Frontpage | Aufruf, Aktion | Rettungsdienste im Notstand
Liebe Leser:innen,
wir fassen uns kurz, denn die Resilienz in der Bevölkerung sinkt, wie Sie aus der untenstehenden Petition herauslesen können. Machen Sie bitte einfach mit. Natürlich kommentieren wir unterhalb noch ein paar Zeilen aus der Lebensanschauung.
Hier schon einmal der Link zur folgenden Petition.
Selbstverständlich haben wir bereits unterschrieben. Und hier das, worum es geht, im Volltext:
*** PETITION AUF CHANGE.ORG ***
1. RECHTSSICHERHEIT FÜR EINSATZKRÄFTE
Mitarbeitende in den Leitstellen stellen die Weichen für die Bearbeitung der Hilfeersuchen der Anrufenden. Die Kolleginnen und Kollegen brauchen rechtssichere Handlungsmöglichkeiten, um die Hilfeersuchen bedarfsorientiert zu steuern.
Rettungsfachpersonal wie Notfallsanitäter*innen sind hoch spezialisierte medizinische Fachkräfte. Ihre Behandlungsalgorithmen orientieren sich an aktuellen Ständen der Wissenschaft und Forschung. Standesdebatten über einzelne Maßnahmen sind hier wenig sinnvoll. Sie brauchen die Rückendeckung des Gesetzgebers für die lebensrettende Arbeit an den Patient*innen.
Das Sozialgesetzbuch sieht den Rettungsdienst auch im Jahr 2022 immer noch als Transportdienstleistung, welche in einem Krankenhaus endet. Das sorgt für Überlastung an nachgeordneten Stellen. Hier müssen sich die Gesetze den geänderten Bedürfnissen anpassen und die Durchführenden im Rettungsdienst brauchen die Finanzierung von Alternativen zum Transport ins Krankenhaus.
2. ANPASSUNG DER ARBEITSZEITMODELLE AN AKTUELLE BEDÜRFNISSE UND BELASTUNGEN
Die Arbeit im Rettungsdienst ist, nach wie vor, flächendeckend auf „faktorisierte Bereitschaftszeiten“ ausgelegt. Diese müssen durch die Arbeitgeber nicht nachgewiesen werden. Einsatzfreie Zeiten werden als „Nicht-Arbeit“ angenommen. Das entspricht meist nicht mehr den Realitäten und ist nie angefasst worden. Ein Hauptkritikpunkt der Kolleginnen und Kollegen im Einsatzdienst.
Wochenarbeitszeiten von 48 Stunden oder mehr sind keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Die Formulierung „bis zu …“ wird durch Kostenträger als Argument angesehen, die Arbeitszeiten regelhaft auszuweiten. Das machen die Mitarbeitenden nicht mit – der Personalnotstand weitet sich aus.
3. ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN SCHAFFEN
Die Arbeit im Einsatzdienst ist körperlich und psychisch belastend. Mitarbeitenden muss auch die Perspektive gegeben werden, das Rentenalter zu erreichen. Für Mitarbeitende im Einsatzdienst, egal ob Feuerwehr, Rettungsdienst oder Leitstelle, muss ein Höchstalter von 60 Jahren gelten. Unabhängig davon, ob verbeamtet oder tariflich beschäftigt.
Damit die Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeitsfähigkeit erhalten können, müssen Erholungs-/Präventivkuren angeboten und ausgebaut werden. Auch Supervisionsangebote müssen geschaffen werden. Positive Beispiele gibt es schon.
Die Karriereleiter im Rettungsdienst ist schnell zu Ende. Hier müssen Motivatoren wie Laufbahnverläufe und Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen werden. Wir verlieren sonst gut ausgebildetes und erfahrenes Personal in andere Branchen und verlieren die Möglichkeit qualitativ gut auszubilden.
4. SCHNITTSTELLENPROBLEME ANGEHEN UND ABSCHAFFEN
Die Leitstellen sind bundesweit die Netzwerkknotenpunkte und erste Anlaufstelle für die Bürgerinnen und Bürger sowie die angeschlossenen Systeme und Leistungserbringer. Dennoch gibt es keine bundeseinheitlichen Standards oder Kooperationen oberhalb der Kreisebenen. Hier besteht viel Verbesserungspotential, gerade zu den Organisationen wie dem Kassenärztlichen. Bereitschaftsdienst oder Länderübergreifenden Organisationen.
5. SELBSTHILFEFÄHIGKEIT DER BEVÖLKERUNG WIEDER STÄRKEN
Die Bevölkerung ist in medizinischen Fragen oft überfordert. Das führt zu der Annahme, dass „der Bürger“ sich nicht zu helfen weiß. Diesem Problem kann durch gezielte Aufklärung und Information, im Kindergarten beginnend, begegnet werden. In vergangenen Zeiten wurde viel Arbeit in die zivile Verteidigung gesteckt, die die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung stärken sollte. Mit neuen Ideen und neuen Medien kann dieses Konzept schnell wieder Früchte tragen. Wir brauchen unkomplizierte und barrierearme Wissenstransfers in die Allgemeinheit.
6. AUFKLÄRUNG VON VERSORGUNGSSTRUKTUREN
Neuen Herausforderungen wird oft mit alten Lösungen begegnet. Die Gesellschaft verändert sich, also sollte das Schutzkonzept sich anpassen. Vorbeugender Rettungsdienst kann hier ein Thema sein, ambulante Konzepte wie Gemeindenotfallsanitäter oder Gutachten, die die Zukunft betrachten und nicht die Vergangenheit. Die Forschung im Themenfeld Rettungsdienst muss gestärkt werden und Konzepte, die sich anderswo bewährt haben, sollten auch endlich umgesetzt werden, anstatt sie nur zu diskutieren.
