So würde sich ein Gaslieferstopp auf Europa auswirken (Statista) +++ Leitkommentar: Demokratie, Solidarität und Optimismus gehen Hand in Hand | Wirtschaft, Demokratie in Gefahr | Ukrainekrieg, Gas aus Russland

Frontpage | Wirtschaft, Gesellschaft, Demokratie in Gefahr | Die richtigen Zeichen für eine gelungene Zukunftspolitik müssen jetzt gesetzt werden

Liebe Leser:innen,

so viel Info &  Meinung wie heute gab es mit einem Update und zwei neuen Artikeln lange nicht mehr von uns. Zumal, wenn man den Corona-Report mitrechnet. Damit sind es vier Publikationen, die sich mit Zahlen und Grafiken und ihrer Interpretation befassen. Bei uns ist es anders als leider derzeit mit den Gasleitungen: Die Pipeline mit wichtigen Informationen platzt aus allen Nähten. Eher Spezielles haben wir längst zurückgestellt, Kultur wird i. W. in Form von Platzhaltern berücksichtigt, in die später Beiträge eingesetzt werden sollen.

Wir machen auch das Gasthema nun zum Gegenstand des ersten längeren Kommentars seit mehreren Tagen.

Heute hat Statista eine Grafik veröffentlicht, die auf Prognosen des IWF beruht und zeigt, wie einige EU-Volkswirtschaften zwölf Monate nach einem kompletten Gasstopp Russlands aussehen würden. Dabei wurde ein Günstigst-Szenario einem möglichst negativen gegenübergestellt:

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unsere

Obwohl die Gaspipeline Nord Stream 1 nach Wartungsarbeiten ihre Lieferungen wieder aufgenommen hat, liegt die Auslastung weiterhin bei nur 40 Prozent und eine weitere Reduktion in naher Zukunft ist nach entsprechenden Kommentaren des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht auszuschließen. Im Zuge dessen hat die EU Notfallpläne zur Senkung der Gasnachfrage vorgestellt, da nicht nur für Deutschland, sondern für den gesamten Kontinent, der in weiten Teilen von russischem Erdgas abhängig ist, Kürzungen oder sogar ein völliger Stopp der Gaslieferungen aus Russland erwartet werden.

Als Ziel wurde laut Berichterstattung von Reuters eine Reduzierung des Gasverbrauchs um insgesamt zehn bis 15 Prozent angegeben. Dadurch könnten die Gasspeicher vor einem möglichen Ende der russischen Lieferungen bis zum nötigen Stand aufgefüllt werden. Wie unsere Grafik zeigt, hätte ein vollständiges Ausbleiben von russischem Gas katastrophale Auswirkungen auf die europäischen Volkswirtschaften.

Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) könnten zahlreiche Länder zwölf Monate nach einem völligen Lieferstopp mehrere Prozentpunkte ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) einbüßen. Mitteleuropäische Länder wie Ungarn, Tschechien und die Slowakei, sowie Italien wären davon am stärksten betroffen. In einem Worst-Case-Szenario ohne zügige LNG-Integration, in dem nicht nur die Industrie, sondern auch die Privathaushalte vor Gasknappheit geschützt werden, könnten in diesen Ländern zwischen fünf und sechs Prozentpunkte des BIP verloren gehen. Deutschland und Polen würden in diesem Szenario mit Verlusten zwischen zwei und drei Prozentpunkten etwas besser abschneiden.

Da Erdgas in Europa in zu großen Teilen für die Wärme- und Warmwasserversorgung von Privathaushalten verwendet wird, wird derzeit diskutiert, wer im Falle einer dringenden Gasknappheit im kommenden Winter Vorrang haben sollte. Selbst europäische Länder, die kein russisches Gas verwenden, könnten durch Spillover-Effekte bis zu 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts einbüßen, wenn eines der IWF-Worst-Case-Szenarien den Kontinent trifft. Dazu gehören das Vereinigte Königreich, Irland, Portugal, Belgien und Kroatien. Da immer mehr Länder einen schnellen Umstieg auf LNG planen, könnten Probleme bei der Integration des EU-Marktes auch für nicht abhängige Länder Verluste in Höhe von bis zu 2,2 Prozent bedeuten.

