„Nun sag, wie hältst du’s mit der Religion?“ +++ Religionen in Deutschland (Statista, Kommentar) | Briefing 100 | Gesellschaft

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Liebe Leser:innen,

über Religion reden wir relativ selten, beim Wahlberliner. Aus gutem Grund. Wir finden, dass jeder Mensch das Recht hat, den Glauben zu leben, den er leben möchte. Und dass, wer nicht gläubig ist oder Atheist:in, auch dazu das Recht hat. 

Heute hat Statista aber eine interessante Grafik erstellt, die wir Ihnen nicht vorenthalten möchten und die einige erstaunliche Aspekte enthält. Sie beginnt sogar mit Literatur: „Wie hältst du’s mit der Religion?“ Hätten Sie die Zahlen so vermutet, wie die Grafik sie ausweist?

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

„Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion? “ Diese Frage stellt Margarete, genannt Gretchen, der Hauptfigur von Goethes Faust I, Heinrich Faust. Und gibt im direkten Anschluss eine eigene Einschätzung ab: „Du bist ein herzlich guter Mann, Allein ich glaub’, du hältst nicht viel davon.“

Das lässt sich auch über rund ein Drittel der für den Statista Global Consumer Survey in Deutschland befragten Menschen sagen – 23 Prozent bezeichnen sich als nicht religiös, elf Prozent als Atheisten. Damit ist Deutschland vergleichsweise gottlos, wie der Blick auf die Grafik zeigt. Im Mutterland der katholischen Kirche, Italien, ist der Anteil der Areligiösen mit 25 Prozent dagegen deutlich niedriger. In den für ihre christliche Orientierung bekannten Vereinigten Staaten sind es 22 Prozent.

Diametral gegenüber stehen sich China und Indien. Während in der „sozialistischen Volksrepublik“ drei Viertel der Bevölkerung sich als nicht religiös oder atheistisch bezeichnen, ist im zweibevölkerungsreichten Land der Welt das Gegenteil der Fall. Allerdings muss hier berücksichtigt werden, dass Religionen während der Kulturrevolution radikal verfolgt wurden und freie Religionsausübung bis heute in China nur begrenzt möglich ist.

Wir wissen nicht, ob der Tot des früheren Papstes Benedikt XVI. zu dieser Grafik geführt hat, aber in Deutschland müssen wir schon im Blick behalten, dass Religion in anderen Regionen der Erde eine weitaus bedeutendere Rolle im Alltag der Menschen einnimmt als hier. Wir merken das zum Beispiel ganz schlicht an unseren Facebook-Freund:innen in anderen Ländern, die sich viel häufiger auf Gott oder Allah beziehen, als es hierzulande, zumindest unter Menschen, die noch mehrheitlich Christ:innen sind, üblich ist. Keine Überraschung daher, dass z. B. in Südafrik nicht einmal jede:r zehnte Befragte sich als nicht religiös oder sogar als Atheist bezeichnet. Auch die relativ ausgeprägt Religiosität der Einwohner:innen der USA konnte man sich in etwa denken. Religiosität muss ja kein Ausdruck einer besonders friedlichen Gesinnung sein, auch nicht, wenn es die christliche ist.

Es kommt immer darauf an, wie man Religion versteht. Fanatismus ist uns zutiefst suspekt, auch deswegen, weil er häufig zur Instrumentalisierung führt: Religion wird zu politischen Zwecken missbraucht und als Machtinstrument verstanden und viele, viele Menschen glauben wirklich, nur sie glauben richtig und alle Angehörigen anderer Religion sind demnach Ungläubige, mit denen man entsprechend umspringen darf. Das Konfliktpotenzial, das solche Ansichten beinhalten, ist riesig und war über Jahrtausende hinweg, kann man fast sagen, die treibende Kraft für Kriege, zumindest hat man es denen, die in den Krieg ziehen sollten, so verkauft.

