Sollte es mehr Sonntagsöffnungen für Geschäfte geben? (Civey + Kommentar) | Briefing 190 | Umfrage, Ergebnis

Briefing 190 | Wirtschaft, Gesellschaft, Umfrage, Ergebnis, Einzelhandel, Sonntage

Wir haben ja nun fast Sonntag, da bietet es sich an, Ihnen eine kleine Frage zu stellen, die den Sonntag oder die Sonntage betrifft, anhand einer Umfrage von Civey:

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie die Forderung der FDP, dem Einzelhandel mehr freiwillige Sonntagsöffnungen zu ermöglichen? – Civey

Begleittext aus dem Civey-Newsletter:

Die FDP will dem Einzelhandel mehr Freiheiten für Ladenöffnungszeiten geben. Das geht aus einer der Bild vorliegenden Beschlussvorlage für das FDP-Parteipräsidium hervor. Konkret wollen sie Geschäften ermöglichen, auch an Sonntagen zu öffnen. Die Entscheidung über die Öffnung würden sie aber den Läden selbst überlassen.

Mit der Initiative soll der Handel in Innenstädten und die deutsche Wirtschaft gestärkt werden. „Damit das Geschäft nicht dem Onlinehandel überlassen wird, sollte geprüft werden, welche Anpassungen notwendig sind, um mehr Sonntagsöffnungen […] zu ermöglichen“, heißt es in dem Dokument. Da viele Metropolen im Ausland ihre Geschäfte bereits jetzt sonntags öffnen, könnte Deutschland zudem im internationalen Wettbewerb aufholen, argumentierte der FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja letzten Herbst gegenüber der dpa. 

Sonntage sind gesetzliche Ruhetage, die nur in Ausnahmen, zum Beispiel begleitend zu einem Stadtfest, ausgesetzt werden dürfen. Die Gewerkschaft ver.di sieht in der Lockerung dieser Regel eine Bedrohung für den Schutz von Arbeitnehmenden im Handel. „Wenn es keinen Tag mehr gibt, an dem so viele Menschen wie möglich gleichzeitig frei haben, schränkt das die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben ein”, argumentiert die Gewerkschaft auf ihrer Website. Auch die Kirche steht dem Einkaufen am Ruhetag ablehnend gegenüber.

Wir haben dieser Umfrage auch deshalb einen Artikel eingeräumt, weil wir das Thema gut finden, um wieder einmal etwas zu demonstrieren, was mit der Aufstellung der Politik und der Lebenswirklichkeit in diesem Land zu tun hat. Klar, dass solch ein Vorschlag wieder einmal von der FDP kommt. Fast 30 Prozent der Abstimmenden sind auch klar dafür, fast 40 Prozent hingegen klar dagegen. Die übrigen etwas mehr als 30 Prozent sortieren sich zwischen den klaren Meinungen ein.

Die FDP will schlicht und ergreifend die Menschen im wörtlichen Sinne toujours, also tous les jours, alle Tage, jeden Tag auf Trab halten, damit niemand mehr Luft hat, über den neoliberalen Irrsinn des Ausquetschens der letzten Konsum- und Finanzialisierungsmöglichkeiten und nachzudenken. Die Argumente sind aber in diesem Fall so dämlich wie selbst bei der FDP selten.

