Geopolitik | Ukrainekrieg | Putin droht u. a. mit Atomwaffen
Die Putin-Rede an die Nation vom 23.09.2022. Einen Tag, bevor der Ukraine-Krieg sieben Monate alt wurde, wandte sich Russlands Präsident Wladimir Putin in einer Fernsehansprache an sein Volk und verkündete die Teilmobilmachung 300.000 weiterer Männer, die im Ukrainekrieg kämpfen sollten. Wir gehen diese Rede Punkt für Punkt durch wollen sie auf ihren Gehalt überprüfen aber auch darauf, was sich hinter den Worten verbirgt. Wir verwenden die englische Version, wie sie auf der Webseite des Kreml einzusehen ist.
Putin 21.09.2022 President of Russia Vladimir Putin:
Friends, The subject of this address is the situation in Donbass and the course of the special military operation to liberate it from the neo-Nazi regime, which seized power in Ukraine in 2014 as the result of an armed state coup.
Wir fassen nach diesem Absatz einige allgemeine Punkte zusammen, damit wir folgende Redebestandteile etwas kürzer kommentieren können:
Das Nazi-Framing gegenüber der aktuellen ukrainischen Regierung ist eine wichtige Komponente in der russischen Propaganda, denn der einende Charakter des Befreiungskampfes aller sowjetischen Völker gegen den Überfall durch Nazi-Deutschland am 22. Juni 1941 ist immer noch eine starke einende Basis. Zu Recht, wie wir meinen. Niemand hat in den Kämpfen dieses Krieges mehr Opfer bringen müssen als die sowjetischen Völker, um sich den Nazis entgegenzustellen.
Die Frage ist, ob man diese Tatsache dazu einsetzen darf, Propaganda für einen Krieg zu machen, in dem die Aggression auf der eigenen Seite liegt und außerdem einem dieser früheren Sowjetvölker gilt. Ebenso wichtig ist allerdings, ob die Ukraine ein „Neonazi-Regime“ hat, das durch einen Putsch an die Macht kam. Der Ausgangspunkt für diese Überlegungen ist, dass der gewählte prorussische Präsident Viktor Janukowitsch im Jahr 2014 durch die Euromaidan-Bewegung zur Flucht genötigt wurde.
Richtig ist, dass die Ukraine zuvor die Annäherung an die EU gesucht hatte und Janukowitsch unter dem Druck Russlands diese Annäherungspolitik stoppte. Sie war allerdings auch in der EU umstritten, Angela Merkel beispielsweise war eine Gegnerin des bereits fertigen Assoziierungsabkommens von 2013. Vermutlich hatte sie, wie bei der Energiepolitik, auch russische Interessen im Blick. Davon unabhängig ist festzuhalten, dass die Ukraine institutionell und wirtschaftlich zu weit von EU-Standards entfernt war, um die Einleitung eines Beitrittsverfahrens als ratsam erscheinen zu lassen.
Die russische und von Russland nahestehenden Personen verbreitete Version der Geschehnisse um den Euromaidan (benannt nach der proeuropäischen Haltung der Demonstrierenden gegen die Regierung Janukowitsch auf dem zentralen Platz der Befreiung in Kiew) ist die, dass diese Proteste von der EU und den USA gesteuert wurden und dass sie von Nazis mindestens mitgetragen, wenn nicht initiiert und organisiert wurde. Diese Rechten gab es in der Ukraine und gibt sie noch und sie standen der Regierung von Janukowitsch-Vorgänger, dem Pro-Europäer Juschtschenko, nah. Ausdruck dieser Nähe war die Erhebung des Nationalisten Stepan Bandera zum Nationalhelden durch Juschtschenko. Vorgänge um Bandera im Zweiten Weltkrieg sorgen noch heute für eine unterschiedliche Beurteilung der Person innerhalb des Landes und für ein negatives Gesamtbild in weiten Teilen der Welt. Vor allem in der Westukraine gilt er in der Tat eher als Befreiungskämpfer, wie es dort auch in der Bevölkerung Teile gegeben haben soll, die den Einmarsch der Deutschen begrüßten. In anderen Regionen, vor allem aber von einigen wichtigen Staaten wird vor allem Banderas faschistisch-antisemitische Haltung hervorgehoben. Die Haltung des noch amtierenden ukrainischen Botschafters in Deutschland, Andrij Melnyk, entspricht der ersten von beiden Positionen.
Bandera wurde 1959, als er im Exil lebte und kaum noch politischen Einfluss hatte, vom sowjetischen KGB ermordet. Diese Maßnahme hat sicher zu seiner Verklärung beigetragen. In der Tat waren bei Protesten des Euromaidan Porträts von ihm zu sehen. Daraus zu schließen, dass der Euromaidan eine Inszenierung des Westens unter führender Beteiligung faschistischer Kräfte gewesen sei, lässt sich jedoch nach allen Forschungen über die Zusammensetzung der Protestveranstaltungen nicht halten. Wohl aber wurde die russische Annexion der Krim u. a. damit begründet und danach wurde unter russischer Anleitung ein Referendum abgehalten. Die hohe Zustimmung von 97 Prozent der Bevölkerung für die Loslösung der damals autonomen Region von der Ukraine erscheint angesichts früherer, freier Referenden zum Status der Krim als unrealistisch und die Annexion wird als rechtlich bindender Tatbestand von der UNO und den meisten Staaten weltweit abgelehnt.
Noch heute spielen in der Ukraine sehr rechtsgerichtete Kräfte eine wichtige Rolle, Schlagzeilen machte z. B. das als profaschistisch geltende Asow-Regiment, das vor allem im Süden der Ukraine im laufenden Krieg gegen Russland kämpft. Mit Asow-Kämpfern ließ sich unter anderem der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko sehen. Das ist eine grundsätzliche Feststellung, die nicht darauf eingeht, welche Wandlungen es zuletzt gegeben haben mag. Der russischen Propaganda sind diese Tatbestände unzweifelhaft dienlich.
Richtig ist also, dass es eine breit gefächerte Bewegung gab, die zur nicht demokratischen Ablösung des russlandfreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch führte. Die heutige Regierung der Ukraine ist nicht linksgerichtet, sondern im Ganzen rechtskonservativ. Sie deswegen als faschistisch zu bezeichnen, ist dennoch falsch. Seit dem Oktober 2014 wurden mehrere demokratische Wahlen abgehalten, aus der letzten ging im Jahr 2019 Wolodymyr Selenskyj als klarer Sieger hervor und löste Petro Poroschenko als Präsident ab.
