Newsroom | Wirtschaft, Startups, Lieferdienste, Venture Capital, Hire and Fire, Entlassungen, Berlin
Berlin hat mal wieder die Schlagzeilen für sich: Die meisten Startups und die meisten Entlassungen bei Startups. Sicher, das eine bedingt das andere, aber ist die Szene in Berlin so viel größer, wie sie nachdem Hire-und-Fire-Prinzip Menschen durchnudelt?
Hier gibt es eine Statistik Infografik: Berlin ist sowohl Startup- als auch Entlassungshauptstadt | Statista mit einigen Erklärungen , wir nehmen speziell die Lieferdienste ein wenig mehr unter die Lupe, die für die erhebliche Fluktuation in erheblichem Maße mitverantwortlich sind.
Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Mehr als zwei Drittel der seit Januar 2022 von Tech-Firmen und Startups gekündigten Angestellten wurden von Firmen mit Hauptsitz in den USA entlassen. Big-Tech-Firmen wie Amazon, Meta oder Google sprachen im vergangenen Winter beispielsweise jeweils mehr als 10.000 Mitarbeitenden eine Kündigung aus. Dass die Entlassungswelle auch im DACH-Raum angekommen ist, zeigt unsere Grafik.
Laut Daten von Layoffs.fyi sichert sich Berlin den zweifelhaften ersten Platz hinsichtlich der meisten in den jeweiligen Städten ansässigen Firmen aus den entsprechenden Sektoren, die seit Januar 2022 ihre Belegschaft reduziert haben. Die Zahl von 39 Tech-Unternehmen und Startups mit Kündigungen lässt sich auch durch die hohe Dichte entsprechender Firmen in der Stadt erklären. 2022 wurden beispielsweise allein in Berlin 390 Finanzierungsrunden durchgeführt, rund fünf Milliarden Euro und damit die Hälfte des gesamten in Deutschland investierten Risikokapitals flossen in die Hauptstadt.
Zu den prominesten Beispielen für deutsche Startups, die Mitarbeitenden kündigen mussten, gehört Gorillas. Der Instant-Lieferdienst fiel in der Vergangenheit nicht nur durch die angeblich schlechte Behandlung seiner Fahrer:innen, sondern auch durch seine hohe Cash Burn Rate auf. Im Frühsommer 2022 entließ der 2020 gegründete Konzern rund 840 Mitarbeitende, Ende 2022 kaufte der Konkurrent Getir die Firma für 1,2 Milliarden US-Dollar auf. Neben weiteren Startups wie Infarm mussten auch bekanntere Konzerne wie Zalando Stellen streichen.
München und Hamburg liegen mit jeweils drei Firmen, die Mitarbeiter:innen kündigen mussten, auf dem geteilten zweiten Platz, während die österreichische Landeshauptstadt Wien Rang vier einnimmt. Neben der Krypto-Firma Bitpanda entließ dort auch das Nachhilfe-Startup GoStudent in zwei Wellen rund 300 Angestellte.
Das kommt davon. Davon, dass man Lieferdienste als Tech-Unternehmen labelt und die prekäre Beschäftigung dort und Schlagzeilen, wie „Gorillas“ sie in Berlin gemacht hat, das Bild von den Einhörnern stark negativ beeinflussen. Mittlerweile läuft es bei den Lieferdiensten in unserer Stadt auf einen Dreikampf hinaus zwischen dem finnischen Unternehmen Wolt (im Jahr 2014 gegründet, also schon ein Veteran, Markeintritt in Deutschland aber erst 2020), Getir (Start in der Türkei 2015, Markteintritt in Deutschland 2021) und dem Berliner Originalunternehmen Flink (das Baby in der Gruppe, gegründet 2020). Wir haben dabei auch eine Präferenz: Vielleicht sind sie bei Wolt ein paar Minuten langsamer, als Getir es verspricht, aber die Fahrer:innen und der gesamte Auftritt wirken strukturiert und rücksichtsvoll, das merkt man als Fahrradfahrer natürlich besonders.
Nichtsdestotrotz muss man dringend zwischen der Tech-Industrie und Online-Lieferdiensten trennen, die zwar für ihre Logistik auch auf Technik, vor allem auf Apps, setzen, sie teilweise auch selbst entwickeln, aber deswegen sind sie trotzdem in erster Linie klassische Lieferdienste und zudem mit Arbeitsbedingungen belastet, die es als logisch erscheinen lassen, dass dort, zumindest draußen auf den Straßen, nur junge Menschen arbeiten, die körperlich hoch belastbar sind. Haben Sie Erfahrungen gemacht mit einem der genannten Unternehmen oder arbeiten Sie gar dort? Schreiben Sie uns, wir sind an Meinungen zu den in Berlin tätigen Lieferdiensten interessiert!
Natürlich war Corona ein Booster nicht nur für Impfstoffhersteller, sondern auch für die Online-Lieferdienste. Hingegen vermerkt die Wikipedia bezüglich der Zustände bei Gorillas, dass die jüngsten Zinserhöhungen dazu führen, dass Investoren vorsichtiger bei der Vergabe von Risikokapital geworden sind. Werden dadurch Chancen vertan oder wird vermieden, dass unnötig Kapital in Firmen verbrannt werden, die keine entscheidenden Innovationen leisten, sondern in Märkten tätig sind, die im Grunde immer konservativer und rudimentärer werden?
Die gesamte Startup-Szene ist freilich vielschichtiger und selbstverständlich gibt es auch etwas wie Hochtechnologie in der Stadt – aber hat Berlin wirklich so viel mehr Startups als Städte wie München oder Wien, dass 18mal mehr Unternehmen Mitarbeitende kündigen? Oder ist es wieder das übliche Berliner Phänomen mangelhafter Nachhaltigkeit, das diese Umstände bedingt? Auch dazu schreiben Sie uns bitte gerne eine Mail oder einen Kommentar in den sozialen Netzwerken, denn seit unserem Aufriss der Berliner Förderungsstruktur mit „BerlinPartners“ im Jahr 2017 ist doch einige Zeit vergangen. Mittlerweile dominieren wohl private Geldgeber, aber auch das kann man unter zwei Gesichtspunkten sehen, mindestens: Es ist unkomplizierter, aber sie sind auch schneller weg, wenn die Konditionen für die Kreditvergabe etwas schlechter werden, wenn das Umfeld sich verändert. Mit einem Inkubator-Cluster hatten wir zuletzt vor etwa zehn Jahren zu tun und da ging alles noch den klassischen Weg: Man fing klein an und bewegte sich im Rahmen der Förderstrukturen von IBB und KfW.
TH