Der Gott des Bankrotts – Polizeiruf 110 Episode 402 #Crimetime Vorschau #Polizeiruf #Polizeiruf110 Das Erste, 05.02.2023, 20:15 Uhr #Brandenburg #Polen #Ross #RBB

Crimetime Vorschau – Titelbild © RBB, Volker Roloff

Umbruchzeit in Brandenburg, an der deutsch-polnischen Grenze. Nachdem innerhalb weniger Jahre Olga Lenski und Adam Raczek das gemeinsame Kommissariat in der Grenzstadt Swiècko verlassen haben, muss der Jungkriminalist Vincent Ross vorerst alleine weitermachen.

Immerhin gibt etwas wie eine holprige Kontinuität, darauf hat man beim RBB offenbar viel Wert gelegt. Keinen ansatzlosen Übergang zu produzieren, seit mit der Erfindung des Dorfpolizisten Horst Krause, der vom gleichnamigen Darsteller gespielt wurde, immer etwas wie eine Übergabe ohne nur neue Gesichter stattfand. Krause hatte drei weibliche Vorgesetzte, die letzte davon wanderte nach seiner Demission in besagtes Grenzkommissariat, traf dort auf Adam Raczek und ging nach einiger Zeit, er blieb vorerst und übergab nun ebenfalls, ohne dass es zum vollkommenen Bruch bei der Besetzung der Hauptrollen kam. All das trug sich aber in einer kürzeren Zeit zu, als in der Reihe Tatort Lena Odenthal (Ludwigshafen) sowie Batic und Leitmayr (München) tätig sind.

„Tod auf dem Jakobsweg: Dort, wo Pilgernde eigentlich zur Ruhe und inneren Einkehr finden sollen, endet das Leben eines hoch verschuldeten Kaufmanns auf tragische Weise. Unter Mordverdacht gerät ausgerechnet sein Insolvenzverwalter … Nach dem Weggang seines Kollegen Adam Raczek ist Kommissar Vincent Ross (André Kaczmarczyk) vom deutsch-polnischen Kommissariat Swiecko bei den Ermittlungen weitgehend auf sich allein gestellt, erhält jedoch unerwartete Unterstützung von dem etwas schrulligen Dorfpolizisten Karl Rogov (Frank Leo Schröder), der über erstaunliche kriminalistische Fähigkeiten verfügt.“

Polizeiruf 110: Gott des Bankrotts – Tatort Fans (tatort-fans.de)

Mir war nicht bewusst, dass der Jakobsweg durch Brandenburg führt, aber man lernt ja gerne dazu. Und wie beurteilte dieselbe Stelle, die für das obige Intro verantwortlich ist, den Film?

„Insolvenz, ob geschäftlich oder privat – in jedem Fall ein klug ausgewähltes Thema, das jede Menge Mordmotive bereithält. Hier sind es dann aber doch ein paar Zufälle und unrealistische Konstellationen zu viel, als dass man von einer halbwegs glaubhaften Storyline sprechen könnte, auch wenn die Einzelschicksale durchaus empathisch geschildert werden. Immerhin: Oldie Rogov bringt Leben in die Bude, das ganze sonst immer etwas verschlafen wirkende Grenzkommissariat läuft geradezu zur Hochform auf. Schade, dass es beim Gastspiel bleiben wird.“

Der Titel wirkt witzig, aber auch Götter können offenbar sterben. Für witzige und skurrile Figuren und absurde Handlungen waren die Brandenburg-Polizeirufe zuletzt in den 1990ern bekannt, als auch die Figur Krause erfunden wurde, die zunächst nur als Episodenrolle gedacht war. Diese Polizeirufe spiegelten die Nachwendezeit im wilden Osten besser als jede andere Schiene der Reihe und waren mit dem Who’s Who der damaligen deutschen Schauspielwelt besetzt, besonders natürlich mit jenen Akteuren und Aktricen, die eine Ostbiografie hatten. Der Ton von damals ist aber ebenso wenig reproduzierbar wie jene Ensembles. Man sollte also aufgrund des Titels  nicht ein Wiederaufleben dieser großen Zeit erwarten, des Sounds, der entstand, nachdem gesichert war, dass die Reihe Polizeiruf 110 auch in der gesamtdeutschen ARD-Senderlandschaft fortgeführt werden wird und der sich deutlich vom Ton der Tatorte jener Jahre unterschied, so different diese auch untereinander sein mochten. Sammeln wir also weitere Stimmen zur Stimmung im Polizeiruf anno 2023.

