UPDATE 2: AfD-Umfragehoch, Weidels vergiftetes Angebot an die CDU +++ Sonneberg, Symbolik, Lauterbach +++ AfD-Kanzlerkandidat:in (Umfrage + Kommentar) | Briefing 222 | PPP – Politik, Personen, Parteien

Briefing 222 | AfD und SPD in Umfragen gleichauf, Weidel will CDU-Minderheitsregierungen im Osten tolerieren

Uns sind diese AfD-Updates auch nicht geheuer, aber im Moment spielt sich politisch etwas ab, woran wir möglicherweise noch lange denken werden. Die AfD wird, zumindst in Umfragen, zur Volkspartei. Wenn sich die SPD (20 Prozent) und die CDU (26 Prozent) noch immer als Volksparteien definieren, trifft das rein rechnerisch derzeit auch auf die AfD zu.

Dabei sah nach der Bundestagswahl 2021 alles recht gut aus. Die AfD hatte gegenüber 2017 fast 2 Prozent verloren, man hatte die Hoffnung, dass die neue Ampel wenigstens ein bisschen flottere Politik hinbekommen würde als das Team Schnarchnasen der späten Regierung Merkel. Inzwischen, in weniger als zwei Jahren, ist so viel geschehen und alles, was geschehen ist, hat der AfD zu Auftrieb verholfen. Der rassistische, rechtsextreme und Nazi-Kern, der mittlerweile AfD wählt, weil die NPD uninteressant geworden ist, wird sich ja in den letzten zwei Jahren nicht verdoppelt haben, das sind verfestigte Einstellungen. Also muss der  Zuwachs durch Menschen generiert werden, die vorher ganz unauffällig die „Altparteien“ gewählt haben und durch einige, die gar nicht mehr gewählt haben. 

Statista-Grafik zu den neuesten Umfragen „Sonntagsfrage“ (bis 24.06., weiter unten eine noch neuere Umfrage)

Machen wir auf der Basis der neuesten Umfragen mal ein Szenario auf. Was passiert, wenn die AfD bei der nächsten Bundestagswahl vor der CDU einläuft und alle anderen etwa die Stimmanteile bekommen, die ihnen gegenwärtig zugemessen werden? Für die Neuauflage der Ampelkoalition würde es nicht mehr reichen, auch nicht für eine CDU-SPD-Koalition. Es ginge, um die AfD zu verhindern, nur noch das, was Weidel, leider nicht in positiv gemeintem Sinne, als Regenbogenkoalition bezeichnen. CDU, SPD, Grüne oder CDU, SPD, FDP müssten zusammengehen, um ein AfD-Regierung zu verhindern. Denn wenn die AfD vor der CDU läge und stärkste Partei würde, erschlösse sich die Logik der Kanzlerkandidatur von Weidel, Höcke oder wen die AfD noch aus dem Hut zaubern wird. Ist das so unwahrscheinlich? Die AfD müsste bloß noch drei Prozent zulegen, die CDU drei Prozent verlieren und schon lägen beide Parteien gleichauf.  Wir hatten gestern über die Kanzlerkandidatur der AfD geschrieben, siehe auch unter diesem Update. So unangenehm es ist es ergibt von vorne bis hinten Sinn, dass die AfD jemanden benennt. Wir können uns bisher nicht vorstellen, dass die AfD dann wirklich einen Kanzler oder eine Kanzlerin stellen wird, weil wir uns derzeit noch nicht vorstellen können, dass die CDU mit der AfD zusammengeht. Bleibt die CDU stärkste Partei, wie in den gegenwärtigen Umfragen, braucht sie aber eine „Regenbogenkoalition“, um die AfD abzuwehren. Als wir gestern über die nähere Zukunft der hiesigen Politik nachdachten, hatten wir an die Möglichkeit, dass die AfD eine Minderheitsregierung der CDU tolerieren könnte – zunächst auf Landesebene nicht gedacht. Weil so etwas im Nachkriegsdeutschland nie üblich war. In einem Interview im Stern heißt es:

AfD-Chefin Alice Weidel kann sich nach den Landtagswahlen nächstes Jahr in Ostdeutschland die Unterstützung einer CDU-geführten Minderheitsregierung vorstellen. „Ich würde nicht per se ausschließen, im Osten eine Minderheitsregierung der CDU zu unterstützen“, sagte sie dem „Stern“. Sie nannte die Christdemokraten zuvor auch einen denkbaren Koalitionspartner. Die CDU hat allerdings eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen („Brandmauer“). (Die Welt)

