Hendrik Wüst: Kanzlerkandidat für CDU/CSU? (Umfrage + Kommentar) | Briefing 227 | PPP (Politik, Personen, Parteien #Wüst #Merz #Merkel #Söder

Briefing 227 | PPP, Bundestagswahl 2025, Kanzlerkandidatur

War die letzte Bundestagswahl nicht gerade erst? Sie erinnern sich, es gab einen Wechsel von Schwarz-Rot zur Ampel. Die Kanzlerkandidat:innen waren Olaf Scholz, Annalena Baerbock und … wie hieß er gleich noch? Armin Laschet.

Scheint doch schon lange her zu sein, dass wir für keine der Ampelparteien und auch nicht für die CDU gestimmt haben (und auch nicht für die AfD, damit keine falschen Verdachtsmomente aufkommen können). Ja, inzwischen ist eben viel passiert. Es hat sich alles etwas beschleunigt, nach den vielen ruhigen Jahren zuvor.

Armin Laschet (CDU) war Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, bevor er gegen Olaf Scholz das Rennen ums Kanzleramt verlieren durfte. Wie nun Hendrik Wüst regierte er also das einwohnerstärkste deutsche Bundesland. Da in der Union die Kanzlerfrage jetzt schon hochkommt, kurz vor der Halbzeit der Legislaturperiode, kommt es auch zu einer Civey-Umfrage, in der Hendrik Wüst eine Rolle spielt. Falls Sie mehr über ihn wissen wollen, könnten Sie noch dieses Interview mit ihm lesen, das wir vor einiger Zeit veröffentlichen durften, bevor Sie abstimmen und / oder sich dem Erklärungstext aus dem Civey-Newsletter widmen.

„Wir sollten uns keine Systemkrise einreden lassen!“ | Interview mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (Gesichter der Demokratie) | Frontpage | Parteien, Personen, Politik | Demokratie, Landespolitik – DER WAHLBERLINER

Nun zur Umfrage:

Civey-Umfrage: Sollte Hendrik Wüst (CDU) Ihrer Meinung nach bei der Bundestagswahl 2025 als Kanzlerkandidat der Union antreten? – Civey

Erklärungstext aus dem Civey-Newsletter:

Die nächste Bundestagswahl findet zwar erst in zwei Jahren statt, die Debatten über mögliche Spitzenkandidat:innen sind jedoch schon jetzt im vollen Gange. Aufgrund seines Amtes gilt CDU- und Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) als potentieller Kandidat für CDU/CSU. Zuletzt stand aber auch Nordrhein-Westfalens (NRW) Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verstärkt im Gespräch.

 Wüst gilt als liberaler und positiver als der konservative Friedrich Merz, dem die SZ eine „oft griesgrämige” Art zuschreibt. Auch wirke Wüst „geplanter, geräuschloser [und] glatter” als der Parteichef, welcher etwa im Zusammenhang mit Geflüchteten von „Sozialtourismus” sprach. Ein Vorteil Wüsts sei es zudem „wandlungsfähiger als die meisten Politiker zu sein”, sagte der Biograf Moritz Küpper dem Tagesspiegel. Auch habe ihm sein genügsamer „Ehrgeiz” schon viele Türen geöffnet. 

„Die Wirtschaft stagniert, die Kriminalität steigt, Pendler stehen im Stau […], es fehlt an Wohnungen, Lehrern, Kita-Plätzen.” So lautet die „dürftige” Bilanz der SZ vom ersten Jahr des NRW-Regierungschefs. Sein perfektionistischer Regierungsstil ließe zudem kaum mutige Innovationen zu. „Unmut” löste Wüst zudem bei einigen Vorstandsmitgliedern durch einen Beitrag in der FAZ aus, in dem er die CDU aufrief, sich als „Partei der Mitte in der Tradition Angela Merkels” zu positionieren.

Wüst ist also ein Merkelianer und damit ein natürlicher Gegner des Merkel-Gegners Friedrich Merz. Der jetzt schon entbrannte Streit der beiden um die Kanzlerkandidatur 2025 spiegelt auch die Gretchenfrage der Union: Soll es wieder konservativer werden oder hat Merkels vorgeblicher Mitte-Weg noch eine Chance verdient? Mit Letzterem könne man unmöglich die AfD niederhalten, heißt es. Aber in der Mitte werden die (zusätzlichen) Wähler:innen gewonnen, die man für einen Wahlsieg braucht, weil das konservative Stammwählerpersonal dafür nicht ausreicht, argumentiert die andere Seite.

