Die freudlose Gasse (DE 1925) #Filmfest 909 #DGR

Filmfest 909 Cinema – Die große Rezension

Die freudlose Gasse ist ein Stummfilm des Regisseurs Georg Wilhelm Pabst, gedreht im Jahr 1925 in Deutschland und uraufgeführt am 18. Mai 1925 in Berlin. Es ist die bekannteste Verfilmung eines Werkes von Hugo Bettauer und zudem einer der ersten Filme, die der Strömung der Neuen Sachlichkeit zugerechnet werden.

Ich kenne noch nicht sehr viele Filme von Georg Wilhelm Pabst, allgemein als G. W. Pabst bekannt; darunter „Westfront 1918“, der aber zu den wichtigsten deutschen Filmen des Jahres 1930 zählt, und „Das Bekenntnis der Ina Kahr“ (1954). Das Bekenntnis von wem?  Sehen Sie, so hat sich  G. W. Pabst entwickelt, wie viele andere großen Vorkriegsregisseure auch. Aber mit „Die Freudlose Gasse“ fing alles an und „Lulu“ und „Tagebuch einer Verlorenen“ habe ich gespeichert, um sie demnächst anzuschauen. Die letzten der großen Filme der 1920er, die ich fürs Filmverzeichnis rezensiert habe, waren „Der letzte Mann“ und „Varieté“. Mit Pabst tritt ein neuer Akteur in den Ring, um sich mit den größten bisherigen Regisseuren in Deutschland, Murnau und Lang, zu messen, während Lubitsch das Land schon 1922 verlassen hatte. Welche Einflüsse kennzeichnen den Film und welcher Stilrichtung gehört er an? Was zeigt er und wie? Das klären wir in der – Rezension.

Handlung[1]

Der Film spielt im Jahre 1921. In der Melchiorgasse in einem Armenviertel von Wien gibt es neben verarmten Bürgern und Lumpenproletariat nur zwei wohlhabende Menschen: den Fleischer Josef Geiringer und Frau Greifer, die einen Modesalon mit angeschlossenem Nachtklub betreibt. In diesen zieht es die wohlhabenden Bürger Wiens. An den Nachtklub angegliedert ist das Stundenhotel „Merkl“, in dem u. a. Frauen ihren bei Frau Greifer aufgenommenen Kredit oder unbezahlte Kleiderkäufe mit sexuellen Dienstleistungen abbezahlen.

Während sich die einen durch einen Aktienbetrug bereichern (sie streuen ein falsches Gerücht, durch das der Kurs einer Kohle-Aktie vorübergehend fällt; Wetten auf fallende Kurse), fallen andere dadurch in die Armut. Derweil geschieht ein Mord an der reichen Frau Lia Leid. Am Schluss stellt sich heraus, dass diese Tat aus Eifersucht von der zum Straßenmädchen „Mizzi“ herabgesunkenen Marie verübt wurde.

Am Ende des Films tötet Else aus Verzweiflung den Fleischer, da dieser ihr kein Fleisch geben will, und die armen Einwohner der Straße wenden sich gegen die Reichen, nachdem sie seltsame Geräusche aus dem Nachtklub hören. Sie beginnen, mit Steinen zu werfen. Dabei entzündet sich das Gebäude, Else und ihr arbeitsloser Mann sterben in den Flammen, können aber noch ihr Kind durchs Fenster nach draußen reichen und so retten. So wird es zum „Kind der Melchiorgasse“. Hoffnung, aus dieser Gasse jemals herauszukommen, besteht am Ende nur für Grete Rumfort. Ihre Beziehung mit einem amerikanischen Rot-Kreuz-Offizier bietet Aussicht auf ein besseres Leben.

Rezension

Die freudlose Gasse wendet sich von expressionistischer Metaphorik ab und der von Inflation gezeichneten Nachkriegsrealität zu. Die Handlung des Films Die freudlose Gasse verläuft in mehreren parallelen Ebenen, die miteinander verwoben sind und am Ende miteinander verschmelzen.

