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Frontpage | Briefing 117 (hier zu 116) | Wirtschaft, Economy, China, USA, Germany
Heute wollen wir uns, sozusagen zwischendurch, wieder einem wirtschaftlichen Thema widmen. Im Ukrainekrieg geht ziemlich unter, dass es weitere Felder gibt, auf denen Deutschland dringend eine Neuaufstellung braucht, um die Zukunft zu meistern.
Wenn wir die Frage so stellen würden: „Wie soll Deutschlands Wohlstand gesichert werden“, müssten wir sie so beantworten: Welcher Wohlstand? Der einer kleinen Kaste, die von jeder Krise profitiert oder der sinkende Wohlstand der Mehrheit? Letzter ist sowieso gefährlich, denn es gibt weitere Gründe als die durch den Ukrainekrieg ausgelösten Verwerfungen, die wir im Blick behalten müssen. Hier geht es um mehr als eine Schwächephase, hier geht es um Fragen, wie sie vor 20 Jahren schon einmal drängend waren und nie gelöst wurden.
Infografik: Wohin die deutschen Exporte gehen | Statista
China und das Vereinigte Königreich haben als Zielländer deutscher Exporte zuletzt an Bedeutung verloren. Wichtiger geworden sind hingegen Frankreich, Niederlande, Polen und Österreich. Das zeigt die Statista-Grafik auf Basis von Daten der Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing GTAI. Besonders herausstechend ist dabei der Abstieg des Vereinigten Königreichs, dass von Rang 3 im Jahr 2016 auf nunmehr Rang 8 abgestiegen ist. Hierbei spielte zuletzt laut Statistischem Bundesamt der Anfang 2020 vollzogene Brexit eine große Rolle. Die USA liegen seit dem Jahr 2015 auf Rang 1.
China hat bei den deutschen Exporteuren auch an Bedeutung verloren: Im Jahr 2022 stand die Volksrepublik nur noch auf Rang 4 der Top-Exportmärkte, nachdem sie 2021 noch den 2. Platz belegt hatte, so die GTAI-Prognose. Die deutschen Einfuhren aus China sind zuletzt allerdings weiter gestiegen. Wie diese Statista-Grafik zeigt, hat der deutsche Handelsbilanzsaldo mit China zuletzt einen neuen Negativrekord erreicht.
Von der abnehmenden Bedeutung Chinas als Zielland für deutsche Exporteure profitieren laut GTAI andere Handelspartner. Bei den zehn bedeutendsten Absatzmärkten 2022 haben demzufolge mit Ausnahme der Volksrepublik sämtliche Länder ein zweistelliges Wachstum deutscher Lieferungen erzielt. Ausfuhren in den mit Abstand wichtigsten Exportmarkt USA hätten sogar um 28,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen.
Deutschland exportiert insgesamt deutlich mehr Waren als es importiert. In so einem Fall wird von einem Handelsbilanzüberschuss gesprochen. Insgesamt beläuft sich das Exportvolumen von Deutschland seit dem Jahr 2011 kontinuierlich auf über eine Billion Euro. Im Corona-Krisenjahr 2020 brachen die Exporte im Vergleich zum Vorjahr um rund neun Prozent ein. Im Jahr 2021 stieg der Wert der Exporte dann wieder um 14 Prozent.
Die Briten waren Fans bestimmter deutscher Produkte, und darauf kann man sich durchaus etwas einbilden, denn die Briten lassen sich nicht jeden Schrott andrehen. Leider hat der Brexit diese bis dahin stabile Handelsbeziehung erheblich beeinträchtigt. China hingegen verliert zwar als Exportland an Gewicht, nicht aber als Importland. Das ist genau die falsche Richtung, denn mit keinem anderen Land hat Deutschland ein so großes Handelsbilanzdefizit wie mit China. Wir haben diesen Tatbestand und das rasche Anwachsen des Defizits in diesem Artikel thematisiert:
Frankreich und die Niederlande waren hingegen traditionell die größten deutschen Handelspartner, bis die USA Nummer eins wurden, dass sie im Ranking wieder nach vorne kommen, ist logisch, wenn bei anderen scharfe Rückgänge zu verzeichnen sind. Interessant und im obigen Text nicht erwähnt ist der Aufstieg Polens als Land, in das Deutschlans besonders viel exportiert. Offenbar schaden auch die häufigen politischen Dissonanzen zwischen der nationalistischen PiS-Regierung und der Bundesregierung dabei nicht. Allerdings leben mittlerweile auch viele Polen in Deutschland und stehen in enger wirtschaftlicher Verbindung mit ihrem Heimatland.
Insgesamt boomte der Export 2021 jedoch wieder und fing die Rückgänge aus dem ersten Corona-Jahr mehr als auf. Das ist erstaunlich und führt uns zu einer wichtigen Erkenntnis: Wenn die deutsche Wirtschaft Zeter und Mordio ruft, wie schlecht doch hierzulande die Standortvoraussetzungen sind, ist noch lange nicht die Welt zu Ende. Es geht viel mehr darum, immer mehr an Vorteilen für das Kapital herauzupressen. Die stolze deutsche Exportwirtschaft ist schon lange kein Garant mehr für gesamtgesellschaftlichen Wohlstand. Höchstens die Minderheit, die in bestimmten Bereichen der Exportindustrie arbeitet, partizipiert daran auch dann ein wenig, wenn sie nicht auf der Kapitalseite steht. Arbeiter:innen in der Automobilindustrie haben es vergleichsweise gut. Der Profit landet aber weit überwiegend bei Anteilseignern in aller Welt und die Steuerquoten in Deutschland sind nur für Unternehmen nur dann hoch, wenn sie keine legalen und illegalen Tricks anwenden, um die Beteiligung an der Gemeinschaft, von der sie vielfach profitieren, gegen Null zu drücken.
