Geliebte Aphrodite (Mighty Aphrodite, USA 1995) #Filmfest 911

Filmfest 911 Cinema

Geliebte Aphrodite ist eine Komödie von Woody Allen aus dem Jahr 1995. 

„Ein New Yorker Sportjournalist und eine Galeristin, die feststellen, daß zum Glück ihrer Ehe etwas fehlt, adoptieren einen kleinen Jungen. Der Mann forscht der Mutter nach und findet sie in einer warmherzigen Prostituierten, zu der er sich hingezogen fühlt. Was in klassischer Zeit, die durch einen griechischen Tragödienchor repräsentiert wird, ein Trauerspiel gewesen wäre, entwickelt Woody Allen zu einer pointen- und einfallsreichen, klugen und warmherzigen Komödie, mit der er wiederum die Sinnsuche eines intellektuellen Stadtmenschen beschreibt.“ – Lexikon des internationalen Films[1]

Mira Sorvino wurde 1996 für ihre Darstellung der Prostituierten Linda als beste Nebendarstellerin mit dem Oscar ausgezeichnet. Auch Woody Allen war für das Drehbuch für einen Oscar nominiert. Wie wir über den Film gedacht haben, lesen Sie bitte in der -> Rezension.

Handlung (1)

Der Sportjournalist Lenny und seine Frau Amanda adoptieren einen Jungen, der zu einem klugen, humorvollen und schlagfertigen Kind heranwächst. Eines Tages kann Lenny seine Neugier nicht mehr zügeln und macht sich auf die Suche nach der leiblichen Mutter des Jungen. Bei dieser handelt es sich um die Prostituierte Linda, die auch sonst – besonders in Bezug auf ihren Intellekt – nicht der Vorstellung Lennys entspricht. Trotzdem werden sie Freunde, und Lenny versucht sie auf den Pfad der Tugend zurückzuführen. Er kauft sie gegen Basketball-Karten von ihrem Zuhälter frei und versucht sie mit einem anständigen Kerl zu verkuppeln. Als seine Ehe in eine Krise gerät, schläft Lenny mit Linda und die beiden zeugen eine Tochter, wovon er aber nie erfährt; so wie Linda nie erfahren hat, dass Lennys Sohn Max ihr leibliches Kind ist. Handlung: Wikipedia.

Anni und Tom über „Mighty Aphrodite“

Anni: Was ich an Woody Allens Filmen mag, ist der Blick auf Menschen. Es wird eigentlich immer politisch unkorrekt gefrotzelt, aber es wirkt trotzdem nicht übergriffig. „Mächtige Aphrodite“ heißt der Film im Original und wenn man Allen und Miro Sorvino nebeneinander sieht, weiß man, warum. Aber intellektuell ist es natürlich umgekehrt, emotional hingegen haben ja in Allens Filmen meist die anderen die größere Kapazität, auch das macht seine Sicht auf die Welt sympathisch. Kein Wunder, dass die Figuren, die er selbst spielt, immer unfertig und unausgeglichen wirken – da steckt sicher auch viel von ihm selbst drin.

Tom: Mitte der 1990er, als der Film entstand, sorgte Allens Privatleben für ziemliche Aufregung, aber irgendwie ist alles in der Zeit. Vielleicht von dem griechischen Theaterchor abgesehen, ist das auch ein typischer Film dieser Zeit. In schön knalligen Farben gedreht – okay,  Allen verwendet auch heute noch sattere Töne als der Mainstream – und mit Sex und Affären als Hauptthema, in denen man die Suche nach dem Sinn des Seins erkennen kann. Damals hatte man ja den Eindruck, alle könnten sich künftig auf diese Themen konzentrieren und die gewisse Affäre des US-Präsidenten, die auch etwa zu der Zeit hochkam, passt genau in dieses Bild. Es war auch die Zeit der romantischen Komödien und trotz ihrer tragischen Einschläge und des ungewöhnlichen Endes zähle ich auch „Mighty Aphrodite“ dazu.

Anni: Ja, am Ende erfährt Linda nicht, dass Max ihr Sohn ist und Lenny erfährt nicht, dass Lindas kleine Tochter auch die seine ist. Die Tragödie, die vom griechischen Chor heraufbeschworen und von Kassandra besonders verkündet wird, löst sich in einen Schwebezustand auf, in dem alles ungelöst erscheint, aber deshalb nicht unbefriedigend. Und wenn Allen nicht die Gelegenheit hätte, seine Leidenschaft für den Swing einzubringen, wäre es kein Film von ihm. Dieses Mal eher dezent, aber am Ende müssen die griechischen Theaterdarsteller dann doch eine typische Revuefilm-Choreografie vorführen. Die Tragödie ist vorbei, der nie endende Swing des Lebens hat gesiegt. 