Nachdem der studierte und diplomierte Rechtswissenschaftler, ehemalige Schauspieler und Regisseur Wolodymyr Selenskyj am 31. März 2019 den ersten Wahlgang[ und am 21. April die Stichwahl der Präsidentschaftswahl in der Ukraine gegen den Amtsinhaber klar gewonnen hatte,[95] wurde er am 20. Mai 2019 in Kiew in das Amt des Präsidenten eingeführt.
Von Russland nahestehenden Personen auch in Deutschland wird Selenskyj als faschistoider Clown mit einem Händchen für Propaganda diffamiert, weil in seiner Biografie die Tätigkeit als Schauspieler und Satiriker eine wichtige Rolle spielt, weil er rechte Elemente integriert, aber man sieht auch, dass er sehr wohl auch akademische Qualifikationen vorweisen kann, die ihn für seine Aufgabe grundsätzlich befähigen und auf unterschiedliche Strömungen setzt, um die Ukraine zu regieren. Wichtig ist in dem Zusammenhang, dass die Ukraine auf dem Weg der Demorkratisierung erheblich weiter ist als Russland, das sich unter Putin bezüglich der Freiheitsrechte erheblich zurückentwickelt hat.
Was derzeit eine wichtige Rolle spielt: Es gelang auch Selenskyj nicht, die nach dem Euromaidan virulent gewordene Separatistenagitation im Osten der Ukraine zurückzudrängen und die Gebiete im Donbass wieder vollständig in die Ukraine zu integrieren. Das hat ihn im Westen der Ukraine Sympathien gekostet. Völkerrechtlich sind diese Gebiete weiterhin Bestandteile der Ukraine, ebenso wie das für die Krim mehrheitlich als gegeben angesehen wird.
Die russische Position im Ukrainekrieg stützt sich unter anderem darauf, dass man den durch die ukrainische Regierung gefährdeten ethnischen Russ:innen im Donbass zu Hilfe kommen wollte. Das Modell kennen wir bereits aus Syrien, sich als zu Hilfe gerufen zu bezeichnen: Dort galt es, einen Diktator an der Macht zu halten, was gelang. In der Ukraine wird das Argument gegen die Regierung gewendet, ebenfalls, wie in Syrien, unter Verweis auf die UN-Charta. Diese ist aber nicht dazu gedacht, einem Staat klar zugeordnete Territorien abspalten zu können oder Diktatoren an der Macht zu halten, die ihr eigenes Volks terrorisieren, insofern also eine leere Hülle, die dem Geist der UN-Charta widerspricht. Man kann im Grunde jede Norm, die ethische Maßstäbe enthält, so auslegen, dass gegen ihre Intention verstoßen wird.
Auch deshalb beruft sich Russlands Regierung zusätzlich darauf, die ukrainische Regierung hätte die Menschen in den jetzigen „Volksrepubliken“ unterdrückt und deren Streben nach Autonomie unterbunden. Wir werden im weiteren Verlauf der Redes sogar das Wort „Genozid“ lesen. Richtig ist, dass die Separatistenbewegung von der Zentralregierung bekämpft wurde, bisher, wie wir wissen, ohne endgültigen Erfolg. Diese Bekämpfung der handelnden Akteure, die massiv von Russland unterstüzt wurden, war das Recht der ukrainischen Regierung, um eine weitere Desintegration des Staatsgebiets nach der Krim-Abtrennung zu verhindern. Die russische Unterstützung ist belegt, ebenso wie die Unterstützung von Kräften der prorussischen Regierung der Ukraine bis 2014 seitens der Putin-Regierung. Es ist weiterhin belegt, dass Russlands Regierung in vielen Ländern der Welt relativ hohe Summen für politische Beeinflussung direkt an Politiker:innen zahlt. Insofern entscheidet sich Russlands Verhalten im geostrategischen Sinne nicht von dem des Westens. Es gibt hier also kein „Gut und Böse“. Dass der Westen mehr Potenzial hat, um seine Interessen durchzusetzen, weil er mit wirtschaftlichem Druck und mit wirtschaftlichen Angeboten in weitaus höherem Maße arbeiten kann, wird von „Putinist:innen“ gerne zum Anlass genommen, um den unzweifelhaften westlichen Imperialismus einem völkerfreundlichen Verhalten Russlands gegenüberzustellen. Der wirkliche Unterschied liegt jedoch vor allem in den Möglichkeiten, die u. a. aufgrund der hochentwickelten Volkswirtschaften des Westens ungleich verteilt sind.
Da die heutige Regierung Selenskyj weitgehend aus politischen Neulingen bestand, kann man den meisten davon keine faschistische Vergangenheit andichten, gerade bei Selenskyj selbst sollte man das aufgrund seiner Herkunft nicht tun. Wichtiger für die Beurteilung der Ukraine und den Weg, den die dortige Politik gehen will, ist vielmehr, dass die Regierung Selenskyj bei Systemreformen bereits als weitgehend am Oligarchensystem, das die Ukraine ebenso kennt wie Russland, gescheitert galt und die Popularität von Wolodymyr Selenkskyi, die ihm einst eine absolute Mehrheit einbrachte, schon kurz nach seinem Regierungsantritt schwan; jedoch durch den Krieg und seine medienwirksame Allpräsenz zu neuen Höhen angestiegen ist. Ganz sicher bestimmt dies die unnachgiebige Haltung der ukranischen Regierung mit, ist aber lediglich eine Folge, nicht der Auslöser des bewaffneten Konflikts. Außerdem haben Analysten darauf hingewiesen, dass Selenskyis politisches Überleben in der Tat davon abhängen wird, dass er Russland nicht zu weit entgegenkommt.
Das Faschismus-Argument ist also bezüglich der Entwicklung ab dem Euromaidan nicht komplett aus der Luft gegriffen, aber wird auf unzulässige Weise gegen eine Mehrheit von NIchtfaschist:innen verwendet. In der heutigen Situation ist es nicht relevant genug, um einen Angriffskrieg zu rechtfertigen. Damit steht bereits die einleitende Zuschreibung durch Präsident Putin auf wackeligem Fundament.
Der Westen hat in Verteidigung der Ukraine bis heute übrigens keine Kampfpanzer geliefert, sehr wohl aber Russland an die eine widerrechtliche Abspaltung vorantreibenden Separatisten im Donbass, die von Russland wiederum als Volksbewegung dargestellt werden.
Today I am addressing you – all citizens of our country, people of different generations, ages and ethnicities, the people of our great Motherland, all who are united by the great historical Russia, soldiers, officers and volunteers who are fighting on the frontline and doing their combat duty, our brothers and sisters in the Donetsk and Lugansk people’s republics, Kherson and Zaporozhye regions and other areas that have been liberated from the neo-Nazi regime.
