Fürchte dich – Tatort 1033 #Crimetime 1146 #Tatort #Frankfurt #Brix #Janneke #HR #Furcht

Crimetime 1146 – Titelfoto © HR, Bettina Müller

Fürchte dich ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort mit Horror-Elementen. Der vom Hessischen Rundfunk produzierte Beitrag ist die 1033. Tatort-Episode. Passend zum mystischen Thema des Films wurde er zwei Tage vor Halloween, am 29. Oktober 2017 im Ersten erstgesendet. Das Frankfurter Ermittlerduo Janneke und Brix ermittelt in seinem sechsten Fall.

Ich gebe gerne zu, dass ich im Moment nicht so schnell rezensiere wie zu der Zeit, in der ich mit den Tatorten begann. Das gibt mir nun die Gelegenheit, nach dem Anschauen des Films in den Tatort-Fundus zu schauen. Da zeigte sich heute Folgendes, „Fürchte dich“ betreffend. Eine Gemeinsamkeit mit dem neuen Bremen-Tatort „Zurück ins Licht“. So unterschiedlich die Filme auch sind, so schrecklich vernichtend das Urteil über beide. Sie haben es jweils, Stand 31.10.17, geschafft, sich in der Fundus-Rangliste unterhalb der Tausender-Marke zu positionieren. Bei derzeit 1033 Filmen + 12, die einen Sonderstatus haben und nicht in die offizielle Zählung eingehen, aber in der Rangliste enthalten sind.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes 2023: „Nicht so schnell“ meint, nicht mit der Vorgabe, innerhalb weniger Stunden nach der Premiere die Rezension online stehen zu haben. So war das im Jahr 2017, als dieser Tatort erstmals ausgestrahlt wurde und der Rezensionsentwurf entstand. Mittlerweile bedeutet es, dass wir generell mehr Zeit benötigen, um  neue Tatorte zu rezensieren. Ob sich das wieder ändert, lässt sich im Moment schwer vorhersagen. Zweites Thema: Die Rangliste des Tatort-Fundus und die gesamte Plattform sind nicht mehr zugänglich und können uns daher nicht mehr als Referenz dienen, wenn es  um die Meinung des Publikums geht. Nach der Handlung nun aber zur –> Rezension.

Handlung

  • Eines Nachts taucht ein alter, verwirrter Mann in einem weißen Gewand vor dem Haus von Brix und seiner Vermieterin Fanny (Zazie de Paris) auf und versucht, es anzuzünden. Zum Glück erleidet der Mann vorher einen Schwächeanfall, Brix und die verängstigte Fanny eilen ihm zu Hilfe. Während sich der Mann erholt, blickt er auf ein Dachfenster und redet wirr. Doch Brix verfolgt die Hinweise des Mannes und entdeckt unter einer Holzdiele ein Kinder-Skelett. Während sich Brix daran macht, herauszufinden wer das tote Kind ist und wie es zu Tode kam, passt Anna Janneke auf Fanny und das Haus auf. Immer wieder kommt es dabei zu ungewöhnlichen Phänomenen. Spukt es im Haus? Ein Schlüssel könnte Merle sein, die Enkelin des alten Mannes. Sie hilft Brix, das Geheimnis des Hauses aufzuklären, doch auch mit ihr scheint etwas nicht zu stimmen.
  • Ein Kriminalfall, viel näher an den hysterisch schaurigen Edgar-Wallace-Filmen der Sechziger als am bemühten Sozialrealismus mancher seiner Reihennachbarn: Ein nostalgischer Albtraum aus Rausch und Blitzen entspinnt sich, als in einer Gewitternacht ein alter Mann bei Fanny, der alten Freundin und Dauergastgeberin von Kommissar Paul Brix, in der Küche steht. Noch bevor der Fremde sich selbst in Brand stecken kann, zieht ein Paar mysteriöser Frauenhände ihn fort in den Garten. In einem Club bricht Merle zusammen und hetzt zu ihrem Opa ins Krankenhaus. Nachdem Brix auf dem Dachboden das Skelett eines jungen Mädchens gefunden hat, beginnt Fanny Karten zu legen und von einer Frau zu erzählen, die im Raum sei: Hier, ganz nahe. Direkt da, in der Dunkelheit hinter Brixens Kollegin Anna Janneke.

Rezension 

Aber auch dieses Gefühl war wieder da, wie schon letzte Woche: Die Bewertungen des Publikums und unsere müssten weit auseinandergehen, und genau das tun sie. Dieses Mal noch mehr als vor einer Woche, und leider mit einer überwiegend komplett ablehnenden Tendenz. Wirklich gut, dass man keine Minuspunkte vergeben kann, einige gequälte Seelen würden vermutlich so tief in den Bewertungsdreck greifen, dass auch die 10er-Wertungen das Ganze nicht mehr über die Nulllinie heben würden.