Wäre die Parteienlandschaft noch wie zu Zeiten von Kohl und Schmidt, dann wäre es einfacher. Damals hatte man die SPD und die CDU noch so wahrgenommen, dass deren Wähler:innenpotenzial nicht fast zur Hälfte wechselbereit ist und es gab noch nicht die Grünen, die Linke und ebenjene AfD, die so vielen Menschen so viele Sorgen bereitet.

In der obigen Beschreibung von Wüsts Regierungsstil findet sich ebenfalls viel von Angela Merkel wieder, oder? Abgesehen davon, dass sie nie „positiv“ gewirkt hat in dem Sinne, dass sie andere hätte mitreißen und zu neuen Ufern führen können. Das will Wüst aber wohl auch nicht. Das Interview, das wir seinerzeit republizieren durften, stellte seine Botschaft „Wir haben keine Systemkrise“ in den Titel. Wir sind anderer Ansicht, aber Wüst ist eben ein positiv-konservativer Politiker, er muss optimistisch auf Bewahren setzen, auch wenn die Lage immer schlechter wird. Das passt schon und ansonsten wirkt er tatsächlich mittig im Sinne der auf die eine oder andere Weise bürgerlichen Mehrheit im Land. Oder sollte man schreiben: im Westen?

Dass er nach fast zwei Jahren im Amt aus NRW nicht das führende Bundesland in Sachen Wirtschaftsentwicklung gemacht hat, kann man ihm kaum vorwerfen. Es ist woanders auch nicht besser gelaufen und eine ganz schlechte Entwicklung in Relation zu anderen deutschen Ländern nahm das einwohnerstärkste Bundesland unter der SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Wer im Moment, unter der Ägide der herrschenden, Rezessionen verursachenden Bundespolitik, sein Land noch nach vorne bringt, ist ja gerade nicht konservativ, sondern innovativ. Dafür werden CDU-Politiker:innen in der Regel aber nicht gewählt, dass sie innovativ sind. Sie werden von Menschen gewählt, die vor allem ihre Ruhe haben wollen (die Merkel-Fraktion) oder denen der gesellschaftliche Wandel zu schnell geht und die gegen fast alles Soziale sind, die aber nicht gleich zur AfD abwandern wollen (die Merz-Fraktion).

Angela Merkel hat im angenommernmaßen Stil von Hendrik Wüst die BRD immerhin 16 Jahre lang regiert und eingeschläfert und dabei Flickschusterei anstatt von Konzeptpolitik betrieben. So stellen wir uns die Arbeitsweise von Wüst auch in etwa vor, inklusive der Akribie oder Detailverliebtheit, die man auch Merkel sicherlich nicht absprechen konnte und die auch ihren Nachfolger Olaf Scholz kennzeichnet. Alle diese Politiker:innen fallen dadurch auf, dass sie selten unvorbereitet wirken, aber auch selten etwas zu sagen haben, das aufhorchen lässt.

Bei Scholz abzüglich der „Zeitenwende“-Rede, die für ihn sehr ungewöhnlich war, bei Merkel abzüglich der „Wir schaffen das“-Rede aus dem August 2015. Gibt es von Wüst auch schon eine bemerkenswerte Ausnahme? Die hebt er sich vermutlich für das zehnte Jahr seiner zukünftigen Kanzlerschaft auf, wenn nicht gerade ein neuer Krieg entsteht, dann darf es auch das erste Jahr sein.

So ist Friedrich Merz nicht gestrickt. Er eckt an, wo er kann, immer auf der Jagd nach Wähler:innen, die er entweder der wirtschafts-neoliberalen FDP oder der AfD abjagen kann. Merz kann man nicht vorwerfen, dass man nicht weiß, wofür er steht. Bei ihm gibt es wiedeurm so viele markige Statements, dass ebenfalls kaum eines als historisch herausragen dürfte. Die Frage ist, ob diese Rhetorik der Union hilft. Als er Parteichef wurde, sind wir davon ausgegangen, dass er es schafft, die Union in Umfragen relativ schnell wieder über 30 Prozent zu bringen, also in etwa auf das Merkel-Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017, das ihr schlechtestes war. 

Just bei 30 Prozent brach die Unions-Restitution jedoch ab und mittlerweile dümpelt die immer noch stärkste politische Kraft in Deutschland bei 26 bis 28 Prozent dahin, ist also kaum stärker als das, was Armin Laschet 2021 zustande brachte (knapp 25 Prozent). Ja, die Zeiten haben sich auf eine Weise geändert, die auch Merz nicht voraussehen konnte. Der Ukraine-Krieg, der einhergehende Aufstieg der AfD, die massiven Wirtschaftsprobleme. Auf all das hat Merz althergebrachte oder kaum tragfähige Antworten und blinkt immer wieder nach rechts, weil er dort, vor allem im Osten, zu Recht ein Potenzial vermutet, das die CDU gegenwärtig nicht ausschöpft.

