UPDATE 2: EZB führt erste Leitzinserhöhung seit 2011 durch +++ Anhebung auf 0,5 Prozent stärker als erwartet +++ Anleihekaufprogramm wird beendet (Statistik, Kommentar, Erklärquelle) | Frontpage | Wirtschaft | EZB, Leitzins

Frontpage | Wirtschaft | Geldpolitik, EZB, Leitzins, Anleihekäufe

Alle Update-Ergänzungen vom 11.06.2022 in Blau. Alle Update-Ergänzungen vom 21.07. in Grün oder unterstrichen.

Für alle volkswirtschaftlich Interessierten die Nachricht des Tages: Im Juli wird die EZB erstmals seit 2016 ihren Leitzins anheben und damit die nunmehr ewige sechs Jahre anhaltende Nullzinspolitik beenden. 0,25 Prozent sollen es ab Juli sein, der kleinste denkbare Schritt. Auf der Grafik ist er noch nicht zu sehen. Im September soll ein weiterer Schritt auf 0,5 Prozent folgen.

Der heutige Schritt von 0 auf 0,5 Prozent war erst für September erwartet worden, doch der Druck duch die Inflation und auf den Außenwert des Euro hat wohl für etwas wie einen Paradigmenwechsel gesorgt: Erst die Inflation und den Verfall des Euro stoppen und dann erst die Folgen für die Wirtschaft abfedern.

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann unser Kommentar:

Um dem hohen Druck steigender Inflationsraten in den Euro-Ländern entgegenzuwirken, plant die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins ab Juli um 0,25 Prozentpunkte anzuheben. Es wäre die erste Zinserhöhung seit dem Jahr 2011, ab dem Jahr 2016 hatte die EZB eine Nullzinspolitik verfolgt. Auch die Zentralbanken der USA und Großbritannien haben den Zinssatz bereits erhöht, wie die Statista-Grafik zeigt.

Erst im Frühjahr 2020 hatten sowohl die Federal Reserve (Fed) der USA als auch die Bank of England (BoE) den Leitzins zur Abfederung der wirtschaftlichen Corona-Folgen drastisch gesenkt. Der russische Angriff auf die Ukraine bewegt die zentralen Finanzorgane der Länder nun wieder zu einer restriktiven Geldpolitik. Knappere Geldmengen und verteuerte Kredite sollen die Währung wieder aufwerten und dadurch die Inflation dämpfen. Für den Konsumenten bedeutet das wieder sinkende Lebenshaltungskosten, das Wirtschaftswachstum wird jedoch indirekt ausgebremst.

Angesichts der auch von Statista beschworenen möglichen Dämpfung der Wirtschaftstätigkeit bei einem Zinssatz von 0,25 Prozent können wir nur sagen: Ruhe bewahren. Die Grafik hat nämlich in diesem Fall einen entscheidenden Nachteil. Sie greift zeitlich viel zu kurz. Deshalb haben wir für Sie das Langfristpendant aus der Wikipedia gefischt und bilden es hier ab, um erklären zu können, was wir von den neuesten Bewegungen in der Geldpolitik halten:

Diese Wikipedia-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder.

Konkret bedeutet die Entscheidung, dass die drei wesentlichen Zinssätze in der Eurozone steigen werden. Also auch der Leitzinssatz, zu dem sich Geschäftsbanken bei der EZB Geld leihen – er liegt aktuell bei 0,0 Prozent. Gleiches gilt für den Einlagezins, zu dem die Banken ihr Geld bei der EZB parken und der aktuell bei minus 0,5 Prozent liegt. Schließlich legt auch der Spitzenrefinanzierungszinssatz zu, zu dem sich Geschäftsbanken über Nacht bei der EZB Geld leihen (aktueller Wert: 0,25 Prozent). Die EZB-Chefin hat auch angekündigt, dass die EZB zum Monatsende die milliardenschweren Anleihekäufe beenden wird, mit denen sie seit Jahren die Zinsen drückt und so Ländern, Unternehmen und Bürgern die Aufnahme neuer Schulden erleichtert. (Q)