Aber warum bloß so hart? Der Tatort hat nach einigen Jahren, in denen die Innovation nicht so im Vordergrund stand, in den 2010ern immer wieder neue Grenzen erreicht oder getestet und dieses Mal ist die Grenze halt ein Rückgriff: Auf die Haunted-House-Filme, die in den USA besonders in den 1970ern und 1980ern in Mode waren. Von eher rudimentären Werken wie „Poltergeist“ bis zu „Shining“ gab es alle möglichen Varianten, die immer eines gemeinsam  haben: Dass in einem alten Haus irgendwann irgendetwas Schreckliches geschehen ist, das die Seelen Verstorbener nicht zur Ruhe kommen ließ. Die Anspielungen auf verschiedene Filme, deren Titel ich nicht alle nennen mag oder die mir gerade entfallen sind, sind in „Fürchte dich“ zahlreich und der Hintergrund ist sogar doppelt genäht. Mord und Missbrauch, und mindestens eines davon gab es in den Vorbildfilmen ja auch immer, die einst das US-Publikum in Atem hielten. Damals, als die CGI noch nicht das Fantasyg-Genre wieder sehr in den Mittelpunkt gerückt hatte.

Eigentlich hat der Hessische Rundfunk mit Felix Murot scheon einen Emittler für die besonderen Filme und mit „Das Dorf“ bereits einen Tatort gemacht, der auch ein Genre referierte,  nämlich das der Gruselkrimis mit stark humoristischem Einschlag, die Edgar-Wallace-Reihe der 1960er. Das waren zwar Kinofilme, aber so gut wie damals das Kino kann es das Fernsehen heute eigentlich auch. Eigentlich, denn da bleibt doch immer ein Gefühl von Verlust gegenüber den Werken, die für die große Leinwand produziert wurden.

Brix und Janneke hingegen sind im Grunde etwas zu normal, zu bieder, für einen solchen Film. Nein, sind sie natürlich nicht. Auch in den US-Vorbildern ist es ja gerade der Kontrast zwischen noch viel biedereren Familien und dem, was diese erleben müssen, der sehr prägend ist. Jeder kann sich vorstellen, wie es wäre, wenn er mit seiner eigenen Familie in so ein altes Gemäuer zieht und es dann anfängt zu rumpeln.

Mit einem klassischen Krimi hat das wenig zu tun, das ist schon klar. Es ist ein Mystery-Thriller und man dachte sich wohl, bevor uns jemand das Ding wegschnappt, machen wir es, denn in Frankfurt wird nicht nur an der Verkehrsampel schneller gestartet als anderswo. Die Hessen-Tatorte sind auch Leistungsfilme, die zeigen sollen, was geht und in denen man sich manchmal wenig darum kümmert, was das Publikum davon hält. Angefangen hat es mit dem Duo Sänger-Dellwo, das ich immer noch faszinierend finde. Kürzlich habe ich erst wieder zwei ihrer Tatorte gesehen. Im Steier-Modus ist man dann etwa auf dem Niveau geblieben, konnte aber keine Kontinuität reinbringen, weil nacheinander die Schauspieler absprangen. Marita Broich und Wolfram Koch sind eine Nummer konservativer, daran führt nichts vorbei. Während das bei Broich in „Fürchte dich“ gut kommt, wie sie immer so leicht erstaunt und gefasst und mit ihrer ganz eigenen Mimik und Tonlage durch dieses wahrhafte Höllenfeuer geht, hakt es bei Koch stellenweise. Das liegt aber auch daran, dass er mit Merle, dem Höllenenkelkind, interagieren muss und manchmal  rächen sich Drehbuchautoren an Darstellern, die sie nicht mögen, indem sie ihnen Sätze von wahrhaft statuarischer Simplizität und Sinnfreiheit in den Mund legen, die dann auch noch  hölzern gesprochen werden. Eigentlich ein Fail, fällt aber in so einer Horrorstory weniger auf als in einem subtileren Film.

Wenn eh schon so viele gewollt falsche Töne drin sind, kommt es auf ein paar mehr nicht an. Und ich will stark hoffen, dass der Film im Wesentlichen eine Parodie darstellen soll und sich selbst nicht ernst nimmt. Ein Problem tut sich bei solchen Annahmen allerdings immer auf. Es geht um einen wirklich tragischen Todesfall und es geht um Missbrauch, wieder einmal. Und die Szenen zwishen dem Arzt und der kleinen Helga waren die, die mich sofort berührt haben, da kann das Umfeld, können die Szenen zuvor oder danach noch so rabulistisch gefilmt sein. Dies ist ein Problem, ob man es in einem deutschen Fernehkrimi zulassen sollte, dass Traumata für solchen Billighorror verwendet werden. Diese Traumata gibt es sehr häufig und ich kann mir vorstellen, dass gerade Menschen mit eigenen Erfahrungen in dem Bereich Filme wie diesen nicht mögen. Unbewusst vielleicht, weil mit ihren Erfahrungen hier mehr oder weniger Schabernack getrieben wird, weil alles auf eine furchtbar banale Ebene gestellt wird.