Es scheint aber ein Nullsummenspiel zu sein, denn damit verliert er Merkel-Anhänger:innen. Die Union steckt in der Klemme. Es gibt bei jedem Thema Parteien, die eindeutiger positioniert sind als sie, und die alten Werte, die die Union auch als Weltanschauungspartei etabliert hatten, der rheinisch-katholische Konservativismus und das Christliche – das war zuletzt dem Pfälzer Helmut Kohl wichtig. Es war schon unter Merkel keine tragende Säule der CDU-Darstellung mehr, auch wenn man ihrem Handeln von 2015 etwa Christliches unterstellen kann, wenn man mag. Per Saldo hat sie wiederum 2017 Wähler:innen durch dieses Handeln verloren.

Es gibt etwas, das klar für Wüst spricht. Auch Friedrich Merz kommt zwar aus dem mitgliederstärksten CDU-Landesverband NRW, aber jemand, der es dort zum Regierungschef gebracht hat, hat gute Chancen, auch Kanzlerkandidat zu werden, zumal er bewiesen hat, dass er eine größere Einheit regieren kann. Dies gilt auch dann, wenn er keine exponierte Persönlichkeit darstellt, siehe Armin Laschet. Gleichwohl, in der jüngeren Vergangenheit traf das eher auf die  Kandidatenauswahl der SPD zu, der letzte CDU-Kanzlerkandidat und Kanzler aus NRW war Konrad Adenauer. Unbestritten hat der NRW-Verband aber einen großen Einfluss in der CDU.

In der Rechnung berücksichtigen sollte man auch Markus Söder (CSU), der 2021 vermutlich ein besseres Wahlergebnis für die Union geholt hätte als Armin Laschet. Der mit allen Wassern gewaschene und im Notfall ziemlich konservativ-flexible Bayern-Regierungschef hätte schon deswegen ein Zugriffsrecht, weil er 2021 zulasten des Unions-Wahlergebnisses nicht zum Zuge kam. Allerdings kann auch Friedrich Merz, immerhin CDU-Chef, für sich beanspruchen, eine Chance verdient zu haben und dabei auf seinen langen Atem verweisen. Auch für den Posten als CDU-Vorsitzender brauchte er drei Anläufe. So gesehen, wäre er allerdings frühestens 2029 wirklich dran.

Mit Daniel Günther gibt es im Norden der Republik noch einen Ministerpräsidenten, der eine relativ gute Figur zu machen scheint, aber nach unserer Ansicht ist er wirklich zu mittig, um für eine Kanzlerkandidatur mehrheitsfähig in der Partei selbst zu sein, die doch eine gewisse Tendenz zur  Stärkung des Rückwärts zeigt. Außerdem hat er bereits erkennen lassen, dass er auf eigene Ambitionen verzichtet, indem er sich im aktuellen Streit auf die Seite von Hendrik Wüst gestellt und Merz u. a. dafür kritisiert hast, dass dieser die Grünen zu Hauptgegnern erklärt hat. Günther regiert in Schleswig-Holstein mit den Grünen zusammen, Wüst in NRW ebenfalls.

Ost-Ministerpräsident Kretschmer hingegen kommt aus dem gegenteiligen Grund nicht infrage, die sächsische CDU ist viel zu dicht an AfD-Positionen, um einen Kanzlerkandidaten zu stellen, der auch im Westen erfolgreich sein könnte, außerdem wird Kretschmer als Person nicht als repräsentabel genug angesehen.

Derzeit gibt es ein Patt. Wenn man die latenten Abstimmenden (eher ja oder eher nein) einbezieht, steht es für und gegen Wüst ziemlich ausgeglichen. Wir sind sowieso ziemlich ausgeglichen in dieser Frage, weil wir die CDU nicht wählen werden, wir haben fairerweise mit „unentschieden“ votiert. Wir sehen Vor- und Nachteile bei Merz und bei Wüst und bei Söder und können nicht einschätzen, wie die Lage im Jahr 2025 sein wird, welche Linie in der CDU oder CSU dann diejenige sein wird, mit der man die meisten Menschen überzeugen kann.  Wir müssen ja nicht im Sinne der CDU denken, aber wenn man sich positioniert, dann so, dass eswirkt, als ob mann wirklich glaubt, mit seiner Stimme der Union zurück an die Regierung zu verhelfen. Es ist ohehin immer auch ein Pokerspiel, ungeachtet aller Möglichkeiten, die Positionen an die Verhältnisse anzugleichen. Denn eines gibt es bei keiner Partei derzeit: Einen Kandidaten oder eine Kandidatin, der oder die sich geradezu aufzwingt, weil er oder sie so  herausragt.

TH

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