Die Nibelungen – Kriemhilds Rache (DE 1924), Teil 4 der Rezension zum zweiteiligen Film #Filmfest 885 #DGR

Filmfest 885 Cinema – Die große Rezension, Teil 4 von 4 der Gesamtrezension zu "Die Nibelungen" von Fritz Lang mit Schwerpunkt auf dem zweiten Teil "Kriemhilds Rache"

Die Nibelungen ist ein deutsches Filmepos unter Regie von Fritz Lang aus dem Jahr 1924, bestehend aus den beiden Teilen Siegfried und Kriemhilds Rache. Das Drehbuch schrieb die damalige Ehefrau des Regisseurs, Thea von Harbou, unter freier Verwendung von Motiven des mittelhochdeutschen Nibelungenliedes. Der viragierte Stummfilm wurde am 14. Februar (Teil 1) und am 26. April 1924 (Teil 2) im Ufa-Palast am Zoo in Berlin uraufgeführt[1] und wurde zu einem Meilenstein der Filmgeschichte.[1] 

Der vorliegende Text ist der vierte und letzte Teil der Rezension zu Fritz Langs „Die Nibelungen – Siegfried“ und „Die Nibelungen – Kriemhilds Rache“. Hier geht’s zu Teil 1, Teil 2 und Teil 3.

Untenstehend widmen wir uns vor allem dem zweiten Teil „Kriemhilds Rache“, besprechen aber, wie in den drei anderen Teilen, auch übergreifende Aspekt. Wir schicken voraus, dass wir einen Punkteabstand von immerhin 10/100 zwischen beiden Teilen ausgemacht haben und diesen aufgrund der getrennten Bewertung auch ausweisen können. Für uns ist der erste Teil künstlerisch hgöherstehend (87/100) als der zweite (77/100). Während man Teil eins als Studie menschlicher Abgreünde bezeichnen kann, sieht man in zwei das Ergebnis des Handelns, das aus solchen Abgründen folgt und ein Inferno, das wohl das meiste toppt, was sonst während der Stummfilmzeit an Katastrophen inszeniert wurde. Wir behandeln in diesem Teil der Rezension die letzten drei Gesänge von „Kriemhilds Rache“.

Zweiter Teil. Der fünfte Gesang. Wie die Hunnen mit den Nibelungen das Sonnwendfest feierten

Am nächsten Tag [nach der Ankunft der Nibelungen in den  Hunnenresidenz]  findet ein Festbankett im großen Saal von Etzels Palast statt, zu dem die Gäste aufgrund der offensichtlichen Bedrohung in voller Rüstung erscheinen. Dort wird den Burgunden der Sohn Kriemhilds und Etzels vorgestellt. Gleichzeitig greifen riesige Scharen bezahlter Hunnenkrieger die Gefolgsleute der Burgundenkönige an und entfachen somit einen lang andauernden Kampf. Hagens Bruder Dankwart, in dessen Schulter ein Pfeil steckt, kann entkommen und in den Festsaal gelangen. In seinen letzten Atemzügen berichtet er Hagen von dem Verrat. Kurz danach stürmen hunderte Hunnen den Festsaal und ein allgemeiner Tumult entsteht. Vor lauter Wut tötet Hagen von Tronje Etzels und Kriemhilds Sohn. Nun ist auch der Hunnenkönig davon überzeugt, dass der mehrfache Mörder umgebracht werden muss. Unter dem Schutz zahlreicher Burgunden sowie Markgraf Rüdiger von Bechlarn und Dietrich von Bern, König Etzels edelstem Ritter, darf das wehrlose Königspaar den Festsaal verlassen.

