Frontpage | Briefing 121 | Berlin, Politik
Liebe Leser:innen, die Berlinwahl am 12. Februar, also am übernächsten Sonntag, wird tatsächlich stattfinden. Zumindest, was die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus betrifft.
Berlin kann die Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 12. Februar wiederholen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat einen Eilantrag von mehr als 40 Antragstellenden abgelehnt. Das heißt aber nicht, dass das Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofes, die Wahl im gesamten Wahlgebiet für ungültig zu erklären, verfassungswidrig war. Darüber entscheidet der Zweite Senat wohl zeitnah – allerdings nicht mehr vor der Wahl. Eine Begründung zu dem heute veröffentlichten Beschluss liegt allerdings noch nicht vor. Das dürfte daran liegen, dass sich die Richterinnen und Richter über die Formulierung noch nicht einig sind, schreibt Annelie Kaufmann. Noch offen ist ebenfalls, in welchem Umfang auch die Bundestagswahl in Berlin wiederholt wird. Dazu sind insgesamt 19 Wahlprüfungsbeschwerden in Karlsruhe anhängig.
Berlins Landeswahlleiter reagierte mit Erleichterung auf die Entscheidung des BVerfG und begrüßt, dass es jetzt Planungssicherheit gebe. Die meisten Politiker schalten jetzt wieder in den Wahlkampfmodus – und Bürgermeisterin Franziska Giffey kündigte an, alles für einen reibungslosen Ablauf der Wahl zu tun. In rechtlicher Hinsicht bleiben allerdings viele Fragen offen. Vielleicht schafft die zu erwartende Begründung hier Klarheit.
Die Berliner SPD kann also weiterhin mit vereinter Kraft der Mehrheit der Wähler:innen, die sich für die Enteignung bestimmter Großwohnkonzerne in Berlin ausgesprochen habe, ins Gesicht springen. Sogar Kanzler Scholz, der wirklich andere Probleme zu bearbeiten haben sollte, hilft der Titelbetrügerin Giffey dabei, die Wähler:innen vom26. September zu hintergehen. Die Grünen können so tun, als wenn sie dem Wähler:innenwillen zugewandter wären („Gerechtigkeit!“ – Definitionssache) und hoffen, die SPD wird diesen Willen schon abräumen und ansonsten wird die Verkehrswende und wirdfast alles andere weiter verschleppt. Die Linke kann weiterhin so tun, als ob sie wirklich noch die Kraft hätte, soziale Verbesserungen durchzusetzen. Die CDU kann so tun, als ob sie jetzt ernsthaft alles besser machen würde und sollte als in ihrer bisherigen Regierungszeit, als sie Berlin so in die Scheiße geritten hat, dass die Nachwirkungen immer noch deutlich spürbar sind.
Alles wie gehabt, im Berliner Grusel-Politikbetrieb. Und dass Berlin besser performt als andere Bundesländer, wirtschaftsmäßig, liegt schlicht daran, dass man um eine Hauptstadt nicht herumkommt, wenn man bestimmte Arbeit, zum Beispiel Lobbyarbeit, zu verrichten hat und dass dadurch und überhaupt die Bevölkerung stärker wächst als in anderen Bundesländern. Bei der Kaufkraft der einzelnen Menschen in dieser Stadt bewegt sich hingegen nicht viel vorwärts. Okay, das war jetzt undifferenziert. Krisenprofiteure, Ausbeuter verschiedener Art und die Organisierte Kriminalität arbeiten sich deutlich sichtbar voran, während es der Mehrheit keineswegs besser geht.
