Frontpage | Briefing 123 | Politik in Berlin
Acht Tage bis zur Berlinwahl! Wir dürfen schon wieder wählen, und das nach nur eineinhalb Jahren. Wenn es einen Beleg dafür gibt, dass Hauptstädter:innen privilegiert sind in dieser Demokratie, dann ist es diese Wahl. Es handelt sich zwar um eine Wiederholungswahl wegen großer Pannen beim letzten Mal, aber Stimmabgabe ist Stimmabgabe und jeder Urnengang mischt die politischen Karten neu.
Zuletzt haben wir uns hier inhaltlich zur Berlinwahl 2023 geäußert, heute stellen wir uns selbst vor. Und zwar ausführlicher als je zuvor. Dass wir unser Wahl-O-Mat-Ergebnis veröffentlichen, hat bereits Tradition, auch dann, wenn wir selbst in einem Bundesland gar nicht wählen dürfen, also bei 15 von 16 Wahlgängen auf Landesebene. Schade übrigens, dass es nicht, adäquat zur doppelten Staatsbürgerschaft, eine doppelte Bundesland-Zugehörigkeit gibt. Man darf wählen, wo man wohnt und dort, wo man geboren ist. Ist das Bundesland identisch, versteht es sich aber von selbst, dass das eigene Votum kein doppeltes Gewicht hat. Nach diesen Vorüberlegungen verraten wir Ihnen so deutlich wie nie zuvor, wie wir politisch tendieren. Denn anders als bisher haben wir auch unser Votum bei jeder einzelnen der 38 Fragen abgelichtet, nicht nur unsere Zustimmungsquote zu den einzelnen Parteien. Es gibt durchaus Veränderungen zu dem, was wir 2021 ermittelt hatten. Noch nie hatten wir bei einer Partei eine Übereinstimmung von mehr als 90 Prozent festgestellt, noch nie so wenige Punkte für die AfD wie dieses Mal. Zunächst die Zustimmungsquote:
Die Klimaliste trat bei der Wahl 2021 noch nicht an, sicherlich hätte sie damals auch eine sehr hohe Prozentzahl erreicht. Unsere inhaltliche Nähe zu FFF und auch unsere Billigung der Aktionen der „Letzte Generation“ spiegelt sich auf jeden Fall auch in diesem Ergebnis.
Die kleine Mieterpartei zählt zu unseren Favoriten. Wir finden es gar nicht schick, dass wir statt einer der Parteien, die ganz vorne liegen, aber keine Chance auf Einzug ins Abgeordnetenhaus haben, wohl die politische Kraft noch einmal bevorzugen werden, die auf dem Panel auf Rang 4 eingelaufen ist. Nun ja, es hätte schlimmer sein können, als diese Liste es ausweist, aber es ist auch schlimmer. Über unser Zähneknirschen haben wir bereits geschrieben:
#Berlinwahl 2023 II: Rechtsruck verhindern! Keine Zukunftsverweigerer wählen! | #Briefing 122 | #Berlin #Berlinwahl2023 #Stadtpolitik
Berlin darf wählen – aber haben wir wirklich eine Wahl? | Briefing 121
Es hat also koalitionstaktische Gründe. Wir werden alles tun, was wir können, um einen Rechtsruck in Berlin zu verhindern, so wenig das auch immer sein mag. Leider deuten die derzeitigen Umfrageergebnisse auf ein sehr enges Ergebnis zwischen der aktuellen Koalition Rot-Grün-Rot und der Opposion, dass wir sozusagen unterstützend tätig werden, obwohl uns alle drei Koalitionsparteien auf unterschiedliche Weise auf den Zeiger gehen. Das Klima betreffend, haben wir aber verstanden, das geht wohl aus dem Gesamtergebnis sehr eindeutig hervor. Und wie setzt es sich zusammen? So:
Worauf wir ganz stark abheben, sind umwelt- und wirtschaftspolitische Themen, diese haben wir daher teilweise doppelt gewichtet. Bildung spielt im Fragenkatalog zwar eine nicht unbedeutende Rolle, aber die zugehörigen Fragen sind für uns zunächst kein Aufreger oder Quell erhöhten Engagements: Was immer auch wieder organisatorisch geändert wird, wichtig ist die Qualität, und die passt in Berlin hinten und vorne nicht. Gesellschaftspolitisch würden wir uns zwar als vergleichsweise eindeutig bezeichnen, aber Solidarität ist für uns nach wie vor wichtiger als Identität.
Der dahinterstehende Gedanke ist nicht, Identitätspolitik kann weg, sondern, dass Solidarität und soziale Sicherheit die Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Identität(en) ist. Daher stimmen wir mit besonderem Nachdruck für Krankenhäuser in öffentlicher Hand, für einen besser regulierbaren Wohnungsmarkt, für einen freien ÖPNV, für die Rekommunalisierung der Energieversorgung. Und für die Verkehrswende. Für eine bessere Chance, als Radfahrer in Berlin alt zu werden. Die E-Scooter würden wir ganz verbieten, da tut sich ein ganz neues Feld für Kriminalität im Straßenverkehr auf, das wiederum Radfahrer:innen und Fußgänger:innen besonders zu spüren bekommen. Es geht nicht nur darum, wie die Teile abgestellt oder -gelegt werden. Leider ließ die Fragestellung eine dementsprechende Antwort nicht zu.
