Crimetime Vorschau – Titelfoto © SRF, Pascal Mora
Am vergangenen Sonntag startete die zweite Saisonhälfte der Tatort-Premieren mit „Das Verhör„, einem Odenthal-Krimi zum Thema Femizid aus Ludwigshafen, die Schweizer folgen nun mit einem Film, dessen Titel bereits deutlich macht, es handelt sich um eine Geschichte aus der Pharma-Industrie.
Von einer zweiten Halbsaison kann man eigentlich nicht sprechen, immerhin sind wir schon in der 37. von 52 Kalenderwochen angelangt, das Jahr wird sich nun sehr schnell dem Ende zuneigen. Manchmal hat man das Gefühl, auch die Zivilisation, wie wir sie kennen, neigt sich dem Ende zu und die Machenschaften in der Pharmaindustrie sind auch nur ein Zeichen von unzähligen, die an der Wand geschrieben stehen. In der Schweiz stellt sie allerdings die größte produierende Branche dar und das gibt dem Film durchaus eine besondere Bedeutung. Es ist, als ob man bei uns einen VW- oder Daimler-Krimi machen würde. Einen solchen gab es übrigens noch nie, auch nicht mit geänderten Firmenbezeichnungen. Raten Sie mal, warum das so ist, trotz Abgasskandalen, Intrigen, Pannen, krassen unternehmerischen Fehlentscheidungen, persönlichen Verfehlungen etc. Und wie ist der 1208. Tatort gelungen? Hier die Stimmen:
Die Redaktion von Tatort-Fans meint:
„Ein gesellschaftlich relevantes Thema, verpackt in einen spannenden Plot, gewürzt mit einer wohldosierten Prise feinsinnigem Schweizer Humor – was will man als Tatort-Fan mehr? Auch Anna Pieri Zuercher und Carol Schuler haben diesmal sichtlich Spaß am Spiel und kultivieren die Gegensätzlichkeit ihrer Rollen – wobei Isabelle Grandjean neue, durchaus sympathische Seiten von sich zeigt.
Der vierte Zürich-Tatort fesselt von der ersten bis zur letzten Minute – auch, weil er einige überraschende Wendungen bereithält, die im Nachhinein aber durchaus logisch erscheinen. Da kann man über manche Schwächen wie die etwas klischeehafte Darstellung von skrupellosen Top-Anwälten und Pharmaunternehmern ruhig hinwegsehen. Vier Sterne und eine Einschaltempfehlung für diesen gelungenen Tatort-Beitrag aus der Schweiz.“
In den Zeiten des sympathischen Reto Flückiger sagte man den Schweizern zuweilen nach, dass sie generell nicht spannend erzählen können, aber wir fanden das damals schon nicht zutreffend und freuen uns darüber, dass die erste Meinung zum Film, die wir abbilden, positiv ausfällt. So motiviert, durchforsten wir weitere Rezensionen:
„Tatort: „Risiken mit Nebenwirkungen“ ist ein recht plumper Krimi, der sich das immer wieder dankbare Feindbild des Pharmaunternehmens herausgesucht hat. Der Film ist vollgestopft mit Klischees und anstrengenden Figuren. Die wichtigen Themen wurden für einen mäßigen Krimi verschenkt.“ So lautet das Fazit von „Filmrezensionen.de“ und heraus kommen 4 von 10 möglichen Punkten. Die kalte Rezensiondusche folgt also auf dem Fuß, aber die Politik meint ja sowieso, wir sollen mehr kalt duschen, besonders im kommenden Winter, der Abhärtung wegen, die wir brauchen werden, um diese Politik auch künftig ertragen zu können. Es stimmt auch dies: Die Schweizer Filme selten ganz, ganz subtil angelegt, aber plump ist doch wieder eine andere Kategorie und vielleicht gehört auf einen groben Klotz wie die Pharmaindustrie ein grober Keil? Schauen wir uns weitere Stimmen an.
