Die Explosion der ukrainischen Waffenkäufe +++ Kampfgerät: Kleinpanzerland oder Keinpanzerland? (Statista + Kommentar) | Briefing 153 #Geopolitik #Ukrainekrieg

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Wenn man zu Vorgängen wie dem Ukrainekrieg kaum noch Worte hat – behilft man sich am besten mit Zahlen. Damit ist immerhin noch ein gewisser Informationswert für die Leser:innen verbunden, ohne dass man jeden schrecklichen Tag und alles, was Kriege über die Menschen an sich aussagen, kommentieren muss. Immerhin hat ein Antikriegsfilm gerade vier Oscars gewonnen, das ist ja auch schon etwas. Oscarverleihung 2023 – Wikipedia

Und der Krieg geht weiter und die Rüstungsausgaben steigen und wir stellen fest, dass Deutschland ein echtes Kleinpanzerland ist, trotz der riesigen Diskussion um die Lieferung von Leopard-2-Gerät an die Ukraine. Es ist sogar beinahe ein Keinpanzerland, wenn man bedenkt, dass der deutsche Rüstungsetat der sechstgrößte weltweit ist und durch die Leopard-Produktion der Eindruck erweckt wird, Deutschland sei besonders auf dem Gebiet gut oder doch etwas besser aufgestellt als auf bei anderen Waffengattungen. Bei Kampfgerät, das zudem fast komplett importiert werden muss, nachdem man sich in Europa wieder einmal nicht einig über US-unabhängige Entwicklungen, wie etwa einen Nachfolger für den Kampfjet Eurofighter, geworden ist.

Infografik: Ukrainische Rüstungseinfuhren steigen um mehr als 8.000 Prozent | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg in der Ukraine wirkt sich laut SIPRI-Bericht 2023 sichtbar auf den internationalen Handel mit Rüstungsgütern aus. Besonders deutlich zeigen das die Waffenimporte der Ukraine, die im Zeitraum 2018 bis 2022 um 8.631 Prozent gestiegen sind (ggü. den Jahren 2013 bis 2017). Damit ist das Land in absoluten Zahlen ausgedrückt der drittgrößte Waffenkäufer der Welt. Wichtigstes Herkunftsland sind die USA mit 34 Prozent. Dahinter folgen Polen (17 Prozent) und Deutschland (11 Prozent).

Aber auch in Europa sind die Waffenimporte deutlich gestiegen. Hierzu schreibt tagesschau.de: „Die Länder hätten zwischen 2018 und 2022 fast doppelt so viele Waffen gekauft wie in den fünf Jahren zuvor, teilten die Friedensforscher zur Veröffentlichung des Berichts zum weltweiten Waffenhandel in Stockholm.“ Das ist indes nichts im Vergleich zur Entwicklung der Rüstungsausgaben einiger anderer Staaten, wie der Blick auf die Statista-Grafik zeigt.

„Kaufen“ dürfte wohl für die Waffenbeschaffung der Ukraine nicht der richtige Begriff sein. Falls nicht vieles sowieso verschenkt und abgeschrieben wird, handelt es sich um Waffenexporte, die der Westen sich erst einmal selbst finanziert und hofft, irgendwann das Geld von der Ukraine zurückzubekommen. Angesichts der Wirtschaftskraft des Landes vor dem Krieg und nach dem Krieg dürfte das 500 Jahre dauern, inzwischen wird es mindestens 10 neue Kriege gegeben haben, die wiederum dafür sorgen, dass das Waffenlieferungs- und Schuldenrad sich weiterdreht. Es sei denn, es wird eine beinahe ewige Friedensordnung in Osteuropa erzielt, auf welcher Basis auch immer. Glauben Sie daran? Wir im Moment nicht. Weil eine vernünftige, alle zufriedenstellende, geopolitisch durable Basis dafür nicht abzusehen ist.

Das Vereinigte Königreich hat für das „Lend-and-Lease“-Programm der USA, das den Briten im Zweiten Weltkrieg geholfen hat, gegen Deutschland zu bestehen, ca. 70 Jahre lang Schulden abgezahlt. Großbritannien zahlt letzte Rate seiner Weltkriegsschulden – WELT. Special Relationship hin oder her, Geschäft ist Geschäft. Da die Waffenhersteller das Gerät nicht umsonst herstellen oder überarbeiten werden, gehen also erst einmal die westlichen Staaten Verbindlichkeiten für die Ukraine ein. Deutschland ist natürlich wieder ziemlich vorne dabei. Das alles wird gerne ein wenig unter den Tisch gekehrt, wenn es darum geht, wie viel Deutschland wirklich im Ukrainekrieg leistet, ebenso wie der große humanitäre Einsatz. Es ist einigen nie genug, die bei genauem Hinsehen gute persönliche Gründe für ihre Nimmersatt-Attitüde haben. Vielleicht ist aber genug doch irgendwann mal genug, wenn keine der Seiten in diesem Krieg ernsthaft auf den Frieden zugeht. In den USA steckt Präsident Biden jetzt schon in einer Zwickmühle. Obwohl das Land vom Ukrainekrieg stark profitiert, kritisieren ihn die Republikaner wegen seiner hohen Ausgaben für die Ukraine. Das ist zwar alles recht durchsichtig, aber nächstes Jahr wird in den USA wieder ein neuer Präsident gewählt und es könnte durchaus passieren, dass Biden schon gegen Ende seiner ersten Amtszeit zur lahmen Ente wird – weil er seine Wiederwahl nicht wegen der Ukraine aufs Spiel setzen will.

