Crimetime Vorschau –Titelfoto © NDR, Christine Schröder
Heute gibt es zur Abwechslung einen neuen Polizeiruf. Das Rostock-Team ist Geschichte. Das Duo, das Zuschauer:innen und Kritiker:innen gleichermaßen entzückt hat, Bukow und König, ist abgetreten, weil Charly Hübner (Sascha Bukow) ausgestiegen ist. Nach einer wirklich tollen, langen Zeit und vermutlich zum richtigen Zeitpunkt.
Anders als einige Tatort-Teams kann man sich die beiden Rostocker Polizisten mit der jeweils schwierigen Vergangenheit nicht gut als ältere Menschen vorstellen, die auf eine Weise gesettelt sind. Mit der finalen Annäherung, mit der Tatsache, dass die Liebe endlich siegen darf (in dem Film mit dem passenden Titel „Die Zeit ist gekommen“) kündigte sich an, dass dieses Duo, das von der Spannung der Unerfülltheit in Zugewandtheit lebte, mehr oder weniger auserzählt war. Man kann die stark wirksame horizontale Erzählung, die von Bukow-König-Kreateur Eion Moore angelegt worden war, selbstverständlich immer weitertreiben, aber nachdem sowohl Bukows Familienkram als auch Königs Fluchtgeschichte durchgenommen worden sind, würden neue Dinge, die man aus der Vergangenheit schöpft, künstlich und aufgesetzt wirken. So aber wirkt das Konzept geschlossen und das Werk vollendet. Auch wenn wir die beiden natürlich gerne weiterhin gesehen hätten, weil sie von Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau so toll derb-herzlich gespielt wurden.
„Ein entspannter Einstand sieht anders aus: Gleich zu ihrem offiziellen Arbeitsbeginn bei der Rostocker Kriminalpolizei bekommt es Kommissarin Melly Böwe (Lina Beckmann) mit einem besonderen Fall zu tun: Die Grundschullehrerin Nathalie Gerber wurde ermordet, und der einzige Tatverdächtige ist der Trans-Mann Daniel Adamek, der sich nicht outen und folglich auch nicht der Polizei stellen will – obwohl er gar nicht der wahre Mörder ist. Mit ihrer Ermittlungspartnerin Katrin König (Anneke Kim Sarnau) muss sich Böwe erstmal zusammenraufen, schließlich steht diese immer noch ziemlich neben sich, nachdem Sascha Bukow sich nach Sibirien abgesetzt hat.“
Polizeiruf 110: Daniel A. – Tatort Fans (tatort-fans.de)
In gewisser Weise geht es sogar weiter, wurde das Staffelholz ordnungsgemäß übergeben, denn Lina Beckmann, die Melly Böwe spielt, die neue Rostock-Kommissarin, ist Charly Hübners Frau (im Polizeiruf seine Halbschwester, die vor ihrem ersten Einsatz nie erwähnt wurde) und vor allem eine hochgeschätzte Theaterschauspielerin. Sie spielte bereits im vorausgehenden Rostock-Polizeiruf mit, hat aber nun ihr offizielles Debut als Leiterin der örtlichen Mordkommission in Nachfolge von Bukow.
„Ein ansehnlicher offizieller Einstand für Melly Böwe in Rostock, und doch: Der eigentliche Star dieses Polizeirufs ist nicht Lina Beckmann, sondern Jonathan Perleth. Authentisch, empathisch und auf wohltuende Weise klischeebefreit stellt der junge Schauspieler in seiner ersten TV-Hauptrolle die innere Zerrissenheit, die Konflikte, die Dilemmata eines Menschen dar, der in dieser ach so toleranten und progressiven Gesellschaft nicht zu seiner Transgender-Identität stehen kann – und berührt damit das für jeden existenzielle Thema der eigenen Identität. Allein Vater Frank Adamek ist etwas zu harmlos gestaltet und erregt beim Zuschauer eher Mitleid als Furcht, weshalb Daniels Angst vor einem ungewollten Coming-Out nicht restlos glaubwürdig ist.“
Polizeiruf 110: Daniel A. – Tatort Fans (tatort-fans.de)
Ich bin hin- und hergerissen vom Polizeiruf Rostock. Zum einen ist das sympathische Gezanke einfach nicht mehr wie früher, als es Bukow noch gab. Es wirkt heute etwas abgenutzt, selbst dann, wenn es die Macher mit der Einführung der neuen Kollegin ähnlich zickig ausprobieren. Auf Dauer nervt es ein bisschen und wirkt düster und zu gewollt. Aber da wäre ja noch der Fall: Schon sehr früh allerdings ist jedem Zuschauer klar, wohin sich der Polizeiruf entwickelt – und das hat bisher noch keinem 90-Minuten-Krimi gut getan.
Und dabei geht es eigentlich um ein spannendes, wichtiges Thema: Wie fühlen sich Transfrauen und Transmänner eigentlich in ihrer Haut und in der Öffentlichkeit? Obwohl das Thema klasse ist und von Schauspieler Jonathan Perleth wirklich überragend gespielt wird, hinkt die Handlung des Krimis weit hinterher. Man bleibt eben hin- und hergerissen. Daher leider nur 3 von 5 Elchen.