Die Handlung ist in der Tat sehr komplex und hat mehrere beinahe gleichberechtigte Stränge, in einem wird Asta Nielsen noch einmal zu einer Hauptdarstellerin, die noch nicht die Rolle der Alternden gibt, in einem weiteren sehen wir Greta Garbo, die hier noch sehr natürlich und so gut aussieht, dass es kaum zu vermeiden war, dass man sie nach Hollywood holte. Gerade in diesem frühen Film, in dem sie noch nicht zur Ikone stilisiert wird (wie später auch die Dietrich) erkennt man, wie modern und hübsch diese Frau wirkt und alle andere nicht nur in diesem Film übertrifft. Diese Ausstrahlung hat sicher zu dem Erfolg des Films beigetragen. Auch wenn es eine Konzession ans geplagte Publikum jener Jahre war: Dass sie ein Happy End bekommt, bezeichnenderweise dadurch, dass ein Ausländer sich in sie verliebt und sie der materiellen Not enthebt, fühlt sich richtig an. Das Verbrennen der Menschen in der Schlussszene, die in der Fassung, die ich gesehen habe, sich kurioserweise daran anschließt, nicht etwa vorausgeht, ist hingegen schrecklich, nicht nur freudlos.

In her 1955 book Die dämonische Leinwand (engl. The Haunted Screen), German film historian Lotte H. Eisner criticised the film’s studio sets, Expressionist lightning and formulaic depiction of poverty: „everything is artificial, too condensed, too symbolically accentuated“.[1] Rudolf Thome, reviewing Joyless Street for the Süddeutsche Zeitung in 1964, disagreed with this view, calling it „Pabst’s masterpiece“, whose scenes do not represent ideas and whose images only conveye the meaning of what can actually be seen.[1]

30 years after Eisner, critic Pauline Kael titled Joyless Street an „extraordinary triumph of cinematography and Expressionist design“, which despite its weak parts „makes a very strong visual impression“.[8] Dave Kehr, writing for the Chicago Reader in 1985, was more reserved, calling it „heavy going“ and „an official classic that hasn’t quite earned the title“.[9] / [2]

Was Lotte Eisner kritisiert, trifft auf expressionistische Filme aus Deutschland reihenweise zu, deswegen wundert es mich an dieser Stelle etwas. Die Kritik von Pauline Kael hingegen sagt mir, dass ich nicht der Einzige bin, der den Eindruck hat, der Film sei noch nicht konsequent Neue Sachlichkeit, sondern ein Übergangsfilm, in dem durchaus noch expressionistische Elemente enthalten sind. Der Unterschied zum noch konsequent expressionistischen „Der letzte Mann“ aus dem Vorjahr ist  zwar deutlich sichtbar, man kann auch sagen, Pabsts Film wirkt viel weniger impressiv und technikverliebt, aber als plötzlich der Glaser von Greta Garbo bezahlt werden will und sie gerade das wieder ausgibt, was der Amerikaner ihr als Mietvorauszahlung hinterlassen hat, gerinnt er zu einer Fratze, die wiederum einer anderen Figur im Film ähnelt. Das hat mich geradezu erschreckt, weil der Film nicht durchtränkt ist von solchen Momenten, sondern in der Tat etwas sachlicher ist als viele zuvor. Die Szene mit dem Glasbruch als Menetekel könnte an „Scherben“ von Lupu Pick angelehnt sein bzw. diese zitieren.

Er ist des Weiteren ein „Straßenfilm“, wie sie damals häufig gefilmt wurden und arme und verworfene Menschen zuhauf porträtierten. Mit einem ziemlich bedeutsamen Unterschied: Pabst macht daraus eine Pyramidonale, er zeigt fast alle Gesellschaftsschichten. Es kommt an der Spitze der Pyaramide zu einer Rochade, die wir aus Fritz Langs „Dr. Mabuse“ kennen: Dort ist es ein Einzelner, ein Dämon, ein genialischer Verbrecher, der am Ende doch nur ein hoffnungslos verliebter Tropf ist, der eine Börsenhysterie in Gang setzt. Mit der gesamten Börse, während es in „Die freundlose Gasse“ nur um eine einzige Aktie geht, deren Kurs erheblich manipuliert wird. Das ist realistischer, aber natürlich auch nicht so metaphorisch wie die Weltmachtphantasien von Dr. Mabuse, die außerdem durch paranormalen Fähigkeiten befördert werden. Ein Film der Neuen Sachlichkeit oder ein realistischer Film darf derlei gar nicht zeigen. Was wir sehen,  ist leider etwas, das gerade in unserer Zeit jedweder Spekulation über die Geschäfte der Reichen Raum gibt: Im Grunde wird hier Insiderwissen missbraucht, was an den realen Börsen irgendwann reguliert wurde, aber glauben wird daran? Glauben wir nicht, dass zum Beispiel durch den Einsatz von Strohmännern nach wie vor die besonders Kundigen ihren Reibach macht, während die Masse kaum vorankommt oder gar verliert, wie in diesem Fall? Die Börse ist kein Nullsummenspiel, wird in Filmen aber häufig so dargestellt, um das Prinzip „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“ zu plakatieren. Gerade die Börse ist kein optimaler Ort, um dieses Prinzip zu erläutern, aber eben schön spektakulär. Die beiden Welten verschmelzen ausgerechnet in der Melchiorgasse, wo sich die Reichen frivolen Vergnügungen hingeben und die Armen kein Fleisch kriegen. Da prallen die sozialen Gegensätze so aufeinander, dass der Funke Feuer schlägt und die Armen rebellieren, wobei das Haus in Flammen aufgeht. Natürlich haben die Feiernden ihren Hinterzimmerclub schon verlassen.