Der fünfte Gesang ist, vermutlich wegen der Vorlage, die ähnlich tendiert, der unklarste des ganzen Films, aus der obigen Beschreibung geht z. B. nicht hervor, welches Königspaar gemeint ist. Da Gunther aber ohne seine Frau Ute angereist ist, müsste es sich um Etzel und Kriemhild handeln. Wir haben in den vorausgehenden Texten mehrfach an der Deutung des Geschehens gearbeitet, vor allem aber den Entschluss gefasst, nicht Kriemhild die Hauptschuld an allem zu geben, was jetzt geschieht und mit der Nibelungen Untergang enden wird. Und damit wieder zur Gesamtbetrachtung:

Hans Schmid verteidigte in seiner Kritik bei Telepolis 2012 den Film gegen den Vorwurf, ein „protofaschistischer, mit den Zielen der NSDAP sympathisierender Historienschinken“ zu sein. Vielmehr zeigen Die Nibelungen Figuren, die auf eine so trotzige Weise zu sterben verstünden, dass ihr Tod meistens ruhmreicher sei als ihr Leben. Lang habe mit dem Film einen Publikumserfolg geschaffen, der sich aber zugleich auch politisch sowie psychologisch mit Sigmund Freud lesen lasse. „Lang zeigt Intrigen, Mord und Totschlag mit einer gewissen Faszination am Bösen, der man sich schwer entziehen kann, aber nie mit der Empfehlung, dem nachzueifern, was man auf der Leinwand sieht: die Machtpolitiker Hagen und Kriemhild und dazu – nebst Fußvolk – edle Recken, die sich am Nasenring durch die Manege führen lassen, wenn man ihnen hohl gewordene Worte wie „Ehre“ und „Treue“ hinhält.“ Der zweite Teil der Nibelungen sei „eine mit gnadenloser Stringenz und Intensität bis zu ihrem blutigen Ende erzählte Untergangsgeschichte“, die im deutschen Kino ihresgleichen suche.[18][2]

Der obigen Analyse stimme ich zu. Ich weiß nicht, wer den Film oder die beiden Filme als profaschistische Schinken bezeichnet hat, aber das sind sie ganz sicher nicht. Alles, was man an faschistischer Ideologie darin finden kann, wird zumindest hinterfragt. Sicherlich ist die Figur Siegfrieds als dem deutschen Nationalhelden durch den Faschismus instrumentalisierbar, aber dem hat sich Fritz Lang ganz sicher nicht angeschlossen. Dafür ist alles, was wir sehen, viel zu negativ und zu abgründig. Macht, die bis zur bitteren Neige ausgekostet wird, das klingt eher prophetisch und auf sorgenvolle weise vorausschauend. Wir haben im ersten Teil der Rezension geschrieben, dass Lang sicher im Jahr 1922, als der Film begonnen wurde, nicht den NS-Staat vorausgesehen hat und fügen bei, dass er eine solche Diktatur auch sicher nicht propagieren wollte. Eher kann man „Die Nibelungen“ so deuten, dass falsche Treue Führerfiguren gegenüber böse Folgen haben. Wie sehr die Folgen im zweiten Film den realen Folgen 20 Jahre später ähneln, das haben wir im dritten Teil der Rezension ausgeführt und auch, was das mit mir gemacht hat.

„Die Nibelungen“ war an kaum einer Stelle ein Film, der mich berührt hat, aber er hat mich geschlaucht, und das ist ja auch eine Form von Berührung. Dieser Erschöpfungszustand am Ende ist dem zweiten Teil zu verdanken, die Ränke, Schwindeleien, Eifersuchtszenen und gelegentlich einen Mord des ersten Teils hätte ich mir noch ewig anschauen können, denn so ist die Welt ja doch in weiten Teilen gestrickt. Aber nur in Deutschland wird das so zum Exzess getrieben, dass man sich immer wieder komplett neu aufstellen oder erfinden muss. Das Nibelungenlied ist nicht nur die deutsche Nationalsage, sondern mindestens so typisch deutsch, wie die Artus-Sage typisch englisch ist. Selbstzerstörung einerseits, gepflegte Selbstüberhöhung andererseits. Total destruktiv gegen überwiegen konstruktiv und positiv.