Die Kommissare könnten unterschiedlicher nicht sein. Dieser Polizeiruf kommt erstmal völlig unspektakulär daher. Da wird ganz ruhig gepilgert und ermittelt. Aber die abgrundtiefe Verzweiflung der Menschen ist fast greifbar. Ich finde es super, dass sich die beiden ungleichen Kommissare nicht anzicken, sondern richtig gut zusammenarbeiten. Klar, wer den genderfluiden Ross nicht mag, dem mag seine fast schon zu verständnisvolle Art auf den Wecker gehen und knallharte Aktion gibt es eben auch nicht. Dafür am Ende eine Wendung, die zumindest ich so habe lange nicht kommen sehen. Deshalb gibt’s von mir 4 von 5 Elchen.

Polizeiruf-Kritik: „Der Gott des Bankrotts“ aus Frankfurt (Oder) – SWR3

So gut kamen die letzten Tatorte beim SWR-Check nicht weg, auch nicht die aus dem eigenen Haus. Wir müssen gleich wieder an die große Tradition des Polizeirufs denken, daran, dass er unbedingt erhalten werden sollte, wenn die Qualität einigermaßen dafürsteht und die Rechten nicht doch den öffentlich rechtlichen Rundfunk abschaffen können, von dessen Programmen sie tagtäglich profitieren. Eine Chance hat man bereits dadurch verpasst, dass man die Nachwende-Experimente im Westen mit der Reihe (HR, Offenbach, WDR, „Volpe“) trotz sehr interessanter Ansätze nicht fortgeführt hat. Ob auch der hochkarätige München-Polizeiruf nach dem Abgang von Verena Altmaier als Elisabeth Eyckhoff eingestellt wird? Die Bayern sind bekanntlich zäh, wir hoffen das Beste. Was immer man über die Ostschienen der Reihe sagen mag, besonders die München-Polizeirufe mit Tauber und seinem Nachfolger von Meuffels zählten zu den besten aus beiden Welten.

„Rainer Tittelbach. Auch wenn der „Polizeiruf 110 – Der Gott des Bankrotts“ (rbb / Eikon Media) als ein Whodunit-Krimi der eher simpleren Sorte zu beginnen scheint, entpuppt sich der Fall aus dem Umfeld der Insolvenzen und persönlichen Pleiten bald als sehr viel komplexer und dramatischer. Zur Halbzeit nimmt der top besetzte und konzentriert gespielte, passend zu seiner Geschichte realistisch und unaufgeregt inszenierte Film von Felix Karolus nach dem Drehbuch von Mike Bäuml endgültig Kurs auf die menschlichen Tragödien. So entwickelt sich das Krimidrama nicht zu einen Themenfilm über ein soziales Schreckgespenst, sondern rückt die seelischen Folgen, die diese ökonomisch bedingten Identitätskrisen für die Schuldner haben, ins Zentrum. Das sorgt für einen Emotionsschub beim Zuschauer – und ist eine Steilvorlage für den erstmals ohne Adam Raczek ermittelnden Vincent Ross: Sein Faible für Psychologie, sein Interesse für die Menschen, seine offene, vorurteilsarme, wohlwollende Art und seine positive (genderfluide) Ausstrahlung sind eine wohltuende Ermittlervariante.“

Polizeiruf 110 – Der Gott des Bankrotts – Kritik zum Film – Tittelbach.tv

Rainer Tittelbach selbst widmet sich der psychischen Komponente dieses Polizeirufs und vergibt dafür im Rahmen der Tatort- und Polizeiruf-Rezensionen der Publikation durchschnittliche 4,5/6.