Ein bisschen ist „Die freundlose Gasse“ also auch ein Revolutionsfilm, und durch das Happy End und diesen aktivistischen Part, der aus Geknechteten eine Solidargemeinschaft macht, symbolisiert durch das überlebende Kind des Paares, das auf dem Dach verbrannt ist, wirkt er nicht fatalistisch, auch wenn einzelne Figuren von Anfang bis Ende nicht viel zu lachen haben, wie etwa Asta Nielsens Marie.

Man sieht einen recht vielgestaltigen Straßenfilm, ein sozialkritisches Werk natürlich, visuell mit Elementen des Alten und des Neuen, wobei ich finde, dass sich auch bei den Dekors alles in etwa die Waage hält.

Der auf der Grundlage des 1924 erschienenen Romans von Hugo Bettauer gedrehte Film wurde in nur fünf Monaten realisiert. Autor und Werk waren zu jener Zeit politisch hochbrisant: Rechtsgerichtete Politiker und Presse prangerten Bettauers Werke an, sogar seine „Ausrottung“ wurde gefordert. Noch vor dem Ende der Dreharbeiten wurde der Schriftsteller ermordet.[2]

Trotz eines Happy Ends, das entgegen der literarischen Vorlage als Zugeständnis an die Produzenten und das Publikum gedreht wurde, wurde der Film in vielen Ländern zensiert und gekürzt. Die Fassung, die bei der Uraufführung 1925 in Berlin gezeigt wurde, hatte noch eine Länge von 3738 m. In der Nacht vor der Uraufführung hatte Pabst mit seinem Filmeditor Mark Sorkin noch „einige wichtige Szenen“ entfernt, die der Kinobesitzer bemängelt hatte.

Durch die erste Zensur am 25. Mai 1925 fielen mit etwa 3,5 bis 4 Metern nur relativ wenige Bilder weg (etwa 7,5 Sekunden, ausgehend von 25 Bildern/Sekunde). Auf Antrag hin wurde im darauffolgenden Jahr eine weitere Prüfung durchgeführt, nach der nur noch 3477 Meter übrig blieben. Es gab in der Folge sehr viele unterschiedliche Fassungen des Films, die sich nicht nur in ihrer Länge, sondern auch in ihrer Szenenabfolge unterschieden. In England wurde der Film überhaupt verboten.

In England wurde, selbst nach der Einführung  des amerikanischen Hays Code, in den 1930ern also, auch strenger zensiert als in den USA, in Deutschland hingegen fielen fast alle berühmten Filme der 1920er unter das Jugendverbot, manche wurden ganz aus dem Verkehr gezogen, viele weitere ereilte dieses Schicksal dann während der Nazi-Zeit, darunter auch „Die Büchse der Pandora“ (1929) von G. W. Pabst.