Zur aktuellen Situation siehe jetzt Q1-220721, auch die Dringlichkeit einer Zinserhöhung betreffend. Dort ist eine Grafik eingebettet, die das wirklich Ausmaß des Problems gerde für ärmere Haushalte zeigt: Die für sie wichtigen Lebensmittelpreise stiegen schon während der ersten Corona-Phase und steigen auch jetzt wieder deutlich stärker als die Gesamt-Inflation.

Was zeigt das Histogramm? Die Zinssätze der Zentralbanken von 1954 bis 2014, als die absolute Niedrigzinspolitik der EZB schon drei Jahre lang lief(seitdem repräsentiert sie den niedrigsten Zinssatz aller wichtigen Zentralbanken). Sie sehen auch, mit welch einer Wucht die Zentralbanken früher versucht haben, die Inflation zu bekämpfen, wenn sie in dem Maße auftrat wie derzeit. Davon ist seit der Bankenkrise 2008 nichts mehr zu sehen und die EZB, die einen ziemlichen Haufen wackeliger Volkswirtschaften stützen muss, die im Euro versammelt sind, ist noch einen Tick freizügiger als die Bank of England und die amerikanische Federal Reserve. Die Instrumente der Geldpolitik zur Inflationsbekämpfung wurden drangegeben, um den Staaten durch die Schuldenkrise zu helfen. Wir haben kürzlich die Zusammenhänge auch hier dargestellt, als es um den Preis des Ukraine-Krieges ging. Alles super gelaufen für diejenigen, die Schulden abbauen mussten und miserabel für nicht spekulierende Kleinvermögensbesitzer:innen.

Ein weiterer Schritt in eine etwas restriktivere Richtung und hin zur Normalität, die auch bedeutet, dass Staaten und Unternehmen nur marktfähige Kredite aufnehmen sollten, ist die Beendigung des Anleihekaufprogramms der EZB, das zu Hochzeiten monatlich bis zu 80 Milliarden Euro in die Märkte gespült hat. Die EZB hatte also Papiere aufgekauft, die an den Märkten nicht oder nur zu sehr hohen Zinssätzen zu platzieren gewesen wären, da sie als sehr riskant gegolten hätten. (Q) Die zitierte Quelle ist ein sehr guter und verständlicher Erklärartikel zur Sache, der weitere Aspekte beinhaltet, die wir z. T. gestern bereits benannt haben.

Ein Problem ist, dass die heutige Inflation einen anderen Grund hat als während der 1970er. Damals trafen starkes Wirtschaftswachstum und dann der erste Ölpreisschock aufeinander und man konnte die Konjunktur dämpfen, ohne dass Volkswirtschaften wesentlich litten. Gleichwohl stiegen dadurch die damals noch auf einer eher realistischen Basis berechneten Arbeitslosenzahlen. Zumindest war das in Deutschland so, die USA schnitten in jenen Jahren schlechter ab. Kein Wunder, bei Leitzinsen von bis zu knapp unter 20 Prozent. Aber jetzt wird schon das eine Prozent als viel erachtet, welches von der Fed derzeit ausgewiesen wird, denn es gibt ja mit der EZB noch eine Zentralbank, die bis jetzt bei Null verblieben ist. Dadurch schwächelt derzeit der Euro etwas (etwas stärker seit Juli 2022). Der Export verbilligt sich in Maßen, aber die Importpreise steigen. Dies ist nicht einer florierenden Weltwirtschaft zu verdanken, in der die Nachfrage immer neue Höhen erreicht, sondern dem genauen Gegenteil: Blühen tut vor allem die Spekulation, nicht die Realwirtschaft, und mit Rohstoffen wird derzeit ein Riesengewinn erzielt, weil sie in den Zustand der Krisen- und Kriegsspekulation eingetreten sind.