Das ganze Weimarer Kino ist von der Haltung durchzogen, die auch Fritz Langs Nibelungen zu eigen ist. In der Regel beschränken sich die Katastrophen auf Einzelschicksale, zeigen nicht den Downfall ganzer Nationen, aber in den Einzelschicksalen spiegelt sich auch der Zustand der Nation nach dem Ersten Weltkrieg, der offenbarte, dass das Land einen riesigen Rückstand gegenüber langjährigen Nationalstaaten hatte, das Settlement in einem selbstbewussten Kolonialismus betreffend. Zum Beispiel. Aber auch auf anderen Gebieten. Eine seltsame Mischung von Hochkultur und geradezu kindischem Verhalten zeigt auch „Die Nibelungen“. So wird keine erfolgreiche Politik gemacht. Wir haben das im dritten Teil schon beschrieben, deshalb nur ein Satz dazu. Deutsche Politiker.innen von heute sollten sich die Sage noch einmal genau durchlesen oder sich Fritz Langs Film anschauen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen.

Teil 2. Der sechste Gesang. Der Nibelungen Not

Die Burgunden haben sich im Festsaal verschanzt und alle Hunnen bis auf einen getötet. Dieser wird hinausgelassen, um den Hunnen, aber vor allen Dingen Kriemhild zu zeigen, dass Kampf gegen die Burgunden, die auch Nibelungen sind, zwecklos ist. Kriemhild lässt die wilden Krieger erneut angreifen, allerdings gelingt es ihnen nicht, ihre Toten zu rächen, wie Kriemhild es fordert. Der Festsaal wird noch ein weiteres Mal angegriffen und es folgen weitere Kämpfe, doch immer unterliegen die Hunnen. Die Burgunden versuchen während des Angriffs, ihre Schwester zu Vernunft zu bringen und unsinniges Morden zu verhindern. Kriemhild antwortet mit dem Angebot, das Leben der Burgunden bei einer Auslieferung Hagens zu verschonen und ihnen freien Abzug zu gewähren. Dieser Vorschlag wird abgewiesen. Nun verlangt Kriemhild von Rüdiger, gegen den Mann zu kämpfen, mit dem seine Tochter verlobt ist. Dabei beruft sie sich auf den Schwur des Markgrafen, der von Anfang an darauf abgezielt hat, ihn gegen Hagen zu verwenden. Rüdiger von Bechlarn sieht ein, dass er sich diesem Kampf nicht entziehen kann.[3]

Im vorausgehenden Text haben wir schon ausgeführt, das „Not“ auch als „Ende“ verstanden werden kann, Fritz Lang und Thea von Harbou haben aber die moderne Auseinanderentwicklung der beiden Begriffe hergenommen, um den Film stärker gliedern zu können und aus dem Kampf die drei Gesänge machen zu können, die wir heute schwerpunktmäßig besprechen. Eine Lanze für Kriemhild haben wir uns ausbedungen wegen ihres im Grunde richtigen Angebots, einen Deal zu machen. Ob sie wusste, dass die Familie darauf nicht eingehen wird? Ich habe das knapp verneint. Allenfalls lag ihr daran, sie zu demütigen, und der Sinn ergibt sich aus dem, was im ersten Film geschah: Die Blutsbruderschaft Gunthers mit Siegfried endete mit Gunthers Verrat, der wiederum eine Frau mit Hagens Hilfe für eine eitle Lüge rächen wollte, wie sich herausstellt. Neben bemerkt: Das hätte Gunther doch feststellen müssen, ob Brunhild noch Jungfrau ist oder von Siegfried entjungfert wurde – wenn sie ihn an sich herangelassen hätte.

Gunthers Schwäche ist mehr als alles andere der Schlüssel zu dem Geschehen. Er hätte den Verrat verweigern müssen. Aber die Treue gegenüber dem grimmen Hagen, dem Mörder, die hält. Wohl auch deswegen, weil er und Gunther Komplizen bezüglich des Mords an Siegfried sind und es bleibt unklar, was die übrigen Burgunden über diese Absprache wissen. Jedenfalls wissen sie, dass Hagen Siegfried ermordet hat und halten doch zu ihm. Also ist es möglich, dass Kriemhild die eigene Familie demütigen will, indem sie sie zwingt, auch diesen Treueschwur, den Hagen gegenüber, zu brechen. Trotzdem, bei einem Typ wie Gunther, so, wie er hier gezeigt wird, ist nicht recht verständlich, dass er nicht sich und die Seinen rettet und den wilden Tronjer seinem Schicksal bzw. der Hand Kriemhilds überlässt. Insofern haben die Burgunden-Nibelungen sich selbst gerichtet, Kriemhild hatte ihnen die Wahl gelassen. Auch Gunthers Unterlegenheit seiner Frau Brunhild gegenüber spielt eine wichtige Rolle dabei, wie er mit Siegfried verfährt.

