Schimanskis Waffe – Tatort 234 #Crimetime 1139 #Tatort #Duisburg #Schimanski #Thanner #WDR #Waffe

Crimetime – Titelfoto © WDR

Schimanskis Waffe ist ein Fernsehfilm aus der Fernseh-Kriminalreihe Tatort der ARD und des ORF. Der Film wurde vom WDR produziert und am 2. September 1990 erstmals im Fernsehen ausgestrahlt. Es handelt sich um die 234. Folge der Tatort-Reihe und die 25. mit den Kommissaren Horst Schimanski und Christian Thanner. Anlässlich des 40. Sendejubiläums des Duisburger Tatorts strahlte der WDR am 15. März 2022 eine in HD abgetastete und digital restaurierte Folge aus.

Wir kamen noch nicht in den Genuss der restaurierten Fassung, als wir uns den Tatort im Jahr 2017 angeschaut haben, aber letztlich ist ein Orginal ja auch ein Original. Wie wir das Original fanden, steht in der –> Rezension.

Handlung

Tatort ist diesmal ein italienisches Restaurant in Duisburg. Schimanski wird dort zufällig Zeuge eines bewaffneten Überfalls auf den Wirt Giovanni Salvatore. Er greift ein und erlebt ein Fiasko: Seine Freundin Renate wird von einem der Gangster in Schimanskis Schußlinie gestoßen und stirbt. In dem Bewußtsein, eine Unschuldige getötet zu haben, legt er seine Waffe nieder.

Thanner klinkt sich in die Fahndung nach den beiden Tätern ein und bezahlt schwer dafür: Schimanski findet ihn bewußtlos, mit gefährlichen Verletzungen, nach einem Autounfall.

Schimanski wäre geholfen, wenn Giovanni endlich reden würde – aber der schweigt beharrlich. Erst als sein Sohn Mario ermordet wird, bricht der alte Mann zusammen: Es geht um einen Koffer mit Schutzgeldern, mit dem sich die Salvatores absetzen wollten – aber die ?Familie? ist ihnen auf die Schliche gekommen. Auf Giovannis Geheiß übergibt Erwin, ein Freund des toten Mario, Schimanski den Koffer und muß dafür büßen: Er wird von den Gangstern gekidnappt. Schimanski erhält folgende Nachricht: Entweder er händigt den Koffer aus oder auch Erwin ist ein toter Mann. Thanner – inzwischen wieder bei Bewußtsein – warnt seinen Freund und Kollegen, sich mit der Mafia anzulegen. Aber Schimanski ist nicht mehr zu bremsen.

Rezension

29 Fälle hat Schimanski gelöst, viele auf sehr eigenwillige Art. Im 25. Fall von diesen 29, der ja immerhin ein für damalige Verhältnisse großes Jubiläum darstellt, sorgt er zunächst selbst für den Tatort, indem er seine Freundin erschießt und danach benützt er seine Waffe selbst dann nicht mehr, als es dringend geboten ist, sondern tritt nur mit einem starken Willen gegen die Mafia an. Diese beiden wichtigen Aspekte sagen bereits viel über die Qualität des Films als Krimi aus. In der ersten Szene, in welcher er in unübersichtlicher Lage einfach durch den Raum schießt, wirkt er ebenso rudimentär wie später, als er seine Waffe nicht mitnimmt. Dabei wäre die Handlung auch möglich gewesen, wenn es nicht diesen Unsinn gegeben hätte. Oft genug werden Ermittler in Tatorten von hinten überwältigt. Natürlich, mit seiner Dienstpistole hätte er ein Loch in das Plexiglasfenster des Bootes schießen können, mit dem er beinahe abgesoffen wäre.

Aber auch für die Szene hätte sich eine bessere Lösung finden lassen, um Spannung zu erzeugen. Außerdem ist das mindestens die dritte Frau, die Schimanski dadurch abhanden kommt, dass sie während der Handlung verstirbt – dieses Mal allerdings so früh, dass sich keine Lovestory mehr entwickeln kann. Zum Ausgleich wird die Wiedersehensszene im Lokal von Giovanni gegen unendlich gedehnt und wirkt durch die Schimanski-Zurschaustellung dann irgendwann auch peinlich. Aber es ist schwer, von der Droge Schimanski und die Frauen runterzukommen, besonders nach dem Kino-Tatort Zabou, der zumindest in der Chronologie der Duisburg-Fälle die Nr. 24 einnimmt und in dem eine Frau ihn die ganze Zeit in Atem hält und dann – sic! – am Schluss ihr Leben aushaucht.

Man hat Schimanski überstrapaziert, das merkt man an ewig gleichen Konstellationen wie keine Dienstwaffe wegen Suspendierung oder aus anderen Gründen, Frauen, Liebe, Tod, extrem eigenmächtigem Handeln. So habe sich die Deutschen den Individualismus vorgestellt, als der WDR sich vom Korsett des immer korrekten und lehrbuchhaft ermittelnden Beamten gelöst hatte. Keine Frage, dass spätere Tatorte lockerer mit den Regeln umgehen, aber ob das nicht auch so gekommen wäre, hätte es Schimanski nicht gegeben, darüber kann man nachdenken, ohne zu einem eindeutigen Ergebnis zu gelangen. Der Aufreger war er 1991 sowieso nicht mehr und ich habe genau aufgepasst, er sagt nicht ein einziges Mal „Scheiße!“. Es ist beinahe grotesk, dass man ihm genau diese Marotte abgewöhnt hat, aber seine Filme und seine Figur von Manierismen strotzen. Vielleicht wollte der WDR auch die hinzugekommen Zuseher aus den Neuen Bundesländern nicht erschrecken, die derlei Ausdrucksweise aus ihren „Polizeiruf 110“-Filmen nicht gewöhnt waren.

