Hetzjagd – Polizeiruf 110 Episode 197 #Crimetime 1122 #Polizeiruf #Polizeiruf110 #Heilbronn #Bilewski #SDR #Hetzjagd #Hetze #Jagd

Crimetime 1122 – Titelfoto © SDR

Hetzjagd ist ein deutscher Kriminalfilm von Ute Wieland aus dem Jahr 1998. Der Fernsehfilm erschien als 197. Folge der Filmreihe Polizeiruf 110 und wurde vom SDR produziert.

Der letzte Krimi mit der Südkommissarin Vera Bilewski, die von Oststar Angelica Domröse verkörpert wird, knüpft an den vorherigen, „Kleiner Dealer, große Träume“, stilistisch an, wendet sich aber einem anderen Thema zu, das nach der Verschärfung des Sexualstrafrechts mittlerweile in seinen Dimensionen, aber auch in seiner Tiefe erkannt worden ist. Wie der Umgang damit im Jahr 1998 sich ausnahm und mehr zum Film diskutieren wir in der –> Rezension.

Handlung (1)

Wolfgang Straub wird wegen Vergewaltigung seiner 12-jährigen Tochter Jasmin zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. In seiner Zelle wird er von Mitgefangenen misshandelt, die jegliche Tat bestreiten, sodass Wolfgang schon bald in die Psychiatrie eingewiesen wird. Er behauptet, unschuldig zu sein, auch wenn er die Tat zunächst vor Gericht zugab. Kommissarin Vera Bilewski hat unterdessen andere Sorgen. In Ichtenheim treibt ein Pferdemörder sein Unwesen und hat bereits fünf Tiere bestialisch getötet. Eine konkrete Spur hat Vera nicht, sodass die Landwirte der Gegend langsam unruhig und zornig werden. Auch Jasmins Mutter Martina betreibt einen Pferdehof, der jedoch unrentabel ist. Ihr dominanter Vater August drängt sie dazu, ihre eigenen Pferde zu verkaufen und stattdessen nur noch Pensionspferde auf dem Hof zu halten. Vor allem Jasmin ist von diesen Plänen erschüttert, hat sie doch eine enge Bindung zu ihren zwei eigenen Pferden. Sie schreibt ihrem Vater Wolfgang einen Brief, in dem sie ihm ihr Leid klagt und ankündigt, sich umzubringen, sollte er nicht zurückkehren.

Wolfgang lernt in der Psychiatrie den psychisch kranken Dietmar Achthaler kennen, der in der Poststelle arbeitet und Jasmins Brief bei sich hat. Er verhandelt mit Wolfgang um eine Gegenleistung, damit er den Brief erhält. Wolfgang bietet ihm seine Freundschaft und Dietmar nimmt an, auch wenn er ihm den Brief nur vorliest. Wolfgang ist außer sich, als er von Jasmins Selbstmorddrohung hört. Seine Tochter macht unterdessen ihr Ansinnen wahr und will sich im Stall aufhängen, wird dabei jedoch von ihrem Großvater angeschossen und kommt ins Krankenhaus.

Dietmar hatte vor seiner Einweisung Pferde getötet, sodass Vera auf der Suche nach dem Pferdemörder auch in die Psychiatrie kommt, um in Anwesenheit der Anstaltspsychologin Dr. Susanne Reuter Dietmar zu befragen. Der besteht darauf, dass Wolfgang zugegen ist. Aus einer Laune heraus nimmt Dietmar Susanne als Geisel; auch Vera wird gefesselt, wobei Wolfgang immer wieder deeskalierend eingreift. Er lässt Vera mit seiner Frau Martina telefonieren und erfährt so, dass Jasmin im Krankenhaus liegt. Mit Veras Tipps gelingt es Wolfgang und Dietmar, mit Vera in einem Pizzawagen aus dem umstellten Krankenhaus zu fliehen. Da Dietmar handgreiflich wird, trennen sich ihre Wege und Wolfgang und Vera verbringen die Nacht auf einem Hochsitz. Hier besprechen beide die Gerichtsverhandlung und Vera versucht zu verstehen, warum der schuldig gesprochene Wolfgang unschuldig sein könnte. Zufällig können sie auf dem Hochsitz den Pferdemörder auf frischer Tat stellen und festnehmen. Mit einem Trick gelangen sie ins Krankenhaus Ichtenheim, wo Wolfgang mit der ansonsten stummen Jasmin redet, die ihm vertraut. Er begibt sich mit Vera auf seinen Hof und will von seiner Frau, die ihn vor Gericht belastete, die Vorwürfe direkt hören. Auf dem schon bald von Scharfschützen besetzten Hof kommt auch Dietmar an. Er wird erschossen, als er mit einer Spielzeugwaffe um sich schießt. Wolfgang wiederum wird verhaftet. (…)