Auch als Koalitionspartner würde die CDU infrage kommen. Wir warten schon darauf, dass aus der CDU folgendes Argument kommt, wenn die Landtagswahlen 2024 für die AfD wirklich so stark laufen, wie die Umfragen es derzeit ausdrücken (mit 28 Prozent in Sachsen und Thüringen stärkste Partei, mit 25 Prozent in Brandenburg mit d  er SPD gleichauf): In einer Koalition kann man die AfD doch am besten einhegen. Kann man das wirklich, vor allem, wenn man der schwächere Koalitionspartner wäre? 

as ist ein vergiftetes Angebot, das Weidel der CDU macht, denn die Tolerierung einer CDU-Regierung durch die AfD wäre eine Art Einreißen der „Brandmauer“ light und man wäre auch noch von der AfD abhängig. Unterstützung heißt außerdem, dass die Unterstützung auch mal ausbleiben kann, wenn die CDU etwas mehr mittige Projekte umsetzen möchte, als es der AfD passt. Solche Verhältnisse haben in anderen Ländern zu politischer Instabilität geführt und wurden in Deutschland bisher gemieden. Dabei hat es durchaus Vorteile, wenn eine Regierung sich bei jeder Sachfrage neue Mehrheiten suchen muss und eine Demokratie muss daran nicht zugrundegehen. 

Wir müssen es leider auch heute wiederholen: Dieser AfD-Aufstieg und die zunehmende Zwangslage, die dadurch für andere Parteien entsteht, wäre vermeidbar gewesen durch bessere Politik und als der Schwur, nicht mit der AfD zusammen zu regieren, geleistet wurde, lag diese in Umfragen noch nicht dort, wo sie jetzt liegt. Offenbar konnte man sich auch nicht vorstellen, dass die Verhältnisse sich einmal so ändern werden. Jetzt ist guter Rat teuer, selbst ein AfD-Verbot hätte nach unserer Ansicht mindestens ebensoviele Nachteile wie Vorteile und je höher die Umfragewerte der AfD steigen, desto mehr überwiegen die Nachteile. Wie also weitere? Die drei Landtagswahlen im Osten im Jahr 2024, werden sie Schicksalswahlen für die Demokratie?  Vielleicht. Vielleicht werden die anderen Parteien begreifen, dass es so nicht weitergehen kann, wenn sie von der AfD deklassiert werden. Und das wäre ein Gewinn für die Demokratie.

Es ist nicht wie 1933, als alles rasend schnell ging, als die Politik und das Land in einem auch heute noch kaum denkbaren Unruhezustand waren, als es keine Rezepte gegen rechts gab – und, bei allem, was man über die AfD Negatives sagen kann, sie ist nicht die NSDAP.  Noch nicht, jedenfalls. Im gestrigen Update hatten wir auch einen Tweete von Karl Lauterbach besprochen. Das ist genau der Typ Politiker, der sich an die eigene Nase fassen muss, wenn es um die Verursachung des Rechtsrucks in Deutschland geht, der sich persönlich anders aufstellen  muss, anstatt Verallgemeinerungen zum Besten zu geben. Man dachte zwischenzeitlich, die SPD hat einigermaßen verstanden, aber deren Wahlergebnis 2021 war ja nur eine Verbesserung gegenüber den desaströsen Resultaten der Wahlen zuvor, weil die CDU  nicht mehr mit Angela Merkel antrat. Also mit der Person, die nach Ansicht vieler die Gründung und den Aufstieg der AfD maßgeblich zu verantworten hat. Und es geht erst einmal weiter:

Während bundesweit – teils mit Entsetzen – über den erstmaligen Erfolg der AfD bei einer Landratswahl diskutiert wird, steht die Partei laut Umfrageergebnissen erneut als zweitstärkste Kraft da. Wenn morgen Bundestagswahl wäre, würden einer aktuellen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Insa zufolge 20,5 Prozent der Deutschen die AfD wählen. Damit läge die in Teilen rechtsextreme Partei nur noch sechs Prozentpunkte hinter den Unionsparteien (26,5 Prozent), wie die Bild-Zeitung am Montag berichtete.