Dass „Großfilme“ so lang waren, war damals durchaus üblich, manche teilte man sogar, Fritz Lang war ein Spezialist dafür, in unendlichen Szenenfolgen zu schwelgen. Pabst stand ihm mit der Originallänge von „Die freudlose Gasse“ darin kaum nach, wobei der Film nicht zweiteilig ist, ganz sicher aber mit einer Pause darin gezeigt wurde, die in der restaurierten Fassung nicht erkennbar ist, die ich gesehen habe. Die Filme von damals sind alle ein wenig fordernd, wenn sie so lang sind, aber „Die freudlose Gasse“ hat auch etwas von einer Litanei, die einem bekannt vorkommt. Man ist nicht überrascht über das, was man sieht, wenn es um die finanziellen Angelegenheiten geht, und die spielen eine große Rolle. Das heißt nicht, dass alles vorhersehbar ist. Das Happy End und das Verbrennen von Menschen auf dem Dach beispielsweise. Ersteres war eine Option, klar, aber Letztere doch schockierend und unerwartet. Ich kann verstehen, dass Kritiker den Film für überbewertet halten. Er hat auch bei den IMDb-Nutzer:innen mit 7,1/10 nicht ganz das Renommee wie zum Beispiel Pabsts „Die Büchse der Pandora“ (7,8/10), der für einen Stummfilm außergewöhnlich hoch eingeschätzt wird. Ich finde vor allem, der Film wiederholt einige Motive, die man schon kennt, ohne ihnen etwas gänzlich Neues beizufügen.

Natürlich war der Film nach der Inflationszeit so aktuell, wie Dr. Mabuse es vor ihr war. Plötzlich war der expressionistische Alb Realität geworden und konnte so in die Sachlichkeit überführt werden, so wirkt es beinahe.

Gleichwohl fehlt eben auch der bisher vollständigsten Restaurierung fast eine halbe Stunde zum Original, und das heißt auch, gerade diese die vielfältige Handlung wird stellenweise komplex oder wirkt so, weil sie Sprünge aufweist. Motive werden nicht mehr so klar, wie es bei Pabsts Original gewesen sein muss. Leider betrifft das auch die Gründe, warum Asta Nielsens Figur die vermeintliche Nebenbuhlerin umbringt und das Verhältnis des Amerikaners als Angehörigem der prosperierenden Besatzungsmacht oder Siegermacht gegenüber dem vergrämten Wiener Hofrat, der zu stolz ist, um das Geschenk, das dessen Anwesenheit als Untermieter darstellt, würdigen zu können. Ziemlich vollständig und nachvollziehbar hingegen haben auf mich die kleinen und größeren Schweinerein der Reichen gewirkt. Vielleicht auch, weil sie ein wenig standardisiert wirken und zudem wie aus dem Fundus an neoliberalen Auswüchsen des Gierkapitalismus in unserer ebenfalls nicht sehr sittenstrengen Zeit gegriffen. Hingegen ist eine Szene in die neueste Restaurierung eingearbeitet, die zum Beispiel von Brennicke / Hembus, die wir gleich ausführlicher zitieren werden, als in den meisten Kopien fehlend apostrophiert wird: Der fiese Fleischermeister guckt auf Frauenbeine, wie sie auf der Straße vor seinem Souterrain auf- und abgehen.

Der Film begründete Georg Wilhelm Pabsts Renommee als führender Regisseur des deutschen Filmrealismus. Die noch heute starke Wirkung des Films beruht nicht zuletzt darauf, dass hier die Handlung getragen wird von den drei genialen Darstellerinnen Asta Nielsen, Greta Garbo und Valeska Gert. Übrigens der einzige Film, in dem Asta Nielsen und Greta Garbo gemeinsam auftreten.

Trotz eines Happy Ends, das entgegen der literarischen Vorlage als Zugeständnis an die Produzenten und das Publikum gedreht wurde, wurde der Film in vielen Ländern zensiert und gekürzt. Die Fassung, die bei der Uraufführung 1925 in Berlin gezeigt wurde, hatte noch eine Länge von 3738 m. In der Nacht vor der Uraufführung hatte Pabst mit seinem Filmeditor Mark Sorkin noch „einige wichtige Szenen“ entfernt, die der Kinobesitzer bemängelt hatte.

Durch die erste Zensur am 25. Mai 1925 fielen mit etwa 3,5 bis 4 Metern nur relativ wenige Bilder weg (etwa 7,5 Sekunden, ausgehend von 25 Bildern/Sekunde). Auf Antrag hin wurde im darauffolgenden Jahr eine weitere Prüfung durchgeführt, nach der nur noch 3477 Meter übrig blieben. Es gab in der Folge sehr viele unterschiedliche Fassungen des Films, die sich nicht nur in ihrer Länge, sondern auch in ihrer Szenenabfolge unterschieden. In England wurde der Film überhaupt verboten.