Rezension

Nach seiner Fernsehpremiere wurde der Polizeiruf kontrovers diskutiert. Die Frankfurter Rundschau lobte, dass der Filme versuche, „die eingetretenen Krimi-Pfade zu verlassen und die hinlänglichen Klischees zu vermeiden“, kritisierte jedoch die „brutalen, drastischen Bilder und die theatralische[n] Akzente der Regie“ und stellte die Frage, „ob der makabere Humor zu de[m] grausamen Geschehen paßt.“[4]

Wir sind mit dieser zeitgenössischen Kritik gestartet, weil sie den Kernpunkt beinhaltet, der mich ebenfalls beschäftigt hat. Was in „Kleiner Dealer, große Träume“ trotz der ebenfalls nicht gerade witzigen Drogenthematik noch funktioniert hat, was zu Lachern, aber auch zu Momenten der Rührung geführt hat, ist beim Thema sexueller Missbrauch von Kindern schwierig. Eines halte ich für sicher: Heute würde dieser Polizeiruf so nicht mehr gedreht werden. Der Polizeiruf 110, der in der DDR mit dramatischen Themen wie den Sexualdekten oder dem Alkohomissbrauch sehr offen, versiert und den richtigen Ton treffend umgegangen war, wurde anlässlich seiner beschlossenen Rettung im Jahr 1993 zu einer Art Experimentierfeld für Westsender. Alles, was man sich in den Tatorten nicht traute, aber schon lange auf den Bildschirm bringen wollte, fand Platz in den Polizeirufen. In erster Linie der Humor, der seit dem Abgang von Horst Schimanski beim Westformat etwas brachlag. Nun ja, nicht ganz, aber so weit wie z. B. in Volpe (WDR) ging man nach Schimmi erst einmal nicht mehr. Bei seinen Filmen, so lausig sie manchmal qualitativ auch sein mögen, hat man aber darauf geachtet, dass der Gegenstand Kindesmissbrauch nicht mit dem Holzhammer bearbeitet wurde.

Es besteht keine Frage darüber, ob der Film wieder gut gespielt ist, wie „Kleiner Dealer“, das ist er, wenn auch nicht ganz so herausragend. Das liegt aber auch am Thema. Die „Freundschaft“ zwischen zwei Strafgefangenen wird etwas zu kolportagehaft dargestellt, aber damit ich das nicht vergesse: Das Pizzaservice-Fluchtauto ist eine der genialsten und witzigsten Ideen, die ich je in einem Tatort oder Polizeiruf gesehen habe. „Die Irren sind schlauer als wir“, muss die Polizei festestellen. In der Tat haben Menschen, die auf einer Seite beeinträchtigt sind, oft hervorragend ausgebildete bzw. ausgeprägte andere Skills, die leider viel zu wenig genutzt werden. Aber die übertriebene Darstellung der Fünf- oder Sechs-Mann-Zellengemeinschaft Zellengemeinschaft und manch andere Zuspitzung, die nicht der Realität entspricht, sind im Zusammenhang mit dem Sujet eben schwierig und es ist kaum möglich, bezüglich des Tenors unfallfrei durch die 90 Minuten zu kommen, wenn man sich nun einmal für die Fortsetzung der Art entschieden hat, wie „Kleiner Dealer“ gefilmt wurde.

