„Alle rein, keiner raus“ – breitere Aufstellung der Rentenfinanzierung (Umfrage, Kommentar) | Briefing 134 | Wirtschaft, Gesellschaft #Aktienrente #Renteneintrittsalter #Rente #Rentenkasse

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Woher kommt es, dass in anderen Ländern die Rente nicht nur höher, sondern auch sicherer zu sein scheint als in Deutschland? Obwohl diese Länder ebenfalls mit einer alternden Bevölkerung zu kämpfen haben?

Nun steht eine Maßnahme zur Diskussion, die von verschiedenen Seiten schon länger gefordert wird: Dass alle in die Rentenkasse einzahlen. So wie in anderen Ländern, die ebenjene Probleme nicht haben, die bei so zuverlässig diskutiert werden wie ein Jahr mit geringen Geburtenzahlen auf das vorausgehende folgt. Dazu hat Civey eine Umfrage erstellt:

Civey-Umfrage: Sollten Ihrer Meinung nach alle Erwerbstätigen (z.B. auch Beamte oder Richter) in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen? – Civey

Der Erklärungstext aus dem Newsletter:

Die Zahl der Berufstätigen wird in Deutschland in den kommenden Jahren stark zurückgehen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Zugleich herrscht Personalmangel und die Menschen leben immer länger. Kamen 1960 noch sechs Erwerbstätige auf einen Rentner, werden es 2030 laut Statista nur noch eineinhalb sein. Einige Erwerbstätige wie Beamte beziehen keine Rente, sondern eine Pension und zahlen nicht in die Rentenversicherung ein.

„Alle rein, keiner raus.“ Letzte Woche schlug Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts, auf einer Pressekonferenz vor, dass auch Mitglieder berufsständischer Versorgungswerke sowie Beamte und Richter in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen. Die Höhe der Leistung müsse sich zudem auf eine Art Grundsicherung beschränken. Eine Anpassung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung hält er auch für angemessen.

Zur Stabilisierung der Rente will die Bundesregierung aber vorerst auf den Kapitalmarkt setzen. Dafür sollen künftig zehn Milliarden Euro jährlich in einen Fonds fließen. Die Aktienrente soll laut Finanzminister Christian Lindner (FDP) noch in diesem Jahr eingeführt werden. Die Zweckbindung der Erträge des Kapitalstocks zugunsten der Deutschen Rentenversicherung soll dazu gesetzlich verankert werden.

Wenn man bedenkt, dass der Präsident des BSG nicht nur vorschlägt, dass alle einzahlen, sondern trotzdem die Rente weiter sinkt und das Eintrittsalter erhöht wird, kann man in etwa die Panik ermessen, die aktuell – wieder einmal – herrscht. Nein, die Renten sind nicht sicher. Und sehr wohl liegt es auch daran, dass gerade Gutverdienende nicht einzahlen müssen. Aber nicht nur: Das Generationen-Umlagesystem hätte längst abgeschafft und auf Steuerfinanzierung umgestellt werden müssen. Auch dies ist in anderen Ländern anders als in Deutschland und kann daher viel flexibler gehandhabt werden. Wenn die Alterung es bedingt, müssen eben mehr Steuern für die Rente aufgewendet werden, anstatt dass die Belastungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer immer weiter steigen. Das klingt zwar ein wenig nach rechte Tasche, linke Tasche, ist es aber nicht: Die Idee aus den 1950ern, dass immer größere junge Generationen die Alten locker durchfüttern können, ist obsolet geworden und sorgt bloß für Neid und politischen Zündstoff.

Die Steuerfinanzierung hingegen hat nicht diesen Geruch von Generationenkonflikt, sondern orientiert sich exakt am aktuellen Bedarf, ohne dass eine „Rentenkasse“ notwendig ist. Außerdem gibt es auch in Deutschland längst einen erheblichen Steuerzuschuss für die Rentenkasse, sonst wäre das System schon kollabiert. Die neoliberalen Vorschläge indes sind ein Rückfall in uralte Zeiten zuzüglich neuer Risiken. Sinngemäß hat Ulrich Schneider, Geschäftsführer des paritätischen Wohlfahrtsverbandes und eigentlich selbst schon im Rentenalter, kürzlich getwittert: Wenn die Aktienrente kommt, wird die Bundesregierung (noch mehr als bisher) nichts wagen, was die Aktienkurse senken könnte (z. B. eine Abschöpfung übertriebener Gewinne, die zu übertriebenen Dividenden und Kurssteigerungen führen, durch angemessene Besteuerung).