In Deutschland wurden mehrere Versuche unternommen, den Film zu rekonstruieren, mit dem Ziel, möglichst nah an die Urfassung, also die der Erstaufführung, heranzukommen. Der erste Versuch geht auf Enno Patalas zurück, der im Jahr 1989 im Münchener Filmmuseum aus drei erhaltenen Kopien des Films eine Fassung zusammengeschnitten hat, die sich eng am Drehbuch Mark Sorkins orientierte.

Von 1995 bis 1998 erfolgte dann unter Federführung Jan-Christopher Horaks die zweite Rekonstruktion im Münchener Filmmuseum, bei der alle bekannten Negativfilme verwendet wurden sowie sämtliche verfügbaren Materialien, aus denen sich Hinweise über die richtige Reihenfolge der Szenen und der Zwischentitel ergaben. Die entstandene Rekonstruktion des Films hat eine Länge von etwa 3000 Metern und dauert 151 Minuten.[3]

So viel zu Fakten, die auch einige etwas sprunghaft wirkende Szenenfolgen und undeutliche Motivlagen erklären könnten und hin zu einer Quelle, die uns immer wieder hilft, die ganz wichtigen deutschen Filme, hier die der Stummfilmzeit, aus der Sicht der 1980er, aber unter Einbezug zeitgenössischer und späterer Filmanalysten zu verstehen. Erstaunlich dabei immer wieder, wie wenig es sich aus heutiger Sicht auswirkt, dass die Autorin und der Autor bei den meisten Filmen nicht die heutigen, weiter hochrestaurierten, oftmals mit neueren Fundstücken ergänzten Fassungen dieser Filme zur Verfügung haben konnten:

„Kaum war 1924 die Tendenzwende hin zur Neuen Sachlichkeit ausgerufen worden, da ging der Film in Szene, der gemäß der neuen Doktrin „die Dinge objektiv zu behandeln [hatte, A. TH], so wie sie sind, ohne in ihnen eine ideelle Bedeutung zu suchen“ (Geno Hartlaub). Er revidierte das von Expressionismus und Kammerspielfilm hervorgebrachte Genre der Straßenfilme, in denen die Straße der dämonische Schicksalsort der von privatestem Jammer erstickten Kleinbürger war, gründlich und [zeigte] bereits die Perspektive hin zu den querschnittsfilmen Aufriss, die für die Neue Sachlichkeit typisch werden sollten und das Leben auf andere Art betrachteten „im breiten Querschnitt: nicht eines Menschen zufälliges Leben, sondern das typische Leben schlechthin“ (Bela Bálacz, der Film). Dieser Film hieß „Die freudlose Gasse“ und brachte seinem Schöpfer den Ruf ein, der“führende deutsche realistische Regisseur zu sein“ (Jerzy Teoplitz). Papst (…) fand einen Weg zum Realismus, der es ihm erlaubte, seine Neigungen zum Romantischen und Expressionistischen stilistisch nicht völlig zu verleugnen: „Warum soll man romantische Metaphern suchen? Das wahre Leben ist romantisch und gespensterhaft genug.“ (Interview in Close-Up, 1927).

Die freudlose Gasse ist ein Atelierfilm, der in Dekor, Fotografie und im Spiel einiger Darsteller (Werner Kraus und Asta Nielsen vor allem) nicht gerade von dokumentarischer Sachlichkeit ist, aber als Zeitbild ist er so authentisch, dass während seiner zwei Jahre langen Laufzeit im Pariser „Les Ursulines“ ein Abgeordneter von einer Parlamentsdebatte einmal sagte: „Wollt ihr wissen, was Inflation ist? Dann geht ins „Ursulines“  und seht euch die freudlose Gasse an!“