Wir haben bereits nach dem ersten Absatz die grundsätzliche Situation erläutert, sodass wir die Teile der Rede nicht mehr kommentieren müssen, die auf dieser grundsätzlichen Zuschreibung beruhen.
The issue concerns the necessary, imperative measures to protect the sovereignty, security and territorial integrity of Russia and support the desire and will of our compatriots to choose their future independently, and the aggressive policy of some Western elites, who are doing their utmost to preserve their domination and with this aim in view are trying to block and suppress any sovereign and independent development centres in order to continue to aggressively force their will and pseudo-values on other countries and nations.
Es ist ganz unstreitig, dass der Westen seine Werte und seine Interessen zu sehr als gleichgerichtet darstellt und dass die westlichen Werte selbst unter Druck durch die westlichen Regierungen sind. Es sind deshalb keine Pseudo-Werte, im Gegenteil, sie sind unendlich wertvoll und nur wenige strahlende Momente der Geschichte machten es möglich, dass immer noch viele Menschen in den grundsätzlichen Genuss dieser Werte kommen. Jedoch mangelt mangelt zunehmend an ihrer Beherzigung und damit an der Strahlkraft westlicher Demokratien und es mangelt an einer Systemreform, die dringend notwendig ist, um die massiv zunehmende, demokratiefeindliche Ungleichheit in den einzelnen Gesellschaften des Westens zu stoppen.
Auch der sicher nicht von Russland beeinflusste Democracy Index, der z. B. von „Our World in Data“ veröffentlicht wird, zeigt aktuell einen Rückgang demokratischer Rechte im Westen nach einem Höhepunkt vor einigen Jahren. Inwieweit das z. B. mit der Corona-Politik zu tun hat, muss noch abgewartet werden, die Kriterien für die Beurteilung der demokratischen Rechte und der Menschenrechte in einem System sind zu Recht sehr komplex. Wir sehen eher die Tendenz zum Überwachungsstaat als problematisch an, die unter dem Deckmantel der Terrorabwehr entsteht, ebenso die Angriffe auf andere Länder mit zum Teil dreisten Lügen des Westens, wie im Irak 2003, als das gegenwärtige Pandemiemanagement.
Eine interessante Frage, die wir uns zuletzt gestellt haben: Darf man im Sinne der Förderung der Demokratie in anderen Ländern intervenieren? Wenn klar wäre, dass es der Bevölkerung danach besser ginge, und nicht, wie es auch die USA allzu gerne tun, um ganz und gar menschenfeindliche Regime zu unterstützen oder zu installieren, die mit Demokratie nichts anfangen können? Mithin: Ist die unzweifelhafte Unterstützung der Ukraine auf ihrem Weg nach Westen legitim, weil sie ethisch gerechtfertigt sein könnte?
Wir meinen: Darauf kommt es nicht entscheidend an, sondern darauf, ob die Bevölkerung diese Bewegung ebenfalls unterstützt. Wenn sie eine prowestliche Regierung wählt, was sie seit 2014 getan hat, muss diese Regierung sich dem Westen annähern dürfen, ohne dass Russland versucht, die Ukraine zu beschädigen. Wenn eine Regierung abgesetzt wird, wie die von Viktor Janukowitsch im Jahr 2014, dann ist dies demokratietechnisch ein Rückschlag, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ukrainische Demokratie seitdem vorangekommen ist. Zu sagen, die Beeinflussung durch den Westen hat über die durch Russland den Sieg davongetragen, wäre aber einer Verkürzung dessen, was damals geschehen ist und Hunderttausende von Menschen auf die Straße brachte, die schlicht unzufrieden waren mit dem Zustand des Landes.
The goal of that part of the West is to weaken, divide and ultimately destroy our country. They are saying openly now that in 1991 they managed to split up the Soviet Union and now is the time to do the same to Russia, which must be divided into numerous regions that would be at deadly feud with each other. They devised these plans long ago. They encouraged groups of international terrorists in the Caucasus and moved NATO’s offensive infrastructure close to our borders. They used indiscriminate Russophobia as a weapon, including by nurturing the hatred of Russia for decades, primarily in Ukraine, which was designed to become an anti-Russia bridgehead. They turned the Ukrainian people into cannon fodder and pushed them into a war with Russia, which they unleashed back in 2014.
Im Krieg wird immer an den Nationalismus und die gloriose, aber sehr bedrohte eigene Nation appelliert, unabhängig davon, ob man auf der richtigen Seite steht. Sofern es eine solche gibt, wie im Zweiten Weltkrieg. Was Putin hier behauptet, ist zwar wiederum nicht aus der Luft gegriffen, ganz eindeutig wird im Westen versucht, russischen Einfluss zu verhindern und russische Interessen wurden seit dem Zerfall der Blöcke massiv missachtet, dabei musste doch im Westen jedem klar sein, dass Russland keine echte Gefahr für die Dominanz des Westens darstellt, weil es das gesamte Glacis der Sowjetunion eingebüßt hatte. Russlandfeindlichkeit als Triebfeder politischer Entscheidungen vor allem in den USA ist also keine Chimäre und wir sind stets dafür, dass Europa zu einer eigenständigeren Linie findet. Selbstverständlich werden solche Tendenzen in den USA nicht gerne gesehen, denn es geht um Kontrolle, nicht um Partnerschaft unter Gleichen.
Aber schon die Idee, die Ukrainer:innen seien alle manipulierte Marionetten, erweist sich in diesem Krieg längst als obsolet und ist hochgradig diskriminierend: Sie würden so nicht kämpfen und allgemein handeln, wie sie es tun, wenn sie vom Westen „gekauft“ wären. Sie handeln ganz offensichtlich viel mehr aus Überzeugung als die russischen Invasoren, sonst wäre die Ukraine angesichts der Kräfteverhältnisse längst komplett besetzt.
Der obige Absatz enthält demnach bedenkenswerte Aspekte, ist aber im Ganzen und im Tenor auch Ausdruck von Wladimir Putins Paranoia und seins eigenen Denkens als Geheimdienstler, der weiß, wie man infiltriert, die Wahrheit biegt und außerdem immer auf Feindfahrt ist. Es mag sein, dass das zu Beginn seiner Regierungszeit nicht so stark ausgeprägt war, aber in Kombination mit durchaus relevanten Zurücksetzungen Russlands hat dies zu einer Mentalität geführt, die immer rücksichtsloser wird.
