Manhattan (USA 1979) #Filmfest 941 #DGR

Filmfest 941 Cinema – Concept IMDb Top 250 of All Time (116) – Die große Rezension

Etwas mehr Vertrauen in die Menschen, bitte!

Manhattan ist eine romantische Filmkomödie in Schwarz-Weiß von Woody Allen aus dem Jahr 1979.

Vielleicht ist dies Woody Allens bester Film, mindestens aber gehört er zu den besten drei oder vier Werken des Mannes, der sich inzwischen in allen möglichen Städten, auch Europas, bewegt hat, aber auch als Realperson ein echter New Yorker ist – und der seine Heimat und ihre Menschen besser filmen kann als alles andere. Nach Woodys wortgewaltigen Anfängen, aber oftmals ruppigen Inszenierungen ist „Manhattan“  ein komplettes, stilistisch ausgereiftes Stück Kino, das vor allem sehr vielschichtig ist.  Eine kleine Anmerkung: „Annie Hall“ haben wir erst nach „Manhattan“ angeschaut, daher ist er aus der Bemerkun über Allens Reifung auszuklammern, die sich wohl vor allem an „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten …“ orientiert hat, denn auch „Play it again, Sam“ haben wir erst nach „Manhattan“ gesichtet. Und damit weiter zur –> Rezension.

Handlung (1)

Woody Allen siedelt seine Geschichte im New Yorker Stadtteil Manhattan im Beziehungsdschungel neurotischer Intellektueller an: Isaac, ein Gagschreiber für TV-Shows, ist weder mit seinem Beruf noch mit seinem Privatleben zufrieden. Zwei gescheiterte Ehen hat er schon hinter sich, und auch seine Beziehung zu der 17-jährigen Tracy ist problematisch. Und dann verliebt er sich auch noch in Mary, die Geliebte seines besten Freundes. Zu diesem Tohuwabohu kommt noch, dass Isaacs Ex-Frau ein enthüllendes Buch über ihre gemeinsame Ehe veröffentlicht.

„New York war seine Stadt und würde es immer sein“ heißt es im Prolog des Filmes über Isaac. Mit ihm wandelt der Zuschauer im Central Park, besucht die Kunstmuseen und das Künstlerlokal „Elaine’s“. In den Totalen werden die Figuren in der Metropole an die äußersten Bildränder gedrängt und sind häufig kaum noch zu erkennen. Musikalisch unterlegt ist der Film u. a. mit der Rhapsody in Blue von George Gershwin.

Rezension

Ach ja, mit der Musik kann ein Film gar nicht verlieren. Oder?  Wir meinen, mit solchen Schätzen muss man verantwortungsvoll umgehen, und das hat Allen hier getan.

„Woody Allen schließt an seinen Oscar-prämierten Der Stadtneurotiker an und verbindet den scharfzüngigen Witz, mit dem die Lebenskrise eines amerikanischen Intellektuellen karikiert wird, mit einer poetischen Hommage an seine Geburtsstadt. Die nostalgische Musik von Gershwin und die stimmungsvolle Schwarzweißfotografie betonen mehr als in Allens früheren Filmen die melancholischen Untertöne seiner Komik.“– Lexikon des internationalen Films[2]

„In der Tat ist es erstaunlich, was aus dem Sprachkomiker Woody Allen im Laufe der Zeit für ein Regisseur geworden ist, welche Sicherheit, Lakonie des Handwerkers er sich angeeignet hat. Manhattan ist ohne Zweifel der Gipfel seiner Karriere, Manhattan ist Woody Allens Lichter der Großstadt.“ – Frankfurter Rundschau