„Wann erfindet endlich jemand eine Pille gegen die Langeweile? Panscher und Rechtsverdreher: Der Schweizer »Tatort« beschäftigt sich mit dem Milliardenmarkt der Medikamentenforschung – sediert das Publikum aber lediglich mit den bekannten Abziehbildern des Bösen.„
Ohne Christian Buß vom Spiegel zu lesen, geht die Krimi nie ins Bett, um sich einen Krimi anzuschauen, und wir erstellen ohne seine Meinung keine Premieren-Vorschau. Der Titel und die Headline ähneln dem, was auch „Filmrezensionen“ geschrieben hat. Aber wenn das Böse doch einfach plump und abziehbildhaft ist? Und nicht ambivalent, mal so, mal so, nicht differenziert, weil es ja sonst nicht das Böse wäre? Seufz. Wir werden vielleicht künftig ohne ihn auskommen müssen, denn nur noch diese Headline ist frei, alles andere hinter dem Spiegel-Plus-Abo verschwunden. Daher können wir Ihnen auch nicht mitteilen, wie die Punktevergabe von Buß aussieht und Sie müssen sich ein Spiegel-Plus-Abo zulegen, um mehr mit dem Artikel anfangen zu können, als wir wiedergegeben haben. Da diese Handhabe neu ist, wir sind eben gerade erst darüber gestolpert, bitten wir um Verzeihung und werden uns nach einer Alternative umsehen, denn wir wollen Sie nicht mit Links zu Artikeln ärgern, die auch wir mangels Zugang nicht lesen konnten. Wie oben geschrieben, die Zivilisation und nichts wird besser und Mimi wird sich wieder einmal von einer liebgewordenen Gewohnheit trennen müssen.
Martina Kalweit notiert für Tittelbach-TV (noch immer ohne Bezahlschranke):
„Die besten Anwälte der Kanzlei Clement & Widmer stehen auf der Lohnliste des Schweizer Pharmariesen Argon. Das Unternehmen steht vor der Markteinführung eines neuen Medikaments. Entsprechend hoch ist die Nervosität in Konzern und Kanzlei. Anwältin Corinne Perrault (Sabine Timoteo) muss letzte Widerstände aus dem Weg schaffen. Doch ihre Skrupel wachsen. Bevor der Kipp-Punkt erreicht ist, treibt sie tot im Zürichsee… „Tatort – Risiken mit Nebenwirkungen“ (SRF / Contrast Film) ist der vierte Fall von Ott & Grandjean. Sobald die beiden am Tatort eintreffen, folgen Erzählperspektive und Kamera ihrer Spur. Dabei sorgen Ausstattung, Licht und Sound für Kühle und Künstlichkeit, die nie zum Selbstzweck wird. Rührige Geschichten über Pharmaunternehmen, die für Geld über Leichen gehen, gibt es genug. Das als Fakt und nicht als Füllhorn für eine pathetisch-sozialkritische Mitleidsstudie zu behandeln überzeugt. Ein unaufgeregter Fall in runder Machart.„
Auch wenn diese Kritik viel positiver klingt als die beiden vorherigen: 4/6 sind für Tittelbach-TV eine unterdurchschnittliche Wertung, das Normalmaß liegt bei einem Tatort-Startwert von etwa 3/6 bei 4,5, im ersten Halbjahr 2022 u. E. sogar darüber.
Den SWR-Check, geschrieben dieses Mal von Michael Haas, stellen wir heute an den Schluss:
„Fazit zum Tatort: Gut anzusehen, schöne Bilder, mittel spannend.