Das konservative INSA-Institut, das u. a. die Bild beliefert, redet zwar den Erfolg de AfD geradezu mit seinen Umfragen mit herbei, sie erreicht hier neue Spitzenwerte regelmäßig zuerst, aber die anderen liegen ja nicht viel dahinter. Wir werden für die weiteren Entwicklungen um die AfD  herum kein Sonderfeature aufsetzen, denn sie spiegelt ja nur die Entwicklung der übrigen Parteien, aber unsere Vermutung ist, dass wir sie in nächster Zeit nicht aussparen können, getreu dem Motto: totschweigen ist die beste Methode. Das ist sie angesichts der geringen Reichweite unseres Meinungsblogs sicher nicht und wir verweisen auch heute gerne wieder auf unseren Vierteiler „Diskursverschiebung nach rechts“ aus dem Jahr 2020, nach der ersten Causa Thüringen (Thomas Kemmerich, FDP, lässt sich von CDU und AfD zum Ministepräsidenten wählen). Damals haben wir im Grunde schon alles geschrieben, was bis heute in der Politik nicht angekommen ist und womit man die AfD besser bekämpfen könnte als jetzt das Sonneberg-Armageddon auszurufen. Wir haben den Landkreis bisher übrigens teilweise falsch geschrieben („Sonnenberg“). Sorry dafür, wir haben das in diesem Update rückwärts bis zum Ausgangsartikel korrigiert.

TH

Wir haben einen interessanten Artikel zur Wahl im Lankreis Sonneberg, Thüringen, gefunden, den wir Ihnen nicht vorenthalten möchten.  Und einen Tweet von einer bekannten Persönlichkeit, den wir besprechen möchten und der in den Artikel eingebettet wurde.

Darin wird die Wahl des Herrn Sellenberg (AfD) zum Landrat analysiert und eingeordnet. 

Soll man nun aus dieser Wahl eine Zeitenwende herausdestillieren und von einem Tiefpunkt in der Politikgeschichte der Nachwendezeit schreiben?

Herr Lauterbach ist für uns ein klassisches Beispiel dafür, wie man Menschen eben nicht mitnimmt, sondern von den einen von Beginn an als kurios empfunden wird und die anderen, wie uns, die sich konsequente, durchdachte Politik erhofft haben, enttäuscht. Aus Mitnehmen wird im Regen stehen lassen. Wir reden vom Team Vorsicht in Sachen Corona. Gar nicht zu reden davon, dass im Wege der Enttäuschung über Lauterbachs Corona-Politik wieder in den Vordergrund trat, dass er auch ein neoliberaler Klinikschließungs-Apologet ist. Das hätten alle schon lange vor Corona wissen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen können. Haben aber auch wir nicht getan, weil wir dachten, bei einer Krise von solcher Bedeutung kann es doch nicht sein, dass jemand vor allem lobbyorientiert denkt. Okay haben andere auch getan, aber doch nicht Karl mit der Fliege.

Gerade im ländlichen Raum, also auch in weiten Teilen Thüringens, kommt dessen Politik megaschlecht an und nimmt überhaupt niemanden mit. Kein Wunder, dass dieser Tweet fast so viele Antworten wie Likes bekommen hat, die Antworten dürften überwiegend negativ ausgefallen sein.

Es gibt Momente, in denen vordergründige Einsicht ohne Konsequenzen schlimmer ist, als mal gar nichts zu schreiben. Hat Karl Lauterbach der SPD mit diesem Tweet Wähler:innen gebracht oder weggenommen?

Wir bleiben in der Mitte, sprechen uns gegen eine Katastrophisierung dieser Wahl und gegen eine Verharmlosung aus. Es war abzusehen, dass so etwas irgendwann passiert und, ja, das hat die herrschende Politik zu verantworten. Die Frage ist nur, was Lauterbach und Co. daraus ableiten werden.

In seinem Fall: Die Menschen mit noch höheren Krankenkassenbeiträgen für noch weniger Leistung überziehen, anstatt endlich an die krassen Gewinne der Pharmakonzerne, die weltweit fast einzigartig sind, heranzugehen, endlich das Kliniksterben und die Privatisierungswelle zu stoppen oder die Fallpauschalen wirklich wieder abschaffen, das Kostendeckungsprinzip wieder einführen?  Wird das eine hinterfragt und wenigstens etwas gezähmt, das andere als richtig erkannt und in Angriff genommen?