Warum aber ist dem Westen so sehr an der Einhegung Russlands gelegen? Putinfreundliche Kommentatoren hierzulande, die sich als links geben, ist nicht nur gleich, wie das Regime von Putin aufgestellt ist, sondern sie konstruieren auch eine Gefahr, die es in der Form nicht gibt: Würden deutsche Technologie und russische Rohstoffe sich vereinen, würde eine echte Gegenmacht zu den USA entstehen. Das unterstellt zum Beispiel, dass darauf gezielt hingearbeitet wird. Das sehen wir aber nicht. Einzig die Energieversorgung durch Russland könnte dafür ein Beleg für eine zu enge Kooperation sein, ansonsten spielt das Land im deutschen Außenhandel und beim Technologietransfer eine zu geringe Rolle.
Jedoch ist diese Energieversorgung wiederum geostrategisch bedeutsam. Kritisch für uns vor allem deshalb, weil das billige Gas die Weiterwentwicklung einer fossilfreien Energieversorgung gebremst hat. Die Merkel-Jahre waren diesbezüglich schlechte, am Ende sogar verlorene Jahre, während Nord Stream 2, von Beginn an auch wirtschaftlich umstritten, auf den Weg gebracht wurde. Wir haben uns nie gegen diese Projekt gestellt, weil wir der Ansicht waren, Angela Merkel kennt die Kautelen im Umgang mit Russland besser als andere Politiker:innen des Westens. Vielleicht war sie aber auch bloß opportunistisch, wie so häufig und ging im wörtlichen Sinne den günstigsten Weg.
Der Einfluss der USA auf die deutsche Energieversorgung hingegen erhöht sich gerade, das hat Putin also nebenbei erreicht. Dieser Einfluss, für den gegenwärtig viel zu viele Investitionen notwendig sind in eine Technologie ohne Zukunft, wird zwangsläufig wieder schwinden, wenn die Erneuerbaren Energien endlich mit mehr Einsatz vorangetrieben werden.
Man kann insofern um die Ecke denken, als die gegenwärtige Verzögerung wegen der Bündelung der Kräfte auf die Kriegsfolgen den USA sehr gelegen kommen, inklusive der wirtschaftlichen Schwächung Deutschlands und dem massiven Dämpfer, den die hiesigen Bemühungen, auch mit Russland zu kooperieren nun erhalten haben, doch letztlich gehören die USA zu den Gewinnern des Ukrainekriegs und brauchen doch Verbündete, die einigermaßen funktionieren. Ob auch Deutschland mittelfristig profitieren wird, zum Beispiel durch den Anschub der Transformation nach der aktuellen Schwächephase, bleibt abzuwarten. Für Russland gilt es auf keinen Fall, weil Putins Politik Handlungsoptionen zerstört und unabhängig davon, wer durch die Sanktionen und Gegensanktionen aktuell am meisten geschädigt wird.
They used the army against civilians and organised a genocide, blockade and terror against those who refused to recognise the government that was created in Ukraine as the result of a state coup. After the Kiev regime publicly refused to settle the issue of Donbass peacefully and went as far as to announce its ambition to possess nuclear weapons, it became clear that a new offensive in Donbass – there were two of them before – was inevitable, and that it would be inevitably followed by an attack on Russia’s Crimea, that is, on Russia. In this connection, the decision to start a pre-emptive military operation was necessary and the only option.
Zur Krim haben wir uns bereits geäußert, woraus folgt, dass Putins Darstellung falsch ist. Dass die Ukraine im Donbass versucht hat, die Oberhand zurückzugewinnen und es dabei zu Toten kam, ist richtig, aber dies als Genozid zu bezeichnen, unverhältnismäßig. Diese verbale Eskalation seitens der russischen Regierung gibt es schon länger und sie ist deshalb gefährlich und zu verurteilen, weil damit eine Gleichsetzung der Folgen einer von beiden Seiten durchaus hart geführten begrenzten Auseinandersetzung in einem Landesteil der Ukraine mit dem Abschlachten hilfloser Menschen in unfassbaren Dimensionen erfolgt, u. a. mit der Shoah. Diese bedenkenlose Gleichsetzung ganz verschiedener Tatbestände ist einer der größten ethischen Verlustposten Wladimir Putins.
In Wirklichkeit stehen sich im Donbass Kombattanten gegenüber und rechtlich sind die ukrainischen Beteiligten in einer besseren Position als die Separatisten. Es nützt den Putin-Unterstützer:innen auch nichts, auf den Status der Krim als „Geschenk“ Chruschtschows zurückzugreifen, weil er sie 1954 zur ukrainischen SSR geschlagen hat. Russland hat 1991 die Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine offiziell anerkannt, das wird von den Vertretern des Rückgriffs in die mittlere Vergangenheit ganz ungern erwähnt. Dass die Unterstützer:innen Putins, falls sie sich dazu herablassen, es doch zu tun, diese Anerkennung einer Schwächephase der sich auflösenden SU zuschreiben, mag sogar bis zu einem gewissen Grad richtig sein, aber deswegen kann man nicht alle die Völker der SU in die Unabhängigkeit entlassenden Vorgänge von damals für obsolet erklären. Der Grundgedanke Michail Gorbatschows war, den Völkern die Selbstbestimmung zu ermöglichen und die imperialistische Haltung der Sowjetunion zu beenden.
Deshalb ist dieser Rückgriff auf die Zeit vor der Wende purer Revisionismus. Außerdem ist es bloß eine Behauptung, dass es keine anderen Möglichkeiten gegeben hätte, sich zu vereinbaren und eine Lösung für den Donbass zu finden. Sowohl die Ukraine als auch Russland waren aber wenig daran interessiert, die unter deutscher Vermittlungsbeteiligung ausgehandelten Abkommen Minsk 1 und 2 umzusetzen, die auch diese Frage rechtebasiert regeln sollten. Wäre das geschehen, hätte man dies als größten außenpolitischen Erfolg Angela Merkels bezeichnen können.
Dass diese Abkommen missachtet wurden, führt heute zu der Frontstellung, dass man sich gegenseitig bezichtigt, gar keinen Frieden gewollt zu haben, jeweils aus Gründen imperialer Sphärenerweiterung, bei Russland auf eigene Rechnung, bei der Ukraine im Auftrag der USA. Damit müssen nun auch beide Seiten leben, dass sie wenig zur Befriedung beigetragen haben.
Den entscheidenden Punkt in Richtung Krieg hat dennoch am 24.02. Präsident Putin mit dem offenen Einmarsch in die Ukraine gesetzt, und dies nicht, weil Russland selbst gefährdet gewesen wäre, sozusagen als Präventivschlag, wie er es in seiner Rede vom 21.09. darstellt. Interessant wiederum, dass er dabei eine deutsche Rechtfertigung für das „Unternehmen Barbarossa“ im Jahr 1941 aufgreift, das schon von der Bezeichnung her auf düstere Weise der „Spezialoperation“ von heute ähnelt, die Putin einfach nicht als Krieg bezeichnen will. Das stellt ihn Hitler nicht gleich, aber es ist festzuhalten, dass für gleichartige Verbrechen gleichgerichtete Begründungen notwendig zu sein scheinen, um diese Verbrechen der eigenen Bevölkerung und überall auf der Welt gut zu verkaufen.
