Briefing 178 | Welttag des Buches, öffentliche Bibliotheken in Deutschland, Teilhabe, Kultur, Literatur
Welttage gibt es fast so viele, wie das Jahr Tage hat, jedenfalls wirkt diese Praxis, bestimmte Tage bestimmten Themen oder Gruppen zu widmen, einigermaßen inflationär. Heute ist es jedenfalls ein wichtiger: der Welttag des Buches. Wir finden, jeder Menschen sollte mindestens ein Buch und vielleicht ein Ersatzbuch besitzen, falls dem Erstbuch etwas passiert.
Wie aber sieht es mit der Möglichkeit aus, Bücher zu lesen, ohne sie gleich ins Eigentum übernehmen zu müssen? Die Statista-Grafik zum heutigen Welttag des Buches gibt Auskunft:
Infografik: Deutschlandweit 9,8 Büchereien je 100.000 Einwohner:innen | Statista
Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Die Anzahl der öffentlichen Bibliotheken in Deutschland hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgenommen. 2021 hat es rund 8.155 Büchereien in der Bundesrepublik gegeben, 2010 waren es noch 9.898 – der Rückgang beträgt etwa 17,6 Prozent.
Laut Daten der Deutschen Bibliotheksstatistik (DBS), stehen mit etwa 1.842 die meisten öffentlichen Bibliotheken in Bayern, gefolgt von Nordrhein-Westfalen (1.566) und Baden-Württemberg (1.126). Damit befindet sich rund ein Drittel der Büchersammlungen im Süden Deutschlands. Die geringste Anzahl öffentlicher Büchereien weisen die Stadtstaaten Bremen (14), Hamburg (37) und Berlin (75) vor.
Auf die Einwohnerzahl gerechnet steht jedoch Rheinland-Pfalz an der Spitze der Bundesländer – etwa 14,3 Bibliotheken stehen hier je 100.000 Einwohner:innen zur Verfügung. Bayern liegt knapp dahinter mit etwa 14 Büchereien je 100.000 Personen. Viele Bewohner:innen und nur wenige Einrichtungen führen bei den Stadtstaaten zu den geringsten Werten.
Diese sind allerdings besser besucht als in den großen Bundesländern. Hamburg ist Spitzenreiter im Bundesländerranking mit etwa 1,5 Bibliotheksbesuchen pro Einwohner:in im Jahr. Dabei werden pro Person ganze 6,3 Bücher, DVDs oder andere Medien ausgeliehen – etwa zwei Medien mehr als im zweitplatzierten Bremen. Am wenigsten genutzt wird der Service der Bibliotheken im Saarland (0,31 Besuche pro Jahr). Pro Einwohner:in werden hier etwa 1,3 physische oder virtuelle Medien ausgeliehen.
In Zeiten des Internets und mit der ubiquitären Verfügbarkeit von Büchern durch Dienstleister wie Amazon, sind Bibliotheken in Deutschland für die meisten Menschen obsolet geworden. Allerdings bieten die öffentlichen Büchereien besonders einkommensschwachen Personen einen Zugang zu Medien und Bildung. Das Sterben der Bibliotheken trifft also vor allem die finanziell Schwächeren der Gesellschaft. Der Großteil der hauptamtlich geleiteten Bibliotheken ist in öffentlicher Hand, bei den neben- beziehungsweise ehrenamtlich geführten Stellen ist die Katholische Kirche der häufigste Träger. Der Staat sollte daher bemüht sein, die Anzahl der Bibliotheken nicht noch weiter sinken zu lassen.
Die Versuchung liegt nah. Wenn man die Berliner Zahl von einer Bibliothek auf 50.000 Einwohner sieht, zu schreiben, eh wurscht, wer kann in Berlin schon (richtig) lesen? Aber das stimmt so natürlich nicht. Unser Blick fiel alsbald auf Hamburg. Dort ist die Zahl der Büchereien pro Einwohner fast exakt gleich niedrig wie in Berlin. Hamburg ist für uns immer noch eine ausgewiesene Bücher- und Medienstadt, dementsprechend liefert die Zahl der ausgeliehenen Trägermedien die Erklärung: Es sind in den Großstädten pro Einwohner mehr als auf dem Land. Peinlich hingegen die Zahl der ausgeliehenen Medien in unserem Heimatbundesland. Vielleicht ist es aber mit den Büchern dort wie mit den Häusern und Wohnungen: Es wird fast immer gekauft, selten gemietet. So recht glauben mögen wir an diese Erklärung aber nicht. Zumindest nicht in Form der Hauptursache für die geringe Frequentierung der öffentlichen Büchereien.
Die „ubiquitäre Verfügbarkeit“ in Form günstiger E-Books, Gedrucktes gab in Buchhandlungen immer schon schnell und in sehr großer Auswahl zu erwerben, mag durchaus eine Rolle bei der Abnahme der Bibliothektsbesuche spielen. In Deutschland gilt für gedruckte Bücher immer noch die Buchpreisbindung und sie sind daher im internationalen Vergleich teuer. Ob das so richtig ist oder nicht? Es lassen sich Argumente pro und contra Preisbindung finden. Wir tendieren eher zu der Ansicht, wer keine 10 Euro für ein Taschenbuch übrig hat, auch keine 5 Euro dafür ausgeben wird.
Wir sagen auch voraus, dass die Bibliothekennutzung weiter abnehmen wird, denn je jünger die Menschen, desto weniger lesen sie. Grob und überschlägig betrachtet, versteht sich, aber ein Trend ist es eben nicht gerade, sich in der Freizeit mit dem geschriebenen Wort zu befassen.
Das heißt auch, das Publikum für die Bibliotheken wird weiter schrumpfen und mit ihm die Zahl der öffentlichen Büchereien. Was Ursache ist und was Wirkung, dazu haben wir ebenfalls eine klare Meinung: Das Bildungssystem und die Elternhäuser junger Menschen sind das Problem, das Sterben der Bibliotheken eine Folge. Nicht umsonst ist in Bayern die Bibliothekendichte so hoch. Es hat natürlich mit der vergleichsweise guten finanziellen Ausstattung des Bundeslandes zu tun, aber auch damit, dass es dort nicht so viele Menschen gibt, die mit Lesen und Schreiben rein gar nichts am Hut haben, wie beispielsweise in Berlin. Die Hauptstadt profitiert außerdem davon, dass es hier so viele Menschen von außerhalb gibt, die sesshaft geworden sind. Sie profitieren – wie auch wir – von dem Glück, nicht das Berliner Bildungssystem durchlaufen zu haben. Die vielen Zuzis dürften die literarische Durchdringung der Stadt, wie die kulturelle im Ganzen, deutlich anheben. Bei deren Kindern wird die Vererbung dieser Skills davon abhängen, ob die Eltern, auch dank der besseren Bildung, das Geld für teure Privatschulen erübrigen können.
Womit wir bei einem Thema sind, das im Statista-Text nicht unerwähnt bleibt: dass das Bibliothekensterben vor allem die Ärmeren betrifft. Wir meinen: Es betrifft vor allem die Teilmenge „arm und literarisch interessiert“. Diese Menschen, die vielseitig, aber finanziell nicht gut aufgestellt sind, haben es in keiner Hinsicht leicht. Zu den Mangelerscheinungen, mit denen sie konfrontiert sind, zählt, dass ihre kulturellen Bedürfnisse nicht befriedigt werden können. Dies wiederum ist Teil eines Mangels an Teilhabemöglichkeiten aller Art, der mit der zunehmenden Verarmung des unteren Drittels der Einkommenspyramide immer gravierender wird.
TH