Frontpage | Briefing 148 | Wirtschaft, KER, Verkehrswende, Letzte Generation
Liebe Leser:innen, Sie wissen aus früheren Beiträgen des Wahlberliners, dass wir die „letzte Generation“ in Zielen und bisher auch weitgehend in Bezug auf ihr Vorgehen stützen. Mittlerweile schließen einige Kommunen Kompromisse mit den Aktivist:innen. Was halten Sie davon?, fragt Civey und wir kommentieren.
Begleittext gemäß Civey-Newsletter:
Auf kommunaler Ebene kam es in den letzten Wochen verstärkt zu Kompromissen zwischen der Politik und der Protestbewegung „Letzte Generation”. So hat der Oberbürgermeister von Hannover, Belit Onay (Grüne), zugesagt, die Ziele der Klimaprotestgruppe mit einem offiziellen Brief an die Bundestagsfraktionen zu unterstützen. Dafür stoppte die Gruppe die Aktionen in Hannover. Onay betonte in einem Interview mit dem SPIEGEL: „Mit den Forderungen der Klimaaktivisten stimme ich weitgehend überein, mit der Form ihrer Proteste nicht.”
Auch Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer sagte der Gruppe vor Ort seine Unterstützung zu. Daraufhin stellte die Gruppe ihre Proteste ein. Ähnlich einigte sich auch Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) mit den Aktivistinnen und Aktivisten. Im Interview mit dem Sender hr-iNFO betonte Spies, die Stadt lasse sich nicht erpressen. Die Ziele der Klimaaktivisten deckten sich mit denen Marburgs.
An diesen Kompromissen gibt es viel Kritik. Hannovers CDU-Chef Maximilian Oppelt forderte, dass jegliche Zusammenarbeit mit der „Letzten Generation“ beendet werden müsse und verwies seiner Ansicht nach auf deren demokratiefeindliche Haltung und Radikalisierung. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Manuel Höferlin, sagte, dass Erpressung kein Ausdruck eines legitimen Protests sei.
Die „letzte Generation“ hat es schwer, gesellschaftliche Akzeptanz zu finden. Das drückt sich auch im aktuellen Abstimmungsverhalten aus: Nicht weniger als 65 Prozent derer, die bei dieser noch ganz neuen Umfrage schon mitgemacht haben (Stand 07.03., 16:30 Uhr) sind strikt gegen diese Kompromisse. Wir müssten aufgrund unserer Gesamthaltung eigentlich dafür sein.
Sind wir aber nicht. Wir haben mit „Unentschieden“ votiert. Unser Eindruck ist, dass sich einige Kommunen mehr oder weniger günstig aus der Verantwortung stehlen, indem sie, siehe oben, zum Beispiel offene Briefe an die Bundesregierung schreiben. Ein grüner OB textet also an die grüne Bundesumweltministerin ein paar Forderungen und schon wird es friedlich in der Stadt? So liest es sich in etwa. Uns ist das, was hier „Kompromiss“ genannt wird, eher zu wenig.
Klar, wir könnten jetzt sagen: Prima, da kann sich die „LG“ jetzt umso besser auf Berlin konzentrieren, wo es wohl kaum zu einem solchen Kompromiss kommen wird. Schon gar nicht, wenn wir eine schwarz-rote Stadtregierung bekommen. Und wo es besonders für Schlagzeilen sorgt, wenn etwas passiert, wie heute wieder:
Letzte Generation: Verkehrsministerium in Berlin mit Farbe besprüht. Der Protest richtet sich gegen die angebliche Blockadehaltung von Bundesverkehrsminister Volker Wissing beim Klimaschutz. Gemeint sind damit Nachforderungen von Wissing zum von der EU geplanten Aus für Autos Verbrennungsmotoren ab 2035. Wissing fordert mehr Technologie-Offenheit ein.
Letzte Generation: Verkehrsministerium in Berlin mit Farbe besprüht (rnd.de)
Das hätte man getrost weglassen können. Die FDP versucht immer, die bremse in Sachen Klimaschutz reinzuhauen und E-Fuels sind schon deshalb abzulehnen, weil sie dazu geeignet sind, die Landwirtschaft in die falsche Richtung produzieren zu lassen. Wir werden künftig alle verfügbaren Flächen brauchen, um eine extensive Agrarwirtschaft und mit ihr nachhaltige Ernährung sicherzustellen. Die Lösung kann nur eine Reduktion des Individualverkehrs sein. Erst einmal dort, wo sie jetzt schon problemlos möglich wäre, in den Städten. Bei den E-Autos hingegen sieht man gerade den Irrsinn des Neoliberalismus: Sie sind aufgrund ihrer hohen Preise hochgradig klassistisch und aufgrund der Tatsache, dass es offenbar nach oben kein Leistungs- und Gewichtslimit gibt, eine Verballhornung des Grundgedankens eines umweltfreundlicheren Individual-Straßenverkehrs.
Sie tragen zu wenig zur Verkehrswende dabei und sozial sind sie mehr als bedenklich. Verbrenner sind in der Tat schon (in der Einstiegsklasse) für die Hälfte zu haben, aber bis 2035 ist ja noch Zeit genug, sich etwas einfallen zu lassen, was günstige Mobilität in Maßen ermöglicht, anstatt das, was wir im Moment sehen. Auch die E-Autos müssten im Grunde schon wieder reguliert werden, und zwar durch sehr hohe Steuern auf schwere und überstarke E-SUVs, die das Gepräge der neuen Automobilzeit entscheidend prägen.
Wenn die Letzte Generation mehr will als dieses grün anstreichen eines nicht nachhaltigen Verkehrs, hat sie unsere Unterstützung. Außerdem: Heute ist Greenpeace schon beinahe mit einem Nostalgiefaktor ausgestattet, weil die Grünen, die heute fette SUVs fahren, in ihrer Jugend deren Aktionen toll fanden und mit diesem toll finden gut ihre konservativen Eltern ärgern konnten. So viel anders ist es mit der LG heute nicht. Es geht gar nicht ohne Menschen, die einen Schritt weitergehen wollen als die Masse, die nur dann nicht träge ist, wenn es darum geht, Schlupflöcher zu finden, welche jede neue Idee, wie etwa die E-Autos als Massenprodukt, bezüglich ihrer Wirkung auf Umwelt und Klima ad absurdum führen.
TH