Der relativ hohe Anteil areligiöser Menschen in Deutschland ist natürlich auch der jüngeren Historie zu verdanken, im Osten schätzen sich mit großer Sicherheit mehr Menschen so ein als im Westen des Landes. Insofern geradezu verblüffend, dass sich nur gut ein Drittel aller Befragten als areligiös / atheistisch bezeichnen. Noch interessanter aber der Unterschied zwischen Russland und China. Auf den ersten Blick jedenfalls. Beide Länder hatten etwa 70 Jahre lang Systeme, die religionsfeindlich waren bzw. sind. Aber in Russland hat sich die Religiosität wohl unter der Oberfläche erhalten und mittlerweile offiziell rekonstituiert. In China hingegen ist nach wie vor eine Partei an der Macht, die sich in der marxistischen Tradition sieht, und was Karl Marx über die Religion gesagt hat, wissen wir. Nach unserer Ansicht ist Spiritualität kein Hindernis bei der Schaffung eines guten Gesellschaftssystems, aber zum Beispiel das Christentum mit seinen Prinzipien auch keine Garantie für humanistische Prinzipien. Bei uns tragen Parteien das „C“ im Namen, in denen ein besonders diskriminierendes und christlichen Werten abholdes Menschenbild gepflegt wird.

Für uns wäre es gar nicht so einfach gewesen, die obige Frage zu beantworten. Wir sind Angehörige einer Religionsgemeinschaft, nach wie vor, aber sind wir auch religiös? Gehört dazu nicht, dass man einigermaßen regelmäßig praktiziert und sich an Leitbildern seiner Religion orientiert. Bei uns hat der Akzent auf Gerechtigkeit, sozialen Ausgleich und mehr Empathie sowie das Anprangern einer Politik, die gegenteilige Tendenzen versvchärft, eher einen linken Hintergrund. Er lässt sich aber durchaus in weiten Teilen mit christlicher Ethik vereinbaren. Religiös sein ist für uns dennoch nicht das Gleiche wie die Werte einer Religion pflegen, die man als richtig erkannt hat. Wir halten uns bei diesem Gegenstand aber bewusst allgemein und gehen wieder zum Informatorischen über:

Diese sehr informative Grafik zeigt den Stand von vor etwa elf Jahren, das zu erwähnen ist wichtig. Schon damals gab es wegen der Missbrauchsvorwürfe einen heftigen Ausschlag nach oben bei den Austritten aus der katholischen Kirche. Seit 2012 dürften sich die Verhältnisse um einiges verschoben haben: zugunsten des Islam und zulasten der christlichen Kirchen, die nach wie vor mit hohen Austrittszahlen zu kämpfen haben. Nur die Taufen und die Austritte miteinander in Bezug zu setzen, ist insofern irreführend, als die Todesfälle nicht berücksichtigt werden, die den weitaus größten Teil der Veränderungen ausmachen. Wir stammen übrigens aus dem katholischsten deutschen Bundesland. Aus Bayern also. Tatsächlich? Schauen Sie sich bitte die betreffende Karte genau an. Heißt das aber auch, dass wir katholisch sind oder wäre es möglich, dass wir in der Diaspora aufgewachsen sind? Schon damals, als die Grafik erstellt wurde, wurden übrigens 46 Prozent der Menschen hier als nicht oder gar nicht religiös ausgewiesen. Das entspricht auch eher unserer Einschätzung als die lediglich 34 Prozent, die wir in der aktuellen Grafik sehen. In Berlin ist es jetzt mehr oder weniger egal, denn es ist offenbar eine insgesamt recht unreligiöse Stadt. Wir sind gespannt, wie sich die Religionen weiter entwickeln, inhaltlich und bezüglich ihrer Anteile an der Weltbevölkerung. In Krisenzeiten findet nicht selten eine Rückbesinnung auch auf die Religion statt. Werden wir diese Tendenz nun auch sehen? Und wie halten Sie’s mit der Religion? Es ist dieses Mal keine passende Umfrage zu finden gewesen, deswegen können Sie nicht während des Lesens dieses Artikels abstimmen. Religion ist sowieso Privatsache, finden wir.

TH

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