Epische Schlachtszenen bilden den Höhepunkt dieses Teils. Filmisch sind diese zweifellos sehr gut umgesetzt. Sauer stoßen dagegen einige inhaltliche Anklänge auf: Immer wieder wird die „deutsche Treue“ hochgehalten und ausführlichst wird an einer Dolchstoßlegende („unbesiegt im Kampf“) gebastelt. Das sowas überhaupt thematisiert wird und die Zielrichtung der Aussagen sprechen Bände – die Handschrift Thea von Harbous ist klar zu erkennen.[4]

Richtig ist, dass man bei Thea von Harbou wirklich aufpassen muss, dass man nicht in eine manipulativ gestellte Falle geht und der Rassismus im zweiten Teil der Filmsage ist der Hauptgrund für die Abzüge, nicht die Tatsache, dass er stilistisch weniger elaboriert wirkt als Teil 1, denn auch ein guter, chaotischer Kampf kann reizvoll sein, wenn er mit einer akzeptablen Stoßrichtung geführt wird und abzüglich der Tatsache, dass wir generell der Ansicht sind, Probleme müssen anders gelöst werden können. Das sollte die Geschichte uns wirklich gelehrt haben. Die war zu der Zeit, als Fritz Lang „Die Nibelungen“ gedreht hat, aber noch nicht vollständig, das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs fehlte noch und wird im zweiten Teil auf erschreckende Weise vorweggenommen.

Die Dolchstoßlegende haben wir bereits besprochen, aber sind zu einem anderen Ergebnis gekommen und haen einen anderen Akzent bei ihrer Betrachtung gesetzt, von Harbou hin oder her. Ich glaube nicht, dass Lang es durchgehen ließ, dass hier der Dolchstoßlegende gefrönt wird, denn man kann es wenden wie man will, die Nibelungen sind selbst an ihrem Untergang schuld und ob sie in einem fairen Kampf oder letztlich durch Feuer besiegt werden, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Kriemhild richtet Hagen am Ende regelrecht und das hätte auch die Justiz in den  Zeiten der Todesstrafe getan. Mit Siegfrieds Schwert natürlich, so viel vom Geist des zu rächenden Toten muss schon  anwesend sein. Alles, was darüber hinaus geschieht, geschieht nicht, weil die Deutschen so treu sind, auch wenn Dietrich von Bern diese Eigenschaft hervorhebt. Er weiß ja vermutlich nichts von den Ränken am Hof zu Worms. Man kann sie natürlich mit dem Verhalten der Weimarer Politiker in Verbindung bringen und sagen, die im Felde unbesiegte Armee wurde politisch verraten und heraus kam der Versailler Diktatfrieden. Der Vergleich hinkt aber schon deshalb, weil die Treue gegenüber Hagen keine Entsprechung in den Vorgängen am Abend des Ersten Weltkrieges hatte. Die findet sich erst in der Befolgung der am Ende selbstzerstörerischen Nazi-Befehle, die auch bis zum Ende ausgeführt wurden. Die zeitgenössische Rezeption des Films hat allerdings dazu beigetragen, dass er so eingeordnet werden konnte, indem sie ihn quasi auf den Kopf stellte:

Zur Premierenzeit der Nibelungen bei man weniger damit beschäftigt, die stilistischen Feinheiten des Films auszuloten, als in tendenziell einzuordnen, und das auf die haarsträubendste Manier der Welt: „Wie Volker von Alzey, der Sänger, eins seine Fiedel stimmte, um das Lied von den Nibelungen hinauszutragen in die Weite, so greift heute Fritz Lang in die stummen Saiten des Films, um dem heischenden Auge der Welt zu bieten, was in ahnungsvoller Vergangenheit dunklem Schoße lange ruhte. Er lässt das deutsche Heldenlied auferstehen und bekennt sich damit zu einer Tat deren Kühnheit dem Deutschen wohl kaum offenbar ist. Ein geschlagenes Volk dichtet seinen kriegerischen Helden einen Epos in Bildern, wie in die Welt bis heute noch kaum gesehen – das ist eine Tat! Fritz Lang schuf sie und ein ganzes Volk steht ihm zur Seite Punkt ein ganzes Volk, weil eben dieser weil eben dieses er bei seinem innersten Herzen fast… wir brauchen wieder Helden! Die Filmwoche, 1924[5]

Die Citadel-Filmbücher, die sich in drei Teilen dem deutschen Film bis 1980 widmeten, sind nach wie vor eine Fundgrube und verteidigen auch Fritz Langs Film, obwohl sie vielen deutschen Produktionen sehr kritisch gegenüberstehen. Was mich immer wieder verblüfft: Wie gut die Filme aus der Stummfilmzeit beschrieben werden, obwohl die heute gültigen Restaurierungen allesamt noch nicht vorlagen. Thea von Harbou spielt auch in dieser Publikation eine Rolle. Sie drückt aber in etwa aus, was wir auch denken, viel anekdotischer eingeleitet und in diesem Zusammenhang wortgewandter, als es mir möglich wäre:

Zur Zeit der Premiere der Nibelungen besuchte Bruno Frank, dessen Friedrich-Buch „Tage des Königs“ gerade erschienen war, die Grabkammer der Garnisonskirche in Potsdam und sah am Grab des Alten Fritz „einen riesengroßen Kranz mit einer riesengroßen Schleife, und auf der Schleife steht: „Zur Premiere des Nibelungenfilms. Fritz Lang.“ Ich befragte den Küster. Ja, eine Dame haben die habe diesen Kranz eines morgens um 9 Uhr mit dem Automobil gebracht, und sie habe verlangt, sie habe verzweifelt darauf bestanden, dass er noch am selben Tag in die Gruft komme, und zwar an diesen vordersten Platz.“ Lang war daraufhin für Frank ein Mann, „der seine Filmpremiere mit dem Schatten dieses Einzigen zusammen denkt der in dem tragischen Alten offenbar einen direkten Nachfolger Siegfried das Drachentöters erblickt; der vermutlich glaubt, den König Friedrich mit so einer Schleife zu ehren.“ (Tage-Buch, 1924). Die ungeduldige Dame wird wohl Frau Thea von Habou gewesen sein, bei der ja alles, im Leben wie im Text, in permanenter Euphorie hergehen musste, und das Völkisch-Weihevolle war ihr da so lieb wie das Fleischlich-Ekstatische.  Ihr verdankt Lang auch den Vorspann-Widmungstitel, der noch heute bei jeder Vorführung des Films Gelächter erntet: „Dem deutschen Volk zu eigen.“ Man darf aber ganz sicher sein – und die Filme beweisen es ja hinreichend -, dass Lang jederzeit in der Lage war, seinen Hausdrachen zu erschlagen, ganz einfach allein dadurch, dass er damals schon realisierte, was Godard vielr später formulierte: „Man muss unbestimmten Ideen klare Bilder gegenüberstellen.“ Die nationalistische Widmung erscheint nur noch als der pure Hohn und als eine sarkastische Warnung, wenn einem angesichts der analytischen Klarheit der Nibelungen-Bilder eindeutig plausibel wird, dass dieser Film für die Freunde nationaler Leitfiguren und Heroen- Idole absolut nichts hergibt. Diese ganzen Kriege und Helden sind von einigen realpolitisch begabten Figuren wie Hagen und Kriemhild, denen es um nichts als Macht, Prestige und Geld geht, als pawlowsche Hunde abgerichtet, denen man nur den Knochen hinhalten braucht, auf dem „Ehre“ steht auf dass sie sich in den angewiesenen Feind festbeißen und lieber totprügeln lassen, als loszulassen. „Eine feierlich gedrehtes Hohelied Sitte, Treue, um der Treue willen Untreue zu begehen, „, hat Alfred Polgar den Nibelungenfilm genannt und damit sehr schön das Raffinement beleuchte,t mit dem Lang es verhindert, die Feierlichkeit des Mythos durch Ironie und Verdeutlichung zu zersetzen, ist aber gleichzeitig fertig bringt die weitblickend kalkulierenden Prozesse der Verpflichtung auf den Fetisch neue transparent zu machen, samt der wenig honorablen Motive, aus denen diese Prozesse in Gang gesetzt werden. Die Treue ist hier nicht „Das Mark der Ehre,“, wie es bei der SS hieß, sondern das Scharnier, um das schändliche Taten bewegt werden. Mot zwei Frauen, Kriemhild und Brunhild, wird ein elender, betrügerischer Kuhhandel getrieben. Nachdem die Helden sich beim Betrügen treu beigestanden haben, müssen die beiden Frauen sich einen das Prestigekampf mit der fürchterlichen und fatalen Folgen aussetzen. Siegfried, der törichte, schwatzhafte Helfershelfer des Betrugs, wird ermordet.[6]