The main goal of this operation, which is to liberate the whole of Donbass, remains unaltered. The Lugansk People’s Republic has been liberated from the neo-Nazis almost completely. Fighting in the Donetsk People’s Republic continues. Over the previous eight years, the Kiev occupation regime created a deeply echeloned line of permanent defences. A head-on attack against them would have led to heavy losses, which is why our units, as well as the forces of the Donbass republics, are acting competently and systematically, using military equipment and saving lives, moving step by step to liberate Donbass, purge cities and towns of the neo-Nazis, and help the people whom the Kiev regime turned into hostages and human shields.
Mag Putin seine Kriegsziele auch weiterhin verfolgen, wovon wir in der Tat ausgehen, der Nazi-Spin wird erkennbar häufig eingesetzt, Abnutzungsgefahr eingeschlossen. Geradezu abenteuerlich ist die Aussage, dass die russische Kriegsführung kompetent und effizient ist. Wir sind schon gespannt darauf, wie trotzdem die Teilmobilisierung rechtfertigt wird. Was aber unfreiwillig durchscheint: Dass die ukrainischen Kämpfer offenbar entschlossener sind.
As you know, professional military personnel serving under contract are taking part in the special military operation. Fighting side by side with them are volunteer units – people of different ethnicities, professions and ages who are real patriots. They answered the call of their hearts to rise up in defence of Russia and Donbass. In this connection, I have already issued instructions for the Government and the Defence Ministry to determine the legal status of volunteers and personnel of the military units of the Donetsk and Lugansk people’s republics. It must be the same as the status of military professionals of the Russian army, including material, medical and social benefits. Special attention must be given to organising the supply of military and other equipment for volunteer units and Donbass people’s militia.
Diese innerhalb der Rede überbetonte Gleichstellung der Donbass-Miliz und dem, was von Putin-Freund:innen gerne als Söldner bezeichnet wird, wenn der Westen auf solche Einheiten zurückgreift oder sie stützt mit dem russischen Militär, hat den einen Zweck, mehr Menschen für diesen Krieg zu begeistern. Ob er damit auch bei den immer noch stolzen regulären Truppen der einstigen Roten Armee gut ankommt, die vor Ort den Kopf hinhalten müssen, ist eine andere Frage.
While acting to attain the main goals of defending Donbass in accordance with the plans and decisions of the Defence Ministry and the General Staff, our troops have liberated considerable areas in the Kherson and Zaporozhye regions and a number of other areas.
Das Unverschämte an dieser Passage verbirgt sich hinter etwas, das wie eine schlichte Feststellung wirkt: Russland erobert auch Regionen, in denen man keine russische Mehrheit finden kann. Im Süden der Ukraine geht es noch viel offener um Geostrategie als im Donbass, nämlich darum, die Ukraine vom Schwarzen Meer abzuschneiden. Ob Putin überhaupt etwas von ihr übrig lassen will und welche Einstellung er ursprünglich zur Existenz der Ukraine hatte, im Moment des Angriffs, wird unterschiedlich beurteilt. Wenn wir seinen nunmehr Propagandachef Dimitrij Medwedew Glauben schenken, will die russische Regierung den selbstständigen Staat Ukraine von der Landkarte tilgen.
This has created a protracted line of contact that is over 1,000 kilometres long. This is what I would like to make public for the first time today. After the start of the special military operation, in particular after the Istanbul talks, Kiev representatives voiced quite a positive response to our proposals. These proposals concerned above all ensuring Russia’s security and interests. But a peaceful settlement obviously did not suit the West, which is why, after certain compromises were coordinated, Kiev was actually ordered to wreck all these agreements.
In dieser Passage zeichnen sich nun auch deutlich Risse in Putins Argumentationsgefüge ab, nicht nur die Problematik des Umgangs mit den Fakten. Plötzlich ist hier nämlich nicht mehr von Angehörigen des Naziregimes auf Kiewer Seite die Rede, von denen das Land befreit werden soll, sondern von Verhandlungspartnern, die vom Westen daran gehindert wurden, Russlands berechtigte Interessen anzuerkennen. Nach Putins „Nazi-Befreiungs-Ideologie“ dürfte es aber solche Verhandlungen gar nicht gegeben haben, solange das „Naziregime“ an der Macht ist. Oder es hätte Verhandlungsgegenstand sein müssen, dass es freiwillig zurücktritt und einer russlandfreundlichen Regierung Platz macht, sozusagen die Wiederherstellung des Zusands vor 2014.
Davon ist nichts bekommt, es kam ebenso niemals zu ausgehandelten Kompromissen, die unter dem Einfluss des Westens rückgängig gemacht wurden, sondern lediglich zu einem Austausch darüber, wie solche Kompromisse aussehen könnten. Es versteht sich von selbst, dass der Westen hier als kriegstreibende Partei dargestellt werden und die Beweislast für Friedfertigkeit nach dem russischen Einmarsch umgekehrt werden soll.
Je weiter Putins Rede voranschreitet, desto klarer wird also, dass er nicht an der Wahrheit interessiert ist sondern nur geschickt durchaus bedenkenswerte Punkte voranstellt, um darauf eine Propagandarede aufzubauen.
More weapons were pumped into Ukraine. The Kiev regime brought into play new groups of foreign mercenaries and nationalists, military units trained according to NATO standards and receiving orders from Western advisers.
Das stimmt nun wieder und wir gehen sogar weiter: Schon vor dem Krieg war die NATO in der Ukraine präsent, um beim Aufbau einer schlagfertigen Armee zu helfen. Das hat Wirkung gezeigt, wie man aktuell sieht. Und es hat sicher mit dazu beigetragen, dass die ukrainische Regierung von Peter Poroschenko sich in der günstigen Position sah, die Minsker Abkommen nicht umsetzen zu müssen. Russland lief also die Zeit davon, insofern kann man sogar ein Echo des Präventivschlag-Arguments zumindest in der Ferne als Spiegelung der Realität wahrnehmen: Putin war klar, dass sich das Fenster für eine Intervention im Donbass irgendwann schließen würde. Die Gefahr, dass die Ukraine die Separatisten besiegen würde war größer, als dass diese ohne direkte Intervention Russlands obsiegen würden. Siehe auch Druck auf Präsident Selenskyj, endlich im Donbass Erfolge vorzuweisen.