Der Film wird doch als Romantik-Komödie apostrophiert, was ist daran vielschichtig? Zum Beispiel, dass der Begriff „Romantik-Komödie“ falsch ist. Zwar wird die Stadt New York romantisch in Szene gesetzt und beim Sitzen auf der Bank bei der Brooklyn Bridge, während die Nach heraufzieht, gibt Isaac verbal eine Lieberklärung für New York ab, die den Stil des Films, die Musik von Gershwin noch einmal mit einem Statement für alle unterlegt, die den Huldigungscharakter des Films nicht verstanden haben. Aber ist der Film deshalb eine romantische Komödie, in denen sich die Protagonisten am Ende auf dem Empire State Building zur finalen Vereinigung treffen? Das ist er gerade nicht. Er ist auch keine romantische Komödie mit satirischen Einsprengseln wie der ebenfalls mit deutlichem Akzent in New York spielende „Das Appartement“. Er ist auch keine Fortsetzung von „Der Stadtneurotiker“, den viele für Allens besten Film halten. „Manhattan“ ist unglaublich eigenwillig und hat nicht nur in Woody Allens Opus eine Sonderstellung.

Aber vielschichtig ist er nach der Beschreibung noch nicht. Dann stellen wir uns jetzt vor, es gibt eine gewaltige Stadt, kulturell noch heute, fünfunddreißig Jahre nach dem Entstehen des Films, die Metropole mit der meisten intellektuellen Power weltweit, und darin gibt es Leute wie Woody Allen, die ein romantisches Layout für einem Film schaffen, dessen Inhalt zutiefst anti-romantisch ist. Es geht nicht um Sehnsüchte und Nichterfüllung, es geht nicht um die finale Vereinigung nach langer Entbehrung, es geht nicht darum, etwas mit Macht zu ersehnen und zu erringen, um große Träume und kleine Wirklichkeiten, sondern um eine Ansammlung von Typen, die bei genauer Betrachtung eine ganz ätzende Art haben, Intellektualität vorzugaukeln und auch im emotionalen Bereich alles andere als versiert wirken.  Passt zusammen. Allen sagt es mindestens zweimal, es ist einer der Schlüsselsätze des Films: Als er in einer der beiden Szenen seinem Freund Yale vorwirft, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, ist er nah bei allen Figuren, auch der von Isaac, den er selbst spielt.

Die Menschen, die wir hier sehen, wohnen im kulturellen Zentrum der USA und haben Jobs, die sie mit Größen des Kulturlebens zusammenführen, aber sie sind nicht erwachsen und spielen Pingpong mit Gefühlen und Optionen auf Beziehungen und alles wirkt so komisch, weil Woody Allen sich einer grandiosen Technik bedient, die uns die Möglichkeit gibt, an dem Film teilzuhaben – anders gesagt, er wendet sich nicht nur an eine gewisse Insider-Elite. Der Trick ist einfach: Woody Allen lässt seine Schein-Intellektuellen über Kunst auf eine Weise diskutieren, die uns sofort deutlich macht, hier werden Phrasen gedroschen, mit tieferem Einsteigen in die Bedeutung von Kunst hat das nichts zu tun, und gerade auf diese Weise erinnert es fatal an Kunstkataloge und Statements von Kunstkritikern, denen wir misstrauen sollten, wie uns Woody Allen hier deutlich macht. Außerdem geht es immer um die ganz Großen der Malerei, der Musik, weniger der Literatur interessanterweise – die wir aber meist kennen. Nur ab und zu fällt ein Name, über den wir nachdenken müssen, bei dem wir nicht sofort ein Bild sehen oder Töne in uns hören. Ab und zu ist okay, das steigert die Wirkung und wirkt so kenntnisreich, auch mal Namen einzutreuen, die nicht jedem ein Begriff sind. Schrullige Statements über anerkannte Weltklassiker wie Van Gogh und Mozart aber regen genau das in uns an, was Allens Figuren spiegeln, und das ist wirklich tricky: Eine oberflächliche Intellektualität, eine gewisse Bildung, die nichts mit dem tiefen Erfahren von Kunst zu tun hat, zu dem, sagen wir’s offen, nur die wenigsten Menschen in der Lage sind. Dazu braucht man eine sozusagen unsterbliche künstlerische Seele, die haben aber die wenigsten, auch in New York ist das nicht anders. Oder all diese Größen sind massiv überbewertet, weil sie extrentisch waren. Das wäre natürlich auch eine Deutungsmöglichkeit. An sie würde sich aber die Assoziation anschließen, ob die Kritiker und Ätzer nicht ihre eigene Mittelmäßigkeit spüren und große Kunst deshalb klein zu machen versuchen.