Ich finde in dieser Ansicht vieles bestätigt, was ich im Verlauf der drei Rezensionsteile geschrieben, aber jetzt erst gelesen, aufgesprochen und hier ins Schriftliche übertragen habe. Mitsamt einiger Fehler bei den geschachtelten Zitaten und den damit einhergehenden Anführungszeichen. Um wenigstens eine Schachtelebene einzusparen, verzichten wir in der Regel auch darauf, eine direkte Quelle schon mit Anführungszeichen zu verstehen, sondern stellen sie nur kursiv. Im ersten Teil der Rezension hatte ich sinngemäß und ironisch angemerkt, das hat Siegfried nun davon, dass er glaubt, eine Frau könne schweigen. Ich sehe deshalb die Schuldanteile auch jetzt noch etwas ausgeglichener, in einer Sache tendiere ich ebenfalls anders: Kriemhild wirkt auf mich nicht von Beginn an wie eine begabte Machtpolitikerin, sie wird erst durch den Antrieb der Rache dazu, weil sie so grausam hereingelegt wurde. Dass ich Siegfried in dem Film nur als allenfalls mäßig sympathisch wahrnahm, wird aber von dem obigen Zitat bezüglich der Gründe recht gut bestätigt. Nachdem wir nun klargestellt haben, dass Fritz Lang hier seinen künstlerischen Gestaltungswillen durchgesetzt hat, wobei ihm natürlich half, dass die Nibelungensage ein Stoff ist, der auch Frau von Harbou standhalten kann, wenn er realistisch und analytisch aufbereitet werden soll, sind wir gerüstet für die lange Beschreibung des siebenten Gesangs des zweiten Teils, der zwar nicht länger ist als die übrigen Gesänge, aber der Höhepunkt. Daher letztlich doch die ungekürzte Wiedergabe aus der Wikipedia:

Teil 2. Siebenter Gesang. Der Nibelungen Ende

Es ist Nacht geworden, als Rüdiger unfreiwillig seinen letzten Kampf antritt. Giselher bittet den Vater seiner Verlobten verzweifelt, den Frieden zu bringen, doch da Rüdiger von Bechlarn den Kriemhild gegebenen Schwur halten muss, verneint er schweren Herzens. Noch vor Beginn des eigentlichen Kampfes wird Giselher von Rüdiger erschlagen. Daraufhin beginnt das Gemetzel. Rüdiger stirbt ziemlich am Anfang durch die Hand Volkers von Alzey. Gerenot trägt seinen toten Bruder vor die Tür des Saales, um Kriemhild zu zeigen, was sie mit ihrer Rachsucht angerichtet habe. Der Tod ihres jüngeren Bruders betrübt sie sehr und noch einmal wiederholt sie ihr Angebot, dass alle ihres Weges ziehen dürften, würde ihr Hagen von Tronje ausgeliefert. Doch Gerenot verneint und wird von einer Horde Hunnen getötet. Nun sind Kriemhilds jüngere Brüder und alle Recken Rüdigers samt dem Markgrafen selbst tot. Als letzten Racheakt befiehlt die Hunnenkönigin, den Festsaal mit Brandpfeilen anzuzünden. Während Hildebrand, Dietrichs Waffenmeister, vor Kriemhild genau das beklagt, sterben in der Halle die meisten Burgunden durch das Feuer und das einstürzende Gebäude – nur nicht König Gunther und Hagen von Tronje, die beide am stärksten am Mord an Siegfried beteiligt gewesen sind. Als letzter betritt Dietrich von Bern den Festsaal und kommt kurze Zeit später mit dem gefesselten Hagen von Tronje und dem stark verwundeten König Gunther wieder heraus. Kriemhild verlangt von Hagen, dass er ihr den Standort des Nibelungenhortes verrate. Hagen erklärt, er habe versprochen, das Versteck nicht preiszugeben, solange einer seiner Könige noch lebt. Darauf lässt Kriemhild ihrem Bruder Gunther den Kopf abschlagen. Als sie Hagen sein Haupt präsentiert, erklärt dieser höhnisch, nun wisse nur Gott und er den Aufenthalt des Hortes und Gott sei nicht verschwiegener als er. Wütend tötet Kriemhild Hagen von Tronje eigenhändig mit dem Schwert und wird kurz darauf von Hildebrandt erstochen, der es schon vorher nicht in Ordnung fand, dass tapfere Recken wehrlos vom Feuer oder von einer Frau erschlagen werden. In ihrer letzten Minute packt Kriemhild die Erde von der Quelle aus, damit sie sie mit dem Blut von Hagen tränken kann. Nun steht der Überrest der ritterlichen Gesellschaft vor den Trümmern eines grausamen Mordens. König Etzel befiehlt zum Schluss, Kriemhilds Leiche zu Siegfried an den Rhein zu bringen, weil sie nie für einen anderen Mann bestimmt war.

Finale

Wir hätten noch viele Stimmen zu dem Film sichten und weitere Aspekte dazu finden können, aber inklusive des Anschauens haben wir uns jetzt zwei volle Tage mit ihm befasst, länger als mit jedem anderen, von dem wir bisher eine Rezension auf dem Filmfest gezeigt haben. In gewisser Weise ist ihm das angemessen, denn der Stoff ist, so, wie Lang ihn gefilmt hat, sehr komplex, die beiden Teile sind sehr unterschiedlich, die Interpretationsmöglichkeiten vielfältig. Ich fand jedoch immer wieder bestätigt, dass das, was ich wahrgenommen habe, auch von vielen Kritikern so aufgefasst wird, die dem Film wohlwollend gegenüberstehen. Hätte ich den Eindruck gehabt, dass er „profaschistisch“ oder dergleichen gewesen wäre, dann hätte ich das ganz sicher angemerkt, obwohl Fritz Lang eine Ikone unter den Regisseuren in Deutschland bis 1933 ist und von ihm der Psychothriller „M“ stammt, der von vielen Experten als der wichtigste deutsche Film überhaupt eingeschätzt wird. Ein Schatten ist ein Schatten, auch bei Fritz Lang, der nicht „den perfekten Film“ gemacht hat, und natürlich finden sich immer wieder in seinen Filmen auch Ideen seiner Frau und Drehbuchautorin Thea von Harbou mit ihrem schwierigen Weltbild, mehr aber in den Originalstoffen als in einem Film, der eine Sage behandelt.