Das werden wir von  Herrn Lauterbach nicht erleben, da legen wir uns jetzt schon für alle Zeiten fest. Lauterbach konnte sich nicht einmal gegen das politische Leichtgewicht Marco Buschmann (FDP) durchsetzen, als es um die richtige Linie in Sachen Corona ging.

Klar, die AfD hat keine Lösung, aber das ist eine Binse, in einer Zeit, in der die Menschen lieber verzweifelt mit dem Kopf gegen die Wand rennen und sich dabei so viele Zellen beschädigen, dass sie dafür reif sind, die AfD zu wählenn, als diesem Politikbetrieb von Lauterbach & Co. jeden Tag  reaktionslos und apahtisch zuzuschauen. 

(…) Der Rechtsextreme Robert Sesselmann ist in der Stichwahl zum Landrat von Sonneberg gewählt worden. Sein Kontrahent Jürgen Köpper von der CDU war von Grünen, SPD, FDP und Linken unterstützt worden. (Der Spiegel)
 
Wie kann eine Linke, die von der CDU immer noch per Hufeisentheorie mit der AfD gleichgesetzt und als nicht koalitionsfähig angesehen wird, einen CDU-Mann unterstützen, nur um einen AfD-Mann zu verhindern? Diese Partei wird auch nicht mehr schlauer. Neueste Umfragen in Thüringen zeigen die AfD mit ca. 30 Prozent vorne (+5 gegenüber der letzten Wahl), die Linke auf Rang 2 (25 Prozent, -2 gegenüber 2020). Die CDU käme auf 17-18 Prozent (+2 bis +3 Prozent). Wenn die CDU und die AfD nicht koalieren, was wir nicht ausschließen möchten, dann kann die Linke nur mit der CDU und allen anderen, die es noch ins Parlament schaffen, zusammengehen, um eine Anti-AfD-Koalition zu bilden.
 
Das wäre auch der einzige logische Sinn hinter dem aktuellen Verhalten der Linken, dass das schon bedacht und besprochen wurde. Aber der politische Schaden wird enorm sein und eine Brandmauer wird auf jeden Fall zusammenbrechen. Die Brandmauer der CDU gegen rechts oder die Brandmauer gegen links. Was glauben Sie, was wir schlimmer fänden? Sicher nicht, dass die CDU mit dem quasi Sozialdemokraten Bodo Ramelow zusammen eine Koalition bilden müsste, die auch die SPD einschließen müsste und vielleicht sogar die FDP oder die Grünen, um auf sicheren Füßen zu stehen. Trotzdem wäre das eine schlechte Lösung, denn eine  Alle-anderen-Allianz nur gegen die AfD als letztes Aufgebot der Demokratie wird der AfD helfen.
 
mmer unter der Voraussetzung, dass die Wahlen etwa so laufen werden, wie es gegenwärtige Umfragen ausdrücken. Die Möglichkeit muss man aber immerhin einkalkulieren. (Neueste Umfragen)
 

Dies ist die eigentliche Symbolik dieser Sonneberg-Wahl: Immer und immer derselbe Kreisel von uralten Reaktionen auf eine wirkliche Gefahr, aber niemand nimmt sich das ernsthaft zu Herzen und zieht  die Lehre, bessere Politik anzubieten, dazu strategische und taktische Fehler, wo man hinschaut.

Wir sind ja politisch nach dem Downfall der Linken nicht mehr so leicht zu enttäuschen, aber Lauterbach hatte es wirklich noch einmal geschafft. Der einzig richtige Tweet wäre gewesen: Ich habe versagt und bessere mich, werde in nächster Zeit dies und jenes konkret angehen, oder trete zurück, weil ich dazu nicht willens und in der Lage bin . Diese allgemeine Formulierung, die er gewählt hat, ist genau das, was die Menschen nicht mehr lesen können und was uns auch immer mehr ärgert.

