Briefing 181 | Wirtschaft, Bauen, Wohnen, Berlin, Giffey
Heute Morgen fragte der Berliner Tagesspiegel im Checkpoint schelmisch nach der Meinung der Leser:innen.
Das Hauptstadtmedium beschäftigte sich mit dem Wechsel von Franziska Giffey vom Amt der Regierenden Bürgermeisterin zur Wirtschaftssenatorin in Berlin und stellt die Frage, ob sie damit ihrer Verantwortung für den Wohnungsbau ausweicht, der ein großes Problem für die Stadt darstellt. Er deutet an, dass sie sich lieber mit der erfolgreichen Wirtschaft identifizieren möchte, als mit den fehlenden Wohnungen und hohen Mieten. Er fordert die Leser auf, sich eine eigene Meinung zu bilden. Haben Sie eine Meinung? Lesen Sie bitte erst unseren folgenden Artikel.
So schlecht, wie sie von der Opposition dargestellt wurde, war die Wohnungsbaupolitik der rot-rot-grünen Koalition nicht. Die Zahl der gebauten neuen Einheiten erreichte bis zu 19.000, das war nur knapp am Ziel von 20.000 neuen Wohnungen im Jahr vorbei – unter widrigen Umständen, besonders seit Corona. Bei der Mietenpolitik sieht es anders aus und wenn nun ein CDU-Bausenator dafür verantwortlich sein sollte, was man nicht ausschließen darf, werden die Mieter:innen in der Stadt vollends lost sein.
Da kommt die Nachricht von den einbrechenden Aufträgen im Baugewerbe gar nicht gut, denn allein die Nachrichten werden dafür sorgen, dass die Vermieter weiter an der Schraube drehen wollen, die schon in den letzten Jahren deutlich überdreht wurde. Dass das Gewinde dabei zerstört wird, ist nicht zu befürchten, solange immer neue Sondersituationen für einen immer weiter angespannten Wohnungsmarkt in Berlin sorgen.
Die Grafik, die wir gleich zeigen werden, spiegelt die bundesdeutsche Situation. Aber gerade für Berlin ist sie von großer Bedeutung. In einigen Teilen des Landes fand in den letzten Jahren mehr Bautätigkeit statt, als angesichts der dortigen Bevölkerungsentwicklung notwendig gewesen wäre, was zu Leerständen führen wird, wenn sich diese Entwicklung nicht entscheidend ändert. In Berlin ist trotz der Bemühungen der vorherigen Regierungen ab 2017 und ab 2021 das Gegenteil der Fall. Außerdem hängt die Mietpreisentwicklung, anders als es die Simplifizierer aus dem neoliberalen Lager den Menschen weismachen wollen, nicht nur von der Stärker der Bautätigkeit ab.
Keine Bautätigkeit macht die Lage aber nicht besser und die Sorgen wachsen, dass der Druck auf den Mietenkessel weiter ansteigen wird. Da nun auch die allgemeine Inflation deutlich anzieht, werden immer mehr Menschen in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Gleiches gilt natürlich auch für jene, die bauen wollen. Wir kommentieren das noch einmal kurz unterhalb des folgenden Infotextes:
Infografik: Wohnungsbau-Branche brechen die Aufträge weg | Statista
Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Immer mehr Wohnungsbauunternehmen melden abgesagte Aufträge. Aktuell melden 16 Prozent der Unternehmen abgesagte Aufträge, nach 14,3 Prozent im Februar und 13,6 Prozent im Januar. Das geht aus einer Umfrage des ifo Instituts hervor. Laut Ifo-Experte Felix Leiss spitzt sich die Situation im Wohnungsbau immer weiter zu. „Infolge der rasant gestiegenen Baukosten und der höheren Finanzierungszinsen rentieren sich viele Wohnungsbauprojekte nicht mehr, werden verschoben oder ganz gestrichen. Das Neugeschäft bricht förmlich ein und die Zukunftssorgen in der Branche sind groß“, so Leiss.
Aktuell melden außerdem bereits 25,5 Prozent der Unternehmen einen Auftragsmangel, nach 23,4 Prozent im Februar. Vor einem Jahr, im März 2022, betrug der Anteil nur 8,6 Prozent. Zwar hätten viele Unternehmen noch gut gefüllte Auftragsbücher, was den Effekt auf die Bautätigkeit derzeit noch abmildern würde. Der Auftragsvorrat werde die wachsende Lücke bei den Neuaufträgen aber nicht ewig füllen können. Die Krise scheine für viele Betriebe unausweichlich.
