Filmfest 833 Cinema
Kein Asphalt in der Wüste
Der Wind und der Löwe ist ein US-amerikanischer Abenteuerfilm, den John Milius im Jahre 1975 inszenierte. Dem Drehbuch liegt eine wahre Begebenheit zugrunde, und zwar der sogenannte Perdicaris-Zwischenfall 1904 (die Entführung von Ion Perdicaris durch Ahmed ben Mohammed el-Raisuli). Im Gegensatz zu den historischen Gegebenheiten wird in dem Film eine Frau entführt. In Deutschland erfuhr der Film seine Kino-Premiere am 9. Januar 1976.
Das war es also, was Sean Connery wollte. Einen graubärtigen Berberfürsten spielen und dabei charismatisch die Augen leuchten lassen. Dafür hatte er sich der James Bond-Figur endgültig entledigt (nicht ganz, es gab 1983 eine Rückkehr auf inoffizieller Schiene in einem Film mit dem passenden Namen „Sag niemals nie“). Und hat es sich gelohnt, diesen lukrativen Posten im Geheimdienst ihrer Majestät aufzugeben? Dies und mehr klären wir in der -> Rezension.
Handlung (1)
Das Deutsche Reich, Frankreich und das Britische Empire versuchen 1904 Marokko unter ihre Kontrolle zu bringen. Raisuli ist der Anführer eines Berberstammes, der gegen die korrupte und europafreundliche Politik des Sultan Abd al-Aziz und dessen Onkel, dem Pascha von Tanger, ankämpft. Raisuli entführt die Amerikanerin Eden Perdicaris und ihre Kinder William und Jennifer, nachdem er ihren britischen Freund Sir Joshua getötet hat. Raisuli will damit einen internationalen Zwischenfall provozieren, der den Sultan in Bedrängnis bringt.
Der amerikanische Präsident Theodore Roosevelt steht mitten im Wahlkampf für seine Wiederwahl. Er sieht die Entführung als politisches Instrument und als Chance, Amerikas militärische Macht zu zeigen. Sein Außenminister, John Hay, protestiert. Da der amerikanische Konsul in Tanger, Samuel Gummere, bei seinen Verhandlungen nicht weiterkommt, entsendet der Präsident die South Atlantic Squadron der US Navy nach Tanger. Ihr Kommandant, Admiral Chadwick, soll entweder die Familie Perdicaris befreien oder Druck auf den Sultan ausüben, damit er den Forderungen des Berber-Rebellen nachgibt. (…)
Rezension
Die Story ist zweifelsohne großes Kino, wenn man welches daraus macht und beruht auf einer wahren Begebenheit, dem „Perdicaris-Zwischenfall“ von 1904, in dem ein US-Diplomat griechischer Abstammung tatsächlich vom Anführer der Riff-Berberg, El Raisuli, gefangen genommen wurde, nebst Stiefsohn, womit El Raisuli politische Forderungen durchsetzen wollte. In den USA wetterte der robuste Präsident Teddy Roosevelt, gerade im Wahlkampf „Perdicarius lebend oder Raisuli tot“, was gut ankam – und entsendete tatsächlich eine kleine Flotte nach Tanger in Marokko. Die politischen Umstände sind verworren, aber auf verschiedenen Webseiten gut dokumentiert. Letztlich werden Raisulis Forderungen erfüllt und die Aktion der Marines in Tanger, die auf eine kleine Schlacht mit deutschen Truppen hinausläuft, ist im Grunde nur inszeniert, um die historische Wahrheit wieder einmal im Sinn Hollywoods zurechtzubiegen.
In Wirklichkeit gab es keinerlei (direkte) deutsche Involvierung in diesen Vorfall, auch die Briten und Franzosen, die in Marokko stark engagiert waren, hielten sich zurück. Aber der Film entstand 1975, und direkt nach dem verlorenen Vietnamkrieg waren Figuren wie der knackige Präsident und die Deutschen als Lieblingsgegner genau das Richtige, um nebenbei und nicht ganz unterschwellig das angeschlagene nationale Selbstbewusstsein zu pflegen. Man hätte ja dem Film auch eine kritischen Duktus mitgeben können, aber er ist kein Produkt von „New Hollywood“. Schon diese historische Verbiegung lässt den Film hinter den zwar interpretierenden, aber im Ganzen an den wahren Ereignissen orientierten „Lawrence von Arabien“ zurückfallen, mit dem er hin und wieder verglichen wird. Zur Marokkokrise 1904-1905, an der hier vorbeigefilmt wird, gibt es selbstverständlich einen weitgehend neutral geschriebenen Beitrag in der Wikipedia.
Das ist aber ein untergeordneter Punkt, in der Hauptsache liegt der Unterschied darin, dass John Milius, der Regisseur, nicht David Lean ist und nicht dieses Talent für große Epen und große Gefühle hat und sich nach „Der Wind und der Löwe“ mit Werken wie „Conan, der Barbar“ hervorgetan hat. So spannt sich kein emotionaler Bogen über alles, der uns mitreißt und in die Handlung hineinzieht, wie zum Beispiel in „Doktor Schiwago“, der zwar nicht kitschfrei ist, aber das große Erzählen ganz ohne Ironie durchzieht. Die gibt es in „Der Wind und der Löwe“ durchaus, aber sie ist nicht dezidiert und schon gar nicht zur Satire auf die Kanonenboot-Politik geeignet, die alle Großmächte um 1900 betrieben, unter diesen waffenklirrenden und durch ungleiche Kräfteverhältnisse zwischen Europäern und Arabern und anderen Völkern ermöglichte Politikstil wird die amerikanische Verhaltensweis im Fall Perdicarius subsumiert. Warum auch nicht. Roosevelt anlässlich dieser Sache wirklich darüber philosophert haben, dass die Amerikaner respektiert, gefürchtet, aber nie geliebt sein werden, wissen wir nicht, aber es passt natürlich gut in die Entstehungszeit des Films, mehr oder weniger als Rechtfertigung für die jüngsten Interventionen der USA im Ausland. Roosevelt selbst war einer der ersten Interventionisten unter den US-Präsidenten und sich nicht zu schade, in Panama eine Revolution zu inzsenieren, um eines seiner Lieblingsprojekte, den Kanal, bauen zu können.