Wenn die USA sich aber aus innenpolitischen Gründen mehr zurückhalten, wird auch die deutsche Bundesregierung nicht weiter an der Eskalation mitarbeiten können. Dann wird sich zeigen, ob Länder, die sich für so sehr unabhängig halten, wie Großbritannien, in die Bresche springen und die Ukraine verstärkt mit Material versorgen können. Mit dem anschließenden Schuldenmanagement kennt man sich ja aus.

Da in diesem Krieg von Panzern die Rede ist und weil einige Kommentator:innen die Vorgänge um Wuhledar als die größte Panzerschlacht seit dem Zweiten Weltkrieg apostrophieren, haben wir eine weitere Grafik aufgetan, in der zu sehen ist, wie es um die Panzerwaffe verschiedener Länder steht.

 Staaten mit den meisten Kampfpanzern 2023 | Statista

Russland hat demnach über 12.000 verfügbare Kampfpanzer, Deutschland gerade mal 266 und steht auf einem abenteuerlich niedrigen Platz 52 (von den vorhandenen 266 Kampfpanzern sind 213 einsatzfähig).  Auf Platz 2 steht übrigens Nordkorea, noch vor den USA und China. Die Ukraine ist weiterhin nicht auf den vorderen Plätzen zu finden, aller stark angeschobenen Waffenlieferungen zum Trotz. Wenn man sich diese Verhältnisse vor Augen führt, ist es im Grunde unmöglich, dass die Ukraine einen Bodenkrieg gegen Russland gewinnen kann, bei dem Panzer die Hauptwaffe darstellen; das gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Russland nicht seinen gesamten Bestand, von dem etwa zwei Drittel gebrauchsfähig sein sollen, in diesem Krieg einsetzen kann.

Bisher sind der Ukraine etwa 130 Leopard-2-Panzer aus mehreren Ländern zugesagt worden, um auch diese Zahl noch einmal ins Gedächtnis zu führen. Deswegen ist die Diskussion um Kampfjets umso brisanter: Letztlich wird die Ukraine ohne Lufthoheit über dem eigenen Gebiet nicht zu verteidigen sein. Drohnen- und Raketeneinsätze sind in diesem Sinne eine Waffe, die früher nicht zu berücksichtigen war, damit kann man einiges abwehren, damit kann man auch Schäden anrichten, ohne Angehörige der Luftwaffe in Gefahr bringen zu müssen. Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit, dass die Ukraine der russischen Luftwaffe nicht den eigenen Himmel überlassen kann, wenn sie weiter erfolgreich kämpfen will. Es war lange vorherzusehen, dass diese Diskussionen kommen werden. Wir sind uns ziemlich sicher, es wird noch einiges an Erweiterungen der Waffenlieferungen zu verzeichnen sein, wenn der Krieg andauert.

Deswegen muss jemand, der sich in Deutschland für die Lieferung von Panzern ausspricht, auch im Kopf behalten, dass es unlogisch ist, im Wege dieser Haltung nicht auch Flugzeuge liefern zu wollen.

Richtig übel wird es werden, wenn die ukrainischen Truppen so ausgelaugt / dezimiert sind, dass Forderungen nach dem Einsatz von NATO-Streitkräften stärker werden. Denn es wird ja darauf bestanden, dass die westliche Demokratie in der Ukraine verteidigt wird, und diese Demokratie kann der Westen doch um keinen Preis preisgeben, oder? Das kommt davon, wenn man sich auf Glatteis begibt, die Argumentetationen pro Ukrainehilfe betreffend: Alles, was die Selbstverteidigungshilfe übersteigt, wird zu wenig kritisch hinterfragt. Auch jene Diskussion wird also kommen, wenn der Krieg sich ins Jahr 2024 hineinziehen sollte. Dann wird kein NATO-Staat mehr behaupten können, man sei nicht Kriegspartei.

Dann wird auch letztgültig zu klären sein: Ist es das wert umd halten wir das „Der Westen wird im Donbass verteidigtf“ dann aufrecht? Eine äußerst unangenehme Frage, man kann ihr immer weniger ausweichen, je länger dieser Krieg andauert. Vielleicht kommt es aber nicht so weit. Die Hauptprofiteure der Lage, China und die USA, werden da recht cool sein: Sie werden alles tun, um das Blutvergießen zu stoppen, wenn das Pendel zu ihren Lasten auszuschlagen droht. Am besten wäre es, beide kämen so bald wie möglich und einigermaßen gleichzeitig zu dieser Ansicht.

TH

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