Briefing 183 | Wirtschaft, Automobilindustrie, Verlagerung, Veränderung | Umwelt, Klima, Verkehrswende
Wir wollen den Individualverkehr zugunsten der Zukunftsfähigkeit dieser Zivilisation einschränken. Insofern könnte man es als erfreulich ansehen, wenn in Deutschland die Automobilproduktion zurückgeht. Schon diese zwei Sätze legen das ganze Dilemma offen, das wir im Folgen kurz anreißen werden und das nicht nur für die Produktion von Kraftfahrzeugen gilt.
Zunächst aber zur schnellen Orientierung der richtige Einstieg mit einer Statista-Grafik, die das Problem bereits zeigt. Sie bildet nämlich nicht die gesamte Welt-Autoproduktion in Zahlen ab, sondern die Anteile verschiedener Länder daran. Zu den Gesamtzahlen kommen wir später.
Infografik: Diese Länder produzier(t)en die meisten Autos | Statista
Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Die meisten Autos rollen heute in China vom Band. Wie die Statista-Grafik auf Basis von Daten der internationalen Automobilherstellervereinigung OICA zeigt, hat sich die Reihenfolge im Ranking der Länder mit der höchsten Anzahl an produzierten Pkw über die Jahre deutlich verändert. So tauchte China im Jahr 2002 noch gar nicht in den Top 10 auf und rangierte damals an Position 14. Zehn Jahre später liegt China bereits an Position eins und hat sich hier seitdem gehalten. China produziert jährlich derzeit rund 24 Millionen Autos, Japan hingegen rund 7 Millionen, gefolgt von Indien (3,48 Mio. Pkw). Deutschland folgt auf Position vier mit zuletzt 3,44 Millionen produzierten Pkw. Im Jahr 2002 lag Deutschland mit 5,12 Millionen Pkw noch an Position zwei.
Die Produktionszahlen in China sind nicht zuletzt deswegen so rasant gestiegen, weil die gesamte Automobilbranche einer starken Internationalisierung unterworfen ist und deutsche Hersteller wie die Volkswagen AG ihre Produktion in China immer mehr ausweiten. Auch die Daimler AG und die BMW Group haben sich in den letzten Jahren immer mehr China zugewendet. Die elektrisch angetriebenen nächsten Versionen ihrer Kleinwagenserien Mini und Smart etwa bauen sie mit Partnern in China. Von dort exportieren sie sie in die ganze Welt. Werke in Europa haben das Nachsehen und mit der Produktion wandert auch Know-how ab. Deutsche Hersteller gehen mit chinesischen Unternehmen so genannte Joint Ventures ein, bei denen in der Regel ein Technologietransfer inkludiert ist.
Wir gliedern unseren Kommentar heute einmal in ein paar Punkte auf:
- Die US-Produktionszahlen sinnvoll darzustellen, scheint immer wieder ein Problem zu sein. Nicht die wenigen Autos von dort, die bei uns als klassische PKW gelten, sind der Maßstab, sondern die Zahlen inklusive der dort beliebten und dominierenden Light Trucks, und die liegen so hoch, dass die USA immer noch auf Rang 2 bei den Gesamtproduktionszahlen einnehmen. Allein der Marktführer Ford F 150 wird fast so häufig verkauft, wie oben die Gesamt-Produktionszahlen für die USA betragen. Mit etwas Pech fällt dann die überwiegende Produktion von dort, insbesondere die spritfressenden und schweren Minitrucks, aus der Berechnung, wenn es um die Welt-Gesamtzahlen geht. Andere Zahlen beim VDA für 2021: Automobilproduktion | VDA, aber auch die von Statista verwendete OICA-Werte weisen diese Verscheibung bei der US-Produktion hin zu Produkten aus, die hierzulande als PKW gelten würden: Statistik 2022 | www.oica.net.Nach diesen Zahlen würden die USA heute immer noch auf Platz 2 stehen, wie schon vor 20 Jahren.
- Dass China längst vorne ist, wissen wir, dass Indien Deutschland überholt, war zumindest auf Sicht zu erwarten. Dass es so schnell gegangen ist, liegt auch an den starken Rückgängen in Deutschland. Diese hatten wir so nicht erwartet. Die Produktion deutscher Marken und Konzerne hingegen hat kaum abgenommen. Fast drei Viertel der Produktion wird aber mittlerweile im Ausland hergestellt. Und hier gibt es eine dramatische Verschiebung. Im Jahr 2016, das hatten wir seinerzeit besprochen, war der Punkt erreicht, an dem deutsche Automobilkonzerne mehr Fahrzeuge im Ausland als im Inland produziert haben. Innerhalb von nur sechs Jahren ist die heimische Produktion von 50 Prozent auf 25 Prozent dessen gesunken, was deutsche Autohersteller auf die Straßen bringen.
- Über viele Jahre hinweg wurde zwar im Ausland Produktion aufgebaut, führte in Deutschland aber nicht zu wesentlich sinkenden Produktionsziffern. Das ist seit Mitte der 2010er anders und nicht etwa den Einbrüchen wegen der Corona-Pandemie (alleine) geschuldet. Das ist eine langfristige, nach unserer Ansicht vorerst nicht umkehrbare Entwicklung. Dass in Deutschland vor allem die teuren Modelle produziert werden, hält die Wertschöpfung noch einigermaßen aufrecht, aber wenn der Trend so weitergeht, wird auch diese Produktion abwandern.