Menschenschlangen vor einem Metzgergeschäft, ein Bild von Hunger und Hoffnungslosigkeit. Gebeugte Gesichter, dumpfe lichtlose Straße. Die Kamera wandert über jedes Gesicht, bis zur geschlossenen Tür, aus der plötzlich eine bullige Gestalt auftaucht. Die Menschen geraten in Bewegung. Die Tür schließt sich wieder, und ein Schild mit der Aufschrift „Argentinisches Gefrierfleisch“ wird umgedreht so dass es nun heißt: „Heute geschlossen“. Fleisch gibt es nur, wenn man das eigene Fleisch hingibt. Reich werden nur die, die aus dem Zusammenbruch Profit zu machen wissen. Ein Bild der Zeit, wo Schieber und Spekulanten das Sagen und die Freudenhäuser Hochkonjunktur hatten. „Die Bedeutung des Bordells ist eine Konstante Pabsts Werk, die mit dem Fortgang dieses Werkes immer schärfere Konturen annimmt.  Hier bewirkt sie vorerst nur die Konfrontation verschiedener sozialer Kategorien an einem Ort, dessen Einheit in Wirklichkeit die Einheit der Straße ist“ (Yves Aubury, Jacques Petat: G. W. Papst, 1968). D8ie Reichen dürfen, wie immer, nur diesmal viel ausgiebiger, Schicksal spielen, um ihrer Langeweile zu entgehen. Es ist ein Ausverkauf der Seelen. Mit welchem bitteren Ausdruck die Mätresse eines reichen alten Unternehmers spielt, der sie ausstattet wie einen Paradiesvogel mit blonder, hochtoupierter Perücke, behängt mit Schmuck, seidigen Kleidern, in den Augen ein entsetzlich leerer Blick. Verzweifelt bringt sie die angebliche Geliebte ihres früheren Liebhabers um, wie von einer alles zerstörenden inneren Macht getrieben. Wie gleichgültig sie dann ihre Äußerlichkeit ablegt und ihrem Gönner zu Füßen wirft, ist die Reinheit einer Wahrheit, die noch nie ohne Worte so nackt gezeigt worden ist. Die Nielsen, mit diesem Gesicht, dass alle Ausdrucksmöglichkeiten dieser Erde enthält, verrät alles und behält noch den Zauber ihres eigenen Geheimnisses. „Die Sexualität und ihr Stellenwert im zeitgenössischen sozialen Kontext ist das Thema Papsts und des ganzen deutschen Films der Weimarer Republik. Beeinflusst von den Zeichnungen von George Grosz (vielleicht ist es auch umgekehrt!), wildert Papst in den Gesichtern reißt seinen Figuren die Masken herunter, enthüllt uns Ihre obskuren Gelüste „(Ado Kryou, Amour-Erotisme, 1966).

Greta Gabo, die Ängstliche, stets ihre Schultern hochziehende brave Bürgerstochter, die aus Geldmangel fast in die Hölle der Prostitution gerät, zeigt etwas verkrampft ihre später göttliche Schönheit. In den Großaufnahmen wirkt  sie wie eine leidende Madonna, die nur einen einzigen Gesichtsausdruck besitzt, nämlich direkt nach oben blickend. Pabsts Milieuschilderungen verdeutlichen seine Gesellschaftsanalyse. Das schüchterne Licht der Straße, das Halbdunkel der Räume, im Gegensatz dazu die schrille Fröhlichkeit der glanzvollen Feste in den Nobelhotels, geben die krasse Wirklichkeit wieder von denen, die im Schatten stehen und denen, die im Lichte stehen. Die Zensurbehörden aller Herren Länder macht sich dann auch sogleich über den Film her. Schon bei der Uraufführung in Deutschland fehlten viele Szenen, so dass Abläufe und Motivationen, die vorher ganz eindeutig waren, nun reichlich rätselhaft und abrupt wirken (…). in den meisten der heute vorhandenen Kopien fehlt eine Szene, aus der Ado Kryou eine urdeutsche Obsession herausgelesen hat: „Das Ganze vor-hitlerische deutsche Kino fixiert seinen Blick auf die Beine. Das von Gier verzerrte Gesicht des Fleischhauers in „De freudlose Gasse“, wenn er aus seinem Souterrain-Fenster die Beine seiner vor dem Laden anstehenden Kundinnen beobachtet, erklärt komplett die allgemeine Gemütslage dieses Kinos.“(3)

Ich bin nicht so ganz gewillt, die Gemütslage des deutschen Weimarer Kinos auf die Betrachtung von Frauenbeinen reduzieren zu lassen, aber ich danke gerade an Von Stroheims „Die lustige Witwe“, der ebenfalls 1925 entstand und in dem der Fußfetisch eine visuell und inhaltlich nicht unbedeutende Rolle spielt. Vielleicht waren aus auch die österreichischen unter den deutschsprachigen Filmemachern der Zeit, die besonders anfällig für diese Sexualismen waren. Mir fällt jedenfalls kein Bild von Murnau mit ähnlicher Aussage ein, dafür war er wohl zu romantisch veranlagt. Gut, man soll das Zuspitzen von Zuschreibungen nicht übertreiben, wir sind immerhin viele Jahrzehnte von all diesen Darstellungen, auch denen der Menschen, die sich direkt nach dem Entstehen dieser Filme oder bis in die 1960er hinein darüber geäußert haben.

