus. Ob man das auch aus „Vier um die Frau“ schon herauslesen kann? „Dr. Mabuse“ wird sehr wohl schon in diesen Zusammenhang gestellt. Aber in „Vier um die Frau“ gibt es noch keinen Puppenspieler, der die Menschen ihres Willens beraubt und die Börse und die Sammler expressionistischer Werke nach seiner Fasson tanzen lässt.

Nicht nur Nachkriegschaos zu zeigen, sondern gleich ein Element, das sich dieses Chaos zunutze macht, das sehen wir in „Vier um die Frau“ noch nicht. Man könnte fast sagen, 1920 hatte Lang den  Hitler, seinen Landsmann, noch nicht auf dem Schirm, 1922 aber wohl. Immer vorausgesetzt, die Filmemacher wollten damals wirklich schon vor dem alle manipulierenden Totalitarismus warnen. Angenommen wird das  ja vor allem für „Dr. Caligari“, der schon 1919 entstand und alles zu symbolisieren scheint, was später in den Untergang führen wird. Diese Deutung ist allerdings nicht unumstritten, das möchte ich an der Stelle anmerken. Sie wird aber auf „Dr. Mabuse“ gerne ausgedehnt, während man sie für „Das Testament des Dr. Mabuse“, Langs letzten deutschen Film, der von den Nazis verboten wurde, als gesichert annehmen kann.

„Carola Toelle stets ladylike, wirkt als Florence durch feines, nuancenreiches Spiel; Ludwig Hartau gibt ihrem Gatten stärkere persönliche Züge; Anton Edthofer führt die Doppelrolle der Brüder Krafft durch. Auch in den anderen Rollen weist die Besetzung gute Namen auf.“[9]

Was mir an Langs Filmen gefällt, ist das vergleichsweise moderne, manchmal sogar ironisch und humorvoll mitten im Desaster wirkende Spiel, wie es hier besonders Edthofer in einer echten Doppelrolle zeigt. Freilich nur als „Elegant“ William, nicht als der beim Weltenflitzen gescheiterte Bruder. Beide symbolisieren gut das Deutschland jener Tage. Der eine komplett blank, der andere mit Tricks erfolgreich, sogar bei den Frauen, mehr Schein als sein; doch, siehe oben, das gilt für alle männlichen Figuren mehr oder weniger, die wir in diesem Film sehen. Doch Weib, deine Ehre heißt Treue und der Versuchung entsagen. Vielleicht gut, dass der eine Bruder dies nicht verwand und in See stach. Sonst hätte er sein Leben mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit auf einem Schlachtfeld  des Krieges gelassen. Was ist daran bloß kolportagehaft? Zum Beispiel, dass die Frau von ihrem Vater an Harry übergeben wurde und dem Geliebten entsagte, denn man lehnt sich nicht gegen den Willen des Vaters auf. Nein, gerade das ist nicht kolportagehaft, sondern ein durchaus realistischer Rückgriff auf die hochbürgerliche Welt vor dem Ersten Weltkrieg. Reines Glück, dass daraus wirklich ein Eheglück enstanden ist, das Schussverletzung und Zuchthaus überstehen wird, wie man annehmen darf. Dem wird die Freundin Margot als moderner Typ gegenübergestellt, der sich ins Vergnügen stürzt und schon den Flappe bzw. die Flapperin  vorwegnimmt, der sich in den 1920ern zu einem Role Model entwickeln wird, das bis heute nachwirkt.

Finale

  • „Kenner von Fritz Lang werden verschiedene später bei ihm wiederkehrende Motive entdecken: die blendende Oberfläche und das Chaos darunter; die Schwierigkeiten mit der eigenen Identität; Echtes wird für falsch ausgegeben und umgekehrt; ein Bild löst eine Irritation aus. Es geht um Kostümierung, Verstellung, Betrug. Am besten: man schaut genau hin, damit man sich nicht vom Schein täuschen lässt.“ (Hans Helmut Prinzler)
  • „Fritz Langs früher Geniestreich ‚Kämpfende Herzen‘ ist einer jener Filme Langs, die als verschollen galten und erst Ende der 80er Jahre wiederentdeckt wurden. Als Detektivfilm und Melodram gilt er heute als Schlüsselfilm, der die Umrisse von Langs komplexen späten Filmen vorzeichnet.“ (Carsten-Stephan von Bothmer)[10]


Haben Sie auch genau hingeschaut? Zum Beispiel auf das Schild an der Straßenecke, das ein Kino auszuweisen scheint, eines der Decla-Bioscop, für die der Film gedreht wurde? In einer Szene zeigt das Schild etwas anderes, was ich nicht entziffern konnte, das ist deutlich zu sehen. War das auch Absicht, um den Täuschungs- und Unsicherheitseffekt zu verstärken? Das wäre schon fast in Richtung Surrealismus gegangen, vermutlich handelt es sich nur um einen typischen Filmfehler, wie er selbst in den allerteuersten Hollywoodfilmen immer wieder vorkommt. So etwas entdeckt man aber am besten, wenn man sich ein Werk konzentriert am Computerbildschirm anschaut, zumindest geht es mir so. Hinzu kommt allerdings, ich erwähnte es, dass ich den Film zwei Mal in geringem Abstand anschauen musste, um diesen Text schreiben zu können.

Von Perfektion in Ausdruck, Stil und Technik ist dieser Film noch um einiges entfernt, aber für mich schon um einiges reifer im Sinne von vielschichtiger als Langs Abenteuer-Opus „Die Spinnen“, wenngleich darin ebenfalls schon Elemente des Spionagefilms vorkommen, den Lang spätesntes mit „Spione“ (1928) mitgeprägt hat. Alle diese Filme kommen aber nicht heran an – „Dr. Mabuse?“ Das auch, aber vor allem nicht an „Der müde Tod“, der nach „Vier um die Frau“ und vor „Dr. Mabuse“ entstand. Er ist für mich Langs erstes echtes Meisterwerk unter seinen  erhaltenen Filmen.. Allerding ist „Vier um die Frau“ mehr wert, als die IMDb-Nutzer:innen ihm aktuell geben (5,9/10).

69/100

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Fritz Lang
Drehbuch Fritz Lang, Thea von Harbou
Produktion Erich Pommer, Decla-Bioskop A.G. Berlin
Kamera Otto Kanturek
Besetzung

 

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