#Berlinwahl 2023 II: Rechtsruck verhindern! Keine Zukunftsverweigerer wählen! | #Briefing 122 | #Berlin #Berlinwahl2023 #Stadtpolitik

Frontpage | Briefing 122 | Berlinwahl 2023, Rechtsruck befürchtet

Noch neun Tage bis zur Berlinwahl 2023, die nur stattfindet, weil die Berlinwahl 2021 nicht funktioniert hat. Zu diesem Tatbestand haben wir uns hier bereits geäußert:

Berlin darf wählen – aber haben wir wirklich eine Wahl? | Briefing 121

Heute geht es um die neuesten Umfragewerte.

Civey-Umfrage: Wen würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Abgeordnetenhauswahl wäre? – Civey

Im Bund ist es anders, aber in Berlin scheint es eine Trendwende gegeben zu haben: Die SPD ist nach dieser Umfrage, die permanent aktualisiert wird, wieder stärkste Partei. Vor der CDU und vor den Grünen. Sie würde ihr allerdings besonders schwaches Ergebnis von 2021 sogar leicht verbessern und käme derzeit auf 22,6 Prozent (2021: 21,4 Prozent). Die CDU käme erstmals seit langer Zeit wieder über 20 Prozent und die Grünen – würden stagnieren. Das ist wohl die größte Überraschung. Und sie wird vermutlich unser Wahlverhalten beeinflussen.

Der Abstand der Grünen zur SPD ist schon zu groß, als dass noch zu erwarten wäre, dass deren Spitzenkandidatin Bettina Jarrasch die derzeitige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey ablösen könnte. Hingegen besteht die große Gefahr, dass Giffey mit der CDU und den Grünen oder gar mit der CDU und der FDP ein Bündnis eingeht. Kai Wegner, der CDU-Spitzenkandidat, hätte sicher weniger ein Problem als Giffey, wenn er nicht Bürgermeister würde. Die CDU wäre froh, wieder mitregieren und der Stadt einen konservativen Drall verpassen zu können. Wir sind von der hiesigen Politik so angenervt, dass wir vorhatten, eine Kleinpartei zu wählen, aber jetzt geht wohl alles zurück zum Ausgang, zu unserem Wahlverhalten von 2017 und 2021: Wir werden, wie schon vor eineinhalb Jahren, zähneknirschend die Linke wählen, damit der rot-grün-rote Senat weitermachen kann. Es steht Spitz auf Knopf und da muss der persönliche Unmut besonders über die Linke im Bund außen vor bleiben.

Aber was hat Giffey bloß gemacht, dass sie plötzlich so an Beliebtheit gewinnt? Vielleicht liegt es gar nicht an ihr, sondern an einem für die SPD insgesamt etwas günstigeren Trend, der seine Ursache in der Bundespolitik hat. Das kann auch auf Berlin-Ebene ein oder zwei Prozent mehr für die SPD bringen. Das ist ohne Weiteres drin. Auch bei der „Sonntagsfrage Bund“ verliert nämlich derzeit die CDU etwas, die SPD gewinnt etwas, die Grünen bleiben gleich. Da hat Scholz mit seiner Pro-Leopard-Entscheidung als seiner Parteifreundin in Berlin geholfen, Regierende Bürgermeisterin zu bleiben. Verrückt, im Grunde, aber sicher spielt das eine Rolle. Im Herzen sind die traditionellen Berliner:innen, die nicht direkt in den Szenevierteln, sondern drumherum und außerhalb des S-Bahn-Ringes wohnen, die mitte-links-bürgerlichen, Menschen, Arbeiter:innen und kleine und mittlere Angestellte, von allen Milieus am meisten geneigt zu wählen. Und sie, die schon lange hier leben, vor allem jene im Westen, sind immer noch Frontstädter:innen. Die Berlin-Blockade 1948 und der Mauerbau 1961, beide durch die Sowjetunion initiiert, sind im kollektiven Bewusstsein verankert. Nirgends geht die Haltung Russland gegenüber so weit auf so engem Raum auseinander wie in Berlin.

Sicher ist diese Beeinflussung der Berlin-Wahl nur ein zufälliger Nebeneffekt der Scholz-Entscheidung und nur einer von mehreren Aspekten, aber wir sehen sonst nichts, was sich in den letzten Wochen so stark verändert hätte wie die  außenpolitische Situation. Außerdem ist Berlin die westeuropäische Stadt Nr. 1 für die Geflüchteten aus der Ukraine, deren erzählte Erlebnisse und Schicksale natürlich auch die generell gegenüber Geflüchteten offene Haltung der Berliner:innen beeinflussen. Noch irgendjemand unter Ihnen, der keine Menschen kennt, die aus der Ukraine hierher gefunden haben, seit Russland das Land vor fast einem Jahr angegriffen hat? Auch den Grünen hätte dieser Umstand helfen müssen, aber sie geben, ebenfalls auf Bundesebene, eine nicht sehr glückliche Figur ab, weil z. B. Annalena Baerbock immer noch im falschen Moment das Falsche sagt, weil die Wirtschaftslage schwierig ist und dabei mit Robert Habeck ebenfalls ein Politiker der Grünen in Verbindung gebracht wird.