Wir sind hin und wieder in Museen und Ausstellungen unterwegs und dann passiert Folgendes: Wir nehmen uns eine Betrachtungs-Auszeit von den Werken und stellen oder setzen uns irgendwo hin und erlauben uns den Spaß, die Besucher zu beobachten und wie sie mit den Werken interagieren. Bei den meisten sehen wir nichts weniger als eine sinnliche Erfahrung, die sie gerade machen könnten, nichts weniger als eine ganzheitliche Erfassung der visuellen Pracht des Gebotenen. Manche wirken angestrengt deutelnd, viele ausdruckslos, einige setzen einen kenntnisreiche Miene auf oder, wenn sie  zu zweit sind, erklärt einer von beiden dem anderen die (Kunst-) Welt. Seit es die Audioguides gibt, kommt eine Form von multimedialer Hermetik hinzu, eine die Umwelt ausschließende Verfassung, der wir auch außerhalb von Kunsttempeln immer häufiger begegnen. Aber kaum jemandes Ausdruck spiegelt den Zauber wieder, den Kunst auf uns ausüben sollte, die Unbefangenheit, die freies Assoziieren ermöglicht, das Staunen über den Ideenreichtum der Künstler und den Wunsch, Eindrücke mit anderen zu teilen. Ganz selten kommt es vor, dass Menschen, die sich vorher nicht kannten, beginnen, sich über diese Kunst miteinander zu unterhalten, dabei ist doch das Entstehen von Kommunikation über die Kunst durch die Kunst ein wirkliches Wunder und ein großer, spannender Genuss. Doch der Betrachter, der die Betrachter betrachtet, ist er wirklich der wahre Kenner oder sucht er nach seinem Menschenbild in den Gesichtern der Betrachter von Kunst? Tja.

Warum wir diesen Exkurs gemacht haben? Weil die Menschen, die uns Woody Allen in „Manhattan“ zeigt, Kunstkonsumenten sind, die an irgendeinem Projekt arbeiten, das etwas mit Kunst zu tun haben könnte, wenn man denn einen Zugang zur Kunst hätte. Exemplarisch ist das Buch, für das Isaac seinen ihn nach eigener Ansicht unterfordernden Job beim Fernsehen schmeißen will und das nach der Einleitung des Films mit den vielen Perspektiven von New York, gezeigt zur Rhaposdy in Blue von Gershwin, in der Tat ein künstlerischer Offenbarungseid ist. Kein Wunder, dass man bei einer so beliebigen Herangehenesweise, wie Allen sie hier mit der Stimme Isaacs an den Zuschauer vermittelt, keine Kunst, sondern nur ein nach der Wirkung schielendes Worthülsenwerk zustande bringen kann. Woody Allen ist in diesem Film auf eine Weise selbstironisch, die manchmal schmerzlich wirkt. Und es kommt immer wieder vor, dass wir uns fragen, ober diese Ironie in vollem Umfang bemerkt und als Isaac absichtlich so künstlerisch und emotional begrenzt rüberkommt, wie wir ihn wahrnehmen.

Da wir Allen aber zurechnen, dass er nicht in ganz und gar unfreiwillig von sich selbst erzählt, sondern Charaktere zeigen will, die er kennt und mit manchmal liebevollen, manchmal beißenden Ansätzen zur Satire begleitet, halten wir „Manhattan“ für eine der besten Dialogsatiren, die je auf Zelluloid gebannt wurden. Allen war nach fünfzehn Jahren im Filmgeschäft reif für ein solches Meisterwerk, das nicht vom Himmel über New York fiel, sondern eine Synthese aus weniger reifen Vorgängerfilmen ist, verbunden mit einer neuen ästhetischen Note, die dem Film einen edlen Glanz gibt, der ganz hübsch mit der Banalität der Figuren kontrastiert.