Tom: Man muss natürlich immer die Synchronisation berücksichtigen, aber ich finde, Mira Sorvino spielt wunderbar und, ohne Betrachtung der Mitbewerberinnen in diesem Jahr, hat sie den Oscar verdient, den sie bekommt. Wir haben ja gestern „Das verflixte 7. Jahr“ gesehen, und ich finde, zwischen den Frauenfiguren in den beiden Filmen gibt es Ähnlichkeiten. Das sind einfach gute, gute Mädchen, egal, welchem Beruf sie nachgehen und wie sie versuchen, ihr Leben zu meistern. Man kann sagen, sehr große Projektionsflächen für Männer, die emotional so kompliziert oder charakterlich fehlerhaft sind, dass mal so jemand kommen muss, der das alles annehmen kann, ohne es krumm zu nehmen. 

Anni: Blöd, dass es solche Frauen in der Realität kaum gibt. Und der Aspekt ist dann wieder nicht so mein Fall – dass immer versucht wird, Menschen zu Kunstfiguren zusammenzubasteln, die es eben nicht gibt. Jemand ist nicht gleichzeitig sehr einfach, emotional aber höchst kapabel. Irgendwo fehlt es dann immer, und wir kennen euch. Man kann noch so nett sein, irgendwann wird’s euch langweilig, weil dann wieder der sogenannte Austausch fehlt, der ja immer und immer wieder Neues beinhalten muss. Deswegen sind Lenny und seine Frau auch bei allen Schwierigkeiten das natürliche Paar. Ach ja, zu „Das verflixte 7. Jahr“ mit Marilyn Monroe. Im Jahr nach „Geliebte Aphrodite“ hat Sorvino tatsächlich Marilyn Monroe in einer Biografie gespielt, obwohl sie zwölf Zentimeter größer ist und sichtbar insgesamt einen stärkeren Körperbau hat. It’s all about performance. Aber da ist auch so ein Liebreiz, das muss man zugeben, dass man eigentlich beiden nichts Schlimmes zutraut. Es liegt an den Gesichtsausdrücken, am Lächeln.

Tom: Sicher ist auch der griechische Chor im Ganzen nicht nur eine typische Allen-Erfindung, die dafür sorgt, dass alles nicht zu banal wirkt, sondern auch ironisch. Vielleicht in doppelter Hinsicht. Da ist viel Pomp in der Art, wie wir an unser Privatleben herangehen, mangels echter Schicksalsherausforderung, alles wird zum Drama oder zur Tragödie, aber letztlich ist es doch Komödie. Und natürlich gilt das auch für die Sprache. Sexueller Wortschatz mit manchmal philosophischen und reizend einsichtigen Untertönen gegen klassische Deklamation, die manchmal abrupt ins Alltägliche abgleitet – nur Allens eigene intellektuelle Verklemmtheit steht für sich und endet nie. Und er ist auch ein Pygmalion, der ins Schicksal einer anderen Person eingreift. Nicht sie so stark verändert wie im gleichnamigen Stück von G. B. Shaw oder in „Pretty Woman“, aber der Film spannt auch bewusst nicht diesen Bogen, sondern lässt die unterschiedlichen Charaktere für sich bestehen. Der Status Quo drückt sich darin aus, dass nicht einmal die prophezeiten Anwälte wirklich relevant werden, geschweige denn eine Katastrophe. 

Anni: Die Dialoge sind ohnehin eine Stärke des Films, wie immer bei Woody Allen. Und könnte jemand, der nicht so intellektuell ist, einem einfachen Mädchen solche Worte in den Mund legen, wie er es hier bei Linda tut, ohne sie damit zu diskreditieren? Und bitte auf ihre Wohnung mit den vielen Sexobjekten achten, die Uhr mit den … Schweinen oder den Mexikaner mit dem Kaktus. Ach ja, Sex ist Natur und warum nicht einfach natürlich sein? Ich gebe 7,5/10. 

Tom: Ich glaube, ich schließe mich mal an. An Allens große Filme wie „Zelig“, „Hannah und ihre Schwestern“ oder „Manhattan“ kommt „Mighty Aphrodite“ nicht heran, aber ich glaube, er hat auch nicht diesen Anspruch, sondern eher den, dass eben jedes Jahr ein Film von Woody Allen herauskommen sollte, den man sich gerne und mit einer gewissen Erleichterung anschaut. 

75/100
 
© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2017)

(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Woody Allen
Drehbuch Woody Allen
Produktion Jean Doumanian
Musik Dick Hyman
Kamera Carlo Di Palma
Schnitt Susan E. Morse
Besetzung

 

Hinterlasse einen Kommentar