Briefing 189 | Gesellschaft
Am kommenden Sonntag ist Muttertag. Den Vatertag gibt es ja auch, aber soweit wir wissen, bekommen Väter an dem Tag eher selten Blumen geschenkt. Den Frauentag gibt es extra, der Vatertag heißt praktischerweise auch Herrentag und fällt mit einem kirchlichen Feiertag zusammen, der nicht überall in Deutschland gesetzlich ist, während der Frauentag bereits regional ein echter Feiertag ist, in Berlin zum Beispiel, der Muttertag fällt aber immer auf einen Sonntag.
Der Muttertag am 14. Mai und der Vatertag am 18. Mai, an Christi Himmelfahrt, kommen dieses Jahr sehr dicht hintereinander. Aber die Konsumwirtschaft es unseres Wissens noch nicht geschafft hat, den Vatertag zu einem Geschenke-Tag zu machen, beschränken wir uns auf den Muttertag und die Schnittblumen. Sind Schnittblumen noch zeitgemäß? Nun ja, darüber kann man verschiedener Ansicht sein. Aber dass die Ehrung von Müttern nie aus der Mode kommen sollte, das finden wir schon, aus sehr grundsätzlichen Erwägungen heraus. Zunächst aber die Grafik, die den Muttertag heraushebt, weil sich im Mai auch der Rosenimport aus dem Zahlen für den Rosenimport in den übrigen Monaten des Jahres deutlich heraushebt. Statista hat das Phänomen „Muttertagspeak“ genannt.
Infografik: Der Muttertags-Peak beim Rosen-Import | Statista
Jedes Jahr im Mai importiert Deutschland besonders viele Rosen. Hierbei dürfte der Muttertag eine große Rolle spielen, der hierzulande jedes Jahr am zweiten Sonntag im Mai gefeiert wird. Denn die Deutschen verschenken zum Muttertag am liebsten Blumen, wie diese Umfrage von Statista in Kooperation mit YouGov zeigt. Die wichtigsten Lieferländer von Rosen sind für Deutschland die Niederlande, Kenia und Sambia. Die aus den Niederlanden importierten Rosen wurden jedoch nicht alle dort gezüchtet – vielmehr sind die Niederlande ein großer Handels- und Umschlagsplatz für Rosen aus aller Welt. Größte Lieferländer sind hierbei ebenfalls Kenia, außerdem Ecuador, Äthiopien, Kolumbien oder auch Uganda, wie der Blick in die Statistiken des International Trade Centers zeigt.
Geschenke zum Muttertag sind in Deutschland nicht so weit verbreitet, wie man annehmen mag: Im vergangenen Jahr haben in einer YouGov-Umfrage lediglich 28 Prozent der Befragten angegeben, der eigenen Mutter ein Geschenk machen zu wollen. Immerhin 13 Prozent haben vor, die Mutter anzurufen oder ihr zu schreiben. 37 Prozent können der Mutter nichts mehr schenken, da sie zum Umfragezeitpunkt bereits verstorben war. Weitere 14 Prozent möchten nichts schenken, die Gründe hierfür wurden unter „Sonstiges“ subsummiert.
Fragt man hingegen die Mütter selbst, was sie sich zum Muttertag wünschen, stehen drei Dinge oben auf der Hitliste: Etwas mit der Familie unternehmen, gutes Wetter und kein Streit, wie diese Statista-Umfrage aus dem Jahr 2018 zeigt. Daran dürfte sich in den letzten fünf Jahren wenig geändert haben.
Kein Steit. Very nice. Fast wie an Weihnachten. Aber wo viel gestritten wird, klappt es auch an solchen Tagen oft nicht, mit dem Hausfrieden. Er ist ein natürlicher oder unnatürlicher Zustand, in dieser gesellschaftlichen Keimzelle des Lebens oder Gefängniszelle des Daseins. Auffällig ist der hohe Import im Jahr 2021, ebenso wie der niedrige des vergangenen Jahres. Dürfen wir ein wenig interpretieren?
