The Chase (USA 1946) #Filmfest 832

Filmfest 832 Cinema

Film noir im Traum

The Chase ist ein in Schwarzweiß gedrehter US-amerikanischer Film noir aus dem Jahr 1946. Er entstand nach dem Roman The Black Path of Fear von Cornell Woolrich.

The Chase ist ein recht fülliger Thriller mit einer versiert erstellten, routiniert gefilmten Handlung, die aber einen deutlichen Bruch aufweist. Wie immer müssen wir auch hier darauf eingehen, ob es sich wirklich um einen Film noir handelt. Wir tun dies und widmen uns weiteren Aspekten von „The Chase“ in der – Rezension.

Handlung1

Der unter Angststörungen leidende, mittellose Kriegsheimkehrer Chuck Scott findet in Miami eine verlorene Brieftasche und bringt diese zum Anwesen des Besitzers, Eddie Roman. Eddie entpuppt sich als sadistischer Gangster, der aber Gefallen an dem schüchternen und ehrlichen Chuck findet. Er stellt Chuck als Chauffeur ein, sehr zum Missfallen seines Assistenten Gino. Lorna, Eddies unglückliche Ehefrau, lässt sich regelmäßig von Chuck an den Strand fahren, wo sie stundenlang aufs Meer hinausblickt. Eines Abends fleht Lorna Chuck an, ihr bei der Flucht nach Kuba zu helfen. Chuck erweist ihr den Gefallen, den sie ihm großzügig bezahlen will, und organisiert zwei Karten für die Überfahrt. Chuck und Lorna verabreden sich für abends, um mit Eddies Wagen zum Hafen zu fahren, wo das Schiff um 23 Uhr ablegen soll. Der Plan gelingt, und während der Überfahrt verlieben sich Chuck und Lorna ineinander. In Havanna besuchen sie eine Bar, nachdem der Fahrer ihrer Kutsche sich weigert, sie weiterzutransportieren. In der Bar wird Lorna hinterrücks erstochen. Chuck wird zum Hauptverdächtigen der Polizei, nachdem eine Verkäuferin, bei der die Tatwaffe gekauft worden sein soll, ihn mit ihrer Aussage belastet. Ihm gelingt die Flucht, doch alle Zeugen, die ihn entlasten könnten, werden ermordet. Schließlich begegnet er Gino, der Chuck kaltblütig erschießt.

Chuck erwacht schweißgebadet in seinem Zimmer in Eddies Villa. Es ist der Abend der geplanten Flucht, seine und Lornas Ermordung waren ein Traum. Da er sich nicht erinnern kann, wie er in den Raum gekommen ist, in dem er sich befindet, sucht er den Armeearzt Davidson auf. Davidson versucht Chuck zu beruhigen und begleitet ihn in eine Bar, in der sich zufällig auch Eddie und Gino aufhalten. Beim Anblick der beiden kehrt Chucks Gedächtnis zurück. Er sucht erneut Eddies Anwesen auf, befreit die in ihrem Zimmer eingesperrte Lorna und eilt mit ihr zum Hafen, um das Schiff nach Kuba zu nehmen. Eddie und Gino fahren den beiden nach, verunglücken aber unterwegs mit dem Wagen. Chuck und Lorna setzen mit dem Schiff nach Kuba über. In Havanna nehmen sie eine Kutsche, die vor der Bar aus Chucks Traum anhält.

Rezension

Immer dann oder mindestens dann, wenn wir die Wikipedia-Handlungsangabe bis zum Ende übernommen haben, erlauben wir uns auch das Spoilern, denn es kann ein Bezug auf das Ende ja nicht überraschen, wenn man unsere Artikel der Reihe nach liest. Die Handlung, die sich als Traum erweist, endet in der Tat als Film noir und dieses Ende ist so überraschend und schockierend, also, es hat mich richtig erschreckt. Aber so radikal geht es dann am Ende doch nicht zu. Bei dem Film ist es also nicht leicht, zu entscheiden, ob es sich um einen Noir handelt oder lediglich um einen Thriller, der, selbstverständlich, wie fast alle Krimis damals, im zeittypischen Stil gefilmt ist. Das heißt, er verfügt über eine ausgezeichnete Schwarz-Weiß-Fotografie, in diesem Fall restauriert und daher mit gutem Kontrast und ruhigem Bild ausgestattet und über eine durch diese Visualität, aber auch durch das Spiel und die Handlungsverläufe bedingte dichte Atmosphäre.

„[The Chase ist] stramm wie Federstahl in den ersten 75 Minuten, um dann schlaff ins Banale zurückzusinken. […] Robert Cummings macht seine Sache gut, wird aber, obwohl er die Besetzungsliste anführt, von der dominierenden Persönlichkeit und äußeren Erscheinung von Newcomer Steve Cochran überschattet […] Michèle Morgan […] hat nicht mehr zu tun, als ein paar modische Kleider vorzuführen.“ – Variety[3]

Nun aber! Michèle Morgan ist immerhin für die berührendste Szene im Film im Wesentlichen verantwortlich. Es ist die Liebeszene in der kubanischen Bar, nach der sie erstochen wird – im Traum, wie wir bald darauf wissen. Weil diese Szene recht gut war, ist auch der Messerwurf so krass – man hat sogar den Eindruck, dass es so gefilmt wird, dass man denken muss: Ist das ein Alptraum für den liebenswerten Chauffeur, der sie vor ihrem übergriffigen Mann retten will. Und für sie selbst natürlich. Und der Film läuft doch länger! Die Logik wäre gewesen, dass die Chase weitergeht und der Mann am Ende entkommen kann, aber das Ende doch noir oder mindestens grau ist, weil er seine neue Liebe verloren hat. Aber sie beginnt von Neuem! Und dieses Mal geht’s gut. Aber aufgrund eines Umstandes, der in der Handlungsbeschreibung zu sehr bloß angedeutet ist und der den Film einige Zehntelpunkte kostet.

