Vermögende: Mehr Steuern zahlen? (Umfrage + Kommentar) | Gesellschaft, Wirtschaft | Vermögensteuer, Einkommensteuer

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Liebe Leser:innen, 1996 wurde die bis dahin weitgehend unstreitige Vermögensteuer ausgesetzt, die Deutschlands Ökonomie nie geschadet hatte. Heut wird so getan, als ob die Wirtschaft sofort zusammenbrechen, das Kapital innerhalb weniger Wochen die Biege machen würde, wenn man sie gerechterweise wieder einführen würde. Und heute gibt es die passende Civey-Umfrage dazu:

Wie bewerten Sie die Forderung einiger SPD-Politikerinnen und -Politiker, Vermögende angesichts der Energiekrise stärker als bisher zu besteuern?

Hier der Begleittext dazu aus dem Civey-Newsletter:

SPD-Co-Chefin Saskia Esken will, dass Wohlhabende stärker besteuert werden. Im ZDF erklärte sie am Sonntag, dass der Staat aufgrund der aktuellen Energiekrise kostspielige Aufgaben bewältigen muss. Dazu gehört etwa auch, Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen stärker zu entlasten. Möglich wäre dies etwa durch Steuererhöhungen für hohe Einkommen oder eine Vermögenssteuer.

Parteikollegin und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas plädiert ebenfalls für eine finanzielle Umverteilung. Im Spiegel sprach sie sich konkret für eine Vermögenssteuer und einer Änderung der Erbschaftsteuer aus. Insofern appellierte sie an den Koalitionspartner FDP, sich für Steuererhöhungen zu öffnen. Ähnlich wie Esken hinterfragt auch sie das Festhalten an der Schuldenbremse der Freien Demokraten in der aktuellen Krise.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) lehnte Steuererhöhungen zur Finanzierung der kriegsbedingten Mehrausgaben zuletzt ab. Die FDP setzte sich zuvor erfolgreich dafür ein, dass im Koalitionsvertrag auf eine Vermögenssteuer verzichtet wurde. FDP-Fraktionschef Christian Dürr hält weitere Entlastungen laut dpa für nötig, die Schuldenbremse dürfe aber aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht angetastet werden.

Gegenwärtig zeichnet sich eine Mehrheit von knapp 60 Prozent für die höhere Besteuerung der Reichen und Superreichen ab. Das war zu erwarten und Sie haben hoffentlich von uns erwartete, dass wir uns zu dieser Mehrheit gestellt oder gesellt haben. Selbstverständlich! Und bitte tun Sie das auch. Lassen Sie sich kein X für ein U von neoliberalen Geschichtenerzählern vormachen. Die Vermögensteuer wurde 1996 wegen einer Unstimmigkeit bei der Immobilienbewertung ausgesetzt, nicht, weil sie nicht grundgesetzkonform war. Im Gegenteil, es ging darum, dass Immobilienbesitzer:innen bei der Bewertung von Vermögenstatbeständen zu günstig gestellt wurden. Dabei ging es aber immer nur um große Vermögen, nicht um das eigene Häusle oder die selbstgenutzte Wohnung, die ohnehin der Grundsteuerpflicht unterliegen. 

Für uns absolut unverständlich daher, dass immerhin 21 Prozent strikt gegen eine Vermögensteuer sind. Immer noch, muss man sagen. Es ist fast wie mit den Querdenkern. Man argumentieren wie man will, die verrückte Idee, die Wirtschaft könnte leiden oder man wäre selbst betroffen, hält sich in zu vielen Teilen der Bevölkerung. Betroffen wären von einer Vermögensteuer oder von höheren Spitzensteuersätzen bei der Einkommensteuer allerhöchstens fünf Prozent der Bevölkerung, im Wesentlichen die Klientel der FDP. Niemand hat bisher versucht,  Vermögen zu besteuern, das nicht mindestens Millionenhöhe aufweist, und ein Millionenvermögen besitzen in Deutschland gerade einmal 1,365 Millionen Menschen, also 1,5 Prozent der Bevölkerung. Das Medianvermögen liegt hingegen bei lächerlichen 65.000 Dollar (aktuelle Zahlen der OECD). Selbst die „Einfachmillionäre“ müssten nicht sehr viel zahlen, wenn man die Steuer einigermaßen sinnvoll und den heutigen Verhältnissen angepasst gestalten würde, aber man könnte endlich wieder an die Milliardenvermögen heran, die seit der Bankenkrise noch schneller wachsen als zuvor. Das nun schon fast 15 Jahre andauernde Schein-Krisenmanagement hat dieses Wachstum am oberen Ende der Vermögensskala stark gefördert; unter anderem durch die allzu lockere Geldpolitik. Davon zugunsten von Gemeinschaftsaufgaben etwas abzuschöpfen, ist nicht mehr als recht und billig. Diese lockere Geldpolitik wird übrigens von der FDP kritisiert, weil die FDP tut, als ob immer noch volkswirtschaftlich-neoliberale Lehrbuchtatbestände herrschen würden. Das ist aber weltweit nicht der Fall. Die Neoliberalen haben jedoch in ihrer Zeit in der Bundesregierung (2009 bis 2013) nichts gegen diese Politik getan. Warum nicht? Es ist ihre Klientel, die davon profitiert, vor allem auf dem Immobiliensektor. Zu allem kommt also noch ein erhebliches Maß an Scheinheiligkeit von dieser Seite.