 Ich finde, Schuldner sind eine nicht gerade kleine und weit unterschätzte Spezies in Deutschland. Gemeint sind damit Menschen, deren Leben vom Bankrott gezeichnet ist. Mittlerweile ist das Herauskommen aus den Schulden sehr vereinfacht worden, soweit es sich um private Angelegenheiten handelt und eine recht simple gesellschaftsrechtliche Konstruktion hat schon immer vermieden, dass Unternehmer mit ihrem persönlichen Vermögen haften müssen. Überschuldung ist auch etwas anderes als Insolvenz und vielleicht findet sich in dem Film noch ein Nachklang der Zeiten, in denen Menschen, die nicht so clever waren, jahrzehntelang von unbarmherzigen Gläubigern verfolgt wurden, nachdem diese zuvor erheblich von den Schuldnern profitiert hatten. Gemeint sind damit vor allem institutionelle Gläubiger wie Banken, die sich nicht mit den Schuldnern als Risikogemeinschaft begriffen, sondern den Schirm immer dann zuklappten, wenn es regnete.

„Der Gott des Gehetzes. Als sei er gerade aus einem Tanzpalast in »Babylon Berlin« gestolpert: André Kaczmarczyk ermittelt als queerer Hipster im Brandenburger Busch. Ein »Polizeiruf«, der völlig aus der Spur ist.“

Polizeiruf 110 »Der Gott des Bankrotts« mit André Kaczmarczyk: Der Gott des Gehetzes – DER SPIEGEL

Ob das aus der Spur Seiende nun gut oder schlecht ist, filmmäßig und krimimäßig gesehen, können wir leider nicht ermitteln, denn heute versteckt sich die Bewertung von Christian Buß mal wieder hinter einer Bezahlschranke. Beim Spiegel scheint man vorher zu würfeln, ob das der Fall ist oder nicht. Vielleicht wird der oder die Paywall  auch morgen, kurz vor dem Start des Films, aufgehoben, dann können Sie reinschauen, was von dieser Seite über den Film geschrieben wird. Wir hingegen können nicht eigens für diese Rezensionen ein Abo begründen, so sehr wir sie auch schätzen.

„Diesem Film, der sich ins Grauen einer illusionslos ausgeleuchteten Sommerlandschaft an der polnischen Grenze wirft, gelingt kein Glanz in seinen Bildern und in der Erzählung, nicht einmal ein dunkler Glanz. „Alles muss sich ändern“, hat Vincent Ross gesagt. Ein Advokat ist immer noch ein Rechtsverdreher, ein Dorfpolizist ein Hinterwäldler. Womöglich müsste gerade bei den absehbaren Prototypen nachgebessert werden, um Fallhöhe in diesen Film zu bringen.“

„Polizeiruf 110 – Der Gott des Bankrotts″: Existenznot an der deutsch-polnischen Grenze (rnd.de)

Mittlerweile hat es bei uns Tradition, dass die „vierte Stimme“ wechselt und manchmal muss man gerade zu dieser vierten Stimme, die auch keine Wertung vergibt, etwas erklären. Weil Vincent Ross als „queerer Hipster“ so kontrastierend  wirkt, im ländlichen Brandenburg und auch gegenüber seinem Einmal-Partner, einem Dorfpolizisten, wird ein Dialog hervorgehoben:

„Warum geht einer wie Sie zur Polizei?“, fragt der Kollege Rogov (Frank Leo Schröder), Typ Landei und Allwetterjacke. „Weil sich alles ändern muss“, sagt Ross. Fast verschluckt sich Rogov an dem Satz. „Viel Spaß dabei“, murmelt er. Das ist so doppelbödig und so flapsig, wie das in einem Krimi eigentlich nicht vorgesehen ist.

Tatsächlich nicht? Klar kann man in diese Sätze viel hineininterpretieren, aber so exorbitant neu ist das nun auch in Krimis nicht. Hier wird aber vermutlich deshalb so darauf abgehoben, weil dann der Rücksturz in die Welt der bekannten Stereotype kommt, den die Kritik bemängelt. Stimmt, Juristen, oft auch Ärzte, immer auch Menschen aus dem Bereich Psychiatrie, Therapie, werden negativ dargestellt, ich nenne das gern den deutschen Drehbuchautor:innen-Komplex. Bei Juristen geht es um die Wendigkeit und den Erfolg, bei Ärzten um ihre überragende soziale Reputation als Götter und Göttinnen in Weiß, im Bereich der Psychologie um allfällige Fehlbeurteilungen und daraus resultierende katastrophale, oft tödliche Folgen, mithin um den Geruch von Quacksalberei. An all dem ist natürlich etwas dran, aber es gibt auch die anderen. Die Seriösen, die Aufopferungsvollen, die Kompetenten.