Dieser Vorgang ist aber nicht gleichzusetzen mit einer Situation, in der Russland selbst in Gefahr gewesen wäre. Da die Putinfreund:innen immer so gerne die Atommachtstellung Russlands betonen, wenn auch, um uns zu ängstigen: Niemand greift eine Atommacht auf deren eigenem Gebiet an. Oder etwa doch? Uns ist kein Fall bekannt.
At the same time, the regime of reprisals throughout Ukraine against their own citizens, established immediately after the armed coup in 2014, was harshly intensified. The policy of intimidation, terror and violence is taking on increasingly mass-scale, horrific and barbaric forms. I want to stress the following. We know that the majority of people living in the territories liberated from the neo-Nazis, and these are primarily the historical lands of Novorossiya, do not want to live under the yoke of the neo-Nazi regime. People in the Zaporozhye and Kherson regions, in Lugansk and Donetsk saw and are seeing now the atrocities perpetrated by the neo-Nazis in the [Ukrainian-] occupied areas of the Kharkov region. The descendants of Banderites and members of Nazi punitive expeditions are killing, torturing and imprisoning people; they are settling scores, beating up, and committing outrages on peaceful civilians. There were over 7.5 million people living in the Donetsk and Lugansk people’s republics and in the Zaporozhye and Kherson regions before the outbreak of hostilities. Many of them were forced to become refugees and leave their homes.
Die Begriffswahl wie „bewaffneter Putsch“, um eine Art Obristenschlag gegen das Volk zu suggerieren, folgt der propagandistischen Absicht. Was wir wissen, ist, dass viele Menschen seit dem Kriegsbeginn aus der Region Donbass flüchten, ganz überwiegend ethnische Ukrainer:innen. Das will auch Präsident Selsenkyi: Offiziell, um die Menschen zu schützen, in Wirklichkeit mindestens in gleichem Maße, um zu verhindern, dass eine Abstimmung in den besetzten Gebieten als legitim gelten könnte. Viele Menschen würden erst später wieder in diese Gebiete zurückkehren und selbstverständlich verlangen können, dass neu abgestimmt wird, gemäß der wieder veränderten Bevölkerungszusammensetzung. Schon dies belegt übrigens, warum Separatismus genau betrachtet werden muss. Es ist völkerrechtlich aus nachvollziehbaren Gründen nicht vorgesehen, dass eine aufnahmefreundliche Politik zur Desintegration von Staaten führt. Wenn zum Beispiel politische Aktivist:innen den Berliner Bezirk Neukölln zur autonomen türkisch-arabischen Volksrepublik ausrufen würde, weil eine gut organisierte und aus den Herkunftsländern massiv unterstützte Separatistenbewegung diese Sache vorantreiben und ein „Referendum“ abhalten lassen würde, das sie selbst kontrolliert, hätte das aus sehr naheliegenden Gründen keinerlei rechtliche Wirkung. Gerade der Minderheitenschutz in einem demokratischen, funktionierenden Staat soll Vorgängen entgegenwirken, die den Minderheitenschutz zerstören und zu dysfunktionalen Territorien führen, wie wir sie heute leider im Nahen Osten und in Afrika sehen.
Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass Russlands Sieg im Donbass zu einer vollständigen Vertreibung der Ukrainischstämmigen führen würde, nebst einem Anteil am Ostukraine-Exodus natürlich, den man als freiwillig bezeichnen kann.
Those who have stayed – they number about five million – are now exposed to artillery and missile attacks launched by the neo-Nazi militants, who fire at hospitals and schools and stage terrorist attacks against peaceful civilians. We cannot, we have no moral right to let our kin and kith be torn to pieces by butchers; we cannot but respond to their sincere striving to decide their destiny on their own.
Was Putin hier beschreibt, ist nach westlichen Darstellungen etwas anderes: die russische Form der Kriegsführung. Freilich mit dem Zusatz: Was er behauptet und was die Gegenseite behauptet, ist oft nicht „unabhängig überprüfbar“, wie Medien, die als seriös wahrgenommen werden wollen, ihren Nachrichten immer noch beifügen, obwohl die Leser:innen sicher längst hochgradig von dieser Erwähnung gewisser Unwägbarkeiten genervt sind. Wir halten es aber für ausgeschlossen, dass an diesen Darstellungen von russischen Gräueltaten gar nichts dran ist, nach allem, was mittlerweile eben doch schon überprüft werden konnte – so sehr wir die propagandistischen Fähigkeiten auch der ukrainischen Regierung immer im Blick haben.
The parliaments of the Donbass people’s republics and the military-civilian administrations of the Kherson and Zaporozhye regions have adopted decisions to hold referendums on the future of their territories and have appealed to Russia to support this. I would like to emphasise that we will do everything necessary to create safe conditions for these referendums so that people can express their will. And we will support the choice of future made by the majority of people in the Donetsk and Lugansk people’s republics and the Zaporozhye and Kherson regions.
Es ist klar, dass diese Referenden nicht anerkannt werden dürfen, sowohl aus technischen wie aus rechtlichen Gründen. Warum das so ist, haben wir oben ausgeführt.
Friends, Today our armed forces, as I have mentioned, are fighting on the line of contact that is over 1,000 kilometres long, fighting not only against neo-Nazi units but actually the entire military machine of the collective West.
Wenn man dies liest, könnte man glauben, westliche Truppen seien in der Ukraine im Einsatz. Dass über jeden einzelnen Waffentyp und dessen Lieferung im Westen harte Auseinandersetzungen geführt werden, dass es teilweise eine halbe Ewigkeit dauern wird, bis hinreichend modernes Gerät ankommen wird, eine schnelle Wende also nicht zu erwarten ist: Davon natürlich kein Wort von Wladimir Putin. Dabei könnte man doch diese schwierigen Vorgänge, die in Demokratien das schnelle Durchgreifen erschweren, gut propagandistisch auswerten. Jedoch würde das in der gegenwärtigen Situation zu Logikfehlern in Putinreden führen, die allzu offensichtlich wären.
In this situation, I consider it necessary to take the following decision, which is fully adequate to the threats we are facing. More precisely, I find it necessary to support the proposal of the Defence Ministry and the General Staff on partial mobilisation in the Russian Federation to defend our Motherland and its sovereignty and territorial integrity, and to ensure the safety of our people and people in the liberated territories. As I have said, we are talking about partial mobilisation. In other words, only military reservists, primarily those who served in the armed forces and have specific military occupational specialties and corresponding experience, will be called up. Before being sent to their units, those called up for active duty will undergo mandatory additional military training based on the experience of the special military operation. I have already signed Executive Order on partial mobilisation. In accordance with legislation, the houses of the Federal Assembly – the Federation Council and the State Duma – will be officially notified about this in writing today. The mobilisation will begin today, September 21. I am instructing the heads of the regions to provide the necessary assistance to the work of military recruitment offices. I would like to point out that the citizens of Russia called up in accordance with the mobilisation order will have the status, payments and all social benefits of military personnel serving under contract. Additionally, the Executive Order on partial mobilisation also stipulates additional measures for the fulfilment of the state defence order. The heads of defence industry enterprises will be directly responsible for attaining the goals of increasing the production of weapons and military equipment and using additional production facilities for this purpose. At the same time, the Government must address without any delay all aspects of material, resource and financial support for our defence enterprises.