Und in Berlin wirkt Grün nicht so, wie die Grünen es gerne vermitteln. Die Verkehrswende schleppt sich dahin, der gesamte ökologische Bereich hinkt zurück, und dann plakatiert die CDU auch noch, wie wir es nebenstehend abgebildet haben. Das ist ein grottendummer Spin, aber er hilft in bestimmten Kreisen, für die Autos ein Selbstdarstellungsmittel sind – und nicht nur der CDU, sondern auch der SPD, denn Giffey ist bekennend rückwärtsgewandt. Auf diesem Feld wie auch beispielsweise in der Wohnungspolitik und der Sicherheitspolitik, die nicht auf wirkliche Befriedung durch mehr soziale Gerechtigkeit, sondern auf die Unterstützung vorhandener Fehlstellungen in der Berliner Polizei setzt:

Berlin-Wahl: „Wem gehört die Stadt?“, fragt Giffey – „Dir nicht!“, schallt es ihr entgegen – WELT

Das Beunruhigende daran: Die Giffey-SPD und die Wegner-CDU hätten für eine gemeinsame Regierungsarbeit aufgrund ihrer beinahe unterschiedslos konservativen Ausrichtung große Übereinstimmungen. Die CDU, das ist die Partei, die sich selbst entlarvt mit Plakaten wie dem hier abgebildeten. Wenn man keine progressiven Ideen hat: platter als platt nach rückwärts und die Autofanatiker bedienen geht immer. Die CDU ist nicht für den Fortschritt zuständig, aber wenn es des Fortschritts bedarf, darf man sie eben nicht wählen. Dieses Plakat hätte übrigens auch von Franziska Giffey stammen können. 

Weil die Grünen und die Linke wissen, dass Giffey tickt, als wäre sie in der CDU, hält man sich derzeit weit mehr mit Eigenständigkeit zurück als von 2017 bis  2021, als SPD-Mann Michael Müller der Regierende Bürgermeister war und die CDU keine Chance hatte, zurück ins Regierungsboot zu steigen, die SPD keine Chance hatte, sie zurückzuholen.

Wir finden, diese Zurückhaltung wirkt zwar sehr an der Ruhe in der Stadt orientiert, stadtstaatstragend gewissermaßen, ist aber falsch: Giffey wird, wenn sich die Chance bietet, auf jeden Fall nach rechts gehen und sie wird es möglicherweise aus dem Wahlergebnis des 12. Februar begründen können: Nämlich dann, wenn die CDU zweitstärkste Partei vor den Grünen. Rot-schwarz-grün („Kenia“) wäre etwas Neues und hätte eine große Mehrheit von über 60 Prozent der Wähler:innen und die von den Mitte-Mainstreamern gerne so titulierten „Ränder“ wären außen vor, obwohl links in Berlin keineswegs eine Randerscheinung ist.

Die Linke hingegen wird in der Folge des schwächeren Ergebnisses von 2021 weiter an Zuspruch verlieren und mit Pech sogar hinter der AfD auf Platz fünf landen. Das hat u. a. mit der miserablen bundespolitischen Performance und mit der Tatsache zu tun, dass die einzige Partei, die sich voll hinter den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gestellt hat, sich in dieser Sache von der Giffey-SPD und gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit über den Tisch ziehen lassen wird und von den Grünen keine Hilfe erwarten darf, die sich auf jeden Fall in die nächste Regierung hineinretten wollen, wenn schon ihre Spitzenkandidatin abermals gegen Giffey verlieren wird.

Wir wissen, dass einige Politiker:innen der Linken das Desaster im Bund quasi mit Achselzucken quittieren oder sogar eine gewisse Schadenfreude in sich tragen. Jene, deren Ansichten in den Funktionär:innenkreisen der Bundesebene keine Mehrheit haben, vor allem das Wagenknecht-Lager. Sie stellen sich auf die regionale Stärke der Partei im Osten. Inklusive des Ostteils von Berlin. In den „neuen Bundesländern“ wie in Berlin bröckelt diese traditionelle Stärke jedoch und im Westen klappt der Aufbau einer breiteren Wähler:innenbasis nicht.

Wer in der Partei noch nicht merkt, dass ein Strategiewechsel hin zu einem integrativeren, mehr bewegungsorientierten und klassenkämpferischen Linksmodell dringend notwendig ist, den darf man im Grunde nicht wählen. Sicher: Auch Stimmen, die im Zustand des Ingrimms abgegeben werden, zählen.  Aber so taktisch wie wir sehen das viele nicht, die einfach nur angefressen sind. Dies wiederum kann darauf hinauslaufen, dass 2028 viele der jetzt unter innerem Zwang abgegebenen Stimmen („Schlimmeres verhindern“) befreit werden und in alle Richtungen davoneilen, weil es keine Mitte-Links-Koalition mehr gegen den Rechtsruck zu verteidigen gilt. Der Hauptgrund: Weil die Linke keinen angemessenen Beitrag mehr zu einem Wahlergebnis leistet, das diese Koalition nicht nur sichert, sondern aufgrund der Stimmenverteilung notwendig macht.

Sicher, das wirkt weit vorausgedacht, aber fünf Jahre sind schnell vorbei. Der Start der aktuellen Berlin-Koalition Anfang 2017 kommt uns vor, als sei’s gestern gewesen. Jetzt müssen wir alles tun, damit Berlin nicht wirkt wie von vorgestern und von einer Koalition des Stillstands im Vorgestern regiert werden wird. Wer so plakatiert wie die CDU, ist sich für keine Zukunftsvernichtungspolitik zu schade und wer Doktortitel sich mit Täuschungen erschleicht, versucht auch, die Wähler:innen darüber zu täuschen, was für die Zukunft der Stadt und uns, ihre Bewohner:innen, wichtig sein wird.

Wählen Sie bitte keine Partei, die bereit sein könnte, mit der CDU ein Regierungsbündnis einzugehen und schon gar nicht diese Partei selbst!

TH

 

 

 

 

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