Unser besonderes Interesse gilt seit der Neugründung des (2.) Wahlberliners der Wohnungspolitik und da kann es nach vier Jahren intensiver Befassung mit dem Thema nur eine Meinung geben: Bauen reicht nicht, es muss mehr Bestand zu günstigen Preisen gesichert werden, um den anhaltenden Mietenwahnsinn (+6,6 Prozent im Jahr 2022 bei Neuvermietungen) irgendwann in den Griff zu bekommen. Das geht nur durch die Enteignung einiger Großwohnkonzerne, die erst durch Staatsversagen so mächtig werden konnten.
Und die bessere Verwaltung. Deshalb haben wir auch bei den Quoten oder der Kompetenzverteilung zwischen Senat und Bezirken neutral gestimmt: Es muss alles unabhängig von dieser Verteilung wirklich alles getan werden, damit es besser wird, selbst, wenn dafür ein paar alte weiße Männer eingestellt werden müssen und die Bezirke ihre Ortsnähe endlich für mehr Bürgernähe einsetzen (wir schreiben pro Domo, man merkt es wohl). Wie bisher kann und darf es nicht weitergehen.
Ein Thema wurde, bis auf die Polizei-Bodycams, die wir aus Gründen der Waffen-Ungleichheit bei der Datenerfassung ablehnen, nicht angeschnitten. Erstaunlicherweise. Sicherheit. Hätte es dazu mehr Fragen gegeben, wäre unser Ergebnisprofil einen Tick konservativer ausgefallen, ohne dass sich auf den vorderen Plätzen viel geändert hätte. Vor allem die CDU hätte aber wohl ein paar Punkte gutmachen können. Wir sind ganz sicher keine Law-and-Order-Typen, die Durchgreifen als Selbstzweck ansehen, aber eines ist für uns ebenso klar und es fußt auf dem Grundgedanken der Solidarität als Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens:
Unter anarchischen Zuständen leiden vor allem die Schwachen, während die Begüterten sich privat schützen können, wie es in vielen Ländern bereits der Fall ist. Überbordende Alltagskriminalität und ein immer weiteres, gut sichtbares Ausgreifen der OK beeinträchtigen den gesellschaftlichen Zusammenhalt, schüren Unzufriedenheit bei jenen, die ihrer legalen Arbeit nachgehen und beschneiden die Möglichkeiten des Staates, sich schützend vor die Schwächeren zu stellen. Um dies zu tun, sind in der Regel keine schärferen Gesetze notwendig, etwas mehr Konsequenz bei der Durchsetzung der vorhandenen Straftatbestände würde ausreichen.
Anlässlich einer kleinen Überarbeitung dieses Artikels nach Veröffentlichung: Erst am gestrigen Abend nahmen wir an einem Gespräch teil, in dem von einer Seite darauf bestanden wurde, die Berliner Justiz sei nicht mehr unabhängig im Sinne von korruptionsfrei. Das stimmt sicher nicht pauschal, aber jeder Einzelfall von Bestechlichkeit ist einer zu viel. Wenn der Staat an seiner Schutzfunktion gar kein Interesse hat, sondern sich vor allem als Handlanger des Kapitals jedweder Provenienz gegen zivilgesellschaftliche Proteste und Interessen versteht, ist dies wiederum politisch entsprechend zu bewerten.
Und das Silvesterfeuerwerk. Weg mit der Pyrotechnik in privaten Händen. Für diese Ansicht lassen wir uns von Leuten, die ein ganz falsches Freiheitsverständnis haben, gerne als Spießer beschimpfen. Es reicht einfach. Ursprünglich hatten wir die Antwort sogar doppelt gewichtet, weil dieser Quatsch nicht nur für sich selbst als Gefahren- und Lärmquelle in einer einzigen Nacht im Jahr steht. Er steht auch symbolisch dafür, dass es in dieser Gesellschaft zu wenig Rücksicht und zu viel Egoismus und Krawalligkeit gibt. Wären wir bei der höheren Bewertung verblieben, hätte sich am Gesamtergebnis kaum etwas geändert.
Interessanterweise wurde auch nach den Russland-Sanktionen gefragt, obwohl diese mit der Landespolitik nichts zu tun haben. Wir bleiben dabei: In der aktuellen Lage kann man sie nicht zurücknehmen, das wäre ein ganz falsches Signal. Aber sie müssen endlich sozial und industriepolitisch besser gemanagt, begleitet und ihre massiven Auswirkungen müssen bezüglich der strategischen Konsequenzen für die Zukunft ernst genommen werden. Andererseits erwachsen aus der Lage humanitäre Pflichten, vor denen sich Berlin aber nicht drückt und bei deren Erfüllung es besser dasteht als auf anderen Gebieten.
Liebe Leser:innen, da wir dieses Mal auch alle Fragen und unsere Abstimmungsergebnisse dazu veröffentlicht haben, wussten sie noch nie so gut, wie wir ticken. Abgeordnetenwatch für die Herausgeber von Kleinmedien sozusagen. In einer Sache dürfen Sie bei uns aber sicher sein: Es gibt keine verdeckten Lobbyinteressen, die unsere Antworten beeinflussen, sondern nur unsere Ansichten und Anliegen als Mitglieder der Zivilgesellschaft in Berlin.
TH