ÖRR dominiert weiterhin die Fernsehlandschaft (Statista + Kommentar) | Briefing 108 | Medien, Gesellschaft

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Das klassische Fernsehen ist nicht mehr das, was es mal war. Angeknabbert von unzähligen Streamingdiensten, von denen einige sogar erfolgreich sind, von den eigenen Mediatheken, die dafür sorgen, dass die Einschaltquoten mehr und mehr an Bedeutung verlieren … aber hat sich wirklich so viel verändert, in den letzten Jahren?

Infografik: ÖRR dominiert weiterhin die Fernsehlandschaft | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sichert sich auch 2022 wieder die größten Marktanteile in der deutschen Fernsehlandschaft. Zu diesem Ergebnis kommt die AGF Videoforschung in ihrer jährlichen Analyse. Demnach kommt performte das ZDF im vergangenen Jahr am besten. Mit 14,5 Prozent Marktanteil beim Gesamtpublikum holt sich das Zweite Deutsche Fernsehen den größten Teil vom Kuchen. Die ARD bringt es auf 12,2 Prozent und ist damit auf dem dritten Platz hinter dem kumulierten Angebot der dritten Sender (13,4 Prozent). Das stärkste private Funkhaus ist RTL mit 7,4 Prozent, Sat.1 schafft 5,1 Prozent – knapp hinter VOX (5,2 Prozent). ProSieben bringt es nur auf 3,3 Prozent.

Eine große Rolle neben dem linearen Fernsehprogramm spielen mittlerweile auch die erweiterten Internetangebote der Sender. Diese verlagern die Zuschauerschaft zwar ins Internet und mindern dadurch die Fernsehquote, jedoch winken den Privatsendern hier neue Werbemöglichkeiten und eine Plattform, um neue Formate auszuprobieren. Laut Daten von ivw kommt RTL+ (ehemals TVNOW) besonders gut an. Der On-Demand-Dienst von RTL verzeichnete im letzten Jahr durchschnittlich mehr als 32 Millionen Visits.

Eines änderte sich 2022 nicht: Dass die öffentlich-rechtlichen Sender mit ihrem Angebot den Privaten den Rang ablaufen, solange es um klassisch-lineares Fernsehen geht. Da können RTL und vor allem die Pro7-Sat1-Gruppe noch so viele neue Formate lancieren … dann setzt die ARD den x-ten Regionalkrimi dagegen und gewinnt locker. Nun würde es naheliegen, dass die Privaten auf diesen unaufhaltbaren Krimizug aufspringen, aber komischerweise scheint das keine Option zu sein. Vielleicht sind es doch die vielgescholtenen Rundfunkgebühren, die solche Produktionen eher ermöglichen, auch wenn seit Jahren zusammen mit den Gebühren das Budget stagniert.

Muss man nun auch darüber lächeln oder eher nachdenklich darüber gestimmt sein, dass eine Mehrheit der Menschen im Land die Gebühren gerne abschaffen würde, aber dennoch fleißig die ÖR-Angebote schaut? ARD und ZDF sind ja auch bei den Nachrichten und sonstigen Informationssendungen, die nun einmal etwas Geld kosten, weil teilweise von „vor Ort“ berichtet wird, uneinholbar vorne. Kein privater Sender erreicht auf dem Gebiet auch nur mit einem einzigen Format die Rezeption der Tagesschau, der Tagesthemen oder des Heute-Journals. Wir sehen das immer montags, wenn wir die Quoten für den Sonntagskrimi nachschauen, in der Regel handelt es sich dabei um eine Tatort- oder Polizeiruf-110-Premiere. Es sind zunächst einmal diese Krimis, dann aber auch die umliegenden Sendungen der gebührenfinanzierten Sender, die am meisten Zuspruch erfahren. Natürlich ist der Sonntag ein wenig speziell, denn diese Reihen sind „die letzten Fernseh-Lagerfeuer der Nation“, wie ein Journalist vor einiger Zeit schrieb. Und dann gibt es noch den Sport. Hätte die Fußball-WM in Katar richtig gezündet, hätten ARD und ZDF noch weiter vorne gelegen, weil im Wesentlichen sie live berichtet haben. Nebst dem Telekom-Ableger Magenta-TV, den man allerdings auch in Anrechnung bringen muss, wenn es um die bescheidenen Quoten der Fußballberichterstattung aus dem sandigen Katar ging, dieses Sendeangebot veröffentlicht nämlich keine Zahlen bzw. ist nicht an die Zuschauererfassungsmechanik der übrigen Sender angeschlossen.