Im Grunde ist das aber gar nicht so. Dieser ganze Horror, der nach außen wirkt, hat zwar Schaueffekte zwichen grausig und lächerlich, aber er verdeutlicht bloß, was in uns ist. Und das ist eine ganze Menge. Das ist viel mehr, als man in einem noch so fein konstruierten Psychothriller ohne Horror darstellen kann. Die Verbildlichung der Pein in schrägen Figuren und deren ewiger  Unrast kann durchaus kathartische Wirkung haben und für nicht Betroffene ist auch viel Spaß drin.

Ich hatte mir vorgenommen, so viel wie möglich zu lachen und mich in keiner einzigen Szene wirklich zu erschrecken, nachdem klar war, worauf es hinausläuft. Ersteres ging gut, Letzteres so lange, bis im Keller die Figur der toten Ex-Heimleiterin irgendwo auf dem Schrank saß und ohne vorheriges Augenrollen von Merle etc., also unangekündigt, nach einem Schnitt direkt auf den Zuschauer wartet. Und in einer anderen Szene, schon vergessen, weiche, hatte ich einen inneren Schauer und die Härchen auf den Armen stellten sich auf. Geht doch. Zumindest bei jemandem, der dieses Genre und den ganzen Horror-Splatter nicht täglich konsumiert.

Dass die Effekte manchmal sehr übertrieben sind, nehme ich also zur Ironie im Film. Das Haus, das voll in Flammen steht, obwohl man es noch durchlaufen kann und auf dem Dachboden lustig weiter die Bretter aufgerissen werden, bis das Spielzeugpferd zutage kommt, das ist zum Beispiel arg komödiantisch an die Tricktechnik wirklich alter Filme angelehnt. Ebenso die Idee, mit dem Gartenschlauch das Feuer so weit zu bändigen, dass man gemütlich wieder zum Dachboden spazieren kann, wenn das Drehbuch es erfordert,  nachdem zuvor schon der „Vollbrand“ gezeigt wird. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob das wirklich alles bewusst so schräg inszeniert wurde.

Wenn man die Handlung von all den Horroreffekten befreit, ist sie aber verblüffend logisch, auch wenn es schwer wäre, das damalige Geschehen zu rekonstruieren und auszuermitteln,  zumal es ja um verschiedene Tatbestände geht und der Arzt, der den Tod des 7-jährigen Mädchens verursacht hat, nie zu belangen gewesen wäre. Umso mehr trifft das auf seine Nachkommen zu, die den Ort beherrschen, so, wie der Arzt sich der ihm anvertrauten Heimkinder bedient hat, um sie sexuell zu missbrauchen. Eigentlich sind diese knapp angerissenen Hintergründe sehr sinnig und auf mich wirkt das Ganze, als habe man dieses Szenario bereits angelegt und sich dann entschlossen, ihm durch die Horrorelemente eine derzeit in der Tatort-Reihe noch ungewöhnliche Richtung zu geben. Möglich auch, dass man sich festgefahren hatte oder nicht genug Stoff vorhanden war und dabei dann die Erweiterung um die vielen ausführlichen Gruselszenen zustande kam.

Finale

Vielleicht kann man diesen Film wirklich nur sehr mögen oder total doof finden. Ich versuche trotzdem, die eigene Bewertung etwas differenzierter zu gestalten. Eine 10 ist der Film nicht, die habe ich bisher auch erst für einen einzigen von über 600 angeschauten Tatorten vergeben (das ist nach über 1.100 so geblieben, Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung). Aber ich fand ihn spannend und auch witzig, obwohl er einen Übergriff zu einem ernsten Thema darstellt, in dem doch die Showeffekte zu deutlich überwogen. Dafür habe ich gemerkt, wie weit ich  mit den Horrorklassikern inzwischen vorangekommen bin. Am meisten hat mich „Fürchte dich“ an „Das Grauen“ erinnert, auch wenn es dort um einen Rollstuhl ging und der Schaukelstuhl auf dem Dachboden nur vage darauf anspielt – aber am Ende geht das Haus auch hier in Flammen auf.

8/10

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2017)

Kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Andy Fetscher
Drehbuch
Musik
Kamera Benjamin Dernbecher
Schnitt
Premiere 29. Okt. 2017 auf Das Erste
Besetzung

Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Hinterlasse einen Kommentar