Das Mädchen Tracy als Charakter beweist für uns, dass Allen alles genau berechnet hat, weil sie so anders ist als die übrigen Figuren in diesem Film. Er setzt auf eine vielleicht etwas naive, aber sehr wirkungsvolle Weise diese hübsche 17jährige mit ihrer noch vorhandenen Fähigkeit zum absoluten Gefühl sogar einem Typ gegenüber, der mehr als doppelt so alt ist wie sie und nicht unbedingt das, was wir einen Frauenschwarm nennen würden, der Star des Films und der Stern über New York, der uns darüber staunen lässt, dass in einer so zynischen Umgebung solche Naturen heranwachsen können. Wie Isaac mit ihr umgeht, ist im Grunde unter der Würde – er lässt sie dafür büßen, dass er keine echten Emotionen mehr empfinden kann, vielleicht nie empfinden konnte, wie seine beiden gescheiterten Ehen nahelegen, dass er sich nicht festlegen kann und sich in einer Attitüde gefällt, die in der Szene gipfelt, in der er Tracy zum Weinen bringt. Man wird und wird das Gefühl nicht los, dass Allen, wenn man seine Privatgeschichte kennt, eben doch auch etwas von sich preisgibt.

Wer gibt, dem wird aber gegeben. Und dafür ist Mary zuständig, die anfangs als verquaste Zicke erscheint und dann doch ein wenig Persönlichkeit offenbart, ohne dass wir uns mit ihr identifizieren würden (ebensowenig wie mit Isaac und Yale, während Tracy Empathie evoziert, aber wenig Identifkation). Isaac hat keine Mühe damit, Mary von Yale zu entfernen, fragt sich wenig nach dessen Innenleben angesichts der Veränderung; so haben wir immer ein kleines Problem damit, den romantischen Situationen zwischen Isaac und Mary zu trauen, die eine Verbundenheit zu generieren scheinen, welche sich als trügerisch erweist. In dem Moment, in dem Mary zu Isaac sagt: „Wie kann man nur so leben?“ Das sagt sie, weil dieser eine einfachere Wohnung bezogen hat, um sich den Traum vom Bücher schreiben erlauben zu können, obwohl sie zuvor befand, es sei unter seinem Niveau, dieses Witze fürs Fernsehen machen. Diese Beziehung ist vorbei und die Frau ist doch oberflächlich. Und par Occassion kehrt sie dann zu Yale zurück, und wir alle wissen, er ist physisch attraktiver als Isaac und hat sich einen Porsche gekauft, während Isaac, da könnte er ein echter Berliner (aus der Zeit, in welcher der Entwurf dieses Textes entstanden ist, Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung) sein, über das Auto als ökologische Sünde philosophiert. Yale ist zwar in seiner Anbetung einer technischen Erscheinung bei gleichzeitiger bedenkenloser Liebesbeziehung neben der Ehe nicht wirklich besser, aber er wirkt viel mehr als ein Mann aus dem Leben, im Vergleich zu Isaac, der im Grunde eine reduzierte Existenz darstellt, einen Mann zwischen einem gescheiterten Gestern und einem ungewissen Morgen, der, das verstehen wir im Verlauf, die Schuld an seiner stets unbefriedigenden Situation trägt, weil er sich da, wo es sinnvoll wäre, nicht einlassen kann und sich stattdessen auf eine Chimäre von Romantik stützt, die sich ohne größere Zeitverzögerung als solche erweist.

Dass er dann Yale Vorwürfe macht, weil dieser Mary zurückholt und, als das nicht fruchtet, sogar dessen Frau instruiert, wirft kein gutes Licht auf den Mann, der echtes Gefühl nicht kann. Noch einmal gesteigert wird das am Ende, wo er Tracy, die er schon nach London entlassen hat, aus den Augen, aus dem Sinn, solange es Mary gab, noch schnell  zurückholen will, als diese schon abreisebereit ist. Dazu lässt sie sich dann doch nicht erweichen, aber sie kommt ja in sechs Monaten wieder, was Isaac dazu veranlasst, sich auszumalen, wen sie in London alles kennen- und liebenlernen könnte.