Die kommen in Tatorten und Polizeirufen in der Tat sehr selten vor. Was einst als Angriff auf die Autoritäten gedacht war, möglicherweise und neben dem erwähnten Komplex, wirkt heute eher wie ein Zersägen von Totholz. Auf dem Ast sitzt die Gesellschaft längst nicht mehr, dass sie an Professionen und Professionalismus glaubt. Es sei denn, das Individuum in dieser Gesellschaft hat Hilfe nötig, von Angehörigen dieser Helferberufe. Und da wird der Bedarf immer größer, nicht kleiner und aus der Diskrepanz zwischen mehr Misstrauen und mehr Hilfebedarf erwächst mehr Unbehagen. Das wird in modernen Filmen der beiden Reihen manchmal gut ausgedrückt, umfasst auch den Beruf des Kriminalpolizisten, umfasst sichtbare Welt und Schwingungen hinter der Fassade und schafft jene Atmosphäre der Verunsicherung, die viel mehr als in früheren Filmjahren die Subjektivität unserer Wahrnehmung spiegelt. Der queere Hipster in Ostbrandenburg mag als nicht besonders realistisch angesehen werden, aber schon morgen könnten wir ihm begegnen, wenn wir die Tür zum Kommissariat von Swiècko öffnen.

TH

Handlung[1]

Antoni Mazur wird tot in einer Kiesgrube aufgefunden, rund 500 Meter entfernt vom Jakobsweg, der direkt durch Brandenburg führt. Der Tote, ein polnischer Staatsbürger, war anscheinend mit vielen anderen Pilgern unterwegs.

Der erste am Fundort der Leiche ist ein Polizist aus dem nahegelegenen Revier in Lebus, Karl Rogov, der sofort die Befragung der Pilger übernimmt. Für Kriminalhauptkommissar Vincent Ross kommt diese Unterstützung sehr gelegen. Es stellt sich heraus, dass Mazur massive finanzielle Probleme hatte und ihm ein Insolvenzverfahren bevorstand. Seine Frau Lina und sein Vater Klaudiusz berichten von dem enormen Druck, den Insolvenzverwalter Udo Schick und sein Schuldenberater Jonathan Hüter auf ihn ausgeübt haben sollen.

Als herauskommt, dass der Insolvenzverwalter seine Tochter Maria Schick auf dem Pilgerweg, kurz vor dem Tod von Antoni Mazur, abgefangen hat, gerät er unter Tatverdacht: Was weiß der „Gott des Bankrotts“?

Besetzung und Stab

Kriminalhauptkommissar Vincent Ross – André Kaczmarczyk
Komisarz Wiktor Krol – Klaudiusz Kaufmann
Rechtsmediziner Marian Kaminski – Tomek Nowicki
Karl Rogov, Polizist – Frank Leo Schröder
Udo Schick, Insolvenzverwalter – Bernhard Schir
Jonathan Hüter, Schuldnerberater und Schicks Ehemann – Godehard Giese
Maria Schick, Tochter von Udo Schick – Anna-Maria Bednarzik
Klaudiusz Mazur, Mordopfer – Roman Wieslaw Zanowicz
Lina Mazur, seine Frau – Katrin Heller
Antoni Mazur, sein Vater – Frank Jendrzytza
Juliane Mai, Schicks Klientin – Imke Büchel
Caroline Mai, Julianes Tochter – Maj-Britt Klenke
Yegor Melnik, Schicks Klient – Sebastian Anton
u. v. a. 

Drehbuch – Mike Bäuml
Regie – Felix Karolus
Kamera – Wolfgang Aichholzer

[1] Der Gott des Bankrotts – Polizeiruf 110 – ARD | Das Erste

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