Ganz sicher ist dieser Teil der Putin-Rede der mit Abstand beste. Schlicht deshalb, weil er wertvolle Informationen enthält, inklusive einer angedeuteten Umstellung von Teilen der Industrie auf Kriegswirtschaft. Wir hatten vor wenigen Tagen geschrieben, sowohl der Westen als auch Russland haben diesen Schritt bisher nicht vollzogen. Er deutet ohne Zweifel darauf hin, dass die russische Regierung in der Klemme ist und die übliche, nicht gerade geringe Rüstungsproduktion die Verluste der letzten Monate nicht ersetzen kann. Dies wiederum steht im Kontrast zu Putins Behauptung einer effizienten, kompetent-kompetitiven Kriegsführung mit schonendem Ansatz. Auch eine Umsteuerung von weiteren Geldern in den Rüstungsetat, der ohnehin prozentual am BIP gemessen höher liegt als in jedem westlichen Land, lässt Putin nicht unerwähnt.
Es wird von interessierten Kreisen aus immer wieder kolportiert, Russland unter Putin sei ein friedliches Land ,was man schon am geringen Rüstungsetat ablesen könne, respektive, weil die absoluten Summen in der NATO viel höher liegen. Russland gibt aber 4,3 Prozent seinen BIP dafür aus (2021), während selbst die Supermacht USA lediglich auf 3,7 Prozent kommt. In Deutschland wird um jedes Zehntelprozent oberhalb von 1,3 gefeilscht, damit das NATO-Ziel von 2,0 näher rückt auf das Deutschland sich gegenüber Barack Obama ziemlich leichtfertig verpflichtet hat.
Friends, The West has gone too far in its aggressive anti-Russia policy, making endless threats to our country and people. Some irresponsible Western politicians are doing more than just speak about their plans to organise the delivery of long-range offensive weapons to Ukraine, which could be used to deliver strikes at Crimea and other Russian regions. Such terrorist attacks, including with the use of Western weapons, are being delivered at border areas in the Belgorod and Kursk regions. NATO is conducting reconnaissance through Russia’s southern regions in real time and with the use of modern systems, aircraft, vessels, satellites and strategic drones. Washington, London and Brussels are openly encouraging Kiev to move the hostilities to our territory.
Da sind wir erst einmal froh, dass Berlin nicht erwähnt wird. Die USA sind natürlich immer dabei, ebenso mittlerweile die EU-Kommission, auf London hat Putin ein spezielles Auge, wie wir kürzlich erwähnt haben, u. a., weil britische Stellen zu den führenden Propagandisten im Westen gehören.
Eines muss man allerdings festhalten, und es verdient einen eigenen Absatz: Westliche Strategen und Thinktanks propagieren in der Tat genau das, was Putin hier erwähnt. Insofern legt der Westen ihm in seiner Überheblichkeit die Argumente geradezu in den Mund. Was von diesen Planspielen wirklich umgesetzt wird, ist aber eine andere Frage und da kommt etwas ins Spiel, das den Vortrieb der Hardliner durchaus hemmt: Das eben nicht ein paar Elite-Spieler alle Fäden der Welt in der Hand haben, wie die Verschwörungstheoretiker gerne behaupten, sondern immer wieder politische Dissonanzen und Interessengegensätze dafür sorgen, dass besonders ruchlose Strategien nicht umzusetzen ist. Zum Glück, muss man sagen. Wenn das doch passiert, ist die Gefahr des Scheiterns außerdem groß, wie man in den 2000ern immer häufiger sieht. Diese Alles-oder-nichts-Strategien sind eben nicht so exzellent wirksam, wie es sich die Vordenker ausgemalt haben.
Gerade in den innerlich eher wenig auf Homogenitätskurs befindlichen USA ist das deutlich zu sehen. Präsident Bidens Politik, auch die des Äußeren, ist im Moment mehr davon bestimmt, die Midterms für die Demokraten gegen die wilde Truppe der Trumpisten noch zu retten und dabei nicht zu viel Angriffsläche zu bieten, als von strategisch kohärenten Überlegungen, die Ukraine betreffend. Und das ist keine Inszenierung, die USA sind bei Weitem nicht so schlank steuerungsfähig, wie sie von ihren Gegnern gerne hingestellt werden.
They openly say that Russia must be defeated on the battlefield by any means, and subsequently deprived of political, economic, cultural and any other sovereignty and ransacked. They have even resorted to the nuclear blackmail.
Putin übertreibt natürlich, aber nicht so sehr, wie es wünschenswert wäre, im Sinne der Ethik des Westens. Lediglich von einer konkreten nuklearen Drohung ist uns nichts bekannt. Bisher geht es um Abschreckung, und wer nun droht, ist Putin selbst.
I am referring not only to the Western encouraged shelling of the Zaporozhye Nuclear Power Plant, which poses a threat of a nuclear disaster, but also to the statements made by some high-ranking representatives of the leading NATO countries on the possibility and admissibility of using weapons of mass destruction – nuclear weapons – against Russia.
Putin behauptet also, die Ukraine würde ihre eigenen Atomkraftwerke zerstören, die nicht nur für die Energieversorgung essenziell sind, sondern obwohl man seit Tschernobyl weiß, wie sich ein GAU anfühlt, welche massiven und lange nachwirkenden Schäden er hervorruft. Spätestens hier müssten die Russ:innena aufmerken werden und sich fragen, ob ihr Leader nicht abdriftet.
I would like to remind those who make such statements regarding Russia that our country has different types of weapons as well, and some of them are more modern than the weapons NATO countries have.
Warum werden die Wunderwaffen dann nicht im Ukrainekrieg eingesetzt, um diese horriblen Verluste auf allen Seiten zu mindern und eine schnelle Entscheidung herbeizuzwingen? Was uns vor allem erstaunt, ist, dass die russische Seite ihre theoretische Luftüberlegenheit nicht besser zur Geltung bringt. Zivile Opfer wären auf jeden Fall die Folge, aber das ist ja auch aufgrund dieser Mischung von Stellungs- und Bewegungkrieg so, die wir sehen, und die jeden Kilometer umkämpften Landes mit vielen Toten zurücklässt.