Nach dem, was ich bisher gelesen habe, hat man den Polizeiruf des SDR nach drei Filmen wieder eingestellt, weil der Zusammenschluss von SWF und SDR zum SWR zu viele Sontagabend-Krimise bedeutet hätte. Doch schon der erste Bilewski-Polizeiruf namens „Samstags, wenn Krieg ist“ sorgte seinerzeit für erheblichen Zündstoff und vielleicht war man froh, das Ende der kontrovers diskutierten Schiene mit einer halbwegs sicheren Begründung erklären  zu können, anstatt sagen zu müssen: Dieses heiße Eisen haben wir zu lange geschmiedet. Denn es hätte nur zwei Wege gegeben, nämlich, auf Themen wie Kindesmissbrauch zu verzichten, oder die Filme stilistisch etwas zurückzunehmen. Auch die Süddeutsche Zeitung aus München erkennt das Dilemman, in dem die Macher von „Hetzjagd“ steckten oder in das sie sich gebracht hatten:

Der Film stelle die Dinge auf den Kopf, da er „die staatliche Institution soviel unmenschlicher zeichnet als den vermeintlichen Unmenschen, den sie bessern soll“, schrieb die Stuttgarter Zeitung. Regisseurin und Drehbuchautoren „versuchen da etwas ganz Schwieriges: das Lachhafte eines staatlichen Ordnungsanspruchs zu zeigen, ohne das Scheitern komisch wirken zu lassen“. Trotz kleinerer Schwächen habe Hetzjagd einen „gemeinen Biß“.[2] „Gelungen ist die gewagte dramaturgische Mixtur bis zur Parodie des Krimigenres, weil parallel dazu die gräßliche Familiengeschichte des Kindes mit dem gebotenen Ernst erzählt wird“, stellte die Süddeutsche Zeitung fest.[5]

Die Taz hingegen erwähnt diesen Aspekt nicht und ich muss unwillkürlich an die recht freizügige Einstellung des Publikums zum Thema denken, auf welches die Taz zielte: Problem nicht erkannt, weggelassen oder in dem Zitat nicht enthalten?

„Gespickt mit schwarzem Humor reihen sich hier höchst groteske und skurrile Szenen aneinander“, schrieb TV Spielfilm und nannte die Folge einen „drastische[n], fast comicartige[n] Krimi“.[6] Regisseurin und Kameramann hätten mit Hetzjagd „hemmungslos ein phantasievoll durchgeknalltes Lichtspiel gezaubert“, befand auch Die Tageszeitung. Auch wenn die „Macher in ihrem Willen zur Originalität bisweilen übers Ziel hinaus[schossen]“, sei der Mut zum Risiko lobenswert.[7]

Heute ist aber auch bei den Grünen angekommen, dass man bei einer sehr auf Nähe und Kontakt zum Kind bedachten Erziehung, die schon damit beginnt, dass die Kleinsten in einem Tragetuch auf dem Bauch mitgeführt werden, besonders auf die Grenzen achtet. In Tatorten hat man das Thema lange nicht angefasst, weil man wohl befürchtete, dass es zu Problemen bei der sachgerechten Darstellung kommen könnte, aber vom Duktus der DDR-Polizeirufe hätte man sich mehr abschauen können. Problem: Bis Schmücke und Schneider in Halle an den Start gingen, gab es kein Team mehr, das auch ernst sein konnte, wenn es die Situation erforderte. Am besten wäre dieser Film noch bei der Hessen-Schiene (Grosche, Reeding, Schlosser) aufgehoben gewesen, die schon aufgrund der jungen weiblichen Ermittlerin Reeding einen anderen Zugang gefunden hätte.

Mit der Taz einer Meinung bin ich, was die manchmal etwas überbordene Orginalität angeht. Ja, der Film ist schon originell, aber wenn man genau hinschaut, wird auch das Thema der Verwahrung psychischer Erkrankter im Knast nicht realistisch gezeigt. Ein Mensch wie Dietmar Achthalter kann nicht einer normalen JVA eingesperrt sein, sondern wird in Sicherungsverwahrung genommen. Auch die Polizeipsychologin kontert mit ihrer Art jeden Ansatz zum Ernstnehmen therapeutischer Arbeit und das wiegt schwerer als die etwas raue Art der Wachleute, die nur am Rande thematisiert wird. Sicher, auch sie werden dargestellt, als wenn sie etwas aus dem Leim gegangen wären, aber es war zu wenig Spielzeit vorhanden, um diese Gags so zu schleifen, dass sie heute nicht zum Teil, es gilt nicht für alle Humor-Elemente, etwas seltsam wirken, um nicht zu schreiben diskriminierend. Es gibt nur eine Schiene, die immer noch unkorrekt sein darf und dafür gefeiert wird: Der Tatort Münster. Was dabei herauskommt, wenn man durch diese besonderen Freiheiten zu sehr abhebt, hat man kürzlich anhand von „alles dicht machen“ gesehen.

