Der Rechtsruck in Berlin droht Wirklichkeit zu werden (Kommentar) | Briefing 142 | PPP, Berlin

Frontpage | Briefing 142 | Mitte-Rechts-Regierung in Berlin? Personen, Parteien, Politik

Berlin rückt nach rechts. Die #Rückschrittskoalition könnte Wirklichkeit werden. Die Warnungen haben nichts genützt, die Alten und die erzkonservativen Altberliner:innen haben den Jungen den Zugezogenen, den Fortschrittlichen und jenen, denen die Zukunft gehört, eine Regierung unter Führung der CDU reingedrückt.

Wahlanalysen lassen diese knappe Zusammenfassung zu, sofern es wirklich zu einem CDU-SPD-Bündnis in der Hauptstadt kommt.

Dass die Giffey-SPD und die Wegner-CDU zusammenpassen wie  fette Wurst und bröseliges Curry (wahlweise umgekehrt), war schon lange klar. Wir hatten trotzdem gehofft, dass die bisherige Koalition aus SPD, Grünen und der Linken weitermachen kann – Verluste hin, Warnschuss her. Wir hatten uns an zwei Vorstellungen geklammert, kann man beinahe sagen: Dass Giffey den Posten als Regierende Bürgermeisterin nicht aufgeben will und dass Olaf Scholz nicht noch ein CDU-geführtes Bundesland haben will, das ihm im Bundesrat Schwierigkeiten machen kann. Letzteres Argument war allerdings eine „Übernahme“ von einem anderen Medien und vielleicht etwas unreflektiert. Diese Koalitionsregierungen auf Länderebene stimmen häufig neutral ab, wenn es um zustimmungspflichtige Gesetze geht. Mittlerweile wird sogar darüber spekuliert, dass Olaf Scholz sich von der CDU gerne im Bundesrat ein wenig kujonieren lässt, um die Ampelmitglieder, besonders die FDP, in Schach zu halten. Was passiert, wenn man viermal um die Ecke denkt oder fährt? Man kommt wieder bei derselben Richtung heraus. 

Aber Franziska Giffey? Ist es Respekt vor dem megaschlechten Wahlergebnis der SPD, dass sie der CDU den Vortritt lassen will? Oder ist ihr Rechtsdrall so stark ausgeprägt, dass sie eine Koalition mittragen wird, die Berlin weitere Jahre des konservativen Stillstands bescheren wird? Schon Rot-Rot-Grün und Rot-Grün-Rot haben viel zu wenig für die Zukunftsgestaltung der Stadt getan. Aber die personell ausgelaugte SPD und die CDU, in der kein einziger wirklich überzeugender „Macher“ sich gezeigt hat, sollen es nun richten? Und wenn ja, für wen? Für die Immobilien- und die Autolobby, gegen den Volkentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, der 2021 mehr Stimmen erhalten hat als jede realistische Koalitionsmöglichkeit, die sich 2023 ergeben kann? So wird’s vermutlich kommen. Andere europäische Hauptstädte werden Berlin immer weiter enteilen, grüner, nachhaltiger werden, ohne dadurch wirtschaftlich zu verlieren. Berlin wird zusätzlich dadurch gebremst werden, dass die deutsche Wirtschaft insgesamt gerade erfährt, wo ihre Grenzen liegen. Die guten Jahre, die hätte man besser nutzen müssen.

Um die kommenden Jahre besser zu nutzen, hatten die Grünen offenbar Vorschläge gemacht, die Giffey als „mühsam“ empfunden hat und die von der hier verlinkten Quelle als „unter Druck setzen der SPD“ apostrophiert werden. Auf uns wirkt diese Ausarbeitung eher, als ob man verhindern wolle, dass Giffey macht, was sie will, im Zweifel nichts oder nichts für den Fortschritt. Die Übergriffe der SPD gegenüber den Koalitionspartnern waren schon 2017 ein Thema, als die SPD deren Regierungs-Unerfahrenheit weidlich ausnutzte. Mit der Idee, die Berliner SPD und speziell die Machtpolitikerin an deren Spitze durch Verfahren des guten Regierens einhegen zu können, wirken die Grünen jetzt leider etwas naiv.