Für uns sind die oben genannten Zahlen geeignet, nachdenklich zu stimmen, aber es kommt auch darauf an, wie sehr man selbst von den Problemen betroffen ist. Ungarn zum Beispiel schert bereits aus der Reihe der Sanktionierer aus. Man sieht auf der linken Seite der Grafik auch, warum. Und bei uns? Werden Privathaushalte zwangsweise in die Kälte geschickt? Das ist ja nicht ganz unwichtig und Medien, die diese Aussicht jetzt relativieren wollen, weil doch die Demokratieverteidigung wichtiger ist als ein wenig zu frieren, die muss man natürlich daraufhin überprüfen, wer sich da äußert und ob er oder sie glaubt, selbst Probleme bekommen zu können, und was eine Demokratieverteidigung ist. Da überlagert sich sehr vieles und mit Letzterem wollen wir uns neben wirtschaftlichen Aspekten ein wenig befassen.

Zum Beispiel: Bis zur Bankenkrise hätten wir einen Rückgang des BIP von 2,8 als schockierend empfunden. Weil es derlei nach dem letzten Krieg niemals gegeben hatte. Selbst kurzfristige Stagnationsphasen, wie zu Beginn der 1980er, waren ein heißes politisches Thema, das Regierungen zum Sturz brachte. Wie in Deutschland die damalige sozialliberale Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt. Seit der Bankenkrise und seit Corona sind wir diesbezüglich gelassener geworden und empfehlen das auch dringend unseren Leser:innen. Die Arbeitslosigkeit ist während der Bankenkrise z. B. kaum gestiegen. Sicher, wir wenden uns gegen falsche Berechnungsmethoden, gegen eine deutliche Untererfassung von Unterbeschäftigung, aber 2,8 Prozent vom BIP als Minus sind in einem guten einzelnen Jahr wieder aufzuholen. Ob andere europäische Länder inzwischen besser gefahren sind, zum Beispiel, wenn sie sich nicht so von russischem Gas abhängig gemacht haben, das kann man später analysieren und endlich Konsequenzen in Sachen Energiewende ziehen. 

Aber dass Teilnehmende am Meinungsstreit derzeit so besorgt um die deutsche Wirtschaft sind, ist sehr durchsichtig. Die Wirtschaft selbst natürlich, die tut, als ob jede kleine Störung, ebenso wie jede Verbesserung der Situation der Arbeitenden, umgehend zum Zusammenbruch führen würde. Das kennen wir schon, seit wir lesen können. Da lief noch alles rund, gab es keine Wiedvereinigungslasten, keine Bankenkrise, keine Lockdowns, da wurde bei jeder Lohnerhöhung ein Riesengeschrei veranstaltet. Schröder der Grässliche hat das ausgenutzt, um die Bevölkerung einem Verarmungsschub auszusetzen. Zuletzt hat jedoch auch die Einführung des Mindestlohns den Gang der Dinge nicht sehr gestört, und dieser hätte nach Aussagen aus den Lobbyverbänden mindestens so negative Auswirkungen haben müssen wie jetzt die Gaskrise. 

Was uns in der gegenwärtigen Lage deshalb am meisten stört: Dass die Ärmeren weitgehend für die Krise zahlen sollen. Es geht nämlich nicht darum, die Wirtschaft  zu retten, sondern, dass einige meinen, sie müsse überhaupt keine Gewinnabschläge gegenüber den teilweise gigantischen Profiten der letzten Jahre hinnehmen. Man hat sich sehr gewöhnt daran, sich mit den Krisen, die nur die Mehrheit, nicht aber die Kapital besitzende Minderheit betreffen, zusätzlich die Taschen zu füllen. Von dieser Seite wird auf allerhöchstem Niveau gejammert. Auf einem Niveau, das die meisten von uns sich gar nicht vorstellen können. Und die FDP, diese in erster Linie, will uns dieses Jammern wieder einmal als reale Gefahr für die deutsche Wirtschaft verkaufen. Wenn sie das ernst nehmen würde, hätte sie in den Jahren zwischen den Krisen Lehren aus dem Fail des Finanzkapitalismus im Jahr 2008 ziehen und die Bundesregierung für ihre mangelhafte Wirtschaftspolitik in Sachen Sicherung der produzierenden Industrie in hiesiger Hand kritisieren müssen. Stattdessen folgte sie weiter einer Ideologie, die nur Kapital anhäuft bei Wenigen, anstatt sichere und gute Arbeit für viele zu organisieren.