Das alles erzählt uns teilweise oder ganz der Film und es wird viel mit der Grizzly-Symbolik hantiert, den Roosevelt lieber als amerikanisches Wappentier gehabt hätte als diesen aufgeplusterten Geier, der bis heute das US-Logo ziert. Wieso erzählen wir von all dem?
Weil der Film es erzählt. Ein weiteres Problem des Handlungsaufbaus ist eine quasi 1/3 zu 2/3-Aufteilung der Spielzeit zwischen der Haupthandlung und den externen Ereignissen, die damit zusammenhängen. Für uns geht der Film damit ein wenig aus seinem Zentrum, wird überdehnt für politische Symbolik, die zwar grundsätzlich erklärt, welche Mentalität zum Beispiel der 26. Präsident der Vereinigten Staaten hatte und bringt dabei sogar andeutungsweise den Streit mit J. P. Morgan ein, der sein Engagement in wirtschaftspolitischen Fragen aber so verklauselt, dass er für Nichtamerikaner im Grunde unverständlich ist und sich außerdem einige Haltungsunklarheiten erlaubt. Zudem wirkt es auf den Plakaten, die auf der Versammlung geschwenkt werden, die Roosevelt auf der Plattform eines Zugwagens abhält, als ob er der Demokratischen Partei angehört hätte, er war jedoch Republikaner. Die traditionelle und nach der Watergate-Affäre sicher nicht geringer gewordene Zuneigung Hollywoods zu den Demokraten führt hier zu Fälschungen, die natürlich auch das Vertrauen in die sonst genannten Fakten beeinträchtigen – den größten Unterschied zur Realität im Pedicaris-Fall haben wir bereits genannt.
Kann ein Film, der sich so viel Nebenbei leistet, eine gute Dramaturgie haben? Nicht, wenn das Nebenbei auch nebenher gezeigt und nicht einem Rhythmus unterworfen wird, der unserem inneren Takt und unserer bevorzugten Auffassung visueller Darstellungen entspricht. Einfacher ausgedrückt: Man wird immer wieder aus der Haupthandlung herausgerissen, diese hätte aber der sorgsameren Ausformung bedurft, damit die Annäherung von Mrs. Pedicaris an El Raisuli besser erklärt und stimmiger geworden wäre. Dass seine Figur ein faszinierender Mann ist, muss Sean Connery mit zu vielen Statements untermauern, die vorgeblich arabisch-lyrisch klingen, aber zu oft ins Banale abgleiten – die gesamte Dialogsetzung ist von stark schwankender Qualität und sorgt vor allem beim verbal recht holprigen Beginn des Films für Missvergnügen.
Natürlich ist die Wüste immer schön zu filmen und geradezu prädestiniert für Romantik und große Sprüche. Damit tatsächlich eine Romanze entstehen konnte, hat man aus Ion Pedicaris, dem Entführten, Eden Pedicaris, seine Frau gemacht und die Rolle mit Candice Bergen optisch sehr attraktiv besetzt. Auch ihre beiden Kinder (in Wirklichkeit nur ein Sohn, siehe oben) werden eingesetzt, um dem Zuschauer eine breitere Projektionsfläche zu bieten, als die Originalkonstellation das getan hätte. Allerdings muss man eine solche Fläche auch nutzen und wenn wir zum Beispiel an Sean Connerys Darstellung eines Cops in „The Offence“ denken (drei Jahre vor „Der Wind und der Löwe“ gedreht) weiß man, dass Connery trotz seiner prächtigen Aufmachung als Berberfürst beinahe verschenkt wird, ebenso, wie sich nicht ermitteln lässt, was Candice Bergen könnte, wenn die Regie nicht dazu neigen würde, die relevanten Szenen zu holzschnittartig und psychologisch uninspiriert anzulegen. Das Interesse des Regisseurs an Theodore Roosevelt und einer eigenwilligen Interpretation der Verhältnisse in Marokko ist eindeutig, das an der sorgfältigen Entwicklung der Haupthandlung nicht.
Finale
Löwen sind im Film auch zu besichtigen, damit sich der Titel wenigstens erklärt, aber ob der Pascha sie wirklich toll findet? Gemeint ist im übertragenen Sinn wohl auch eher El Raisuli, der letzte freie Fürst im Maghreb. Der poetische Titel verspricht mehr, als der Film halten kann und wir zählen ihn nicht zu den Abenteuer-Epen, die in verschiedenen Gegenden Arabiens und Afrikas so zahlreich entstanden sind. Zum einen weil er nur eine Episode wiedergibt und per Definition kein Epos ist, zum anderen, weil das Grandiose der Wüste, die für sich Gefühle von Einbindung in epische Prozesse auslösen könnte, zu sehr auf Karawanenschatten vor Sonnenauf- und Untergängen beschränkt ist. Der Film wurde im Wesentlichen in Spanien, nicht in der Sahara gedreht.
60/100
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)
Regie | John Milius |
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Drehbuch | John Milius |
Produktion | Herb Jaffe |
Musik | Jerry Goldsmith |
Kamera | Billy Williams |
Schnitt | Robert L. Wolfe |
Besetzung | |
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