Selten wurde uns in einem Film eine so verzwickte egozentrische Figur dargeboten wie dieser Isaac, dem an einer Stelle ja auch Narzissmus zugeschrieben wird. Natürlich ist er narzisstisch in hohem Maß, es ist erschreckend, wie er versucht, Menschen zu instrumentalisieren, vor allem die gefühlvolle junge Tracy, die zwar sachlich betrachtet eine Mésalliance darstellt, aber gerade zwischen Stars wie Woody Allen und jüngeren Frauen gab es derlei ja wirklich und auch das wirft eben ein ironisches Licht aus der Realität hinüber auf den Isaac in „Manhattan“. Über sich letztlich doch auch selbst plaudern, egoistisch den Egoisten in den Vordergrund rücken und doch eine  universelle Botschaft vermittelt: Dass man emotional immer auf der Verliererseite sein wird, wenn man so gebaut ist. Es ist ja generell für uns heute nicht mehr so leicht, mit den echten Gefühlen, und Woody Allen hat das 1979 in „Manhattan“ schon auf prächtige Weise beschrieben.

Gerade die sogenannten Intellektuellen sind oft Kindsköpfe und keine Künstler, nicht einmal Lebenskünstler, was sich in unserer Zeit nicht zuletzt in einer unreflektierten, simplifizierenden Haltung gegenüber den Herausforderungen unser  Zeit ausdrückt. Wer mit abstrakt wirkenden Begriffen jongliert, ist eben nicht gleich ein Meister des Wortes – das führt uns Woody Allen vor, und da liegt auch der Unterschied zwischen der mit ihm also nur teilidentischen Figur Isaac. Nicht so sehr auf der Beziehungsebene, sondern tatsächlich im intellektuellen Bereich: Allen ist wirklich ein Künstler, der für uns ein Panorama von Typen aufbaut, das so griffig und originell ist, wie epigonenhafte Menschen es nur sein können. Und wer, der sich selbst überprüft, zum Beispiel als schreibende Person, würde in ihnen nicht etwas von sich selbst entdecken? Das erlaubt einen Zugang und ein manchmal lächelndes, am Ende aber eher bedrücktes Nicken: Die Isaac-Momente, die haben wir alle, und je mehr wir uns in einer Scheinwelt bewegen wie Isaac, der keine echte Beziehung hat und kein wertvolles, gesellschaftlich relevantes Projekt, desto mehr spielen solche unreifen Verhaltensweisen eine Rolle, wie wir sie in „Manhattan“ sehen. Beziehungsunfähigkeit ist ebenso ein Ausdruck dieses Mangels an Persönlichkeit wie die Beliebigkeit im Umgang mit anderen und der Ansicht, immer an irgendeinem beruflichen Platz zu stehen, der bei weitem nicht unseren Möglichkeiten entspricht. Nicht umsonst gibt es die Szene, in der Isaac sich über die Umgebung Marys mit lauter Genies lustig macht, die in Wirklichkeit ihn selbst einschließt.

Bei solchen Menschen wird auch Sex unweigerlich zum Klamauk – und entsprechend dargestellt. Wie Mary und Isaac über das Thema sprechen und jeder Partner seine Funktion zugewiesen bekommt und die Partner miteinander verglichen werden, das ist im Grunde alles auf einmal, was man nicht tun sollte, wenn man ein erfülltes Leben mit dem aktuellen Partner haben möchte.