Zum Abschluss noch etwas, über das man sich ebenfalls ärgern oder nachdenken kann. Es gibt am Ende des verlinkten Artikels eine Umfrage, da können Sie als Leser:in mitmachen. Gegenwärtig stimmen nur 39 Prozent dafür, die AfD als rechtsextrem anzusehen, 56 Prozent sind dagegen. Wir haben uns natürlich zu den 39 Prozet gestellt, aber merken Sie was? Auch wenn diese Umfrage nicht repräsentativ ist und man daraus keine vorschnellen Schlüsse ziehen darf: Bei vielen anderen Themen sind wir ziemlich d’accord mit dem Mainstream zur jeweiligen Umfrage und hier nicht. Ebenso, wie die von MSN angebotenen Nachrichten ganz eindeutig überwiegend von Menschen gelesen werden, die eben nicht so AfD-fern sind, sonst käme es nicht zu einem teilweise mehr als verwunderlichen Verhältnis von Likes und Dislikes, das genau der Wahrnehmung entgegengesetzt ist, die als die richtige, ethisch korrekte gelten soll. Besonders deutlich merkt man das am Russland-Ukraine-Krieg.

Da wird alles genau entgegengesetzt der herrschenden, aber vielleicht nicht mehrheitsmäßigen Meinung mit Daumen nach oben oder unten versehen. Und da schließt sich der Kreis zu dem, was im Artikel bezüglich der AfD-Haltung zum Russland-Ukraine-Krieg steht und allgemein bekannt ist. Es brodelt erheblich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle unserer Politiker:innen und der Medienfürsten, die nicht hören, was im Land gesprochen wird, nicht wissen wollen, was gedacht wird, sondern von oben herab die Deutung aller Dinge diktieren wollen. In diesem Fach sind besonders die Grünen führend und Politiker wie Karl Lauterbach, obwohl er sich mehrfach korrigieren musste, weil seine Ansichten einfach nicht haltbar waren. Die AfD suggeriert, dass sie da ganz anders ist. Obwohl  viele ihrer Wähler:innen sich denken können müssten, dass das nur zu einer weiteren Enttäuschung 

Wir erwarten gar nicht, „mitgenommen“ zu werden, uns würde es reichen, dass Politik kohärent und durchdacht wirkt. Solange das nicht der Fall ist, ist Populismus und Rechtsextremismus Tür und Tor geöffnet. Durch die Tür, die durch die Unfähigkeit der herrschenden Politik für den Populismus aufgestoßen wird, marschiert der Extremismus mit in die Parlamente. Wir wagen gar nicht daran zu denken, was passieren würde, wenn die deutsche Wirtschaft zum Beispiel trotz der suboptimalen Ergebnisse, die eine nicht vorhandene strategische Wirtschaftspolitik schon seit Jahrzehnten hervorbringt, nicht doch recht resilient wäre. Aber man kann die Schraube überdrehen und das trauen viele Menschen der aktuellen Regierung mühelos zu. Und die Menschen merken es. Die Reallöhne liegen heute niedriger als 2015. Die Gewinne der Unternehmen in bestimmten Brnachen und der Privaten bei bestimmten Anlageklassen aus Finanzblasen steigen hingegen ins Astronomische.  Ist das die Gerechtigkeit, die Herr Lauterbach meint? 

Es gibt Umfragen, die besagen, dass diese Themen gar nicht so wichtig sind wie z. B. die Migration. Wir glauben das nicht. Wir glauben, dass sich durch das eine das andere transzendiert. Diese Aversion gegen Zuwanderung gerade in Regionen, die gar nicht so migrantisch geprägt sind wie zum Beispiel unser gelibetes Berlin, ist auch eine Form von Abwehr, die weit über die Migrationsfrage selbst hinausreicht. Es ist eine Ablehnung des Systems, und das muss jeder als gefährlich empfinden, der sich für die Demokratie einsetzt und die Probleme innerhalb der Demokratie lösen will. 

Es gibt natürlich noch einen Teil der Wahrheit, den man nicht unterschlagen darf.  Wir waren in vielen östlichen Regionen des Landes dienstlich unterwegs. Nicht in Sachsen, sondern im hinteren Thüringen haben wir Menschen besucht, deren Bewohner sich nicht einmal die Mühe gemacht haben, die Reichskriegsflaggen zu entfernen, die da in den Kinderzimmern hingen. Das war noch vor der Gründung der AfD. Da kann man auch nicht sagen, „es lag in der Luft“, sondern muss wissen, dass es  im Osten seit Langem einen harten Kern von Rechtsextremen gibt, die immer AfD wählen werden, solange das möglich ist. Um sie geht es bei der Demokratieverteidigung aber auch nicht, sondern um die Mehrheit im Land, die immer mehr gezwiebelt anstatt mit mehr Gerechtigkeit bei der Stange gehalten wird.