2021 wurde den Müttern und den Frauen allgemein dafür gedankt, dass sie die Familie gut durch die Corona-Zeit bringen und man war mehr aufeinander konzentriert, vielleicht sogar achtsamer, und zwar das gesamte Jahr über, als in den „normalen Zeiten“. 2022 war bereits die Inflation am Rasen. Wie sich sie auf Rosen auswirkt, können wir als Nicht-Rosenkäufer nicht sagen, aber allgemein wurde bereits dort gespart, wo man besonders gut sparen kann. Bei Dingen, die keinen direkten Nutzwert haben. Man kaufte also weniger Rosen oder gar keine. Und steckte das Geld in etwas anderes. Wir wagen die Prognose, dass es beim Rosenimport 2023 auch nicht wirklich dolle aussehen wird, denn mittlerweile geht der gesamte Einzelhandelsumsatz wegen des immer größeren Lochs zwischen Teuerung und Einkommenssteigerungen zurück. Meist trifft es dann eben solche Dinge, wenn es eng wird: Man vereinbart sich irgendwie anders. Was auf den ersten Blick logisch und solidarisch erscheint, ist in Wirklichkeit ein Ausschleichen von Traditionen und schönen Momenten aufgrund zunehmender Armut. Das können wir nicht gutheißen, auch wenn wir nicht wirklich Schnittblumenfans sind. Hier geht es darum, wo überall so gespart werden kann, dass es vor allem anderen nicht so auffällt, vor denen man die Fassade aufrechterhalten muss, als Menschen außerhalb des engsten Familienkreises. Die werden eher weiterhin durchgezogen als ausgerechnet diese nicht ganz billigen Rosensträuße. Das ist natürlich eine überschlägige, pauschale Betrachtung, aber alle Statistiken beinhalten solche und solche Fälle.
Das Gesamtbild des Rosenimports war schon 2022 negativ und wir glauben nicht, dass sich daran im laufenden Jahr etwas ändern wird. Ganz sicher gibt es auch etwas wie Veränderungen durch natürlichen Wandel, etwa in der Form, dass Blumen als Botschafter für Liebe, Verehrung, Anerkennung bei jungen Menschen wohl nicht mehr so in sind, wie das vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg aufkam, als die Floristen den Menschen begreiflich machen, dass es an der Zeit ist, mit Blumen mehr zu sagen als mit tausend Worten, Blumen sprechen zu lassen, wenn man ein paar Mark übrig hat, und das funktionierte über lange Zeit recht gut und vererbte sich auch. Wir meinen aber, dass es auch hier einen Wandel gibt, zumal Blumen verschenken immer schon eher etwas Bürgerliches, vielleicht auch etwas der gehobenen Arbeiterklasse war und sich die Milieus, auch das bürgerliche, auch das der gut verdienenden Arbeiter:innen, immer mehr verzweigen, verwässern, verwischen. Und damit die milieugebundenen Traditionen.
Außerdem, und das ist eine simple Tatsache: Es gibt immer weniger Mütter in Deutschland, aufgrund der niedrigen Geburtenrate. Wir haben im vorherigen Satz noch schnell „dank“ durch „aufgrund“ ersetzt, denn da gibt es nichts zu danken. Das ist ein äußerst misslicher Tatbestand. Niemand von uns, nicht wir, die diese Gedanken aufschreiben, nicht diejenigen, die das lesen werden, könnten das tun, wenn ihre Mütter so gedacht hätten, und ihre Väter natürlich auch, wie Menschen heute oft denken.
Die Weigerung, weiteres Leben zu schenken, Menschen heranwachsen zu lassen, die dann später Rosen zum Muttertag verschenken können, ist zwar in allen fortgeschrittenen Gesellschaften unübersehbar, aber in Deutschland schon seit Längerem in besonderem Maße. Wir führen das auf eine ungute Einstellung der Menschen zu sich selbst aufgrund einiger Vorkommnisse in der deutschen Geschichte zurück. Den Unterschied zu prinzipiell ähnlichen Ländern in Europa, meinen wir. Nicht, weil es so wenige Kinder gibt, sondern wegen dieser Einstellung, die auch dazu führt, dass es so wenige Kinder gibt, hat die Gesellschaft dieses Landes eine entweder ziemlich kalte, herzlos wirkende oder, bei Minderheiten, auf eine schon wieder hypertrophe Weise Unbekannten gegenüber zugeneigte Prägung, die man auch als Ersatz für das, was im eigenen Leben fehlt, ansehen kann, wenn sie komplett undifferenziert ist.
Das ist ganz schön tricky und, wenn man genauer hinschaut, vielleicht gar nicht humanistisch. Denn letztlich müssen Gesellschaften auch funktionieren, um menschenfreundlich zu sein, und darauf achten wohl doch am meisten jene, die sich vorstellen, wie ihre Kinder und Enkel einmal in dieser Gesellschaft leben sollen. Deswegen sind wir auch prinzipiell skeptisch, wenn Kinderlose ein Land regieren, wie es bei Angela Merkel der Fall war und suchen nach Anzeichen für eine wenig visionäre Mentalität auch in der Politikgestaltung, bei solchen Personen. Bei Angela Merkel war es aber immer sehr einfach. Wir haben ihre Politik wegen deren Verschleppung von Problemen, die zu einer Hypothek für die nächsten Generationen wurden, kritisiert, seit der erste Wahlberliner startete, also seit zwölf Jahren.