Mit dem aktuellen Move sichert Franziska Giffey nach Ansicht von Kommentator:innen ihr politisches Überleben und kann sich im Grunde darüber freuen, dass wichtige linke Themen vor allem von der CDU beiseite geschafft werden.  

Dadurch wirkt die Giffey-Saleh-SPD nicht mehr wie der Rechtsausßen einer progressiveren Koalition, sondern wunderbar mittig. Was Giffey und ihre Strömung n Bezug auf Berliner Verhältnisse nicht sind. Aber die noch Regierende Bürgermeisterin ist, positiv ausgedrückt, versiert. Groß geworden in einer Partei, die seit ewigen Zeiten in Berlin regiert oder mitregiert. Beinahe mit einem Plus aus ihrer akademischen Betrügerei herausgekommen. Man kann es auch als durchtrieben bezeichnen, wie sie vor allem die Grünen nun aufs Kreuz gelegt hat. Da wirkt deren Spitzenkandidatin für die letzte Wahl, Bettina Jarasch, nicht nur optisch kantiger und weniger aalglatt. Die SPD hat damit auch einer möglichen schwarz-grünen Regierung den Riegel vorgeschoben, an der die SPD nicht beteiligt wäre, denn die CDU wird sich mit der SPD als Partnerin leichter tun und ist gerade sicherlich sehr erleichtert, dass Giffey Demut vor dem Wahlgewinner heuchelt.

Ltztlich bleibt zudem ein Türchen offen für die Fortsetzung des aktuellen Bündnisses, denn speziell die Linke hat keine Wahl. Wenn sie mitregieren will, muss das mit der SPD geschehen und die wird trotz ihrer Eigenschaft als Wahlverlierer einen hohen Preis fordern. Die Grünen wären froh für eine solche abermalige Wendung und nicht ihrerseits mit der viel stärkeren CDU koalieren, die den Grünen viel Kopfzerbreche bezüglich der Ansprüche der eigenen Klientel machen wird. Auch sie werden der SPD viele Zugeständnisse machen.

Sondierungsgepräche sind eine Sache, aber Koalitionsverhandlungen scheitern nicht? Denken wir an das gewollte Jamaika 2017 im Bund, das die FDP platzen ließ. 

Alle drei bisherigen Regierungsparteien tragen eine Mitschuld an dem, was kommen wird, aber am meisten die SPD. Was die Stadtregierung in den letzten Jahren so fundamental schlechter gemacht hat als zuvor, ist nicht leicht zu erkennen. Michael Müller, Giffeys Vorgänger als Regierender Bürgermeister, war schon nicht sehr beliebt, aber Giffey stellt für viele, oft im wörtlichen Sinne, ein rotes Tuch dar. Die Grünen haben es verpasst, die Unzufriedenheit mit der SPD auszunutzen und sind mit einer Kandidatin angetreten, mit der viele in Berlin immer noch nicht so recht warm werden. Die Linke hat es vergeigt, Power hinter den Volksentscheid zum Rückkauf von Wohnungen durch die Stadt zu bringen. Auf Bundeseben weht ihr ebenso der Wind ins Gesicht wie der SPD. Das dürfte einiges zum schlechten Ergebnis beider Parteien beigetragen haben. Dabei ist die Linke nach den Grünen die Nr. 2 bei jüngeren Wähler:innen. Darauf könnte sie aufbauen. Aber mit Power zurückkommen ist eine andere Sache. Und in der Oppostion lässt sich so schwer beweisen, dass man tatsächlich die soziale Stadt auf den Weg bringen kann.

Die Zivilgesellschaft muss es wieder einmal richten. Sie hat schon 2016 viel zum Regierungswechsel beigetragen und die damals neue Regierung Rot-Rot-Grün, die ihre Wunschregierung war, kritisch und antreibend gleichermaßen begleitet.