TH

Es ist schon seit Tagen ein Thema, dass die AfD einen Kanzlerkandidaten oder eine Kanzlerkanidatin für die Bundestagswahl 2025 aufstellen will. Sofern sie dann auch stattfindet, denn es wird ja an einer Wahlrechtsreform geschraubt, die Legislaturperioden um ein Jahr verlängern soll, diesem Vorhaben stehen wir ablehnend gegenüber.

Gilt das auch für die Tatsache, dass die AfD mit Alice Weidel oder Björn Höcke oder mit jemanden, mit dem gegenwärtig niemand rechnet, als Kanzlerkandidat in diese Wahl 2025 oder 2026 ziehen will?

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie es, dass die AfD eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten für die nächste Bundestagswahl aufstellen möchte? – Civey

Begleittext aus dem Civey-Newsletter:

Die AfD will für die nächste Bundestagswahl einen eigenen Kanzlerkandidaten oder Kanzlerkandidatin aufstellen. Die Co-Parteichefin Alice Weidel sagte letzte Woche bei RTL, dass die Aufstellung unabhängig von den aktuell hohen Umfragewerten geplant sei. Ähnlich äußerte sich auch ihr Partei-Co-Chef Tino Chrupalla im ZDF.  Er kündigte zudem an, die Werte der AfD bis zur Wahl „in den westlichen Bundesländern“ deutlich zu steigern und zur „Volkspartei” zu werden. 

Gegenüber der WELT sagte Weidel am Donnerstag, dass die Personalfrage noch offen sei. Sie schloss aber sowohl eine eigene Kandidatur als auch eine von Björn Höcke, Vorsitzender der thüringischen AfD-Landtagsfraktion, nicht aus. Sie kritisierte zudem seine Einstufung als rechtsextremistisch durch den Verfassungsschutz: „Herr Höcke ist kein Rechtsextremist.“ 

„Das war erst der Anfang”, schrieb Chrupalla gestern auf Twitter angesichts des gestrigen Wahlsieges von Robert Sesselmann (AfD) zum Landrat im thüringischen Landkreis Sonneberg. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, zeigt sich dagegen stark erschüttert vom Wahlerfolg einer Partei, die „laut Landesverfassungsschutz rechtsextrem [ist]”, berichtet die SZ. Es beruhige ihn „zutiefst”, dass „so viele Menschen dem zustimmen”. Er forderte die „demokratischen politischen Kräfte” zum Handeln auf.

Wieso haben wir uns nicht zu den 51 Prozent gesellt, die nach dem aktuellen Stand der Umfrage gegen die Aufstellung einer Kanzlerkandidat:innenperson seitens der AfD sind? Es sind nämlich auffälligerweise ziemlich genau so viele, wie sagen, dass sie niemals die AfD wählen würden, zwischen beiden Mengen dürfte ein hoher Schnittbereich bestehen. Wir haben auch gesagt, dass wir niemals die AfD wählen würden, haben aber mit „unentschieden“ gestimmt. Wir finden selbst, dass unsere „Unentschieden“ langsam beängstigende Ausmaße annehmen.  Haben wir unsere klare Meinung verloren?

In diesem Fall nicht. Für uns macht es tatsächlich keinen großen Unterschied, ob die AfD Weidel, Höcke oder ein rosa Rhinozeros ins Rennen schickt. Es ist ihr demokratisches Recht, das zu tun, wie bei allen anderen Parteien, auch wenn bei einem Rhinozeros die staatsbürgerlichen Voraussetzungen geprüft werden müssten. Nicht aber seine Gesinnung, und das gilt auch für Weidel & Co., solange die AfD nicht verboten ist. Die Idee ist auch nicht lächerlich, denn die AfD liegt in Umfragen derzeit auf einer Höhe, auf der auch die Grünen waren, als Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin der Partei für 2021 gekürt wurde. Ihr wurden reale Chancen ausgerechnet, es wirklich zu packen. Im vorherigen Satz liegt auch ein Hint: Schlussendlich landeten die Grünen bei 14,8 Prozent und waren weit weg von einem Wahlerfolg, der uns eine Kanzlerin Annalena Baerbock eingebracht hätte.

