Newsroom | Geopolitik | Rücktritt Johnson und kurzlebige Premierminister:innen
Die Grafik, die wir heute veröffentlichen, passt gut zu dem Land, dem sie gewidmet ist: Der Sportsgeist wurde bekanntlich in Großbritannien erfunden, es gibt dort die unglaublichsten Wettbewerbe und zugehörigen Wetten und natürlich kommt auch das Guinessbuch der Rekorde von dort. Einen Rekord wird Boris Johnson aber nicht mehr erreichen. Weder den als kurzlebigster Premier nach dem Krieg und schon gar nicht das Gegenteil:

erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Boris Johnson sieht sich mit der größten Krise seiner Amtszeit konfrontiert. Über 50 Minister und Abgeordnete aus seinem Kabinett haben inzwischen laut Medienberichten ihre Ämter zur Verfügung gestellt. Nun ist der Premierminister als Vorsitzender der Konservativen Partei zurückgetreten. Seinen Posten als Regierungschef will er aber noch nicht aufgeben – er plant so lange weiterzumachen, bis ein Nachfolger gewählt ist. Eine gute Platzierung unter den Nachkriegs-Premiers Großbritanniens mit der kürzesten Amtszeit scheint ihm so oder so sicher zu sein, wie die Statista-Grafik zeigt. Aktuell reicht es für Johnson aber nicht mal um seine Vorgängerin Theresa May übertreffen – dazu müsste er mehr als 60 weitere Tage durchhalten.
Gestern hatten wir Johnson den Aufmacher des 20. Briefings gewidmet und uns im Nachgang zu dieser Arbeit schon mit den britischen Premierminister:innen und ihrer Amtsdauer ein wenig auseinandergesetzt. Geht man in der Zeitschiene etwas weiter zurück, wird man erkennen, dass die Amtszeit von Boris Johnson ziemlich normal ist. Der allererste britische Premier, Sir Robert Walpole, war auch derjenige mit der längsten Verweildauer. Nicht weniger als 7.618 Tage stehen zu Buche, das sind fast 21 Jahre. Sind Helmut Kohl und Angela Merkel jetzt neidisch? Die kürzeste Amtszeit von 22 Tagen hatte Artuhr Wellesley, Duke of Wellington, zu verzeichnen. Nicht dieser Umstand hatte ihn allerdings berühmt gemacht, sondern, dass er einer der Helden von Waterloo und auch sonst eine herausragende Persönlichkeit seiner Zeit war.
Nach dem Zweiten Weltkrieg steht wer auf Platz 1? Margaret Thatcher natürlich, mit 4.228 Tagen, das sind fast 12 Jahre. Sie hat aus Großbritannien das neoliberalste Land der Welt gemacht und ist mitverantwortlich für einen Erdrutsch zugunsten des Finanzkapitalismus, zulasten der Arbeiterschaft und für ein Wettrennen vieler Staaten um die schnellste Zerstörung der Sozialstandards. Sie war für die Conservative Party am Werk, wie Boris Johnson, und war im Grunde die erste Brexiteer-Persönlichkeit in der britischen Politik, nur wenige Jahre nach dem Beitritt Großbritanniens zur EG: Entweder wir kriegen diesen oder jenen Sonderrabatt oder wir gehen. So kann man ihre EG- und EU-Politik kurz umschreiben.
Hätte Johnson auch so gehandelt, würde das UK heute vermutlich besser dastehen, andererseits sind die Möglichkeiten, sich auf Kosten anderer die Taschen vollzumachen, irgendwann ausgereizt, das haben sogar gewisse EU-Länder im Süden der Gemeinschaft erkennen müssen. Okay, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, der Euro wackelt bedenklich.
Oder man betreibt Steurvermeidungsterritorien. Wie Großbritannien mit den Kanalinseln und den British Cayman Islands. Wäre Großbritannien in der EU geblieben, hätten diese Tatbestände, ebenso wie die übrigen in der EU, irgendwann zur Sprache kommen müssen, denn diese Zustände zerstören auf Dauer die globale staatliche Ordnung. Dass das UK so häufig an Dingen beteiligt war und ist, die viele Nachteile zulasten von Menschen auf aller Welt mit sich bringen, und dazu muss man auch den Politikertyp Boris Johnson rechnen, ist sehr misslich. Es gibt ja auch Gutes. Der Humor der Briten ist nach wie vor durch nichts anderes zu übertreffen als durch mehr britischen Humor: Sie haben Boris Johnson gewählt.
TH