Die deutsche Wirtschaft stagniert (Statista + Kommentar) | Briefing 283 R | Wirtschaft

Briefing 283 R4T | Wirtschaft, Konjunktur, Eurozone, Momentaufnahme und Langfristperspektive: nur die Probleme wachsen

Das ist natürlich ein Fokus auf eine sehr kurzfristige Entwicklung, aber wir sind stets bemüht, Wirtschaftsdaten zu vervollständigen und zu kommentieren, außerdem brauchen wir die Basics für tiefergehende, mehr analytische Artikel. Es ist leider auch kein Geheimnis, dass der deutsche Wirtschaftsmotor stottert, und zwar mehr als in anderen europäischen Ländern, die sich längst von der Corona-Delle erholt haben.

Infografik: Deutsche Wirtschaft stagniert | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Bundesrepublik steckt in einer Flaute und ist im Vergleich zum Vorquartal im zweiten Quartal 2023 weder gewachsen noch geschrumpft. Im ersten Quartal schrumpfte das BIP leicht um -0,1 Prozent. Auch im Durchschnitt aller Länder der Europäischen Union stagniert die Wirtschaftsleistung. Die Wirtschaft in der Eurozone ist im zweiten Quartal dagegen um 0,3 Prozent im Quartalsvergleich gewachsen. Zu den Treibern gehören hier Frankreich und Spanien (+0,5 bzw. +0,4 Prozent). Die Konjunkturdaten von Eurostat beruhen auf saisonbereinigten Werten.

Gedämpft wird die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung von Experten durch gestiegene Zinsen und die immer noch hohe Inflation. Hinzu komme die zurückhaltende Nachfrage aus dem Ausland. Wirtschaftsforschungsinstitute und viele Bank-Ökonomen rechnen damit, dass die deutsche Wirtschaft im Gesamtjahr leicht schrumpfen wird.

Eurostat hat gestern auch Daten zur Industrieproduktion in der EU veröffentlicht. Diese legte im Juni überraschend um 0,5 Prozent im Monatsvergleich zu. Erwartet worden war hier hingegen ein Rückgang um 0,1 Prozent, nach einem unveränderten Wert im Mai. Auf Jahressicht lag die Produktion um 1,2 Prozent niedriger.

Von aufstrebenden Ökonomien außerhalb des Kontinents nicht zu reden, aber es ist auch nicht opportun, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, denn „aufstrebend“ bedeutet, sie wollen dorthin, wo wir längst sind und was wir, wenn es so weiterläuft, nicht verteidigen können. Dabei spielt nicht so sehr eine unfaire, harte Konkurrenz von außen die Hauptrolle, denn mittlerweile jagen sich die Werkbänke der Welt gegenseitig die Investoren ab, ohne dass Deutschland dadurch wesentlich oder weiterhin an Arbeitsplätzen verlieren würde.

Es sind massive interne Fehler, die ein Land, das eben deshalb auf hochwertige, wertschöpfende Industrie angewiesen ist, weil es nicht mit „aufstrebenden Ländern“ um die günstigsten Produktionsmöglichkeiten konkurrieren kann, besonders schwer schädigen. Mithin, es sind Fehler einer Politik, die kein Gefühl für die Komplexität dieses Systems hat und dass das Drehen an wenigen Stellschrauben in die falsche Richtung ein komplexes System mehr schädigt als ein resistentes, das „aufstrebend“ ist und wo im Grunde nur niedrige Löhne eine Rolle spielen, nicht aber die tausend Faktoren, die etablierte Industrieländer in eine bessere oder schlechtere Position bringen.

Wir möchten dabei nicht nur die aktuelle Regierung adressieren, obwohl sie so offen planlos wirkt wie nie eine zuvor. Die Probleme reichen weit zurück, spannen sich über die gesamte Kanzlerschaft Angela Merkels, die das Aussitzen ihres Ziehvaters Helmut Kohl perfektioniert hat, aber, und da wenden wir uns vor allem gegen die neoliberalen Analysten, auch die Regierung Schröder hat dazu beigetragen, indem sie Billiglöhne über Innovation und Fortschritt gestellt hat, um die Arbeitslosenzahlen besser aussehen zu lassen. Im Prinzip kann man die Fehlstellungen bis in die 1970er zurückverfolgen, die, relative gesehen, zu einem anhaltenden Abstieg geführt haben. Mittlerweile wird jedes einzelne Problem größer und alles kumuliert zu einer Krise, die es nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht gegeben hat. Besserung ist absolut nicht in Sicht, denn sie würde eine strategische Konzeptpolitik erfordern, die viele unbequeme Wahrheiten offenlegen würde. Das klingt nun sehr allgemein, aber wir haben uns schon in so vielen Artikeln zu einzelnen Aspekten dieser Problemzone Deutschland geäußert, dass wir das nicht bei einem so fokussierten Blick in ein kleines Fenster, ein kleines Zeitfenster, tun müssen, der lediglich bestätigt, was sich lange abgezeichnet hat.