Es fasert zwar aus, aber es ist schon bemerkenswert, dass trotzdem kaum ein Rückgang der Zuschauerzahlen bei den oben erwähnten Krimireihen zu verzeichnen ist. Wie zum Beispiel dies Seamstraße und die Sendung mit der Maus beweisen, haben die ÖR-Anstalten noch mehr als ihre Nachrichtenformate und Premiumkrimis  im Angebot, was es schon länger gibt als alle Privatsender und was immer noch beliebt zu sein scheint. Manche dieser Formate sind über 50 Jahre alt, das ist eine Ansage und eine positive Form von Kontinuität, die den Wandel einschließt, die so nur das Gebührenfernsehen sichern kann. Es ist zwar nicht unabhängig von Quoten, vor allem nicht während der Zeit, in der auch dort Werbung gezeigt werden darf, aber es bricht nicht gleich Panik aus, wenn es mal nicht perfekt läuft.

Wie bei allen traditionellen Medien stehen die Informationsangebote von ARD und ZDF außerdem in Konkurrenz mit den sozialen Medien und den Alternativmedien, die ihre Existenzberechtigung teilweise daraus ziehen, das „Staatsfernsehen“ im Verein mit den „Mainstream-Medien“ der Presse schlechtzureden. Selbstverständlich zitieren sie das Staatsfernsehen alle naslang, wenn es gerade passt. Und selbstverständlich gibt es Lücken und auch Tendenzen im Angebot. Nicht mainstreamig zu sein, ist aber per se noch kein Plus, sondern lediglich eine zudem meist selbstdefinierte Abweichung vom Denken der Mehrheit. Und wenn es um tatsächliche Recherche geht, nicht um episodische Erfahrungsberichte à la „Ich war selbst in Russland und alle drei Freunde, die ich getroffen habe, lieben Wladimir Putin, also ist er ein Held“, sind ARD und ZDF unschlagbar, weil sie die Mittel dazu besitzen. Wir sind froh, dass wir diese Leitmedien zur Verfügung haben, auch wenn wir manchmal anderer Meinung sind als die dortigen Kommentatoren. Für uns ist es vor allem das überragende und außerdem im Netz frei abrufbare Informationsangebot, das den „Staatsfunk“ unverzichtbar macht.

Nur in wenigen Ländern gibt es diese Qualität, und dafür sollten wir dankbar sein und den Marktführern endlich eine angemessene Gebührenerhöhung gönnen. Bei der Inflation, die wir im Moment haben, wären 5 Euro mehr pro Monat nun wirklich kein Verbrechen, das die Menschen in die Armut treiben würde. Da gibt es andere Dinge, über die sich bezeichnenderweise viel weniger aufgeregt wird.

Allerdings ist bei uns zu bedenken, dass wir neben den Hauptsendern Angebote wie Arte nutzen, die ebenfalls in den Gebühren enthalten sind. 

Wir wollen diesen Beitrag nicht mit einem Kniefall enden lassen, aber wenn man mal aus der Fabrik des eigenen Hirnskastens hinaustritt und sich anschaut, wie in anderen Ländern der Medienbetrieb darniedergegangen ist und wie auch in Deutschland sich die Printmedienlandschaft verändert hat, wie z. B. einst führende Politmagazine wie der Spiegel an Substanz verloren haben, werden die beiden ÖR-Sendeanstalten sogar immer wichtiger. Sie sind übrigens auch an den meisten Recherchen beteiligt, mit denen wirklich etwas aufgedeckt wird, deswegen haben wir den Spiegel erwähnt, der so etwas früher auch konnte. Besonders die ARD-Sender NDR, WDR, SWR fallen immer wieder dadurch auf, dass sie, oft im Verbund mit einem größeren Printmedium, die Informationen liefern, die man ganz unterschiedlich verwenden kann. Zum Abnicken, zum Abkotzen, ober aber, wie wir, für die permanente Systemkritik, die einen permanenten Informationsfluss auf verlässlichem Niveau benötigt.

TH

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