Interessant und kniffelig auch die moralische Frage, die über allem schwebt: Wie viel kostet ein Menschenleben? Klar, ein Menschenleben ist unbezahlbar. Aber ist es dann nicht verwerflich als Medikamentenhersteller genau das zu verlangen: einen unbezahlbaren Preis? „Kapitalistische Scheißwichser“, sagt eine der Kommissarinnen, und verliert zweifellos die Contenance. Aber es ist auch echt klasse, dass sich die beiden immer wieder positionieren und klar Haltung zeigen. Dazu gibt’s in diesem Tatort noch wundervolle Bilder, von einer rudernden Kommissarin auf dem Züri-See zum Beispiel. Einfach ein schöner Krimi mit friedlichen Kommissarinnen und schönen Bildern. Trotz der vielen Klischees gut anzusehen und so mittel spannend.“
Einige Punkte aus den vorherigen Kritiken finden sich auch hier, aber die Bewertung ist dieses Mal wirklich überwiegend positiv, 3/5 daher die Elchausbeute. Unser Fazit anhand der Kritiken? Uneinheitlich. Am besten schauen sie selbst rein, um sich ein Urteil zu bilden. Schon in wenigen Stunden geht’s los.
TH
Handlung (Trailer hier)
Die Spitzenanwältin Corinne Perrault kennt keine Gnade, wenn es um die Interessen ihrer Mandantinnen und Mandanten geht. Eines Morgens treibt sie tot im Zürichsee. Was wie ein Suizid erscheint, entpuppt sich als heimtückischer Mord. Als Anwältin der Kanzlei Clement & Widmer vertrat sie das aufstrebende Pharmaunternehmen Argon. Angeblich richtet deren Medikament Volmelia in der Testphase verheerende Schäden an – etwa bei Klara Canetti. Das Mädchen sitzt wegen einer seltenen Krankheit im Rollstuhl. Nach der Einnahme von Volmelia hat sich Klaras Zustand nun noch verschlimmert. Jetzt hat ihre Mutter Argon verklagt. Für den Konzern steht viel auf dem Spiel, denn das sündhaft teure Medikament steht kurz vor der Zulassung. Bei einem Verbot würden dem Unternehmen mit ihrem Shooting-Star Dr. Regula Arnold viele Millionen entgehen, was die Pharmafrau vor allem in den Augen von Tessa zur Hauptverdächtigen im Mord an Corinne Perrault macht.
In der Kanzlei löst Perraults Tod Bestürzung aus. Das noble Unternehmen verliert eine qualifizierte Kollegin. Für Anwalt Matteo Riva war Corinne mehr als das, und auch Chefin Martina Widmer verband viel mit der Toten. Doch Isabelle und Tessa trauen der demonstrativen Betroffenheit der beiden nicht. Dann finden die Kommissarinnen heraus, dass Corinne das Volmelia-Mandat abgegeben hatte und daraufhin länger krankgeschrieben war.
Die Ermittlerinnen verfolgen noch eine dritte Spur – vor allem auf Betreiben von Isabell. In ihren Augen gibt es für Klaras Mutter Dorit gleich ein doppeltes Mordmotiv. Der Hass auf Corinne Perrault, die ihrer Tochter in einer Befragung aggressiv zusetzte, ebenso wie die Aussicht eine hohe finanzielle Entschädigung. Isabelle versucht das Vertrauen von Klara zu gewinnen. Dann bricht Klara bei der Befragung durch sie zusammen und muss in ein künstliches Koma versetzt werden. Isabelle macht sich Vorwürfe, denn sie fühlt sich schuldig an Klaras Zustand. Zudem fällt mit dem Mädchen eine wichtige Zeugin weg, die Licht ins Dunkel zum Tod von Corinne Perrault bringen könnte.
Besetzung und Stab
Isabelle Grandjean | Anna Pieri Zuercher |
Tessa Ott | Carol Schuler |
Anita Wegenast | Rachel Braunschweig |
Noah Löwenherz | Aaron Arens |
Martina Widmer | Therese Affolter |
Matteo Riva | Benjamin Grüter |
Klara Canetti | Anouk Petri |
Dorit Canetti | Annina Butterworth |
Charlie Locher | Peter Jecklin |
Milan Mandic | Igor Kovac |
Regula Arnold | Laura de Weck |
Corinne Perrault | Sabine Timoteo |
Hubertus Gastmann | Robert Hunger-Bühler |
Musik: | Marcel Vaid |
Kamera: | Simon Guy Fässler |
Buch: | Nina Vukovic |
Stefanie Veith | |
Regie: | Christine Repond |