Was wir leider nicht einmal in Ansätzen sehen, ist, dass Kanzler Scholz seine unfähige Riege von Ministern wenigstens zu einer Art Masterplan verdonnert, den ohnehin Fachleute in den Ministerien ausarbeiten müssen und dass er die Fäden zusammenführt, die  zu einer kohärenten Erneuerungspolitik führen würden. Auch wenn wir ihn nicht für die größte Schwachstelle der Ampelkoalition halten: Anders als in Sachen Ukrainekrieg, wo wir seine Zurückhaltung schätzen, müsste er die Zukunftsaufgaben viel offensiver angehen und kommunizieren. Deswegen ist es leider doch bis zu einem gewissen Grad gerechtfertigt, dass nicht die Gesellen, sondern der Meister schlecht bewertet wird, sprich, in den Wahlumfragen immer weiter zurückfällt. Die Organisation des Betriebs und die bessere Edukation derer, die darin herumwurschteln, wäre seine Aufgabe. Im Notfall müsste er für einen Austausch sorgen. Mindestens vier Minister:innen fallen uns sofort ein, die ausgewechselt werden sollten, weil sie schlicht mit ihren Aufgaben überfordert sind: zwei von den Grünen und zwei von der FDP:

Wirtschaftsminister Habeck, Außenministerin Baerbock, Finanzminister Lindner und Verkehrsminister Wissing. Alle diese Minister:innen richten Schäden an, die so schnell nicht wiedergutzumachen sind. Bisher gab es hingegen nur einen Wechsel, den konnte Scholz auch leichter organisieren, weil er die eigene Partei betraf.

Diese Schäden sind leider keine lässigen Kratzer an einer voll funktionierenden Volkswirtschaft, sondern tiefe Schrammen in einem ohnehin angeschlagenen System, das von der Bildung bis zur Rente in allen Fugen ächzt. Zwischen diesen beiden Problemzonen am Beginn und am Ende des Lebens sollen die Menschen das Land am Laufen halten und es ist kein Wunder, dass dies immer mehr behelfsmäßige Züge annimmt. Wohl dem, der in seiner kleinen, persönlichen Lebens- und Arbeitswelt davon noch nicht viel mitbekommt. Die anderen sind zu Recht besorgt, verärgert und verängstigt. Deswegen kommt auf den wirtschaftlichen Schaden der politische Schaden obenauf: Der Schaden für die Demokratie, weil ihrer Funktionsfähigkeit von immer mehr Menschen in Zweifel gezogen wird.

Das ist aber gar nicht so und es gibt Länder, in denen man nach wie vor beobachten kann, dass es nicht so ist. Wir können uns gut erinnern, wie offen dargestellte Kompetenz- und Ratlosigkeit von den zahlreichen Claqueuren unter den Medienschaffenden zu einem progressiven Kommunikationsstil emporgehypt wurden, als die Ampelregierung gestartet ist. Wir haben diesem Narrativ schon damals nicht getraut. Wir haben die Neubewertungen schon hinter uns, die einige im Diskurs immer an vorderster Front zu findende Personen auch mal endlich vornehmen könnten. Wir haben zum Beispiel eine Revision unserer Einschätzungen bezüglich der heutigen Führungskräfte der Grünen schon im Wahlkampf 2021 vorgenommen, als bereits sehr deutlich sichtbar wurde, dass wir einer Riege von Pretendern gegenüberstehen.

Im Grunde würde die Sammlung von Krisen, die wir sehen, schon deshalb eine Chance zum Neuanfang darstellen, weil deutlich sichtbar ist, dass es so nicht weitergehen kann, wie es derzeit läuft und dass die jüngere Vergangenheit mehr hinterfragt werden muss, mindestens zurück bis zur Wende. Ob das nun etwas zu viel der Destillierung und eine zu weitreichende Assoziationskette angesichts einer Grafik wie der obigen ist, mag jeder für sich entscheiden. Uns jedoch fallen immer die vielen Artikel ein, die wir schon geschrieben haben und in denen wir unsere Ungeduld und Sorgen angesichts der Schwäche der hiesigen Politik ausgedrückt haben. So gesehen, passt diese Grafik eben wie ein kleines Steinchen exakt ins große Mosaik.

TH

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