Noch krasser aber ist, dass nun auch Linke anfangen, die deutsche Wirtschaft als Schutzobjekt zu betrachten, das vom Aussterben bedroht ist. Menschen, die eine antikapitalistische Einstellung verteidigen müssten. Das Übel trägt sogar einen Namen, dessen Initialen „SW“ lauten. Nur, weil man Russland den ungehinderten Durchmarsch in der Ukraine gewähren möchte, wird die hiesige Wirtschaft jetzt ebenso krankgeredet, wie das die FDP und Teile der CDU traditionell tun, um ihr weitere Vorteile gegenüber uns Bürger:innen zu verschaffen. Dass die Wirtschaft des Westens nicht so rigide zu steuern ist wie die chinesische, dürfte wohl klar sein, es wird immer wieder zu Reibungsverlusten kommen. Aber China ist eine Ausnahme, hat den Krisentest noch nicht bestanden und gegen China kann der Westen nur durch strategische Wirtschaftspolitik bestehen. Wir kommen darauf weiter unten noch einmal zurück.

Alle anderen Diktaturen kriegen es nicht hin, besser zu wirtschaften als westliche Demokratien. Warum bloß? Vielleicht, weil die dortigen, noch ungleicheren Systeme die Kreativität komplett ausbremsen, die ein gewisses Maß an Freiheit braucht, um wirken zu können. Das chinesische Modell, das bisher weitgehend auf Nachahmung, der Erpressung von Technologietransfers und dem schlichten Klau westlicher Grundlagenforschung und ihrer Anwendung in der eigenen Wirtschaft basiert, steht dieser Erkenntnis keineswegs entgegen. Auch die Japaner waren gut im Kopieren und es irgendwann etwas perfekter und vor allem günstiger machen, sind aber an ihre Grenzen gestoßen. Aufgrund der erwähnten Größe ist die chinesische Volkswirtschaft trotzdem gefährlich, auch für unsere Demokratien. Darauf müssen wir uns auch konzentrieren und den Krieg in der Ukraine als Durchgangsstation in eine neue Weltordnung begreifen, die wehrhafte und im Inneren stabile Demokratien erfordert. Es steht im Grundgesetz, dass die Demokratie sich gegen ihre Vernichtung wehren darf, egal, von wem sie betrieben wird. Nicht mehr und nicht weniger muss drin sein und daran müssen wir uns beteiligen.

Es gibt hingegen mit Russland derzeit nichts zu verhandeln, denn es kommt von den Machthabern dort immer wieder zu Einlassungen, die belegen, dass man von Beginn an vorhatte, die Ukraine komplett zu erobern. Es kann noch eine Zeit dauern, bis das passiert ist oder sich erweist, dass es nicht möglich ist. Das Narrativ, die Waffenlieferungen des Westens oder / und die Sanktionen hätten diese Kriegsziele beeinflusst, ist lächerlich, schon aus Gründen der Chronologie. Siehe gescheiterter Marsch auf Kiew. Damals hatte die Ukraine noch keine westlichen Waffen des Krieges wegen erhalten. Leider mangelt es denjenigen, die der russischen Propaganda glauben und in Deutschland sogar promoten, an logischem Denkvermögen. Natürlich sind auch welche dabei, die das sehr wohl durchschauen, aber einfach ideologisch so vertrahlt sind, dass sie sogar den Einsatz russischer Atomwaffen in Form eines Erstschlags rechtfertigen würden. SW arbeitet ja schon an diesem Narrativ. Wer das nicht gruselig findet, den fragen wir, was eigentlich eine gruselige Mentalität noch sein soll.

Es kann hierzulande momentan nur darum gehen, nicht die Segel zu streichen und beherzt einen Ausgleich für den ärmeren Teil der Bevölkerung zu schaffen. Nicht etwa darum, Kriegsfolgen komplett zu vermeiden. Eine grundsätzlich gesunde Wirtschaft wird sich wieder erholen, vor allem, wenn sie nicht auf Billigproduktion und aufgeblähten Spekulationsblasen, sondern auf Innovation und Nachhaltigkeit basiert, wenn sie zudem gezielte, sinnvolle Krisenhilfen dort erhält, wo sie zukunftsorientiert arbeitet, sollte das tatsächlich notwendig werden. Diesbezüglich gibt es in der EU große Versäumnisse und die Billiggeldpolitik der EZB hat es leider gefördert, diese Versäumnisse nicht aufzuholen, sondern stockkonservative, Kapital aufsaugende Branchen bevorzugt, die nicht innovieren und nichts weiter schaffen als weiteres exklusives Kapital, möglichst in sog. Steueroasen, und Plattformen, die eine Marginalisierung des örtlichen Mittelstands beschleunigen.