Dazu kommt das Zocken mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln durch den Krieg in der Ukraine. Geldpolitisch ist die Maßnahme der EZB ohnehin nicht viel mehr als Homöopathie, was sich schon an einem einfachen Rechenbeispiel zeigt:

Selbst wenn die Notenbanker den Leitzins bis Mitte nächsten Jahres von aktuell null auf dann zwei Prozent und den Einlagensatz von aktuell minus 0,5 auf dann 1,5 Prozent anheben sollten (was längst nicht ausgemacht ist), lägen die Realzinsen im nächsten Jahr weiterhin im negativen Bereich. (Q a. a. O.)

Das Ganze ist aus dem Gleichgewicht und mit 0,25 Prozent Zinsen wird die EZB es ganz sicher nicht einfangen. Das ist Symbolpolitik u. a. für diejenigen, die der EZB vorwerfen, dass sie z. B. zugunsten Frankreichs und der dortigen Wahlen schlicht gar nichts tut (bzw. getan hat, Macron hat zwar die Präsidentschaftswahlen gewonnen, die Nationalratswahlen kurz darauf jedoch verloren). Dort ist die Inflation aber auch um mehr als 2 Prozent niedriger als in Deutschland, weil die Energiepreise nicht so steigen. Der Atomstrom mag sein, was er will, aber das Land bestimmt eben über die Energiepreise weitgehend selbst, in Deutschland ist das nicht der Fall. Doch es bleibt dabei: 0,25 Prozent sind Augenwischerei. Vielleicht wirkt das Symbol ein wenig, Marktpreise beinhalten ja auch viel Psychologie, aber eine Beruhigung an der Inflationsfront sollte man sich dadurch nicht erhoffen.

Zum Teil kann man der EZB ihrer viel zu niedrigen Prognosen für die Inflation vorwerfen, die auch politisch zu lesen waren und das in Q genannte Glaubwürdigkeitsproblem besteht. Für den noch einmal die Preise treibenden Krieg in der Ukraine kann die Europäische Zentralbank natürlich nichts, hätte aber sofort handeln müssen, als sich im März und April die zusätzliche Inflation bemerkbar machte.

Was die Märkte vom schuldengetriebenen Wachstum der US-Wirtschaft in den Trump-Jahren hielten, haben sie übrigens auch dokumentiert: Trotz der höheren Zinsen in den USA wurde der Dollar gegenüber dem Euro nur unwesentlich stärker – erst jetzt, bei einem Stand von 1,05 Dollar / 1 Euro (Juli: Parität) tut sich etwas und das dürfte auch der wesentliche Antrieb der EZB sein: Nicht die hiesigen Verbraucher vor Inflation zu schützen, sondern den zuletzt deutlichen Schwächekurs des Euro etwas zu bremsen, die hiesige Währung vor weiterem Wertverfall zu schützen. Ein Argument, das die Verfechter der Niedrigzinspolitik regelmäßig außer Acht lassen, dass eine Währung dadurch immer weicher wird und die Importpreise steigen. Dem Export hilft es zwar, aber die Freunde der Niedrigzinspolitik sind ja meist auch Feinde der Exportlastigkeit der deutschen Volkswirtschaft.

Dass dieser Effekt in den letzten Jahren nicht so deutlich zu Buche geschlagen ist, wie das in früheren Zeiten der Fall gewesen wäre, liegt daran, dass alle großen Volkswirtschaften ähnliche Probleme haben, nur ist das Ausmaß nicht exakt gleich. Einen kleinen Bonus zungunsten der USA sahen die Märkte durchaus, auch wenn die dortigen Staatsschulden viel zu hoch sind. Man traut der Wirtschaft zu, diese Verschuldung stemmen zu können. Irgendwann einmal jedenfalls. In Europa ist hingegen gar zu offensichtlich, dass die EZB sich auch deswegen nicht gerührt hat, weil jede Bewegung Chaos in angeschlagenen Volkswirtschaften hätte auslösen können. Zumindest sehen die Währungshüter:innen das so.