7. DAS GESUNDHEITSSYSTEM ALS GANZES BETRACHTEN
Es wird im Gesundheitssystem, bei dem der Rettungsdienst nur ein Rad im Getriebe ist, keine Verbesserungen geben, wenn nicht das Gesamte betrachtet wird. Ohne Stärkung der ambulanten Versorgung vor Ort wird es keine Entlastung im Rettungsdienst geben. Ohne Entlastung im Rettungsdienst wird es in den Notaufnahmen keine Entlastung geben. Und ohne Entlastung in den Notaufnahmen werden weiter Patientengruppen mit anbehandelten Problemen zurück in die Häuslichkeit oder außerklinische Pflege entlassen, wo sie wieder auf einen Fachkräftemangel stoßen. Dieser Mangel wird das Rad von neuem drehen.
8. ABKEHR VON GEWINNORIENTIERUNG IN DER NOTFALLVERSORGUNG
Die Notfallversorgung der Bürgerinnen und Bürger ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge, eine hoheitliche Aufgabe des Staates. Öffentliche Sicherheit und Ordnung lässt sich nicht an wirtschaftlichen Faktoren messen, denn der beste Notfall ist der, der gar nicht erst passiert. Durch Haushaltsplanung und Kosten-Leistungs-Nachweise ist der unnötigen Ausgabe von Fremdmitteln bereits begegnet. Gewinnerzielungsabsichten führen in diesem System aber immer zu Missständen, die den Bürgerinnen und Bürgern – den letztendlichen Kostenträgern – schaden. Überlastetes Personal gibt keine Sicherheit, überlastete Systeme haben keine Reserven.
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Wir können dazu nur folgendes äußern: Selbst, wenn wir mal gerade keinen Waldbrand haben, fallen uns die unzähligen Rettungseinsatzfahrzeuge auf, die auf den Straßen Berlins unterwegs sind. Ganz sicher hat sich die Zahl der Einsätze vermehrt, oder unsere Wahrnehmung hat sich komplett verändert. Wir glauben eher an Letzteres. Ergänzung zwischen Entwurf und Veröffentlichung: Auch gestern Abend sind wir wieder zwei Einsatzfahrzeugen begegnet. Einmal mussten wir sogar stoppen, um einen der Wagen beim Queren eines Radwegs vorzulassen, das hatten wir bisher noch nicht.
Kein Tag, kein Abend vergeht, an dem wir unterwegs sind, an dem wir nicht blinkendes Blaulicht sehen, von Sirenen überrascht, manchmal auch erschreckt werden und an dem nicht an mindestens einem Ort, in einer Straße, ein Einsatzfahrzeug parkt, dessen Besatzung gerade in einem Haus unterwegs ist. Der Stress in der Stadt ist nach unserer Ansicht spürbar, aber meist denkt man dabei an diejenigen, die all diesen Dienst leisten müssen, nicht an erster Stelle, sondern an diejenigen, die versorgt werden, denen schnell geholfen werden muss. Es ist wie meistens, wenn man ein berufliches Setting nicht persönlich kennt, man muss eine gewisse Vorstellungsgabe mitbringen, um zu erahnen, was sich hinter den Kulissen abspielt. Besonders dafür, dass in letzter Zeit noch mehr los ist als bisher.
Was uns schockiert hat und woran wir gar nicht dachten in dem Sinne, dass wir es nicht für möglich hielten: Dass auch der Rettungseinsatzdienst offenbar finanzialisiert ist und Gewinne im wörtlichen Sinne einfahren muss. Das ist wirklich krass und gerade im Bereich der Notfallversorgung der Bevölkerung ein Witz. Wir haben während Corona das Wort Triage schon in anderem Zusammenhang häufig gehört bzw. gelesen. Nichts anderes gilt, wenn wegen Überlastung entschieden werden muss, Einsätze danach zu fahren, was auf den ersten Blick als dringlicher erscheint, im Zweifelsfall räumlich näher liegt oder schlimmer klingt, weil man nicht jeden Notfall sofort abarbeiten kann.
Wir stellen uns das leider auch so vor, dass diejenigen, die es am besten drauf haben, Alarm zu machen, am schnellsten einen Rettungswagen bekommen. Was oben als abnehmende Resilienz umschrieben wird, ist offenbar auch ein zunehmender Mangel an Bereitschaft, Hilfe erst einmal etwas niederschwelliger zu organisieren als durch einen Anruf bei der 112.
Ob sich die Krise nutzen lässt, um generell Verbesserungen durchzusetzen? In vielen Branchen rührt sich jetzt der Widerstand, im Gesundheitswesen an anderen Stellen schon länger. Wir betrachten das Ganze und natürlich gehört auch ein gut aufgestellter Rettungsdienst dazu. Selbstverständlich gehört er zum Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, alles andere ist absurd und eine absolute ethische Fehlstellung.
Wir sind schon gespannt, wann auch die Polizei gewinnbringend arbeiten muss, etwa, indem sie den Bürger:innen vermehrt dort nachstellt, wo ein schneller und leichter Euro zu machen ist, anstatt komplexe Verbrechen mit hohem Zeitaufwand aufzuklären.
Wir unterstützen wir die obige Petition vollumfänglich und bitten Sie darum, das Gleiche zu tun.
Hier noch einmal der Link zur obigen Petition.
TH