Vielleicht kommt die Aufarbeitung durch den Krieg und durch den gleichzeitigen Zwang, die Inflation zu bremsen. Vielleicht zwingt die Lage die Politik, seriöser zu werden. Es muss wieder mehr über sinnvolle Transformation und den Wert der Dinge und das Maß der Dinge geredet werden, besonders das Maß der Ressourcen, die nun einmal begrenzt sind. Wir müssen eine Diskussion darüber führen, wie die Wirtschaft und damit unser Leben der Zukunft aussehen soll. Worauf legen wir noch zu wenig Wert, worauf könnten wir verzichten und werden vielleicht sogar merken, dass Verzicht eine Befreiung sein kann? Um es gleich zu schreiben: Heizen im Winter ist es nicht, was uns dabei als erstes einfällt. Das ist wirklich nicht zielführend, weder die Sicherung der Demokratie, noch eine Transformation der Wirtschaft hin zu den Erneuerbaren betreffend.

Die Politik muss vielmehr darauf angelegt sein, die Mehrheit mitzunehmen und ihr eine positive Zukunftsperspektive zu eröffnen, gerade dann, wenn auch Verzicht erforderlich ist. Gas aus Russland zählt ebenfalls nicht zu dieser Perspektive, das ist wohl allen klar geworden. Auch uns, obwohl wir Nord Stream 2 noch akzeptiert haben. Auch wir lagen falsch mit der Idee, dass man Russland mit Zeichen der guten wirtschaftlichen Zusammenarbeit befrieden könnte. Dazu war es viel zu spät, als dieses Projekt auf den Weg gebracht wurde. Der Scheideweg war spätestens im Jahr 2014 erreicht, als russische Truppen die Krim besetzten. Was der Westen zuvor alles falsch gemacht hatte, auch aus Mangel an strategisch klugem Denken der Europäer, können wir jetzt nicht mehr beheben und es rechtfertigt nicht die Zerstörung der Ukraine.

Ob wir nun noch mehr sparen (der Gasverbrauch in Deutschland konnte ohnehin schon um erstaunliche 15 Prozent gesenkt werden), ob die Atomkraftwerke länger laufen müssen, wie weit wir willig sind, uns persönlich noch mehr einzuschränken, ob das LNG-Gas wirklich eine gute Idee ist oder nur eine sündhaft teure und umweltschädliche Brückentechnologie, das muss intensiv diskutiert werden.

Aber die hiesige Regierung hat die Demokratie nicht nur dadurch beschädigt, dass sie dem Profit  einer kleinen Minderheit den Vorzug vor allen anderen Überlegungen gegeben hat, sondern auch durch den Begriff „Alternativlosigkeit“. Derlei gibt es. Aber nur Diktaturen, wo das Bestehen auf einer Alternative den Tod bedeuten kann. Einen solchen Begriff kann man mitten in einer Demokratie wohl nur formen, wenn man selbst in einer Diktatur aufgewachsen ist. Hingegen hätte über Strategien für die Zukunft zur richtigen Zeit viel mehr gesprochen werden müssen, auch energieseitig, anstatt, dass es die Politik der Strategielosigkeit unter Kanzlerin Merkel gab, die sich in Wahrheit hinter der Alternativlosigkeit zu verbergen suchte. Ja, wir haben das zugelassen, der Finger zeigt immer auch auf uns selbst. Merkel nicht gewählt zu haben, reicht nicht aus, es hätte mehr Diskussion und Widerstand geben müssen.

Demokratie ist nicht strategiefeindlich, wie Apologeten autokratischer Ordnungen es aber gerne kolportieren. Sie muss nur echte Beteiligung ermöglichen, echte Partizipation muss kommen und der nicht demokratische Einfluss kleiner, mächtiger Cliquen und Lobbys muss begrenzt werden. Ein aufrichtiges und auf Augenhöhe ablaufendes Ringen um die besten Lösungen ist es, was die Demokratie stark macht, nicht das freie Vagabundieren des Kapitals als einziger Maßstab für Freiheit und für die Stärke der Diktatur nicht, sich jeder Mitveratnwortung zu entledigen und sich in die Hände angeblich allwissender Führer wie Putin, Xi Jinping, Erdogan u. a. zu begeben. Auch ist eine Mutti, die ihre kleinen Wählerchen an der Hand nimmt anstatt einer kooperativen und Alternativen auf Erwachsenenbasis fördernden Kanzlerin nicht ideal für eine Demokratie. Demos ist nicht nur das Volk, es ist das Volk als eine Ansammlung verständiger und selbstständig denkender Bürger:innen gemeint.