Finale

Sicher, es gibt keinen vollkommen Wokeness-gerechten Humor, aber manche Übertreibungen in dem Bereich auf die Schippe zu nehmen, ist etwas anderes, als ausgerechnet bei Sexualdelikten das notwendige Fingerspitzengefühl vermissen zu lassen. In gewisser Weise spiegelt Dietmar Achthalers kurvige Fahrt mit dem roten Pizzamobil ziemlich gut den Film: Manchmal reizt es zum Schmunzeln, aber manchmal hat man auch Angst um die Insassen des Vehikels und die Konsequenzen, die ihre Fahrweise für sie haben kann. Gut gelungen ist übrigens der rabiate Schänder seiner Enkelin, der ihr dann auch noch das Pferd wegnehmen will, man darf sich gerne seine Prägung in der Nazizeit vorstellen und seine Verrohung den Erlebnissen als junger Mensch zuschreiben. Das macht es nicht besser, eine Erklärung ist auch kein Verständnis oder stellt keinen Schuldminderungsgrund dar, aber es ist ein Hintergrund, der nicht erwähnt werden muss, man kann ihn sich hinzudenken.

Trotz des auch optisch wieder sehr gelungenen Filmings, der guten Darsteller:innen und wirklich origineller Einfälle muss ich dieses Mal wegen des schwierigen Umgangs mit dem Komplex der Sexualstraftaten, wie, in zweiter Linie, der Darstellung psychisch Kranker und ihrer Heiler:innen, Abzüge für ebenjenen Umgang vergeben. Langweilig ist „Hetzjagd“ ganz sicher nicht und hat anlässliche von Ereignissen in Chemnitz aus dem Jahr 2019 plötzlich einen bestimmten Bedeutungsschwerpunkt bekommen, der sich gut mit dem deckt, was dem unschuldigen Straub zuteil wird. Dass er unschuldig ist hingegen darf man auch heute noch darstellen, denn nicht nur die Dunkelziffer bei Sexualdelikten ist (immer noch) hoch, wie Kommissarin Bilewski anmerkt, sondern auch die Zahl der Fälle, in denen Menschen geframed werden, steigt an. Trotzdem muss jedem gemeldeten Vorgang konsequent nachgegangen werden. Dabei darf man aber auch beim Ermitteln konsequenter sein, als die Polizei es bei Straub war, sonst kommt es zu provozierten Justizirrtümern. Und wie mit Menschen, die sich an Kindern vergangen haben (sollen) in einer JVA umgegangen wird, das kommt hier zwar durch die Ballung von Gegnern des Straub in derselben Zelle zu plakativ rüber, aber grundsätzlich sind die „Kinderschänder“ in der Knast-Hierarchie tatsächlich ganz unten. Sofern man sie eben nicht in einer psychiatrischen Einrichtung unterbringt, was bei Triebtätern regelmäßig der Fall ist. Die Reihe Polizeiruf 110 ist bis heute darauf spezialisiert, Sexualstraftaten zu zeigen und immer wieder kommt es dabei zu diskussionswürdigen Spins, aber „Hetzjagd“ ist etwas zu deutlich mit dem Makel behaftet, das Quadrat dieser schrecklichen Deliktklasse ins Runde des satirischen Humors zu kriegen. Bezüglich seiner filmischen Qualitäten hätte ich „Hetzjagd“ mit 7,5/10 bewertet.

6/10

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2021)

Regie Ute Wieland
Drehbuch Ulrich Bendele
Klaus-Peter Wolf
Musik Ina Siefert
Kamera Hagen Bogdanski
Schnitt Jürgen Lenz
Besetzung

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