Gerade über dieses Thema offen zu reflektieren, war 1979 noch etwas recht Neues, aber sicher war sich Woody Allen der Stimmung bewusst, die er dadurch vermittelt: Semantik geht vor Romantik. Das Reden über und die Positionsbestimmungen spielen eine viel zu wichtige Rolle im Leben der Figuren. Vor allem Isaac, dieser Narzisst, vergleicht sich ständig und hier widersprechen wir anderen Kritikern: New York spielt eben nicht die Hauptrolle in diesem Film, sondern es ist Isaac, durch den alles, auch die Stadt, vermittelt wird. Die Romantik, die Gershwin-Melodien zu bestimmten Szenen, sind eher eine ironische Brechung als die Verstärkung eines Grundgefühls: Würde man die Musik weglassen, würde die Banalität des Verhaltens der Figuren sofort auffallen – und auch das ist sehr gekonnt. Allen erlaubt sich, Gershwin einzusetzen, um uns darauf hinzuweisen, wie wir durch Musik und innere Disposition in Stimmungen kommen, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben, in der wir uns gerade befinden und leider auch wenig mit der Person, die wir darstellen.

Musik ist etwas Wunderbares, aber sie kann auch ein Substitut sein, das uns daran hindert, uns selbset wahrzunehmen. Gershwin und die Fotografien von New York suggerieren einen Hauch von Hollywoodkino, der keinen Widerhall in den Figuren findet und damit allen Kitsch, den Filme uns als emotionale Wahrheit verkaufen wollen. Aber Allens Figuren sind zu offensichtlich gegen diesen Strich gebürstet, als dass wir dem Glacé-Überzug trauen könnten. Wenn nun jemand sagt, ach, so geschlossen ist ja „Manhattan“ formal gar nicht, dann liegt das genau daran: Dass Allen die Katze ganz schön häufig eben doch aus dem Sack lässt, was eine durchaus irritierende Wirkung hervorrufen kann, wenn man darauf eingestellt ist, dass Romantik ein geschlossenes visuelles Konzept sein sollte, wenn man sie scheinbar in den Mittelpunkt stellt, um eine „Romantische Komödie“ zu inszenieren.

Wirkliche Romantik erfordert eine Charakterstärke, welche die wenigsten von uns aufweisen: Über Länder und Zeiten hinweg treu zu sein und daran zu glauben, dass man füreinander bestimmt ist. Wer hat diese Eigenschaft heute? Diese innere Sicherheit? Ob in New York oder Berlin, wir spüren das Defizit an innerer Stärke, die es möglich macht, sich ganz und gar auf einen Menschen einzustellen, in einer Welt der scheinbaren tausend Möglichkeiten. Die Großstadt ist so geeignet, persönliche Schwächen zu Benefits zu umzudeuten und nie Verantwortung übernehmen zu müssen. Was heute mit einer Person nicht funktioniert, wird morgen mit der nächsten wieder schön.

Der Schlusssatz, den Tracy Isaac mitgibt: „Du musst etwas mehr Vertrauen haben“, lässt erkennen, dass das Urvertrauen, das Weisheit über Intellektualismus stellt und echte Gefühle über romantische Illusionen, nicht die Sache von Isaac und seinen Freunden und den meisten von uns ist, und wir haben nicht das Gefühl, dass Isaac verstanden hat, was seine junge Freundin ihm sagen will.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung der Rezension im Jahr 2023. Wir haben im Grunde nichts geändert, nur ein paar einzelne Begriffe durch u. E. präzisiere ersetzt. Wenn Allen über sich reflektiert, können wir das hier auch tun: Es ist noch heute so, dass unsere Kritiken immer wieder, gerade bei sehr prägnanten Kinostücken, etwas vom Stil des Films spiegeln. Das ist nicht direkt beabsichtigt, es ergibt sich, und daher kommt es, dass auch der obige Text nicht frei ist von Schleifen und Worthülsen. Trotzdem können wir Allen natürlich nicht in seinen Fußstapfen folgen.

89/100 

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

Regie Woody Allen
Drehbuch Woody Allen,
Marshall Brickman
Produktion Charles H. Joffe,
Robert Greenhut
Musik George Gershwin
Kamera Gordon Willis
Schnitt Susan E. Morse
Besetzung

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