Die Unsicherheit der Branche habe mehrere Gründe, sagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des deutschen Baugewerbes (ZDB). „Wir haben Corona- und kriegsbedingt deutliche Materialpreissteigerungen. Die Bauzinsen haben sich verdreifacht. Hinzu kommt die hohe Inflation.“ Dies beträfe vor allem den Bau von Einfamilienhäusern und Mietwohnungen, aber auch Gewerbeimmobilien und Infrastrukturvorhaben wie Straßen und Kanalisationen in Städten und Gemeinden.
Die Baubranche kennt das Auf und Ab seit vielen Jahrzehnten. Im Grunde, seit der erste Nachkriegs-Bauboom ein Ende fand. Wir erinnern uns noch gut, dass wir uns letztlich auch gegen ein Architektur-Studium entschieden hatten, weil gerade Flaute am Bau war, als wir hätten anfangen können. Dann kam die Wende und der nächste Bauboom. Wer hätte das ahnen können? Ein paar Jahre später Katerstimmung mit vielen total am Bedarf vorbei erstellten Immobilen, die unter anderem die Steuerspargier der Bessergestellten befriedigen sollten. Seit dem Beginn der 2010er zieht es wieder an bzw. zog an und wurde erst einmal durch Corona, jetzt durch die Preis- und Zinsexplosion gebremst.
Zinsexplosion? Wie andere Branchen, hat die Bauindustrie sich die Droge Nullzinspolitik zu sehr einverleibt. Es ist klar, dass ein Bauzins von 2 Prozent das Dreifache darstellt von ca. 0,7 Prozent, was es zwischenzeitlich tatsächlich gab. 2 oder 3 Prozent sind aber ganz normal, wenn die Banken an den Krediten auch noch ein bisschen verdienen wollen, die sie ausgeben. Bei einer Inflation von fast 10 Prozent ist das aktuelle Zinsniveau vielmehr immer noch sehr niedrig. Uns tun die Menschen leid, die zu mega-günstigen Ausnahmekonditionen gebaut haben und irgendwann eine Anschlussfinanzierung brauchen. Da werden einige Immobilien günstig auf den Markt kommen, sofern es keine Miethäuser in Hotspots wie Berlin sind. Dass es hier bei den Kaufpreisen für Immobilien überhaupt zu einer Art Moratorium gekommen ist, das bald auslaufen wird, liegt aber tatsächlich daran, dass die Finanzierungszinsen gestiegen sind, nicht etwa an schlechteren Mietrendite-Aussichten.
Wenn die Bauindustrie in den nächsten Jahren Kapazitäten abbauen sollte, wäre das hingegen nicht das erste Mal. Dieser Umstand war auch das Hauptproblem bei der Umsetzung der Bauziele des rot-rot-grünen Senats in Berlin: Es gab mehr Baugenehmigungen, als die ansässigen Firmen bewältigen konnten. Insbesondere bei öffentlichen Ausschreibungen kann man auch nicht sagen, wir nehmen halt ein Unternehmen, das ein bisschen teurer ist, dafür aber Kapazitäten frei hat.
Die Rohstoffpreise sind in der Tat ein Problem, das die hiesige Politik und das die privaten Bauherren gar nicht steuern können, weil sie größtenteils importiert werden. Es wird wohl ein bleibendes Problem werden, denn hier geht es zum Teil um Ressourcen, die nicht unendlich sind und mit denen im Grunde viel vorsichtiger umgegangen werden müssen, als das bei anhaltend hoher Bautätigkeit der Fall sein kann.
Es wirkt seltsam, dass bei einer annähernd gleichbleibenden Bevölkerungszahl in Deutschland der Wohnungsmangel nie endet. Die Hintergründe sind aber schon ein Fall für die Vertiefung: Warum wird, gerade in Berlin, so viel am Bedarf der meisten Menschen vorbeigebaut, die hier leben? Bei der Frage des Wie fängt das Nachdenken eigentlich erst an. Wenn man diese Frage beantwortet hat, wird man zu der erstaunlichen Einsicht kommen, dass gar nicht zu wenig, sondern falsch gebaut wird. Tut uns leid für die Bauwirtschaft, aber bauen ist nicht gleich bauen und was heutzutage gebaut wird, verbraucht zum Teil unnötig Flächen, verbraucht Energie in jeder Bedeutung des Wortes und heben den CO2-Ausstoß.
Mit dem Politik-Ausstoß von Franziska Giffey werden wir in dieser Stadt ohnehin weiter leben müssen. Wie mit der #Rückschrittskoalition, die auch das Bauen auf Basis der frühen 1990er denkt, ohne alle neueren stadtplanerischen, bauökologischen und gesellschaftlichen Aspekte, die mittlerweile ein Umdenken erfordern.
TH