Wenn die Bundesregierung nicht alles falsch macht und die Opposition ihr Versprechen hält, eine Brandmauer zu ziehen, dann kann nichts passieren, denn selbst dann, wenn die AfD nicht so enttäuschen würde (ihre eigenen Anhänger:innen vor allem), wie das grüne Ergebnis 2021 es getan hat, hätte sie keine Chance, den Kanzler oder die Kanzlerin zu stellen.

Alice Weidel hat aber auf Twitter kundgetan, dass sie nicht glaubt, dass die CDU sich wirklich dauerhaft wird abgrenzen können, vor allem im Osten nicht. Wie zum Beweis dafür, dass die Machtvberhältnisse sich zugunsten der AfD entwickeln, wurde am Wochenende im thüringischen Sonneberg ein AfD-Mann erstmals zum Landrat gewählt. Er gewann die Stichwahl gegen den CDU-Amtsinhaber.

Robert Sesselmann hat die Landratswahl in Sonneberg gewonnen. Damit stellt die AfD erstmals in Deutschland einen Landrat. In der Stichwahl trat Jürgen Köpper von der CDU gegen Sesselmann an.

Sonneberg hat am Sonntag, dem 25. Juni, Robert Sesselmann von der AfD gewonnen. Sesselmann kommt nach dem vorläufigen Wahlergebnis auf 52,8 Prozent und CDU-Kandidat Köpper auf 47,2 Prozent. Der Landtagsabgeordnete Sesselmann ist damit nach dem vorläufigen Wahlergebnis der erste AfD-Landrat in Deutschland.

AfD-Kandidat gewinnt Landratswahl im thüringischen Sonneberg | tagesschau.de

Wir hatten schon vor einiger Zeit festgehalten, dass es nicht die vorrangige und vornehmste Aufgabe geschätzter zivilgesellschaftlicher Organisationen sein kann, einen AfD-Landrat zu verhindern.

UPDATE: Höcke & Co. verhindern in Thüringen (Campact + Kurzkommentar) +++ „Ist die AfD Ihrer Meinung nach eine rechtsextreme Partei?“ (Umfrage + Leitkommentar) | Briefing 200 | Politik, PPP, Gesellschaft, Umfrage – DER WAHLBERLINER

Wir verstehen die Beweggründe sehr gut, aber gefragt sind die Wähler:innen und natürlich die herrschende Politik. Ähnlich wäre es, wenn jetzt Campact käme und uns auffordern würde, irgendwie einen AfD-Kanzlerkandidaten oder eine AfD-Kanzlerkandidatin zu verhindern. Das ist nicht der Bus, der vor unserer Tür parkt, weil wir die AfD nicht wählen. Es ist leicht, die AfD als rechtsextrem einzustufen, wie wir das im oben verlinkten Artikel getan haben, aber es ist schwer, diesen Rechtsextremismus in diesen Zeiten nicht salonfähig werden zu lassen.

Dummerweise müssen wir Alice Weidel faktisch zustimmen. Wir glauben auch nicht, dass die CDU sich im Osten noch lange wird einigermaßen nach rechts abgrenzen können, zumal deren dortigen Landesverbände auch nicht gerade „mittig“ sind und viele in diesen Landesverbänden sich eine Zusammenarbeit mit der AfD sehr wohl vorstellen können, teilweise sogar mehr wünschen als eine Koalition mit jeder anderen Partei. Da sind eben nicht nur 25 Prozent oder mehr AfD-Wähler und links davon gibt es eine strikte Grenze, vielmehr zeigt das gesamte politische Spektrum im Vergleich m it den alten Bundesländern eine Rechtsverschiebung.

Was ist, wenn Friedrich Merz vor die Wahl gestellt wird, mit der AfD zusammengehen oder Opposition? Was ist mit der wichtigen CDU-Ländermehrheit im Bundesrat? Als kleinerer Partner würde die CDU vielleicht in die Opposition gehen, aber wenn sie mit der AfD und nur mit ihr knapp an der Regierung bleiben könnte, als immer noch stärkste Kraft in einem Ost-Bundesland? Oder die Variante AfD oder Volksfront? Unsere westlichen Denkstrukturen dürfen wir nicht auf den Osten übertragen, das hat sich schon so oft als falsch erwiesen und erschwert das Verständnis für die früheren DDR-Bürger:innen und deren Nachkommen.