Finale

Wohl aber lässt sich der Zusammenbruch der alten Bürgerlichkeit mit all diesen Momenten und Symbolen gut erläutern, und das hat Pabst getan. Man muss dabei bedenken, dass die Filme ganz aus dem Eindruck des Hier und Jetzt entstanden sind, nicht etwa historisierend und mit Distanz gefilmt. Die Aufregung, der verlorene Krieg, im Fall Österreichs der Verlust der k. u. k.-Monarchie, das plötzliche Aus-den-Fugen gehen ist ganz intensiv spürbar in den Filmen des  Weimarer Kinos, das so unglaublich schrill und manchmal auch verworfen daher kommt. Bei dieser inneren Aufregung, dieser Aufgewühltheit der Menschen, die herausragende Filmemacher in laufende Bilder gebannt haben, ist in gewisser Weise zu verstehen, dass man keinen Sinn für die Gefahr hatte, die darin lag, dass man  sich in die Hände der Nazis begab. Bei allem Respekt vor den heutigen Anforderungen und Krisen: Man müsste es jetzt besser wissen, auch weil die Krisen auf eine längere gute Zeit folgen, in der m an sich hätte in Ruhe resilient aufstellen können.

Aber auch dies ist nur eine Konstruktion, denn die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg galt nicht nur im deutschsprachigen Raum als eine besonders erfolgreiche, das folgende Trauma freilich, diese Implosion von einer bürgerlich-proletarischen Welt, die wohl nicht so stabil war, wie man glaubte, dessen Fragilität man nicht fassen konnte, richtete den Blick im Kino nach allen Seiten. Mitfühlend auf die Bedrängten, Bedrückten und endlich anklagend auf die Profiteure. Interessanterweise fehlt diese Anklage im heutigen Kino fast vollständig. Künstler waren damals nicht so gezähmt, durch jahrzehntelange Indoktrinierung „eingebettet“ und relativierend unterwegs. Über die dümmlich-manipulativen Einlassungen der heutigen rechtskonservativen Presse zu sozialen Tatbeständen hätten sie gelacht oder einen wütenden Film gemacht.

Auch wenn die Machart selbstverständlich zeitgebunden ist, Filme wie „Die freudlose Gasse“ und viele andere aus der Weimarer Zeit können gar nicht veralten, solange die einen das Leid der anderen verursachen oder im gegenüber gleichgültig sind. Gerade in einem Moment, in dem progressive Meinungen unter dem Druck der Rechtsverschiebung ächzen, erinnern wir noch einmal an die Szene des Films, in der die aufgebrachte Menge das Baby gemeinschaftlich adoptiert: Schaut mal etwas genauer hin, was damit ausgedrückt werdet, bevor ihr euch gegeneinander aufhetzen lasst und die Profiteure damit genau das erreichen, was sie beabsichtigen. Uns fehlen Filmemacher, die das jenseits nüchterner Dokumentationen noch wagen: Mutig auch mal in die Grütze zu hauen, um klarzustellen, dass es keine Versöhnlichkeit geben kann, solange Ausbeutung herrscht. Diese wird in „Die freudlose Gasse“ sehr facettenreich gezeigt, das macht ihn letztlich doch wertvoll, obwohl er nicht fehlerfrei wirkt – wir können nur das bewerten, was zu sehen war, nicht die fehlenden Szenen und nicht das Ganze inklusive der fehlenden Szenen. Es reicht aber doch zu

79/100

© 2023 Der Wahberliner, Thomas Hocke

Regie Georg Wilhelm Pabst
Drehbuch Willy Haas
Produktion Georg Wilhelm Pabst
Michail Salkind
Romain Pinès
für Sofar-Film-Produktion
Musik Max Deutsch[1]
Kamera Guido SeeberCurt OertelWalter Robert Lach
Schnitt Mark Sorkin
Besetzung

[1] Die freudlose Gasse – Wikipedia

[2] Joyless Street – Wikipedia

[3] Ilona Brennicke / Joe Hembus, Klassiker des deutschen Stummfilms, 1983

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