Wir haben viel über die Mietenbewegung geschrieben, in jenen durchaus hoffnungsvollen Jahren. Leider kam es dann knüppeldick. Erst hat das BVerfG den Berliner Mietendeckel gekippt, dann kam der BGH und hat das bezirkliche Vorkaufsrecht gestutzt – und dann Corona und und das Momentum für die zivilgesellschaftliche Bewegung war endgültig vorbei. Es hatte sich  auch auf die Präsenz der Aktivsit:innen in der Öffentlichkeit gestützt, auf ihre vielen kreativen und wirksamen Ideen, wie man die Notwendigkeit der sozialen Stadt sichtbar machen kann.

Im Rahmen ungünstiger Begleitumstände nach all diesen Einbrüchen haben fast 60 Prozent der Wähler:innen sich für die Enteignung einiger Großwohnkonzerne ausgesprochen, die zu viel Marktmacht in Berlin haben. Die CDU, die jetzt wieder regieren darf, hatte Ende der 1990er dafür gesorgt, dass Berlin so pleite war, dass der Notverkauf von städtischen Immobilien offenbar eine unausweichliche Folge war. Ob das stimmt, ist eine andere Sache. Aber jetzt darf sie die daraus entstandenen großkapitalistischen Zustände gegen die Mehrheit in der Stadt schützen. Wenn das keine Ironie der Geschichte ist. Die Lobbyisten und Baugrossisten warten schon darauf, die nächsten Prämien an die CDU zahlen zu dürfen.

Eine eigene rechte Mehrheit gibt es nach wie vor in Berlin nicht und wird es hoffentlich nie geben. Aber mehrere Parteien sind nach rechts gerückt. Das gilt für die CDU und für die SPD. Besonders, seit das  mittige Michael-Müller-Lager sehr offensichtlich das Nachsehen gegenüber dem Giffey-Saleh-Lager hat, war das dann doch nicht so schwierig. Raed Saleh ist der Co-Parteivorsitzende der Berliner SPD und Fraktionschef der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus.

Zum Glück dauert die Legislaturperiode nur noch dreieinhalb Jahre. Sie hat sich durch die Wiederholungswahl nicht verlängert bzw. beginnt nicht neu zu laufen.

Gewählt wird also schon wieder im Herbst 2026. Die Berliner:innen haben also Bedenkzeit und die Gelegenheit, schon relativ bald das zu korrigieren, was jetzt, leider nicht unerwartet, passiert ist. Wir haben lange davor gewarnt, nach der Wahl aber sah es zunächst so aus, als wolle das bisherige Bündnis der drei nicht ganz so rechten Parteien weitermachen.

Jetzt wird es vermutlich anders kommen. Die Welt wird dadurch nicht untergehen. Vielleicht bietet sich sogar die Chance, dass die Zivilgesellschaft wieder in den Protestmodus kommt. Vielleicht zeigt sich ein erster Auftrieb schon übermorgen, wenn der erste Klimastreik des Jahres stattfinden wird. Für das Klima, die Umwelt und das Soziale muss jetzt wieder mehr auf der Straße gekämpft werden. Wir sind mit Corona und all dem, was gegen die Mietenbewegung gelaufen ist, mit einigen internen Erkenntnissen, die nicht sehr schmeichelhaft für die Konstitution und Konstruktion des Ganzen waren, auf Abstand gegangen.

Manche Akteur:innen haben der bisherigen Regierung wohl auch aus Erfahrungen heraus die Gefolgschaft verweigert, die sich aus dem Scheitern so vieler Hoffnungen ergaben und die teilweise nicht mehr als eine Fortschreibung der unsozialen Politik der Vergangenheit waren. Im Ergebnis und für die meisten Menschen. Viel schlimmer wird es vermutlich in den nächsten Jahren auch nicht werden. Gentrifizierung, Räumungen, am Bedarf vorbei bauen, die Verkehrswende weiterhin im Schneckentempo vollziehen, das alles kennen wir ja schon und haben mit großem Missmut noch einmal der Noch-Regierung unsere Stimmen gegeben, als am 12.02. die Wiederholungswahl stattfand. Vielleicht sind wir 2026 davon frei.