Am weitesten vor sind da freilich multinationale Konzerne, die meist amerikanischen Ursprungs sind. Aber sind die Amerikaner noch das Maß der Dinge? Auch bei dieser Betrachtung kommen wir nicht um China herum:
Infografik: Innovationen: China bald gleichauf mit den USA | Statista
Die USA hatten in Sachen Innovationskraft stets einen komfortablen Vorsprung vor China. Wie die Statista-Grafik auf Basis des Global Innovation Index (PDF-Download) zeigt, wird dieser Vorsprung jedoch immer kleiner. Zwischen den beiden wirtschaftlichen Konkurrenten liegen aktuell nur noch eine Differenz von 6,5 Punkten. Im Jahr 2014 betrug sie noch rund 14 Punkte.
China holt auch in Sachen Wirtschaftsleistung auf: Hier belegt das Land im Ranking der Länder mit dem größten BIP der Welt mit einigem Abstand zu den USA den zweiten Platz. Allerdings schmilzt der Vorsprung der USA laut der BIP-Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) in den kommenden Jahren immer weiter zusammen. In der nahen Zukunft, hier sind sich die absolute Mehrzahl internationaler Beobachter einig, wird China die USA als größte Wirtschaftsnation der Welt ablösen. Wird die unterschiedliche Kaufkraft in den Vergleich der Wirtschaftskraft einbezogen, hat China die USA im Ranking der Länder mit dem größten kaufkraftbereinigten BIP in der Zukunft bereits heute eingeholt und wird den Abstand zukünftig deutlich ausbauen.
Der Global Innovation Index 2022 untersucht 132 Ökonomien weltweit hinsichtlich ihrer Innovationskraft. Dabei wird anhand von 80 ausgewählten Kriterien ein breites Spektrum unterschiedlicher Themenbereiche in den betreffenden Ländern untersucht, um anhand der Ergebnisse ein Ranking erstellen zu können. Berücksichtigt werden dabei unter anderem die Dimensionen Humankapital, Institutionen, Technologie und kreative Leistung sowie Markt- und Unternehmensentwicklungen. Die maximal erreichbare Punktzahl liegt bei 100.
Die Messung von komplexen Kennzahlen wie der Innovationskraft hängt natürlich von den Kritieren ab, die man aufstellt. Wenn wir lesen, wie unterschiedlich der Standort Deutschland je nach Interessenlage bewertet wird, müssen wir auch vor Panik warnen, was den Technologiewettkampf mit China angeht. Die USA haben noch gute Möglichkeiten, das Blatt zu wenden. Anders sieht es in Europa aus. Hier wären goßangelegte und staatlich unterstützte Initiativen des Mittel der Wahl, um technologisch hinter den Ball zu kommen, ähnlich wie seinerzeit beim europäischen Flugzeugherstellerprojekt Airbus. Dass sich in Deutschland allererste zarte Ansätze von strategischer Wirtschaftspolitik in Bezug auf China zeigen, heißt aber nicht, dass es etwas wie eine Gesamtstrategie gibt. Es wirkt alles sehr episodisch, was wir bisher sehen. Wie etwa, dass man es gerade noch geschafft hat, ein Terminal des Hamburger Hafens vor einer Sperrminorität Chinas per Anteilskauf zu bewahren. Der Einstieg war aber trotzdem möglich und irgendwann wird vermutlich auch diese die 25-Prozent-Grenze fallen. Derweil wächst das Handelsbilanzdefizit mit China in exotische und historische Ausmaße.
Einer von vielen misslichen Begleitumständen des Ukrainekriegs ist, dass der Fokus sich so sehr darauf richtet, dass die vielen weiteren Baustellen daraus verschwinden. Politisch sind die Fragen dieser Tage, zum Bespiel die Panzerlieferungen, sehr wichtig. Ökonomisch jedoch, pardon, ein Nebenkriegsschauplatz.
Wir haben aus der Datengrundlage, die Statista verwendet haben, selbst noch ein Bild gezogen:
So schlecht sieht es in Europa doch nicht aus, auch wenn man bei der Schweiz immer das ungute Gefühl hat, es handelt sich hauptsächlich um Finanzinnovationen, die darauf zielen, noch mehr Blutkapital aus aller Welt anzulocken. Außerdem ist es kein EU-Land. In der EU sind wieder einmal, wie sollte es anders sein, die Skandinavier vorne und Deutschland hat nicht so schlechte Chancen, zu den Topstaaten aufzuschließen. So groß ist der Abstand nämlich nach dieser Messung nicht, dass dieser Zug schon abgefahren wäre. Die Ampel hat es, Ukrainekrieg hin oder her, in der Hand, die Wirtschaft hier grüner zu machen und auf diesem Gebiet wieder Motor, nicht Bremser zu sein. Damit ist die Wirtschaft zwar nicht gerechter, aber das ist ja auch nicht Gegenstand des Innovationsindexes. Und mag es kaum glauben, auch Deutschland liegt zumindest in diesem Ranking immer noch vor China. Wir hoffen, da geht noch was.
TH