Die Dauerkanzlerin hat die Zukunft in weiten Teilen regelrecht oder regelwidrig vergurkt, und zu viele fanden das ganz okay so und haben sie gewählt. Gewählt dafür, dass sie die Ruhe über den Fortschritt gestellt hat und den Fortschritt nur dann akzeptierte, wenn er ganz sicher mehrheitsfähig war, wie 2011 beim Atomausstieg und einige Jahre später bei der Ehe für alle, mithin, wenn ihr ein progressiver Move bei Wahlen nicht schaden konnte. Uns ist bis heute hingegen nicht klar, was diese Frau dazu angetrieben hat, ein Land zu regieren und es durch Stillstand zu regieren und zu verwalten.
Sicher waren auch bequeme Familienmenschen unter den Merkelist:innen, die Stimmung war auf Bestand ausgerichtet, es gab keinen Spirit for Future. Die Kanzlerin hat also im Grunde ganz opportunistisch so gehandelt, wie sie die Situation vorfand, nachdem niemand weitere Veränderungen à la Schröder wollte.
Also musste nach Jahren Fridays For Future kommen, das wir Müttern zu verdanken haben. Den Müttern der jungen Menschen, die dabei mitmachen. Diese Bewegung kam ziemlich spät.
Angela Merkel ist nicht mehr Kanzlerin, aber Olaf Scholz hat ebenfalls keine Kinder. Und ist auch niemand, der Menschen mitnehmen kann, um ihren Mut für eine zupackendere Art der Zukunft gegenüber zuzusprechen, als wir sie gegenwärtig sehen. Diese Gesellschaft treibt nicht an, sie wird getrieben. Auch, weil ein riesiger Berg von Alten zu wenigen Jungen gegenübersteht, die Veränderung wollen.
Schon seltsam, zwei Kanzlerpersonen hintereinander, die für die Zukunft eines Landes arbeiten sollten, aber keine Lust hatten, das auch persönlich zu tun. Das spiegelt recht gut, wie es in diesem Land insgesamt aussieht.
Selbstverständlich ist auch dies alles eine Gesamtbetrachtung. Es gibt ganz viele Umstände, die Kinderlosigkeit verursachen können, ohne dass das so geplant, gewollt, programmatisch war, whatever. Von Zeugungsunfähigkeit bis zur geschlechtlichen Identität reichen die sozusagen Verhinderungstatbestände, hinzu kommen missglückte Lebensplanungen von Menschen, die eigentlich schon gerne Kinder gehabt hätten, aber es irgendwie nicht aufr die Reihe bekommen haben, Familiensysteme aufzubauen. Solche Fälle sind ohnehin universell. Und wem es so gering, der sollte vor allem eines nicht tun: sich und anderen vorlügen, man sei aus Überzeugung kinderlos.
Zum Ausgleich für gewollte oder nicht gewollte Kinderlosigkeit gibt es in vielen Ländern nach wie vor Familien mit drei oder mehr Kindern. In Deutschland kaum noch. Nicht bei den „Biodeutschen“ jedenfalls, und schon gar nicht in dem mittelständisch-akademischen Milieu, das dringend den Nachwuchs für die Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Landes organisieren müsste. Ganz oben oder ganz unten sieht es manchmal noch etwas anders aus. Ganz oben, das ist zum Beispiel, wo Menschen mit durchschnittlichem Einkommen und den sogenannten Merz-Mittelstand verorten würden.
Vielleicht heißt der nächste Kanzler Friedrich Merz. Friedrich Merz hat mit oder von seiner Frau Charlotte drei Kinder. Ob diese alle schon eigene Privatjets haben, mit denen sie die Welt verpesten können? Man sieht, Kinder haben ist keine Gewähr dafür, dass man etwas besser macht, nichts ist zwangläufig. Es kann immer etwas, ja sogar alles schiefgehen. Dieses Risiko kann man nicht wegdiskutieren. Man kann das Lebensrisiko nicht auf allen Ebenen ausknipsen wie das elektrische Licht, wenn man seine Ruhe haben und schlafen will. Die Zukunft macht keine Pause, sie schreitet permanent voran.
Gerade deswegen ist der Gedanke, dass immer mehr Lichter für immer ausgehen werden, dass niemand sie weiterträgt, nicht schön. Er hat etwas Gespenstisches. Wer das anders sieht, der kann im Grunde nicht an Zukunftsprojekten mitarbeiten, die dazu führen, dass diese widerstandslos im Absinken begriffene Gesellschaft wieder stabilisiert und besser aufgestellt wird – weil er oder sie die Mentalität dazu nicht hat. Die Mütter haben ihren Teil grundsätzlich beigetragen, und dafür gebührt ihnen Dank. In Form von Rosen oder in welche Form auch immer. Vielleicht sogar durch dauerhafte Wertschätzung, die dazu führt, dass es wieder mehr Spaß macht, sich dieser großen Herausforderung zu stellen. Neues Leben schenken und es viele Jahre lang zu beschützen, bis dessen Träger:innen Rosen zum Muttertag schenken können. Und so vieles mehr.
TH