Ein Land arbeitet ganz auffällig mit diesem System, und das ist Norwegen. Der norwegische Staatsfonds ist der größte Anleger weltweit. Deswegen hat das Land auch viel mehr politischen und wirtschaftlichen Einfluss, als man anhand seiner bloß 6 Millionen Einwohner vermuten sollte und anhand der Tatsache, dass es ziemlich arm war, bevor man vor der Küste Öl entdeckte. Aber darum geht es: Die Einnahmen aus dem Rohölverkauf so anzulegen, dass nach dem Ende dieser Reserven der Wohlstand erhalten bleibt. Daher ist Norwegen in extrem hohem Maße am Fortbestehen des Finanzkapitalismus in seiner jetzigen Form interessiert. Das wirkt recht unauffällig und auch mal grün, verhindert aber kooperativere Wirtschaftsmodelle mit weniger Gewinnorientierung. Es sind also nicht nur die großen US-Investoren wie BlackRock, die das Vermögen anderer verwalten, nicht nur superreiche Private, sondern z. B. auch ein Land, das auf die Aktienrente setzt, die für einen erheblichen Strukturkonservativismus sorgen.

BlackRock verwaltet mittlerweile ca. 9 Billionen Dollar, das ist mehr als das deutsche Volksvermögen, der norwegische Staatsfonds kommt auf etwa 1,3 Billionen.

Der deutsche Fonds ist ein Fliegendings gegen das, was Norwegen mittlerweile weltweit an Wirtschaftsbeteiligungen hält, aber die Richtung ist klar: Die Neoliberalen wollen die Abhängigkeit des Staates von der Wirtschaft damit erhöhen, hingegen ist der Staat nicht in der Form eigner, dass er auch die Politik der Unternehmen mitbestimmen kann, wie Norwegen mit seiner Kapitalismus-Begrünungs- Agenda das tun möchte.

Das Risiko eines Crashs und damit einer Pulverisierung des Aktienrentenfonds nehmen die Neoliberalen überdies gerne in Kauf. Irgendwann wird es Rückschläge geben. Die erhebliche Schuldenfinanzierung des aktuellen weltwirtschaftlichen Wachstums, das sich erstaunlicherweise trotz aller Krisen fortsetzt, dafür aber sehr billiges Kapital benötigt, wird sich nicht endlos immer weitertreiben lassen. Spätestens dann nicht, wenn die Inflation weiter anzieht und die Zinsen ebenfalls weiter angehoben werden müssen, damit das System nicht von dieser Seite aus den Fugen gerät.

Die Aktienrente ist das unnötige Jonglieren mit vielen Bällen in Form von Zukunftsrisiken, wohingegen eine steuerfinanzierte Rente und das Einzahlen aller in die Kasse eine überschaubare Perspektive mit Prognose um wenige Jahre voraus und Flexibilität beim Beschluss eines jeden neuen Bundeshaushalts erlauben würde. Freilich müsste man sich dann ehrlich machen, was die Schuldenbremse etc. angeht und sagen: Entweder gute Renten oder keine Schulden. Oder doch nicht? Die Bestände der Rentenkasse könnten sofort aufgelöst werden, um den Übergang zu erleichtern oder schrittweise abgebaut werden.

Ob es wirklich darauf hinauslaufen wird, dass die Einheitsrente kommt oder alle arbeiten müssen, bis sie nicht mehr können, wobei „nicht mehr können“ weit auszulegen ist, wird sich zeigen. Nach unserer Ansicht wird nichts an einer weiteren Maßnahme vorbeiführen: Einkommensteuern dürfen nicht mehr nur personenbezogen erhoben werden, sondern müssen auch die Automatisierung stärker berücksichtigen. Oder man passt die Gewerbesteuern und Kapitalerträge entsprechend an. Es darf nicht sein, dass von all diesen Entwicklung nur eine kleine Minderheit profitiert, während der technische Fortschritt für die Mehrheit eine massive finanzielle Bedrohung darstellt. Solche Entwicklungen und Aussichten sind demokratiegefährdend. Deshalb ist das Herumdoktern der Liberalen an der Rente per Aktienfonds mehr als fahrlässig, ist aktiv gegen die Demokratie gerichtet. Es wird eines der großen Themen der nächsten Jahre werden, die Rente endlich in eine Richtung zu entwickeln, die es ermöglicht, sich wieder auf den Lebensabend zu freuen und keine Angst vor ihm zu haben, nach einer langen, arbeitsreichen Zeit.

Ach ja: Natürlich haben wir dafür gestimmt, dass alle in die Rentenkasse einzahlen sollen. Das ist ein unerlässlicher Schritt der Stabilisierung, unabhängig davon, wie die Rentenfinanzierung künftig technisch gehandhabt wird. Einig waren wir uns bei diesem klaren „Ja“ mit aktuell nicht weniger als 77 Prozent der Abstimmenden.

TH

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