  • Auch der Online-Handel liefert sonntags nicht aus, hat also keinen Vorteil davon, dass die Präsenzläden geschlossen sind.
  • Wenn kein Geld zum Ausgaben da ist, ist kein Geld zum Ausgeben da. Die FDP hofft wohl, dass die Sonntagsstimmung noch mehr Menschen dazu verleitet, auf Pump zu kaufen.
  • Es gibt aber keine Sonntagsstimmung mehr, wenn der Tag immer mehr wie alle anderen wird. Vermutlich dürfen dann, um wieder Gleichstand herzustellen, die Online-Händler auch sonntags ausliefern. Uns graut schon vor dem Lieferverkehr, der nicht mal einen einzigen Tag Pause macht, obwohl das gerade in Berlin absolut dringend notwendig ist. Auch der gesamte Verkehr um die Präsenzläden herum verstärkt sich natürlich, anstatt dass die Leute mal etwa Sinnvolles mit der Familie machen, Sport treiben oder einfach nur relaxen.
  • Was ausgegeben wird, verteilt sich also bloß auf mehr Tage, gewonnen ist damit gar nichts und ökologisch ist es auch Mist, weil der gesamte Ladenbetrieb länger laufen wird als bisher. Es war sicher sinnvoll, wie vor vielen Jahren bereits eingerichtet, unter der Woche länger zu öffnen und wohl auch samstags. Wir nutzen das in unserem Kiez auch und die Möglichkeit, Lebensmittel bis Mitternacht in einem ganz normalen Laden zu erstehen, ist grandios. Aber irgendwann muss mal eine Grenze für dieses hirnlose Immer-weiter-so gezogen werden.
  • Wer seinen Einkaufskram in sechs Tagen nicht erledigt kriegt, der schafft es auch in sieben Tagen nicht. Wir würden sogar die Sonntagsöffnungen vor Weihnachten wieder abschaffen. Kein Mensch arbeitet so, dass er nicht irgendwann von Montags bis Samstags mal einkaufen gehen kann.
  • Ob die Innenstädte als Kauf- und Begegnungsorte überleben werden, hängt ganz sicher nicht von der Sonntagsöffnung der Läden ab, sondern davon, wie der Präsenzhandel insgesamt im Vergleich zum Internethandel abschneidet. Und dabei gibt es eine klare Tendenz: Er wird weiter verlieren. Es liegt schlicht an der jderzeitigen Verfügbarkeit von wirklich allem online, die auch das größte Kaufhaus nicht gwährleisten kann. Wenn etwas wirklich ganz passgenau bestellt werden soll, man also exakt weiß, was man will und keine Beratung braucht, ist online  kaufen erste Wahl. Daran führt nichts mehr vorbei. Der Präsenzhandel muss sich also auf gute Beratung und gute Atmosphäre konzentrieren und auf Nischen. Das alles kostet aber und die FDP ist nicht gerade die Partei, die ganz vorne dabei ist, wenn es darum geht, Angestellte so zu bezahlen, dasss sie gerne einen hochwertigen Service leisten. Im Gegenteil. Hochwertigkeit ist im Einzelhandel insofern meist Fassade, dass selbst sehr teure Läden ihre Mitarbeitenden miserabel bezahlen.

Im Prinzip geht das, was die FDP will, wieder in dieselbe Richtung wie, dass die Reichen keine Steuern zahlen muss. Das Gemeinwohl bleibt an der schrumpfenden unteren Mittelschicht hängen und die Beschäftigten müssen künftig sieben Tage in der Woche auf Abruf bereitstehen, wenn sie im Einzelhandel beschäftigt sind. Erratische Schichtwechsel und bedingungslose Verfügbarkeit einer Person für alle Filialen in einer so großen Stadt wie Berlin sind eh schon üblich, wir haben das gerade wieder anhand einer uns bekannten Person mitbekommen, die in dem Bereich arbeitet. Aber die FDP sucht immer noch  nach weiteren Möglichkeiten, die Leute zu triezen (als Angestellte)  und zu verblöden (als Konsumenten).

Deswegen stimmt es auch, dass Menschen künftig noch weniger am gesellschaftlichen oder kulturellen Leben teilnehmen können oder werden. Nicht nur, weil sie animiert werden, auch sonntags noch in die Konsumtempel zu latschen, sondern im Fall der Angestellten, weil es noch mehr Unsicherheit bei der persönlichen Planung gibt als bisher, in diesem Fall die Wochenenden betreffend.

Aber klar, Sebastian Czaja ist ja ein Berlin kein Unbekannter, seine Einstellungen zu sozialen Belangen sind uns geläufig. Es wird mit dieser Partei wirklich immer schlimmer. Man denkt, das geht doch gar nicht. Doch, doch. Wir müssen uns an Ländern orientieren, in denen Arbeitnehmer:innen gar keine Rechte haben, sonst ist die FDP nicht zufrieden. Hoffentlich sagen die Gewerkschaften diesen Leuten mal, dass sie endlich auhören sollen, immer weitere schändliche Beiträge zur Zerstörung der Gesellschaft zu leisten. Wer jetzt trotzdem für die Sonntagsöffnung ist, dem sei gesagt, sie nützt vordergründig nicht einmal dem Kapital, denn, siehe oben, wo soll denn der Mehrumsatz in diesen Zeiten bitte herkommen?

Hintergründig ist es aber genau so: Je weniger die Menschen echte Pausen haben oder sich Zeit nehmen (können), mal übers Grundsätzliche unserer Lebensweise nachzudenken, desto besser für das Kapital und dessen Vertretung in der politischen Landschaft, der FDP. Oder sagen wir, bei ihr ist es nach wie vor am offensichtlichsten, wem allein sie dient.  

TH

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