Und wieder frei für eine wirklich kritische Berichterstattung, die wir uns zuletzt auch deshalb verkniffen haben, weil wir ahnten, wie eng es dieses Mal für werden wird. Die Umfragen waren allerdings in Teilen unbrauchbar: Kein Institut  hatte den Vorsprung der CDU in der gegebenen Höhe vorausgesehen. Die gegenwärtig auf dem Stand vom 09.02. eingefrorene Civey-Sonntagsfrage für Berlin sah zum Beispiel die SPD bei knapp 22, die CDU bei knapp 24 Prozent. Es sah nach diesen Werten so aus, als ob die SPD gegenüber ihrem schlechten vorherigen Ergebnis sogar ganz leicht zulegen könnte.

Es muss klar sein: Eine Rechtsregierung in Berlin, das haben wir bereits andernorts geschrieben, können wir nicht unkommentiert hinnehmen, sondern müssen uns verstärkt zu Wort melden.

Wir denken noch über ein Feature nach, dessen Benennung schon die Richtung anzeigen soll: gegen den Rechtsruck in Berlin. Denn was wird 2026 sein? Stellen wir uns einfach mal vor, bis dahin ist die AfD für die CDU hoffähig und die FDP kommt wieder ins Abgeordnetenhaus. Dann ist die SPD wirklich ins schwarze Loch gefallen. Verdient hat sie es, aber wir müssen uns immer vor Augen halten: Wer Berlin nach vorne bringen will, muss eine Partei wählen, die nicht im Verdacht steht, mit dem rechten Block zusammenzugehen, zu dem man jetzt leider auch die SPD rechnen muss. Von den gegenwärtig im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien ist das nur die Linke. Was wir uns wünschen würden, ist nicht, dass die unzuverlässigen Grünen, die ebenfalls verdächtig sind, mit der CDU zu koalieren, nun die Führung übernehmen, sondern dass die Linke sich regeneriert – und dass vielleicht eine weitere linke Kraft in Berlin ihren Aufstieg beginnt. Das ist keine Anspielung auf bestimmte Personen und ihre Absichten, sondern einfach nur ein Wunsch. Es fehlt an einer wirklich kämpferischen Linken, die uns als Arbeitende, Mietende, schlicht als Mehrheit dieser Stadt vereint und den Klassenkampf so definiert, dass er wieder zum tragenden Element einer Massenbewegung gegen den Durchgriff des Kapitals wird, den wir in den nächsten dreieinhalb Jahren als noch schärfer, noch arroganter, noch selbstverständlicher erleben werden als bisher.

Die noch Regierende Bürgermeisterin hatte dafür schon längst den Ton gesetzt, indem sie schlicht den Mehrheitswillen für obsolet erklärte. Nun wird auch die Farce der sogenannten Enteignungskommission wohl ihr Ende finden. Gut so. Klare Verhältnisse sind wichtig für die Mobilisierung. Wir freuen uns darauf. Die Schonhaltung, die wir aus Rücksicht auf das kleinere Übel eingenommen haben, ist überflüssig geworden. Dem Wahlberliner kann das Ende dieser Zurückhaltung  nur guttun. Je eindeutiger er war, je häufiger vor Ort, desto mehr wurde er geschätzt. Wir müssen jetzt alle zusammenarbeiten, um dafür zu sorgen, dass der Rechtsruck eine Episode bleibt und sich in einer Stadt, für die eine progressiv ausstrahlende Politik so wichtig ist wie für keine andere im Land, alsbald wieder zeigt, dass die Mehrheit nach vorne will und niemals zurück. Niemals zurück ins Gestern, dem bald ein Zurück ins Vorgestern folgen könnte.

TH

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