Gibt es diese Bürger:innen in hinreichender Anzahl, macht Demokratie die Zukunft erst spannend, während Menschen in Diktaturen im Hier und Jetzt verbleiben müssen, negativ ausgedrückt: von der Hand in den Mund und in den Tag hinein leben, weil sie ohnehin nicht beeinflussen können, was kommt. Womit wird versucht, das auszugleichen? Durch Nationalismus, durch Feindbilder, die von Diktatoren geschaffen werden, um ihren Machterhalt zu stützen. Wenn dann wirtschaftlich alles schiefläuft, ist natürlich auch der böse Feind daran schuld. 

Was wird in Russland geschehen, wenn Putin abtritt? Wird es besser, wird es schlimmer werden? Niemand kann das vorhersagen, wo man doch nicht einmal weiß, ob Putin morgen noch Gas fließen lassen wird. Hingegen dürfen wir hier immerhin beobachten dürfen, wie sich die politische Landschaft entwickelt und wer hervortritt, um das Land künftig regieren zu wollen. Selbst die Meinung „es wird sich eh nichts ändern“ ist insofern zulässig, auch wenn wir zu konstruktivistisch orientiert sind, um sie zu vertreten. Wir werden uns weiterhin bemühen, dieser Meinung nicht zu viel Raum zu überlassen. Es liegt aber vieles offen vor uns und wir haben Möglichkeiten, uns anders zu entscheiden als bisher, während die Macht in Diktaturen auch davon lebt, sich bedeckt und Menschen dadurch in Unsicherheit zu halten. Angst ist in Diktaturen ein wichtiger Faktor des Machterhalts. Angst vor anderen Völkern, Angst vor der repressiven Durchsetzungskraft der eigenen Regierung.  Angst vor dem nächsten Tag und Propaganda jeden Tag. Wie etwa in Russland die Propaganda vom großen Volk, das von allen gedisst und verraten wird (außer natürlich von der eigenen Führung und deren superreichen Pets).

Wir spüren jetzt ebenfalls Unsicherheit. Pandemien, Kriege, Systemmängel, die nicht bewältigt wurden, Zweifel daran, ob sie mit den Bordmitteln, die wir derzeit haben, noch zu bewältigen sind. Das zehrt an unserem Selbstverständnis, das auch viel mit der Erlangung von Sicherheit nach so viel Unsicherheit im 20. Jahrhundert zu tun hat. Es zehrt an einer Demokratie, in der dieses Selbstverständnis eine wichtige Rolle spielt. Der Diskurs läuft teilweise auf den Hype von Verblendung und Verblödung hinaus, weil die Hysterie mit der Unsicherheit wächst – und weil Informationsbeschaffungsfreiheit noch lange nicht Informationsverarbeitungsfähigkeit bedeutet. Das ist ein Phänomen, über das in ruhigeren Zeiten ernsthaft nachgedacht werden und das durch bessere Bildung und durch mehr politische Transparenz bekämpft werden muss.

Aber eines sollten wir trotz aller Nervosität nicht tun: Uns von Russland und den hiesigen Freund:innen seines aktuellen Regimes erzählen lassen, es gebe keine Alternative dazu, Russland machen zu lassen, was es will, weil es z. B. eine Atommacht darstellt. Alternativlosigkeit, der undemokratische Begriff, Sie wissen schon. Vorsicht vor Narrativen, die darauf zielen. Vorsicht auch vor den Logiklücken oder eher schon Logikkratern, die sich bei jenen auftun, die diese Ansichten vertreten.. Sie entlarven sich auf eine Weise selbst, die jedem auffallen muss, der ihre Spins weiterdenkt. Wir werden uns damit noch ausführlicher befassen.