Das Problem, dass die Milliardär:innen aus Deutschland abhauen, wie von dieser Seite geunkt wird, besteht auch ohne Vermögensteuer, wie man an vielen Promis sieht. An Menschen, die sich überhaupt nicht dafür schämen, hier ihre Fans zu haben und ihre Umsätze zu erzielen, ihren „Marktwert“ zu generieren, aber in Monaco und anderen Parasitenterritorien zu residieren.

Die Steuerumgehungstatbestände legaler und illegaler Art sind so zahlreich, dass die wirklich Reichen mit am wenigsten zahlen. Nach den Transferleistungsempfängern, prozentual vom Einkommen. Was soll also groß passieren, solange die Produktionsmittel hierbleiben? Freilich müsste auf internationaler Ebene endlich das Problem der Steuervermeidungsterritorien (Steueroasen) angegangen werden, und da sind viele EU-Staaten gefragt, die solche Territorien besitzen oder das Aufsaugen von Fluchtkapital sogar zum Gesamt-Geschäftsmodell erkoren haben. Die Staaten müssen endlich anerkennen und es als schädlich definieren, dass sie sich selbst handlungsunfähig machen, wenn sie gegen die Kapitalflucht nichts unternehmen. Aber da viele Politiker:innen vom Kapital persönlich gesponsert werden, ist es nicht so einfach, Politiker:innen zu einem gemeinschaftsdienlichen Verhalten zu bewegen, das dem Wählerauftrag der Mehrheit (die FDP wieder ausgenommen, die im Grunde nur das vertritt, was ihre vermeintliche Wählerschaft will) entspricht.

Denn eine Mehrheit für mehr Steuergerechtigkeit gibt es, auch wenn sie mit ca. 60 Prozent zu knapp ausfällt. Besonders diejenigen, die gar nichts von der Steuerfreiheit der Superreichen haben, sie aber trotzdem fortsetzen möchten, tun uns auch irgendwie leid und gleichzeitig müssen wir ihnen helfen, aus der neoliberalen Gedankenwelt herauszukommen. Sie sind es nicht, die aktiv Sand ins Getriebe eines funktionierenden Gemeinwesens streuen, aber sie tragen mit ihrer affirmativ-passiven Haltung dazu bei, dass die wirklichen Profiteure es können.  

Die vermögensbezogenen Steueranteile insgesamt liegen in Deutschland klar unterhalb des OECD-Durchschnitts, und in der OECD sind nur kapitalistische Länder vertreten. Jedoch, nirgends lassen sich die Menschen so naiv von den Neoliberalen mit Scheinargumenten abspeisen wie hierzulande, daher hat die Politik gar keine Veranlassung, endlich wieder mehr Gerechtigkeit herzustellen. Es wäre ganz einfach: Das Vermögensteuergesetz ist nie außer Kraft getreten, es wurde wegen der oben erwähnten Privilegierung der Großimmobilienbesitzenden lediglich nicht mehr angewendet. Man korrigiere also diesen Fehler, schaffe ein verfassungsgemäßes Normengerüst und man wird wieder viel flexibler sein, wenn man in Krisenzeiten (und nicht nur dann) die wirklich Reichen etwas mehr zu Gemeinschaftsaufgaben heranziehen will. 

Hingegen Krisen provozieren, wie die aktuelle Energiepreiskrise (eine Versorgungskrise ist es bisher nicht) und die im System gefangene Mehrheit bezahlen lassen, das kann nicht länger das Vorgehen der deutschen Politik sein, wenn sie die Demokratie nicht noch mehr ramponieren will.

TH

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