Dazu noch einmal das Beispiel der unterschiedlichen Inflation in der Eurozone, die zu viele wirtschaftlich sehr unterschiedliche Länder beinhaltet: In Deutschland ist der Zwang zum Handeln durch Geldpolitik aktuell größer als etwa in Frankreich, in dem die Inflation zwei Prozent niedriger liegt, weil der Energiemix sich vom hiesigen stark unterscheidet. Hinsichtlich ihrer ökonomischen Stärke liegen Deutschland und Frankreich wiederum näher beieinander als viele andere Euroländer wie Griechenland bei diesen beiden Ländern, wiederum ist die Ausrichtung in Deutschland speziell, ein schwacher Euro hilft der noch vergleichsweise stark industriell geprägten deutschen Wirtschaft beim Export. Deswegen dürften auch die USA ein Auge darauf gehabt haben, dass nicht nur deren Zentralbank, die Fed, sondern auch die EZB endlich wieder zu positiven Realzinsen zurückkehrt, damit der billige Euro nicht zu einem allzu starken Wettbewerbsnachteil für die USA wird.

Zuletzt stand der Euro 2017 so tief wie jetzt, seinen Höchststand von etwa 1,45 zu 1 erreichte er am Beginn der Bankenkrise (2008), als es aussah, als seien die USA weitaus stärker betroffen. Das relativierte sich in der Folgezeit, weil man sah, dass viele europäische Banken ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurden und weil in den Vereinigten Staaten von Amerika regierungsseitig weitaus stärker und durchaus erfolgreicher in die Wirtschaft eingegriffen wurde als in Europa, um sie wieder auf Kurs zu bringen.

Grundsätzlich gilt alles weiterhin, was wir bisher geschrieben haben, doch die Signalwirkung einer Zinsanhebung, die doppelt so stark ausfällt wie zum jetzigen Zeitpunkt erwartet, könnte entsprechend größer ausfallen, den Euro vielleicht stabilieren und einige Merkmale des Geldkreislaufes ein wenig mehr normalisieren. Historisch ist dieser Zinssatz immer noch äußerst niedrig.

Was wir uns nun allerdings fragen: Hat die EZB schon einkalkuliert, dass sie in die Anleihekäufe doch wieder einsteigen wird, falls Unternehmen und Staaten durch die nur wenig höheren Zinsen schon ins Trudeln kommen sollten? Das würde den Außenwert des Euro ganz sicher erneut schädigen, denn „Whatever it takes“ ist irgendwann einmal abgenutzt, wenn man es als dauerhaftes Instrument der Staatsfinanzierung durch die Notenbank einsetzt und sich dadurch immer weiter von den volkswirtschaftlichen Realitäten entfernt. Solange Währungen auf der Welt frei konvertierbar sind, werden die Märkte auf solche Tricks reagieren. Erstaunlich ist es ohnehin, dass das extrem expansive System Draghi-Lagarde zehn Jahre lang funktioniert hat. Es mussten erst Sondereinflüsse wie die Corona-Pandemie und der Ukrainekrieg hinzutreten, damit sich seine Grenzen deutlich zeigen, denn die bisherigen Verwerfungen, wie die Begünstigung der Spekulation zulasten der Mehrheit der Bevölkerung, hat diese Mehrheit brav ausgehalten. Probleme, die nicht innerhalb der Eurozone verwaltet werden können (von Lösung kann sowieso keine Rede sein), wie etwa der Anstieg von Rohstoffpreisen, die in Dollar, nicht in Euro berechnet werden, stellen diese Art von Voodoo-Wirtschaft erstmals ernsthaft auf die Probe.

TH

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s