Damit sinkt natürlich die Macht der Autohersteller, damit gehen aber auch viele wertvolle Arbeitsplätze verloren. Das wurde lange vorhergesagt, der Elektroboom wird diesen Wandel beschleunigen. Wir halten diesen Boom für gefährlich, wegen des gleichbleibend hohen Ressourcenverbrauchs und wegen des rapide ansteigenden privaten Stromverbrauchs.
Es ist ähnlich wie mit dem CO2-Ausstoß, und darauf wollten wir hinaus: Schön, dass der jahrzehntelange Autoboom etwas abebbt. Stimmt aber so nicht. In anderen Ländern werden immer mehr Kfz hergestellt, genau, wie z. B. China immer mehr CO2 ausstößt. Auch aufstrebende Industrieländer wie Indien werden vorerst nicht „sauber“ produzieren können. Es bringt dem Klima, bringt der Umwelt, global gesehen, überhaupt nichts, wenn Deutschland rapide deinustrialisiert wird und die Produktion woanders stattfindet.
Der Mangel an strategischer Wirtschaftspolitik hat außerdem dafür gesorgt, dass in Deutschland keine neuen Industrien mit gleich hoher Wertschöpfung entstehen wie die Autoindustrie, aber sauberer im Sinne des Betriebs der dabei entstehenden Produkte oder Dienstleistungen sind. Wirtschaftswachstum durch Inflation zu erzeugen, ist hingegen gar keine Alternative, zumal das reale BIP dadurch nicht steigt. Dass deutsche Konzerne gigantische Gewinne mit ihrer Mischstrategie aus Verlagerung ins billigere Ausland und hier nur noch Luxusautos herstellen einfahren, ist erfreulich für die Aktionär:innen, aber ein industriepolitisches Desaster für das Land, zumal immer mehr Hersteller sich aus dem wenig lohnenden, aber ökologisch sinnvollen Kleinwagensegment verabschieden und Elektroautos wesentlich teurer sind als Verbrenner.
Bisher jedenfalls. Das bedeutet, dass der Wandel wieder einmal zu Lasten der weniger Betuchten geht, während sich die üblichen Protzkoffer nun E-SUVs für 100.000 Euro mit 500 PS und mehr gönnen. Kein Wunder, dass man den Eindruck hat, es sind immer mehr große und teure Autos unterwegs. In Berlin ist dieser Trend ganz eindeutig zu beobachten, seit wir vor 15 Jahren hierhergekommen sind. Vor allem am späteren Abend, wenn die nicht so Begüterten eher zuhause bleiben (müssen), sieht man fast nur noch die notabene freie Fahrt für freie Profiteure sämtlicher Schieflagen dieses Systems.
Bisher hat es trotz aller Einbrüche noch geklappt, den Industrieanteil an der Bruttowertschöpfung in Deutschland über 20 Prozent zu halten (23,5 Prozent im Jahr 2022), wie von der EU als Richtwert anvisiert. Anteil der Wirtschaftszweige an der Bruttowertschöpfung in 2022 | Statista. Das hat uns wiederum positiv überrascht, weil er schon seit Jahren nicht höher liegt, während in den 1970ern Werte zwischen 40 und 50 Prozent üblich waren. Die meisten EU-Länder schaffen diesen Anteil nicht mehr. Die Menschen leben teilweise sogar besser, aber man muss immer die privaten und staatlichen Schuldenstände mit in den Blick nehmen, wenn man solche Aussagen trifft. Wenn es ungünstig läuft, wird das Medianvermögen in Deutschland weiterhin so erschreckend niedrig bleiben wie bisher oder weiter sinken und zusätzlich muss das Land für die industriepolitischen eigenen Fehler sowie für die anderer Länder einen hohen Tribut zahlen.
Man darf nicht jeder Katastrophisierung seitens der Industrie auf den Leim gehen, die aus durchsichtigen Gründen erfolgt, aber die Produktionszahlen lügen nicht. Und es steht zu befürchten, dass eine der technologischen Kernkompetenzen aus Deutschland abwandert, die auf weitere Industrien Einfluss haben wird. Zuletzt gab es eine so deutliche Verschiebung während des industriellen Aufstiegs Japans, aber der ist längst Geschichte und es ist kein Problem, dass ein Riesenland wie China eine um ein Mehrfaches größere Volkswirtschaft als Deutschland hat. Aber wir sind hier nach wie vor darauf angewiesen, dass etwas Industrie erhalten bleibt, denn im Dienstleistungssektor oder bei IT-Technologien aller Art ist Deutschland nun einmal schwächer als die USA und als viele andere Länder aufgestellt.
Wir sehen den rasanten Rückgang der hiesigen Autoproduktion nicht mit Freude. Vor allem, weil er mit einem Anstieg anderswo einhergeht und damit keinesfalls als Ergebnis einer sinnvollen ökologischen Transformation gelten kann.
TH