Polizeiruf-Kritik: „Daniel A.“ mit König und Böwe – SWR3
Natürlich, Bukow hinterlässt nicht nur bei Katrin König eine große Lücke, vermutlich auch bei ihrer Darstellerin, denn die beiden waren nun einmal ein sehr besonderes Team, sondern auch bei Kritiker:innen. Kam es regelmäßig zu hohen Bewertungen, als dieses Duo noch am Werk war, muss man sich nun neu einrichten und eine ähnliche Methodik wirkt nun einmal anders, wenn sie einen Wiederholungsfall darstellt – und wenn sie, seien wir ehrlich, das Knistern nicht aufweisen kann, das zwischen Männern und Frauen möglich ist, wenn beide klar hetero veranlagt dargestellt werden. Dann geht das bei zwei Frauen so nicht und der Zickenkrieg beginnt, der mich zum Beispiel im Ludwigshafen-Tatort so genervt hat, als Lena Odenthal Spielzeit an Johanna Stern abgeben musste. Dass auch Männer Zicken sein können, hatte man zuvor schon im Südwest-Tatort Saarbrücken bei Kappl und Deininger gesehen. Immer fühlt sich jemand zurückgesetzt.
So realistisch das prinzipiell ist, so sehr wird das im professionellen Alltag normalerweise überspielt, damit die Arbeit einigermaßen effizient durchgeführt werden kann. Solche Alleingänge und Trotzreaktionen, wie sie in Filmkrimis vorkommen, sind da, wenn überhaupt vorhanden oder ausgelebt, viel verdeckter. Echtes Mobbing sieht etwas anders aus als das, was wir in diesen 90-Minuten-Features vorgesetzt bekommen. Außerdem kommt es meist zu persönlichen Schwingungen, die diese konstruierten Szenarien in den Hintergrund treten lassen. Wir sind aber nicht im Alltag, sondern im Fernsehkrimi, also wird kräftig an den Nerven der Zuschauer:innen gesägt, weil man das für abendfüllend erachtet.
„So interessant die neue und noch nicht ganz unkomplizierte Dynamik zwischen den Ermittlerinnen auch sein mag: Im Vordergrund des Films steht weder Katrin König noch Melly Böwe. Kein Wunder, schließlich stiehlt der 1994 geborene Jonathan Perleth im Film selbst seinen erfahrenen Kolleginnen und Kollegen die Show. Der Darsteller, selbst ein Trans-Mann aus Rostock, spielt die Titelfigur derart überzeugend, dass man vom Sofa aus mitleidet – und sich nicht sehnlicher wünscht als ein Happy End für „Daniel A.“.“
„Polizeiruf 110: Daniel A.“: TV-Kritik zum heutigen ARD-Krimi (prisma.de)
Das ist doch eine wichtige Zusatzinformation, oder? Ich dachte, als ich das Bild von Jonathan Perlet in der oben zitierten Publikation sah: Der gäbe aber auch eine hübsche Frau mit ausdrucksstarkem Gesicht ab. Nun ja, es schimmert eben doch ein wenig durch, genau wie in der umgekehrten Richtung (meistens!). Ganz sicher ist, der NDR tut damit das Seine zur Inklusion. Ich meine: richtig so. Es sei denn, das Bemühen um Proportionalität geht mit einem erheblichen Qualitätsverlust einher.
Diesbezüglich einen Zusammenhang herzustellen, ist aber schon nicht so einfach und wenn es dem kritischen Beobachter doch eindeutig erscheint, dann gehen die Probleme erst richtig los, denn bekanntlich nimmt jeder sich und andere anders wahr, als andere es tun. Damit will ich nicht alle monolithischen Tatbestände zu Wahrnehmungszwergen relativieren, wie die Psycholog:innen es gerne tun, wenn ihnen die Fakten nicht passen, aber die Bewertung von Filmen ist nun einmal subjektiv. Grundsätzlich habe ich nicht den Eindruck, dass die Qualität der Tatorte und Polizeirufe unter mehr Gleichberechtigung gelitten hat. Eher schon muss ich in letzter Zeit mehr und mehr feststellen, dass die allgemeine Weiterentwicklung nach den aufregenden 2000ern und 2010ern, in denen auch bezüglich des Formalen Türen geöffnet wurden, erst einmal zum Stillstand gekommen ist. bzw. sich verlangsamt hat. Das gilt aber fürs Kino und Fernsehen insgesamt. Da ist mehr Inklusion doch ein Fortschritt, der wiederum für sich steht. Nun ist also dafür die Zeit gekommen, endlich auch Transfrauen und Transmännern in den Sonntagabendkrimis ein Gesicht zu geben. Offenbar ruft dieses Gesicht bei Kritiker:innen hohes Identifikationspotenzial ab. Schauen wir also weiter:
„Der vorzügliche Rostocker „Polizeiruf 110 – Daniel A.“ (NDR / filmpool fiction) handelt von Liebe und Identitätssuche – mit einem Transmann im Mittelpunkt. Im Fall einer durch Stalker-Gewalt getöteten jungen Frau könnte Daniel, der für seinen Vater und die meisten in seiner Umgebung noch Daniela ist, ein wichtiger Zeuge sein. Aber seine Identität gegenüber der Polizei möchte er aus Furcht, geoutet zu werden, lieber nicht preisgeben. Jonathan Perleth spielt diese differenzierte Figur bei seiner ersten Fernseh-Hauptrolle überragend, und das nicht nur, weil er selbst ein trans Mann ist. Spannend auch die neue Konstellation im Kommissariat: Die forsche Neue, Melly Böwe (Beckmann), nervt mit ihrer Aufgeschlossenheit die immer noch vom Abgang Bukows verletzte Katrin König (Sarnau). Das herausragende Buch von Benjamin Hessler inszeniert Dustin Loose mit feinem Gespür für die Zwischentöne.“
Polizeiruf 110 – Daniel A. – Kritik zum Film – Tittelbach.tv
Dafür gibt es 5,5/6. Ob dabei ein Inklusionsaufschlag inkludiert wurde, vermag ich nicht zu beurteilen, aber bei Tittelbach wird der altbacken wirkende Zickenkrieg mit frischem Backwerk nur knapp thematisiert. Man kann also auch mit Aufgeschlossenheit nerven. Das werde ich mir für künftige Exkurse in den sozialen Raum merken. Hingegen konzentriert man sich ganz auf den Fall und die Episodenfiguren und findet beides sehr gelungen.
Warum alle Kritiker:innen, die ich bisher gelesen habe, die falsche Schreibweise „trans Mann“ verwenden? Vielleicht liegt es an den senderseitigen Informationen. Da ich selbst Menschen aus diesem Personenkreis kenne, habe ich das zu deren Gunsten aber in den Rezensionen, in denen der Begriff genannt wird, korrigiert. Eine Identität ist mehr als ein nicht einmal als sicher zu identifizierendes Adjektiv im Sinne einer Eigenschaft wie blond oder brünett (selbst da gibt es die entsprechenden Substantive), sie ist Teil des Einwort-Begriffs, das die Person als einem Gender zugehörig charakterisiert. Es heißt also Transfrau und Transmann und. Die richtige Schreibweise ist auch eine Frage des Respekts.
TH
Handlung
Die Grundschullehrerin Nathalie Gerber wird tot auf dem Parkplatz der Kneipe „Knockout“ aufgefunden. Dort war sie mit ihrem Onlinedate Daniel A. verabredet, der sie als Letzter lebend gesehen hat. Nach ihm wird nun gesucht. Doch Daniel kann sich nicht bei der Polizei melden, denn er ist ein Transmann, der sich noch nicht geoutet hat und dessen größte Angst es ist, dass sein Vater auf diesem Weg davon erfährt.
So tappen Katrin König und Melly Böwe im Dunkeln und haben nur die letzten Angaben aus Nathalies Dating-App zur Verfügung: Sie suchen einen Mann, der vermutlich in einem der Rostocker Chöre gesungen hat. Oder war auch das nur eine Finte des Mannes, der nicht verführungswillige Frauen für bestrafungswürdig hält?
Melly Böwes Einstand im Revier wird trotz Kuchenbrötchen nicht gemütlich, denn auch auf dem Kommissariat gibt es Reibungspunkte rund um Geschlechterbilder. Wie lebt es sich für Röder, Thiesler und Pöschel mit zwei Frauen an der Spitze? Und wie gehen die beiden Frauen miteinander um? Thiesler prophezeit einen Zickenkrieg, aber König und Böwe zeigen, dass es ganz anders gehen kann.
Währenddessen kämpft Daniel um sein selbstbestimmtes Outing, aber auch um seine große Liebe Hanna. Und er ringt mit seinem eigenen Verantwortungsgefühl und seinem schlechten Gewissen. Als er auf Marc Wigand trifft, Nathalies ehemaligen Kinderfreund, glaubt Daniel aus seinem Dilemma erlöst zu sein: Er kann den Täter präsentieren und seine Identität schützen. Doch da irrt er sich.
Besetzung und Stab
LKA-Analystin Katrin König – Anneke Kim Sarnau
Kriminalhauptkommissarin Melly Böwe – Lina Beckmann
Henning Röder, Leiter der Mordkommission – Uwe Preuss
Kriminaloberkommissar Anton Pöschel – Andreas Guenther
Kriminaloberkommissar Volker Thiesler – Josef Heynert
Daniel Adamek – Jonathan Perleth
Frank Adamek – Jörg Witte
Hanna Blankenstein – Alina Stiegler
Simon Blankenstein – Maximilian Kraus
Sonja Gerber – Katharina Spiering
Marc Wigand – Max Krause
Armin – Bernd Hölscher
u. v. a.
Drehbuch – Benjamin Hessler
Regie – Dustin Loose
Bildgestaltung – Clemens Baumeister, Alex Bloom
Musik – Dürbeck & Dohmen