Es ist für mich schwierig, aktuell jedenfalls, eine Rangfolge bei Langs Filmen herauszubilden, einige muss ich auch noch einmal sichten. Zuletzt fielen mir sozusagen mehr von den Werken aus seiner amerikanischen Zeit in die Hände, die von seiner Meisterschaft noch künden, aber auch ausdrücken, dass er in Hollywood einer von vielen war und kaum Sonderrechte genoss, die ihm solchermaßen unbegrenzte Mittel an die Hand gegeben hätten, wie sie erforderlich gewesen wären, um im Stil von „Die Nibelungen“ oder „Metropolis“ weiterzumachen. Das ganz groß Ausgreifende erreicht mit „Die Nibelungen“ sogar seinen Höhepunkt, alles, was Lang danach gefilmt hat, war nur noch einteilig, mithin kürzer. Ich bin ohne große Vorkenntnisse über die beiden Filme ins Heimkino gegangen und habe mich überraschen lassen. Es sind drei tolle Filmtage geworden, der letzte Samstag fürs Anschauen, heute und gestern fürs Aufschreiben meiner Eindrücke unter Einbeziehung vieler Fremdquellen. „Die Nibelungen“ hat eines nicht, nämlich einen ikonischen Status wie „Metropolis“, „Nosferatu“, und „M“, die jeweils als stilbildend gelten. Der Mittelalterfilm hat sich tatsächlich in eine andere Richtung entwickelt, während der SF, der Horrorfilm und der Krimi / Film noir von den drei genannten Filmen stark beeinflusst wurden.

Fritz Lang hat sich auch in seinen anderen Filmen der frühen 1920er nicht von der Fiebrigkeit der Zeit anstecken lassen und immer eine gewisse Distanz gegenüber seinen Figuren und Stoffen gewahrt, diese wird auch hier deutlich, wird allerdings in den kommenden Filmen geringer werden. Die Lust an der Sensation hat er im zweiten Teil allerdings deutlich in den Vordergrund treten lassen. Gester, heute und morgen spiegeln sich in dem Film wie in der zugrundeliegenden Sage auf eine Weise, dass man nur sagen kann: Hätten mehr Menschen sie so verstanden wie Fritz Lang, wäre wenigstens die nähere Zukunft, von seiner Entstehungszeit aus gesehen, nicht so düster geworden, denn der Schwanengesang der Nibelungen ist in Fritz Langs Version auch ein Warngesang an die Deutschen gewesen. Hoffentlich lernen wir wenigstens in den aktuellen Untiefen der Politik etwas daraus, wenn es schon im nächstmöglichen Anlauf, als es um das Bestehen der Weimarer Demokratie ging, nicht geklappt hat und daraus Folgen entstanden sind, die jene, die zum tödlichen Ende des Nibelungenlieds führen, noch übertreffen.

Die IMDb-Nutzer:innen geben derzeit 8,1/10 für Teil 1 und 7,9/10 für Teil 2. Bei mir ist der Unterschied etwas deutlicher ausgefallen:

87/100 für „Die Nibelungen – Siegfried“ und
77/100 für „Die Nibelungen – Kriemhilds Rache“.

Und damit ist das Lied zu Ende. Anders als die Nibelungen haben wir als Betreiber des Filmfests, auf dem es niemals zu Verrat kommen soll, den Vorteil, dass wir unseren Gästen weiterhin Ansichten über Filme auftischen können, solange wir noch Spaß daran haben oder der Lauf der Dinge es erlaubt.

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

[1] Wikipedia, Die Nibelungen (1924) – Wikipedia (Im Folgenden als a. a. O. zitiert, andere Wikipedia-Artikel werden gesondert ausgewiesen.)

[2] Wikipedia a. a. O.

[3] Wikipedia a. a. O.

[4] Die Nibelungen: Kriemhilds Rache – Hannes‘ Filmarchiv (yllr.net)

[5] Filmwoche, 124, zitiert nach:  Ilona Brennicke, Joe Hembus, Klassiker des deutschen Stummfilms, S. 112

[6] Bandmann, Hembus a. a. O.

Regie Fritz Lang
Drehbuch Thea von Harbou
Produktion Erich Pommer für die Decla-Bioscop AG im Auftrag der Universum Film AG
Gustav Püttjer (Aufnahmeleiter)
Musik Gottfried Huppertz
Kamera Carl Hoffmann,
Günther Rittau
Besetzung

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