Und dann schauen wir uns an, dass in vielen Ländern Europas ähnliche Verhältnisse herrschen wie im deutschen Osten, auch in traditionellen westlichen Ländern wie in Frankreich oder Italien, wo es jeweils eine ganz starke Rechte gibt. Von den Konversionsländern, die rechts regiert werden, gar nicht zu reden. Wie konnte das passieren? Wie konnten so viele Wähler:innen, die lange als gute Demokrat:innen galten, so nach rechts gehen? Es gibt Antworten dafür, aber die kann man nicht unbedingt von einem Land auf das andere übertragen. Was es aber in vielen Ländern gibt, ist ein massives Unbehagen mit der aktuellen Situation.

Das trifft auch auf uns zu. Dass es nicht dazu führt, dass wir die AfD wählen, liegt an einer linken Herangehensweise an die Probleme, die wohl kaum zu bestreiten sind. Es liegt daran, dass wir durch Populismus verführbar sind, komme er von der AfD oder von Sahra Wagenknecht. Es liegt daran, dass wir uns zu intensiv mit den historischen und politischen Hintergründen der aktuellen Lage befasst haben, um glauben zu können, dass rechts die Lösung ist. Es ist aber nicht immer einfach, zu sagen, hier und da wird etwas richtig gesehen, aber wenn das so ist, dann ist es natürlich das Richtige im Falschen, während diejenigen, die für uns streiten sollten, die Linke, so viel Falsches im Richtigen macht. Wir halten aber die Trostlosigkeit der Lage lieber aus, als dass wir rechts wählen würden.

Ob die AfD jemanden ins Rennen um die Kanzlerschaft schickt, ist uns also ziemlich egal. Ob es der AfD helfen wird? Möglich. Und weiterhin gilt: Sie darf sich auf diese Weise pushen, falls es denn ein Push ist, wenn eine so rechte Figur wie Höcke es macht, sofern sie als Partei erlaubt bleibt.

Wir sehen sogar einen leichten Vorteil in dieser Personalisierung im Sinne größerer Klarheit, der uns aber gerade jetzt erst einfällt, nachdem wir abgestimmt haben: Wenn tatsächlich der Rechtsausleger bei den Rechten, Björn Höcke, Kanzlerkandidat wird und die AfD dann ein herausragendes Ergebnis einfährt, ist endgültig der Beweis dafür erbracht, dass es sehr vielen Menschen in Deutschland gar nicht rechts genug sein kann. Bei Alice Weidel wäre das nicht ganz so klar, weil sie es geschafft hat, aufgrund der permanenten Rechtsverschiebung der AfD schon fast mittig-konservativ zu wirken. Ursprünglich war sie am rechten Rand der AfD angesiedelt. Nicht sie hat ihre Positionen verändert, sondern die AfD ist rechter geworden. Ja, genau. Soll der Höcke es doch machen. Falls wir dann herausfinden, dass jemand, den wir kennen, AfD gewählt hat, dürfen wir ihn oder sie wenigstens als Nazi beschimpfen und den Kontakt abzubrechen.

Gewonnen ist dadurch für die Zukunft überhaupt nichts, aber es tut gut, mal wieder entrüstet sein zu dürfen. Nein, ernsthaft: Wir müssen die herrschende Politik endlich mehr fordern, damit sie sich nicht selbst zerstört und damit auch die Demokratie. Eine linke Alternative gibt es sowieso nicht. Die AfD einzugrenzen, ist möglich, wie der Rückgang vor einigen Jahren im Westen und die Stagnation zum selbe Zeitpunkt im Osten gezeigt hat. Das geht aber nicht von heute auf morgen, sondern nur dadurch, dass Vertrauen zurückgewonnen werden kann. Wer eine schnelle Einhegung der AfD will, sollte hoffen, dass die Wagenknecht-Partei bald kommt.

Kommt die Wagenknecht-Partei? (Umfrage + Kommentar) | Briefing 48 – DER WAHLBERLINER

Für Wagenknecht wäre es ein kompletter Bankrott, mit der AfD zusammenzugehen, daher würde diese neue Konstellation die fragile Balance erst einmal erhalten und fördern, die wir derzeit haben.

Wir würden auch diese Partei nicht wählen und auch die Union, die FDP, die SPD und die Grünen kämen für uns nicht infrage.

Würden Sie Wagenknechts Partei wählen? (Umfrage + Leitkommentar) | Briefing 213 | #PPP #Wagenknecht – DER WAHLBERLINER

TH

Hinterlasse einen Kommentar