Dieses Beschleunigen eines Autos per Gaspedal von hinten, während der Fahrer gar nichts dagegen machen kann, ist irgendwie fancy, aber auch verrückt. Aber so sind sie ja, diese Gangster. Obwohl der Mann ein für damalige Verhältnisse sehr schnelles Fahrzeug besitzt, das da. 110 Meilen in der Stunde geht, kommt er nicht an dem Zug vorbei, neben dem er herbraust, um noch das Schiff zu erreichen, auf dem seine Frau und der eigentliche Chauffeur sich davonmachen wollen. Da der Film eine literarische Vorlage hat, nehme ich an, Cornell Woolrich wollte einen Narzissten zeigen, der sich letztlich selbst umbringt, weil er einfach überzieht. Er ist eigentlich auch kein Jäger, sondern der eigentliche Getriebene, der sich erst einmal nicht denkt, dass seine Frau und der nette Fahrer – Briefatschen darf man finden und dem Eigentümer zurückgeben, aber man soll bei den Eigentümern nicht gleich Jobs annehmen! Sein angstvolles Faktotum ist Peter Lorre, der dazu verdammt ist, den Wagen zu steuern, den er nicht selbsttätig abbremsen kann. So ist das, wenn man für die falschen Leute arbeitet. Aber ich will hier keine Andekdoten aus dem eigenen Leben zum Besten geben. Im Roman und im Film wird sowieso manches als unplausibel angesehen, was es tatsächlich gibt und unter dem Motto stattfindet: kannste dir nicht ausdenken! Sollteste auch nicht, sonst zeigt dir das Publikum den Vogel.

Mit Ausnahme von Zeuge gesucht ist The Chase das beste filmische Äquivalent zu der dunklen, bedrückenden Atmosphäre, die die Mehrzahl von Cornell Woolrichs besten Büchern prägt. […] Die ausgezeichnete visuelle Qualität könnte zum großen Teil auf die zufällige kreative Synthese von Produzent, Regisseur und die reichhaltige visuelle Struktur von Woolrichs Werken zurückgehen, die von Franz Planer meisterhaft fotografiert wurde.“ – Alain Silver und Elizabeth Ward, Film Noir[4]

Finale

Das große Film-noir-Buch von Alain Silver und James Duncan, das in Deutschland von Paul Duncan herausgegeben wurde, ist eines meiner Lieblings-Nachschlagewerke zum Film noir – auch deshalb, weil man sicher sein kann, dass fast jeder amerikanische Krimi der 1940er und 1950er darin enthalten ist, weil er in das Genre integriert wird. Allerdings werden manche dieser Werke nur erwähnt, nicht näher beschrieben. Das gilt auch für „The Chase“. Das Publikum zeigt zwar angesichts einiger Volten wie dem sinnbildlich nicht vom Fahrer kontrollierten Automobil nicht direkt den Vogel, aber ich hätte etwas mehr als die 6,5/10 vermutet, welche die IMDb-Nutzer:innen durchschnittlich für das Werk vergeben. Sicher hat die mäßige Rezeption auch damit zu tun, dass Regisseur Arthur Ripley kein sehr bekannter Name ist. Das Bizarre an diesem Film wird dadurch vielleicht etwas anders gesehen, als wenn Alfred Hitchcock es in einen seiner Streifen eingebaut hätte. Und er hatte es drauf, bizarre Elemente und Momente zu zeigen.

Negative User-Reviews beziehen sich auch vor allem auf eine Handlung, die als konfus empfunden wird und zuweilen langweilig. Was für die Zeit nach dem Traum ja auch für einige professionelle zeitgenössische Kritiker gilt, wie wir oben gelesen haben, während über den Cast nicht viel Negatives zu lesen ist. Wer den Film nicht mag, sagt also: Die guten Darsteller:innen sind mehr oder weniger verschwendet. Ich sage: Er hat sehr gute Momente, und die sind auch dem Ensemble zu verdienen, das diese packenden Momente ausfüllt. Ich gehe etwas höher als der IMDb-Durchschnitt, weil das Bizarre, wie einer der User-Rezensenten es genannt hat, für mich die Spannung erhöht hat, weil es eine Angstatmosphäre schafft, die aus der Unberechenbarkeit des fiesen Mr. Roman resultiert und weil ich mich mit dem Liebespaar hinreichend identifizieren konnte, um es überleben sehen zu wollen.

Da der Film in Deutschland nicht im Kino gelaufen ist, gibt es für ihn, wie häufiger bei Filmen, die wir in letzter Zeit besprechen bzw. neu rezensiert haben, keinen Verleihtitel, den wir oben hätten zeigen können.

71/100

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

TH

1l, kursiv, tabellarisch: The Chase (1946) – Wikipedia

Regie Arthur Ripley
(als Arthur D. Ripley)
Drehbuch Philip Yordan
Produktion Seymour Nebenzahl
(als Seymour Nebenzal)
Musik Michel Michelet
Kamera Franz Planer
(als Frank F. Planer)
Schnitt Edward Mann
Besetzung

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