In the event of a threat to the territorial integrity of our country and to defend Russia and our people, we will certainly make use of all weapon systems available to us. This is not a bluff. The citizens of Russia can rest assured that the territorial integrity of our Motherland, our independence and freedom will be defended – I repeat – by all the systems available to us. Those who are using nuclear blackmail against us should know that the wind rose can turn around. It is our historical tradition and the destiny of our nation to stop those who are keen on global domination and threaten to split up and enslave our Motherland. Rest assured that we will do it this time as well. I believe in your support
Uns hätte die wiederholte Aussage „alle, wirklich alle Waffensysteme“ ausgereicht, um zu verstehen, aber damit es glasklar ist, benennt Putin eine atomare Aggression Russlands ausdrücklich als möglich und stellt sie außerdem als Gegenmaßnahme dar. Sie könnte aber auch als Präventivmaßnahme vermittelt werden, ähnlich wie der Ukrainekrieg als solcher. Der Erstschlag als vorweggenommener Zweitschlag. Das ist eine hochgefährliche Rhetorik und lässt erkennen, dass Putin auch auf seine eigene Bevölkerung im Grunde keine Rücksicht nimmt.
Wenn die Russ:innen halbwegs bei Verstand sind, werden sie sich durch diese wenig überzeugende Rede nicht auf einen Atomkrieg einstimmen lassen und die Unterstützung für Putins Krieg wird sinken, wenn dessen Initiator weiter in diese Richtung trommelt, ohne dass er es wagen kann, den Schritt tatsächlich zu gehen. Wenn er es wagen sollte, etwa mit taktischen Atomwaffen, die nicht gegen den Westen gerichtet sind? Das ist für uns mit die größte Unbekannte und Gefahr. Wir haben kürzlich erläutert, dass diese Entwicklung wohl noch nicht zu einem atomaren Gegenschlag des Westens gegen Russlands Territorium führen würde.
Die Fehler des Westens aus vielen Jahren fallen uns jetzt allen auf den Kopf, aber wir haben uns ja auch nicht darum gekümmert, dass unsere Politik sich klüger verhält. Was bleibt und die Lage jetzt bestimmt, ist dennoch, dass Putin der aktive Kriegstreiber ist und sich daran auch bis zu einem wie auch immer installierten und ausgefassten Frieden nichts ändern wird. Es ändert sich auch nicht etwa deshalb, weil ein paar verantwortungslose Politiker bei uns alte Fehler wiederholen, vor lobbyistischem Hintergrund dem Dritten Weltkrieg das Wort reden und ihrerseits an der Eskalationsspirale drehen wollen.
Die Rede von Wladimir Putin vom 21.09.2022 weist Mängel auf, die recht einfach zu erkennen sind, gleichwohl hat sie ein beachtliches Gewicht, weil sie die Teilmobilmachung ankündigt und enthält Neues ebenso wie Erhellendes zum State of Mind ihres Verfassers, sofern Putin sie selbst aufgesetzt hat, ansonsten zu demjenigen, der sie vorträgt. Auf Letzteren Aspekt sind wir nur knapp eingegangen, indem wir auf Putins Werdung im Geheimdienstmilieu verwiesen haben.
Wir schauen darauf, was sich von westlicher Seite hätte tun lassen können, damit es nicht dorthin gekommen wäre, wo wir jetzt stehen, mitten in einem Krieg in Europa, an dem wir keineswegs unbeteiligt sind, was zu tun ist. Kanzler Scholz hält sich auf diesem im wörtlichen wie übertragenen Sinn verminten Gebiet beachtlich.
Wegen ihrer Wichtigkeit haben wir uns ausführlich mit Putins Ansprache befasst, im umfangreichsten eigenständigen politischen Beitrag des Jahres 2022, die Rede selbst natürlich eingeschlossen. War es eine starke Rede? Das hängt natürlich von der Perspektive ab, aus der man sie betrachtet. Wir meinen: Gerade, weil Putin kein Goebbels ist, werden auch Risse und Fragezeichen deutlich, die im Westen wohl zu Recht als Zeichen von Schwäche interpretiert worden sind.
Insbesondere die Atomdrohung ist ein No-Go, das Russland mehr schaden kann als seinen Gegnern. Denn sie ist unter der Berücksichtigung bisher üblicher Maßstäben nicht wahrzumachen, kann die Glaubwürdigkeit in der Heimat untergraben, zudem sie wird Menschen in Ländern verärgern, die sich als unabhängig von beiden Seiten betrachten. Profitieren wird wieder einmal vor allem China, dessen Politiker sich derzeit so überaus besonnen geben, wohingegen sie, wenn es um die primären eigenen Angelegenheiten geht, ebenso Drohkulissen aufbauen wie Wladimir Putin.
Nach unserer Ansicht können sie Taiwan übrigens angreifen, ohne dass der Westen adäquat reagieren wird, denn auch in diesem Fall wird er keine Atomwaffen einsetzen. Es ist alles nur noch eine Frage der Selbstdarstellung und der Riskioabwägung im konkreten Fall, nicht der prinzipiellen militärischen Möglichkeiten. Leider ist eine eher defensive Haltung zum Erhalt dieser Zivilisation auch notwendig. Wir glauben deshalb nicht, dass die Ukraine eine Art Präzendenzfall im Sinne der Dominotheorie darstellt und aus diesem Grunde auch nicht, dass die Freiheit des Westens dort verteidigt wird. Vielmehr geht es bei Putin um Kleinimperialismus, um verbissene Revision, die irgendwann einmal einen Erfolg bringen muss und unter Ausschluss aller der NATO angehörigen ehemaligen Einflussgebiete der SU. Auf der anderen Seite um Selbstverteidigung eines auch von Russland in der Form, die er bis zur Krimbesetzung 2014 hatte, anerkannten Staates. Ob es zu einem Frieden kommen wird, der diesen Umstand abbildet und auf etwas anderem als dem Recht des am Ende Stärkeren basieren wird, steht in den Sternen. Global betrachtet ist die Gefahr, dass westliche Demokratien sich von innen durch einen würdelosen Umgang mit ihrer Bevölkerung und der resultierenden zunehmenden Aggressivität der Gesellschaft selbst schwächen und dass z. B. China das ausnutzt, viel größer als diejenige, dass Russland nun eine frühere Sowjetrepublik nach der anderen oder gar den mittelosteuorpäischen Kordon zurückerobern wird. Die Rede von Wladimir Putin an das russische Volk vom 21.09.2021 bestätigt diese Einschätzung.
TH