Wer es nicht glauben mag, obwohl damit ja gerade dem Mitte-Links-Senat eine gute Arbeit bescheinigt würde: Berlin krebst immer noch zwischen 88 und 96 Prozent der bundesdeutschen Durchschnittskaufkraft herum. Das war schon vor 15 Jahren so, als wir in diese Stadt zogen:
https://www.gfk.com/de/insights/bild-des-monats-gfk-kaufkraft-deutschland-2021
Nur waren damals die Preise in Berlin in Relation zum Bundesdurchschnitt viel niedriger als heute. Hier ein informelles Update am Tag der Veröffentlichung um 21:45 Uhr:
Die 25 einwohnerstärksten Stadtkreise vereinen mehr als 21 Prozent der Gesamtkaufkraft Deutschlands – dies bedeutet jedoch nicht, dass jede deutsche Großstadt auch ein überdurchschnittliches Kaufkraftniveau aufweist. Die Hauptstadt Berlin ist mit Abstand die einwohnerstärkste Stadt Deutschlands und belegt damit den ersten Platz des Rankings nach Kaufkraftsumme. Bei der Pro-Kopf-Kaufkraft liegt Berlin aber knapp 7 Prozent unter dem deutschen Durchschnitt, ähnlich wie auch Dresden. Noch weiter darunter liegen Bremen (-9 Prozent), Dortmund (-9 Prozent) und Leipzig (-11 Prozent), während beispielsweise München und Düsseldorf mit knapp 31 bzw. 16 Prozent deutlich darüber liegen.
Der obige Abschnitt ist bereits aus dem GfK-Index 2022, der Ende 2021 erstellt wurde und dessen Prognosen den Ukrainekrieg nicht berücksichtigen konnten. Als wir nach Berlin kamen, lag es bei 96 Prozent der durchschnittlichen Kaufkraft in Deutschland, zwischendurch rutschte es auf 91, jetzt, wieder Jahre später, liegt es bei 93. Sehen Sie da einen wesentlichen Fortschritt? Wir nicht.
Die Sozialquote in der Stadt sinkt nicht und die Bildung verbessert sich nicht. Aber die am Spitzenpersonal deutlich ablesbare Antikreativität aller Parteien wird das ganz sicher nach der Wahl ändern. Dieses Mal bestimmt, aber wirklich. Sollen wir überhaupt noch hingehen? Doch, werden wir, auch dieses Mal wieder. Auf die Naivität der sich nicht verweigernden Mehrheit kann man sich verlassen. Bisher. Und sogar darauf, dass diese ja nicht mal etwas dezidierter wählt (links natürlich, in unserem Fall), weil es ja immer gilt, Schlimmeres zu verhindern, zum Beispiel den nächsten Rechtsruck. Die Logik wäre, Die Linke zu wählen, um die eigene Stimme nicht zu verschenken, aber halt! Wollten wir nicht verhindern, dass Giffey Bürgermeisterin bleibt? Das geht realistischerweise nur mit Grün und nur dann, wenn die SPD nicht sagt, wir sind eh nur zweite Kraft, aber für ein Zusammengehen mit der CDU immer bereit.
Wir haben’s so satt, das können wir kaum ausdrücken. Aber werden wir noch lange satt werden? Die Politik arbeitet heftig daran, dass Menschen wieder hungern müssen. Wir müssten uns die Füße aus Protest dagegen auf der Straße platt stehen, nicht in den auch dieses Mal sicher wieder langen Schlangen vor den Wahllokalen. Eines müssen wir leider trotzdem machen: Eine Wahlempfehlung geben. Wenn Sie nicht wollen, dass das alte SPD-CDU-Modell wieder auflebt, das dieser Stadt keinerlei Fortschritt gebracht hat, dann dürfen Sie nicht die SPD wählen sondern müssen, ob aus Begeisterung oder zähneknirschend, den Grünen oder der Linken Ihre Stimme geben. Oder? Selbst die Grünen halten wir nicht für „safe“, „Jamaika“ beispielsweise könnte durchaus auf uns herniedergehen. Nun ja. Hier noch einmal, warum Sie die SPD in Berlin nicht wählen dürfen, wenn Ihnen an der sozialen Stadt gelegen ist:
Im nächsten Briefing-Special werden wir Ihnen vorstellen, wie unser Wahl-O-Mat-Ergebnis für die allerneueste Berlinwahl aussieht. Das ist wenigstens eine Tradition, auf die man sich noch verlassen kann.
TH