Die richtige Alternative oder auch der richtige Weg ist für uns nunmehr, die Ukraine nicht allein zu lassen, aber die Teile der hiesigen Bevölkerung, die aufgrund der schon durch Corona und jetzt verstärkt durch den Krieg ungünstigen allgemeinen Entwicklung ernsthaft Probleme bekommen haben oder bald welche bekommen werden, so zu unterstützen, dass Diktatoren und ihre hiesige autoritär denkende Gefolgschaft eben nicht sagen können: Schaut mal, bei euch ist es doch nicht besser, im Gegenteil. Die Regierungen im Westen quälen die Bevölkerung, nur, weil sie gegen uns sind, diese Imperialisten, während wir selbt natürlich gar nicht imperialistisch denken.

Schon die DDR-Propaganda hat alles, was im Westen auch nur ein bisschen negativ war, zur Grundlage ihrer Existenz gemacht. Das Spiel ist aber jetzt gefährlicher, wo große Diktaturen wie China aufgrund dieser schieren Größe tatsächlich wirtschaftliche Macht erlangen und viele Menschen einen sehr bescheidenen ökonomischen Aufstieg – mehr ist es nicht und wird es nicht werden – als Ausgleich zur Unfreiheit okay finden. Die nächste Generation, die noch härter wird arbeiten müssen, um weniger ökonomisch zuzulegen und weniger persönlichen Zuwachs dafür zu erhalten, wird sich damit nicht mehr zufriedengeben. Selbst die nicht Kapital besitzende Mehrheit der ewig leidensfähigen Russ:innen könnten ins Grübeln kommen, wenn ihr Land von einer Abhängigkeit in die nächste taumelt und nur der Lieferant für die Rohstoffe bleibt, die das schöne Leben der anderen ermöglichen. Eine beinahe ausschließlich rohstoffbasierte Wirtschaft kann nicht für Gleichheit sorgen, denn die Produktionsmittel im primären Bereich sind nicht annähernd gerecht verteilbar. Das hat es nie gegeben, auch und gerade nicht im Real- oder Scheinsozialismus, also im Staatskapitalismus. 

Die Propaganda läuft jedoch aktuell darauf hinaus, so zu tun, als ginge es den Menschen im Westen im Durchschnitt schlechter als in den Diktaturen, wegen des Ukrainekriegs zumal, und das ist bis jetzt in keinem einzigen Land der Erde der Fall, trotz der Probleme, die sich verdichten.

Lassen wir uns also nicht spalten, auch nicht durch die Nichtbereitstellung von Erdgas.

Jedoch und weil es immer die andere Seite der Medaille gibt: Die Bundesregierung muss aufhören, nach dem Gusto der bewusst spaltenden FDP zu verfahren, das ist wirklich dringend. Kapazitäten für sozialen Ausgleich sind in Deutschland genug da und eine Wirtschaft, die zukunftsorientierte Rahmenbedingungen erhält und den Menschen dient, nicht umgekehrt, wird gestärkt, wird mit einem stabilen Fundament versehen aus der Gaskrise und dem Ukrainekrieg hervorgehen. Die Lage bietet sogar eine große Chance: Wieder für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen und endlich die Reichen überall, wirklich überall im Westen mehr an den Sonderaufgaben zu beteiligen, die jetzt anstehen. Solidarität ist keine Einbahnstraße und sie nur von den Ärmeren zu fordern, ist demokratieschädigend. Das geht nicht nur an die FDP, sondern auch an einige Herrschaften bei den Grünen.

Wenn diese Erkenntnis jedoch klug in Realpolitik umgesetzt wird, kann der Demokratie gar nichts passieren. Dann wird sie fester sein denn je, weil sie eine wichtige Herausforderung gut bestanden hat. Sogar mehrere Herausforderungen in kurzer Zeit, wenn man Corona und die immer noch nicht aufgearbeiteten Folgen der Finanzkrise mitrechnet. Wer aber trotz allem eine gemeinwohldienliche Politik ablehnt, den haben wir stark im Verdacht, die Demokratie absichtlich schädigen zu wollen.

Deshalb sollte vor allem die SPD, die genug darunter gelitten hat, dass sie mit am sozialen Abstieg vieler Menschen beteiligt ist, endlich das Ruder übernehmen, um diese weitere Spaltung zu verhindern. Gerne in Person des Kanzlers, der die Richtlinien der Politik vorgibt bzw. es tun sollte. Wir möchten ihm gerne mitteilen: Ein Meister der Krise zeigt sich darin, dass er die Krise nutzt, um die Gesellschaft zu versöhnen und richtige Zeichen für eine solidarische Zukunft zu setzen. Nur eine solidarische Gesellschaft kann auch eine friedliche sein. Das gilt im Inneren wie nach außen.

TH

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