Und von Klischees natürlich. Das Setting italienische Kneipe und Hafen Duisburg, irgendeine Außenstelle mit Außenseiteratmosphäre im Gerümpelland ist angemessen trist, nachdem die Schlachten um die Öfen und Zechen geschlagen und verloren sind. Es ist alles ein wenig postindustriell und dystopisch, und dabei muss es natürlich Typen wie diese Abziehbild-Mafiakiller geben, die, ebenso wie Giovanni, viel zu sehr aus der Mottenkiste gekramt sind. Dass Giovanni immer schweigt, dass er findet, dass sein Sohn kein echter Italiener mehr ist, keine Familie, was ja auch stimmt, der Darsteller ist Bio-Deutscher, das kommt hier schon recht abgeschmackt.

Die gesamte Handlung um den ominösen Koffer wirkt dilettantisch, weil die Figuren, die sich mit dem Koffer befassen, ebenso handeln. Nur bei einer Person wirkt das stimmig. Bei Erwin Spilonska, der von Klaus J. Behrendt gespielt wird. Das war wohl der erste von mittlerweile über 80 Auftritten von Behrendt und er spielt den retardierten Erwin wirklich sehr schön. Spuren dieser Darstellung finden sich ja auch in seinen späteren Zeiten wieder, wo er manchmal auch diesen, sagen wir mal, ziemlich grunderstaunten Blick drauf hat, obwohl er im Dienst schon alles gesehen hat, was es in der Welt des Verbrechens geben kann. Aber er entwickelt sich hier schon sehr rasch zum Sympathieträger, vor allem natürlich für diejenigen Zuschauer, die der überzogenen Schimanski-Figur nicht so viel abgewinnen können. Im Grunde ist es auch die Figur Erwin, die den Tatort spannend macht, weil man bei ihm eben nicht weiß, wie er sich in dieser oder jener Situation verhalten wird. Ich finde es sehr schwierig, solch eine Figur zu entwerfen, die zwar ein geistiges Handicap hat, aber doch in der Lage sein muss, so eigenständig zu handeln, dass sie den Film voranbringt. Wirklich sehr schade, dass man diese gelungene Figur nicht in eine bessere Handlung einbauen konnte.

Ich will nicht darüber spekulieren, warum man Schimanskis Buddy namens Thanner fast nur in Gips sieht, anstatt in Aktion, warum man die Mafiosi so realitätsfern darstellt – also wirklich, das Benzin mit dem Tauchsieder! Auf solch einen Unsinn muss man erst einmal kommen, und dann wird der Eimer auch noch so abgestellt, dass er von jemandem, der sehr gelenkig oder etwas größer gewachsen ist, mit dem Fuß erreicht werden kann. Dafür muss ich den Polizisten im Grünlicht loben, der vor dem Krankenzimmer von Giovanni abgestellt wird. Das grüne Licht hält wohl die Mafia-Killer davon ab, sich dem Giovanni anzunähern. Jetzt kann man nicht sagen, der Schutz funktioniert oder funktioniert nicht, denn es kommt ja nicht zu dem Versuch, Giovanni im Krankenhaus zu ermorden, weil die ehrenwerte Gesellschaft stattdessen lieber erst seinen Sohn und dann Erwin Spilonska entführt. Aber das grüne Licht hat was und wirkt.

Finale

Der legendäre Ruf der Schimanski-Tatorte rührt, das kann ich nun langsam feststellen, nachdem ich über die Hälfte von ihnen gesehen habe, darunter die heute von den Nutzern des Tatort-Fundus am höchsten bewerteten, nicht daher, dass sie als Krimis besonders gut waren. Sicher gibt es einzelne, die auch diesbezüglich gehobene Ansprüche erfüllen; die außerdem eine grandiose Atmosphäre aufweisen, wie etwa der Erstling „Duisburg Ruhrort“. Freilich hat man auch bei Schimanski viel Aufwand getrieben und ihm sogar zwei Tatorte gegönnt, die fürs Kino gedreht wurden (der erwähnte „Zabou“, eine unserer ersten Rezensioin für das Feature „Crimetime“ des neuen Wahlberliners, und etwas früher „Zahn um  Zahn“, den wir kürzlich hier vorgestellt haben). Man muss auch keine höheren Maßstäbe an die Figur Horst Schimanski anlegen als an amerikanische Action-Cops, in deren Filmen noch weitaus mehr Unglaubwürdiges passiert als in den Duisburg-Tatorten. Aber man wünscht sich doch hin und wieder mehr Seriosität, wenn schon der Humor so schmal daherkommt wie in „Schimanskis Waffe“. Letzteres ist natürlich der Fluch der unmöglichen Tötungshandlung zu Beginn. Ich stelle mir gerade vor, dass Schimanski „Scheiße!“ sagt, nachdem er seine Freundin erschossen hat. Das wäre der Kracher gewesen. Hat er aber nicht getan. Aber er tut sich schwer damit, Trauer glaubwürdig zu vermitteln, und der Mangel an Glaubwürdigkeit zieht sich durch den gesamten Film und irgendwie wird das immer durch den Koffer gespiegelt, der aber dann doch kein McGuffin ist, denn immerhin öffnet er sich und das ganze Geld fliegt herum. Auch so ein Zitat aus unzähligen früheren Filmen.

6/10

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2017)

Kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Hans Noever
Drehbuch
Produktion Hartmut Grund
Musik Nellis Du Biel
Kamera Kurt Lorenz
Schnitt Ingrid Broszat
Premiere 2. Sep. 1990 auf Deutsches Fernsehen
Besetzung

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